Another Brick in the Wall
Der Deutsche Bundestag debattiert dieser Tage eine weitere Resolution zum Thema Antisemitismus und Israelfeindlichkeit, diesmal mit Fokus auf Schulen und Hochschulen. Ähnlich wie bei der bereits kürzlich verabschiedeten Resolution „Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“ bietet der Entwurf vielfachen Anlass für Kritik. Ich werde mich im Folgenden auf die Punkte in der Resolution beschränken, die die Schulen betreffen.
Continue reading >>Unwritten Constitutional Law as a Brazilian Constitutional Category?
Brazilian constitutional law is profoundly marked by the ideal of codification. In this context, the ‘unwrittenness’ of certain constitutional problems is usually not treated as such. This is especially intensified through the size and textual openness of the Brazilian Constitution. Yet unwritten constitutional normativity plays (and can play) arguably a decisive role in Brazilian constitutionalism. Could one then articulate unwritten constitutional law as a Brazilian constitutional category?
Continue reading >>Wehrhafte Demokratie light oder doch Verbotsverfahren?
Die Debatte um Parteiverbote scheint festgefahren. Auf der einen Seite stehen jene, die Parteiverbote grundsätzlich ablehnen. Auf der anderen Seite stehen jene, die dringend ein Parteiverbot fordern, möglicherweise verbunden mit einem Verfahren auf Grundrechtsverwirkung gegen einzelne Politiker. Sinnvoll erörtern lässt sich die Frage der Parteiverbote aber letztlich nur im Kontext mit anderen Strategien und Mechanismen.
Continue reading >>Das Bundesgesetzblatt im digitalen Zeitalter
Nach langen Verhandlungen wurde am 12. Februar 2024 endlich ein Bundeshaushalt für 2024 im Bundesgesetzblatt verkündet. Aber was genau wurde da verkündet? 12 Seiten Haushaltsgesetz und als Anlage 12 Seiten Gesamtplan, eine Zusammenfassung des Haushaltsplans. Von den – eigentlich interessanten – ausführlichen Festsetzungen auf ca. 3100 Seiten Einzelplänen keine Spur. Das entspricht ständiger Staatspraxis „zur Vermeidung einer übermäßigen Belastung des Bundesgesetzblattes“. Aber seitdem das letzte Mal ein Bundeshaushalt verkündet wurde, hat sich ein entscheidender Faktor geändert: Das Bundesgesetzblatt erscheint elektronisch und braucht damit keine Entlastung mehr. Die nur teilweise Verkündung des Bundeshaushalts 2024 ist daher nicht gerechtfertigt.
Continue reading >>Civil Disobedience and Judicial Theories of Political Change
This post considers the latest episode of Australia’s engagement with civil disobedience under its constitutionally ‘implied freedom of political communication’ — Kvelde v New South Wales (‘Kvelde’). In Kvelde a judge of the New South Wales Supreme Court followed the tendency of some High Court judges of reducing the democratic value of civil disobedience to binary terms: if a form of political speech is already illegal, the Court will not engage with further legislative acts seeking to increase penalties for it. I describe this as the ‘binary approach.’ I argue that the binary approach reflects a particular judicial theory of political change not necessarily prescribed by the freedom, that is also out of step with historical Australian political practices.
Continue reading >>Parlamentarische Obstruktion
Eine autoritär-populistische Partei nutzt ihre demokratischen Rechte, um die demokratischen Rechte anderer abzubauen. Das tut sie im Namen des “Volkes”, das sie anfangs durch Wahlen legitimiert. Einmal an der Macht, bedient sie sich mit der Legitimation der Wähler*innen legaler Methoden, um ihre Pläne “im Pluralismus der legitimen Rechtsformen zu verstecken”. Mit entsprechender Mehrheit kann sie die Verfassung durch Verfassungsänderungen weniger demokratisch machen. Aber auch ohne eine solche Mehrheit oder Regierungsbeteiligung können autoritär-populistische Parteien Demokratie und Rechtsstaat auf Bundes- oder Länderebene auf vermeintlich verfassungsgemäßen Wege untergraben.
Continue reading >>Wirksam gegen „Gehsteigbelästigung“?
Bald ist es wieder so weit: Vom 14. Februar bis 24. März 2024 halten Abtreibungsgegner:innen weltweit sogenannte „Mahnwachen“ vor Beratungsstellen und Abtreibungseinrichtungen ab, um Abtreibungen zu verhindern. Solche und ähnliche Anti-Abtreibungsproteste stigmatisieren Schwangere und Personal. Das gefährdet einerseits das gesetzliche Beratungskonzept aus dem Schwangerschaftskonfliktberatungsgesetz (SchKG), das die staatlichen Schutzpflicht für das ungeborene Leben umsetzt. Andererseits beeinträchtigen die Versammlungen das Persönlichkeitsrecht der Schwangeren, die schlimmstenfalls ihr Recht auf straffreie, sichere Abtreibung nicht ausübt. Deshalb kündigte der Koalitionsvertrag 2021 „wirksame gesetzliche Maßnahmen“ gegen „sogenannte Gehsteigbelästigungen“ an. Nun hat das Kabinett am 24. Januar den Gesetzentwurf beschlossen, Wird was lange währt auch endlich gut?
Continue reading >>Germany Blocks Europe-Wide Protection of Women Against Violence
Gender-based violence has dramatically increased in the European Union (EU) in recent years. In particular women are widely affected by rape. On 8 March 2022, the Commission presented a Draft Directive for comprehensive, effective and enforceable protection against gender-based violence in all EU Member States. The main point of contention in the negotiations, which could ultimately prevent the adoption of the Draft Directive, is the introduction of the common definition of the criminal offence of rape. The Directive aims to harmonize across Europe the definition of rape as a violation of the consent-based sexual act. Yet, twelve Member States, with Germany and France at the forefront, are not convinced that the EU has a sufficient legal base to regulate that issue. This article highlights the arguments for a common regulation of the criminal offence of rape in the EU under Art. 83 (1) TFEU against the doubts raised by the German Federal Ministry of Justice.
Continue reading >>Deutschlands Blockade beim europaweiten Gewaltschutz
Geschlechtsspezifische Gewalt ist in der Europäischen Union (EU) in den letzten Jahren dramatisch gestiegen. Frauen sind dabei besonders häufig von Vergewaltigungen betroffen. Am 8. März 2022 hat die Kommission einen Richtlinienentwurf für einen umfassenden und zugleich effektiven und durchsetzbaren Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt in allen EU-Mitgliedstaaten unterbreitet. Hauptstreitpunkt in den Verhandlungen, an dem die Annahme der Richtlinie letztendlich scheitern könnte, ist die Streichung des Vergewaltigungsstraftatbestands durch den Rat. 12 Mitgliedstaaten, unter anderem Deutschland, bringen Zweifel am Vorliegen der EU-Rechtsgrundlage an. Dieser Beitrag zeigt auf, dass die „erheblichen Zweifel“ des deutschen Bundesjustizministeriums nicht verfangen und eine europaweite Harmonisierung des Vergewaltigungsstraftatbestands gemäß Art. 83 Abs. 1 AEUV möglich ist.
Continue reading >>Eine gesetzliche Pflicht zur Klimaanpassung
Verstärkte Anstrengungen, den menschengemachten Klimawandel abzubremsen, sind dringend notwendig, vielleicht dringender denn je. Aber selbst wenn sie unternommen werden, sind wir schon heute mit den (nunmehr) unabwendbaren Folgen des Klimawandels konfrontiert und werden es in Zukunft noch stärker sein. Starkregenereignisse, Dürreperioden, Hitze und damit einhergehende Gefahren für Mensch, Tier und Umwelt sind bereits spürbare Realität, weswegen kein Weg an der Klimaanpassung durch Schutz- und Vorsorgemaßnahmen vorbeiführt. Solche Anpassung ist nicht kostenlos zu haben, aber immer noch günstiger, als die klimawandelbedingten Schäden zahlen zu müssen. Es ist deshalb begrüßenswert, dass die Ampel-Koalition das bereits im Koalitionsvertrag avisierte Vorhaben eines Bundes-Klimaanpassungsgesetzes angegangen ist und ein solches am 16.11.2023 im Bundestag beschlossen hat.
Continue reading >>Ein Zeugnis mit bitterer Note
Mit Urteil vom 22.11.2023 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden: Vermerke im Abiturzeugnis darüber, dass die Rechtschreibleistungen von Schüler*innen aufgrund einer Legasthenie nicht bewertet wurden, sind weitestgehend zulässig. Die Entscheidung enthält eine Vielzahl beachtenswerter Aussagen über den Begriff der Behinderung, die Bedeutung der Schulbildung im Allgemeinen und der Rechtschreibung im Besonderen und Zeugnistransparenz als Mittel zur Durchsetzung von Chancengleichheit, die nicht alle im Folgenden vollständig beleuchtet werden können. Ich möchte aber aufzeigen, wo der vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Maßstab für die „Zeugniswahrheit“ dem Interesse, Ungleichheiten auszugleichen, zuwider läuft.
Continue reading >>The Constitution Does Not Sleep
The South Korean government is embarking on a process to amend the current Assembly Act with the aim of enforcing stricter regulations on assemblies and demonstrations. Among other things, demonstrations at night are to be generally prohibited. I argue that the legislator’s plans disregard the jurisprudence of the Constitutional Court and fail to comply with standards of international law.
Continue reading >>Religiöse Kleidung ohne Religionsfreiheit?
In Frankreich lodert erneut eine heftige Debatte über Verbote religiöser Kleidung. Ausgangspunkt ist ein Erlass des französischen Bildungsministeriums, der das Tragen von Abaya und Qamis an Schulen verbietet. Bei der Abaya handelt es sich um ein langes Überkleid mit weiten Ärmeln, das von muslimischen Frauen über der normalen Kleidung getragen wird. Der in der öffentlichen Debatte weniger beachtete Qamis ist das Pendant für Männer. Besagtes Kleidungsverbot ist am 07.09.2023 vom Conseil d’État, dem höchsten französischen Verwaltungsgericht, für zulässig erklärt worden.
Continue reading >>Mehr Ely im deutschen Verfassungsrecht
Parlamente entscheiden ständig in eigener Sache. Bei Themen wie dem Wahlrecht oder Abgeordnetendiäten ist dies auch kaum anders denkbar. Wer soll auch sonst entscheiden? Angesichts dessen kann der Begriff der "Entscheidungen in eigener Sache", den das Bundesverfassungsgericht als Argument für eine verschärfte gerichtliche Kontrolle einsetzt, in der Tat populistisch erscheinen: als Ausdruck des Misstrauens gegenüber denen "da oben" oder eben "in Berlin".
Continue reading >>Konkordanz und Klimaschutz
Lando Kirchmair hat auf dem Verfassungsblog kürzlich vorgeschlagen, alle klimaschädlichen Gesetze an Art. 20a GG zu messen und einer Rechtfertigungsprüfung zu unterziehen, solange Klimaziele weiterhin nicht eingehalten werden. Im Beitrag nicht explizit genannter, aber wohl gemeinter Maßstab für die Überprüfung klimaschädlicher Gesetze soll die Verhältnismäßigkeit bzw. Herstellung praktischer Konkordanz sein. Dies lädt dazu ein, über die Folgen einer solchen Rechtfertigungsprüfung nachzudenken. Dabei zeigt sich jedoch – so die hier vertretene These –, dass der Maßstab der praktischen Konkordanz auf die Verteilungsprobleme des Klimaschutzes keine befriedigende Antwort gibt.
Continue reading >>Planwidrige Regelungslücke Ministerhaftung
Die Überlegungen im Bundesverkehrsministerium zur Haftung von Andreas Scheuer für die Kosten der gescheiterten Pkw-Maut, haben eine Debatte um die vermögensrechtliche Haftung von Bundesministern bei Amtspflichtverletzungen in Gang gesetzt. Ihren Kern bildet die Frage, ob das Bundesministergesetz zu dieser Frage planmäßig und beredt schweigt und dadurch eine Haftung aus dem Amtsverhältnis – statt nur aus dem Deliktsrecht – ausschließt. Dieser Debatte fehlt bisher eine historische Fundierung: Ob das Bundesministergesetz beredt schweigt, ist in erster Linie rechtsgeschichtlich zu beantworten.
Continue reading >>Environmental Protest and Civil Disobedience in Australia
In Germany, disruptive protest demanding climate change mitigation policies has provoked popular and constitutional discussion. Commentators have questioned whether acts of illegality committed as civil disobedience should be treated distinctly from ‘ordinary’ criminality and punished more leniently. In other parts of the world, however, legislative activity has singled out the illegality involved in civil disobedience to the opposite end. Legislatures have introduced laws that radically increase penalties for existing offences involved in disruptive protest and blockades, conferred new powers on police, and created new offences for previously legal forms of protest. In this post I explore an Australian legislative trend of the last decade that specifically targets environmental civil disobedience by imposing additional criminal penalties upon its exercise. The Australian case study is a cautionary tale of what can follow a failure to recognise democratic value in civil disobedience and treat it with constitutional nuance.
Continue reading >>Kulturkampf macht Schule
In Sachsen dürfen fürderhin auch Kooperationspartner*innen von Schulen keine geschlechtergerechten Sprachformen unter Verwendung von Sternchen etc. verwenden. Das hat das sächsische Kultusministerium in dieser Woche „klargestellt“, nachdem es bereits vor zwei Jahren die Verwendung sogenannter „verkürzender“ Spielarten des Genderns an den dortigen Schulen verboten hatte. Das CDU-geführte Ministerium setzt damit dazu an, den Kulturkampf gegen geschlechtliche Vielfalt und feministische Ideen aus dem schulischen Kontext heraus weiter in die Gesellschaft zu tragen – ein Projekt, das auch in dieser jüngsten Form erheblichen grundrechtlichen Bedenken begegnen muss.
Continue reading >>Mourning the Dead While Securitizing the Sea
On 16 June, just two days after the catastrophic Pylos shipwreck in the Mediterranean with probably hundreds of deaths, the EU Commission organised the 4th meeting on a European framework for search and rescue in the Mediterranean. The framework is supposed to address „the specific challenges stemming from the ongoing migratory movements to the EU by sea, including those deriving from the increased number and types of actors involved in SAR operations“. While the alleged aim of the framework is to improve cooperation between Member States and other actors, under the guise of ‘improving cooperation with other actors’, the milestones (‘deliverables’) identified in the draft roadmap for the adoption of the framework risk to further impede civil search and rescue operations. Civil society organisations active in Search and Rescue operations may face extensive administrative burdens in registering ships and in the execution of search and rescue operations.
Continue reading >>Without Enforcement, the EMFA is Dead Letter
Besides important substantive provisions, the EMFA proposal contains various mechanisms concerning the role of national regulatory authorities, the newly established European Board for Media Services (Board) and the Commission. However, this blogpost argues that the proposed tools fail to effectively improve the already available enforcement mechanisms in EU law. We offer three recommendations to improve enforcement of media law and policy in the EU, while remaining within the boundaries of the competences as established by the EU Treaties.
Continue reading >>Selbstbestimmt, aber ausgeschlossen?
Am 5. Mai 2023 legte das BMFSJ den Referentenentwurf (RefE) zum neuen Selbstbestimmungsgesetz vor, der vorsieht, das Verfahren zur Änderung des Geschlechtseintrags im Personenstandsregister zu vereinfachen. Die Resonanz unter Betroffenenverbänden auf diese epochale Neuerung ist im Grundsatz positiv. Der vorliegende Beitrag mahnt daher auch eine unzureichende Reflexion der Geschlechtergleichheit an, die in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG statuiert und in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausdifferenziert ist. Dem gleichheitsdogmatischen Umwälzungspotential, das der Marge zwischen Vulnerabilitätsdoktrin und Förderauftrag erwächst, wird der RefE jedoch nicht gerecht. Bedenklich sind die §§ 6 und 7 SBBG-RefE, die nicht-binäre Personen von positiven Maßnahmen ausnehmen.
Continue reading >>Medienfreiheit als europäische Tradition
Über den Entwurf des Europäischen Medienfreiheitsgesetzes (EMFA) und seine Auswirkungen auf die Unabhängigkeit der Nationalstaaten im Bereich der Medien wird derzeit lebhaft diskutiert. Ein Vorwurf war besonders häufig zu hören: Der Entwurf des EMFA sei der neuste Versuch Brüssels, die Souveränität östlicher Mitgliedstaaten mit Rechtsstaatlichkeit-Defizitzu unterminieren. Dieser Beitrag stellt sich diesem Vorwurf entgegen. Oft wird nämlich vergessen, dass die Regulierung europäischer Medien zwecks Sicherung des Medienpluralismus weder eine neue Forderung ist, noch historisch einen engen Bezug zu den östlichen Mitgliedstaaten aufweist. Im Gegenteil, das Streben nach einer Harmonisierung des Medienpluralismus und der Medienfreiheit ist ein seit Jahrzehnten immer wiederkehrendes Vorhaben in der EU. Die EMFA als ‚neuesten‘ Versuch Brüsseler Einflussnahme auf Osteuropa darzustellen ist daher schlicht ahistorisch.
Continue reading >>Freeing Political Expression
The South Korean parliament is in the midst of an intensive debate on electoral reform. Yet, a crucial element of necessary electoral law reform is missing in these debate: Last year, the Constitutional Court declared a controversial paragraph from the Electoral Act as unconstitutional and unjustly restricting freedom of expression. Failing to revise the targeted paragraph corresponding to the Constitutional Court’s decision in the upcoming legislature periods - by the latest of July 31, 2023 - would inevitably lead to a legal vacuum. In this blog post, I shed some light on the Constitutional Court’s 2022 decision and explain why the ruling could have a major impact on how election campaigns are conducted in South Korea.
Continue reading >>Weltumspannende Vernichtungsfantasien
In seinem jüngst veröffentlichten Gutachten zum documenta fifteen-Skandal schreibt Christoph Möllers, dass er Kunstformen, „die sich antisemitischer oder rassistischer Stereotype bedienen“, nebeneinander behandeln könne, „weil die Unterschiede zwischen Rassismus und Antisemitismus jedenfalls nicht auf den Umstand ihrer verfassungsrechtlichen Missbilligung hinüberwirken, die für beide gilt und für beide an gleicher Stelle verankert ist“. Das mag der Mehrheitsmeinung unter Verfassungsrechtler:innen entsprechen. Aus der Perspektive der Antisemitismusforschung verdeckt eine solche same standards-These jedoch gerade das, was den modernen Antisemitismus ausmacht. Deshalb sollten wir erwägen, bei seiner rechtlichen Bekämpfung dogmatisch neue Wege zu gehen.
Continue reading >>Für eine Zeitenwende im Abtreibungsrecht
Am Ende des Symposiums wird sichtbar: Abtreibungen zu kriminalisieren bildet im Vergleich zu den ausgewählten Ländern nicht die Regel (I.). Das bedeutet allerdings nicht, dass eine Entkriminalisierung jegliche faktischen Zugangshürden aus dem Weg räumt. Der Blick ins Ausland lohnt sich deshalb auch unabhängig von der Frage der Entkriminalisierung, um potentielle Fallstricke für die Versorgungslage zu analysieren (II.). Die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs bereitet jedoch, so legt der Rechtsvergleich nahe, den Weg, um strukturelle Hindernisse abbauen zu können. Eine bedeutende Rolle können dabei aktivistische Bewegungen spielen (III.).
Continue reading >>A Turning Point in Abortion Law
This blog post concludes the symposium “Comparative Legal Perspectives on Abortion”. The symposium traced the regulation of abortion and accompanying activist movements in Argentina, Uruguay, Canada, Iceland, Northern Macedonia, Tunisia, South Africa, India, and South Korea. Now we want to turn our gaze from the outside back to the inside: What is to be gained for the German debate on abortion law?
Continue reading >>Kammer-Netzwerk
Die „Kammern“ der EKD, ein Inbegriff des evangelischen Umgangs mit Glaube und Welt, werden in ihrer bisherigen Form abgeschafft. So will es der Rat, das höchste Leitungsgremium der Evangelischen Kirche in Deutschland, und tritt in diesen Tagen mit seiner Entscheidung vor die Synode in Magdeburg. An ihrer Stelle wird ein sogenanntes „Kammer-Netzwerk“ aus 70 Persönlichkeiten gebildet, die bei Bedarf Stellungnahmen, etwa als „theologische Interventionen“, abgeben sollen. Worum geht es überhaupt?
Continue reading >>Rechtsfiguren als politische Waffen
Der US Supreme Court wird von vielen nicht mehr als ein (und sei es politisiertes) Gericht angesehen, sondern als ein durch und durch politischer Akteur, dessen Agenda darin besteht, das Programm der Republikanischen Partei auf gerichtlichem und das heißt: gegenmajoritärem Wege durchzusetzen. An dieser polarisierten Grundwahrnehmung dürfte sich auch in der am 3. Oktober eröffneten neuen Sitzungsperiode nichts ändern. Im Gegenteil. Es stehen erneut Entscheidungen von großer politischer Tragweite an. Unter anderem wird das Gericht in Moore v. Harper – „the most important case for American democracy in the almost two and a half centuries since America’s founding“ – über die Anerkennung der independent state legislature theory zu entscheiden haben.
Continue reading >>Missing Freedom Act
The European Commission is due to present its Media Freedom Act (MFA) this week. The MFA is not welcomed by several states, for different reasons. Some fear that their current system of media freedom and pluralism will be compromised. Others worry that their captured media scene will be exposed and investigated. Both types of opponents can relax because the Media Freedom Act draft is as impactful as a light breeze. It only scratches the surface, and important safeguards are missing.
Continue reading >>Spießrutenlauf für Schwangere
In Baden-Württemberg dürfen sich Abtreibungsgegner:innen vor einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle versammeln, solange sie sich deren Besucher:innen nicht „unausweichlich“ in den Weg stellen. Das hat der dortige Verwaltungsgerichtshof (VGH) mit Urteil vom 25. August 2022 entschieden und damit in zweiter Instanz eine Auflage der Stadt Pforzheim für rechtswidrig erklärt, die eine Versammlung nur außerhalb direkter Sichtbeziehung zur Beratungsstelle pro familia zuließ. Damit verkennt der VGH, welche Bedeutung dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der ungeplant Schwangeren zukommt.
Continue reading >>Nudging After the Replication Crisis
Not so long ago, nudging seemed to many to be the governance tool of the future. Behavioral interventions, like reminders or information about other people’s behavior, come at low cost, help their addressees make better choices, and do not hamper their addresses’ autonomy. Meanwhile, however, the replication crisis has shaken the behavioral sciences, famous studies have been retracted due to data fraud, and, more generally, the very effectiveness of nudging has been put into question.
Continue reading >>Ein Plädoyer für die Änderung der Strafzumessungsgründe in § 46 Abs. 2 S. 2 StGB
Dass die von Justizminister Marco Buschmann angekündigte Ergänzung des Katalogs der in § 46 Abs. 2 S. 2 StGB aufgezählten Strafzumessungsgründe um die Merkmale der „geschlechtsspezifischen“ und „gegen die sexuelle Orientierung gerichteten“ Beweggründe auf verhaltene Reaktionen stößt, ist nicht verwunderlich. Die Reaktionen passen nur allzu gut zu der gesamtgesellschaftlich, medial und insbesondere innerhalb der Justiz zu beobachtenden Neigung, das Ausmaß und die Dimension geschlechtsspezifischer Gewalt in Deutschland nicht gänzlich anzuerkennen. In diesem Sinne ist der Vorstoß des Bundesjustizministeriums, mit der geplanten Gesetzesänderung geschlechtsspezifische Gewalt als solche zu benennen, ihre Bagatellisierung zu verhindern und damit ein Signal an die Gesellschaft zu senden, in höchstem Maße zu begrüßen.
Continue reading >>Die grenzenlose Aufnahme der ukrainischen Flüchtlinge und was wir daraus lernen
Mit der spontanen Aufnahme der ukrainischen Frauen, Kinder und Hilfsbedürftigen hat die europäische Zivilgesellschaft gezeigt, wie gut sie mit Flüchtlingen interagieren kann, wenn die Grenzen sich öffnen und hemmende Regulierungen entfallen. Die Staaten lernen in den letzten Wochen, eher unterstützend als kontrollierend zu wirken. Diese Erfahrungen sollten motivieren, kritischer als bisher zu hinterfragen, wieweit Einschränkungen der freien Entfaltung Geflüchteter und ihrer Unterstützer sinnvoll sind.
Continue reading >>Lektion erteilt, Lektion gelernt
Für letztes Jahr angekündigt, gestern veröffentlicht: die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat über die Verfassungsbeschwerde von Renate Künast entschieden, mit der sie zivilrechtliche Urteile des Landgerichts und Kammergerichts Berlin angriff. Konkret ging es um 22 Facebook Kommentare, gegen deren Autor:innen Künast Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche durchsetzen wollte. Die Entscheidung lässt hoffen, dass Fachgerichte im Umgang mit (sexualisierter) Hassrede sorgfältiger arbeiten.
Continue reading >>Heimgesucht
In den letzten Wochen gab es immer wieder Versammlungen vor den Privathäusern von Politiker:innen. Diese Demonstrationen richteten sich gegen die Corona-Maßnahmen, vor allem aber: gegen die Verantwortlichen höchstpersönlich. Die Versammlungen zielten nicht auf Teilhabe am demokratischen Meinungsbildungsprozess, sondern auf Einschüchterung im privaten Rückzugsbereich. Nach aktuellem Versammlungsrecht hätten sie verboten werden können. Sie sollten aber auch Anlass sein, generell über die Grenzen geduldeter Gewaltsymbolik im öffentlichen Raum nachzudenken.
Continue reading >>Impfen im Verfassungsstaat
Eine vernünftig gemachte Impfpflicht kann der Weg zur Sicherung freiheitlicher Prinzipien sein. Sie ist in den gegebenen deutschen Verhältnissen das kleinere Übel, aus der andauernden staatlichen Vollsteuerung des gesamten Lebensraums zu entkommen. Eine Impfpflicht ermöglicht mit anderen Worten eine positive Freiheitsbilanz, individuell wie gesamtgesellschaftlich. Ein ganz prinzipieller Vorteil wäre im Übrigen: Der Rechtsstaat könnte so wieder zu sich selbst finden, indem er auf Rechtsfolgebereitschaft statt auf Moral setzt – die Bürger können mit guten Gründen unterschiedlicher Meinung sein, es gelten aber für alle die gleichen Regeln.
Continue reading >>Ein Recht nur für Kinder?
Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf schulische Bildung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 GG. Das hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss zur Verfassungsmäßigkeit pandemiebedingter Schulschließungen heute festgestellt und damit erstmals bestätigt, dass es Grundrechte gibt, die nur und explizit für Nicht-Erwachsene gelten. Stellt das in dem Beschluss erstmals vorgestellte Recht auf Schulbildung aber tatsächlich ein genuines und ausschließliches Kinderrecht dar? Und was bedeutet die Entscheidung für den anhaltenden Kinderrechtediskurs?
Continue reading >>„Nicht niemals“ – Mit der Infektion leben
Hat sich nichts verändert in dem unsicheren Wellenritt, den wir gemeinsam mit der Weltgemeinschaft in Sachen Pandemie seit 18 Monaten unternehmen? Im Folgenden soll gezeigt werden, dass die Fortführung der bisherigen Coronapolitik „auf Sicht“, mit einem Großmandat für exekutive Problembehandlungen, aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zur freien Hand von Regierungen und Parlament gestellt ist.
Continue reading >>An Ordinary Result for the Rule of Law
Late on Wednesday 7 July, former South African President Jacob Zuma turned himself in to police. He thus just about complied with the Constitutional Court’s judgment on 29 June, which found him in contempt of court and sentenced him to 15 months’ imprisonment. This is not a victory for the rule of law. It simply is the rule of law.
Continue reading >>Was bedeuten Kontaktreduzierungen für die Universität?
Corona hat Deutschland im Griff. Seit April 2020 befinden sich die Hochschulen im Dauerlockdown. Schon im dritten Semester unterrichten wir ganz überwiegend mit digitalen Hilfsmitteln, die Gebäude sind nur eingeschränkt zugänglich, die Nutzung der Bibliotheken ist ausgeklügelt kontingentiert, wenn sie überhaupt zulässig ist. Die Universität ist ein menschenleerer, surrealer Ort geworden.
Continue reading >>