06 May 2024

Eine vertane Chance, aber keine Katastrophe

Die Novelle des Bundes-Klimaschutzgesetzes

Nach langen Verhandlungen innerhalb der Ampel-Koalition hat der Bundestag am 26. April 2024 eine Novelle des Bundes-Klimaschutzgesetzes (KSG) beschlossen. Teils harte Kritik von Umweltverbänden, Expert*innen und Kommentator*innen (hier, hier, hier, hier, und hier) hat sich insbesondere an der Abschaffung der jahressscharfen Sektorziele als Grundlage für die gesetzliche Pflicht zur Vorlage von Sofortprogrammen entzündet. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) beispielsweise sprach von einem „Schlag ins Gesicht junger Menschen und zukünftiger Generationen“ und der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Olaf Bandt, resümierte, dass dem Gesetz „entscheidende Zähne“ gezogen worden seien.

Die ursprüngliche Fassung des KSG sah vor, dass eine Pflicht zur Vorlage von Sofortprogrammen durch zuständige Bundesministerien sowie eine Verabschiedung durch die Bundesregierung dann entsteht, wenn die vom Umweltbundesamt (UBA) ermittelten Treibhausgas(THG)-Daten – sofern vom Expertenrat für Klimafragen (ERK) bestätigt – anzeigen, dass ein Sektor sein jährliches THG-Reduktionsziel im Vorjahr nicht erreicht hat. Dieser Mechanismus wird durch die Novelle abgelöst. Wenn in zwei aufeinanderfolgenden Jahren die Ex-ante-Projektionsdaten eine Zielverfehlung für die kumulativen THG-Emissionen der Jahre 2021-2030 anzeigen, ist die Bundesregierung nun verpflichtet, Maßnahmen zur Einhaltung des kumulativen Emissionsziels zu verabschieden. Zur Vorlage entsprechender Maßnahmen sind dabei in erster Linie (aber nicht nur) Ministerien verpflichtet, in deren Zuständigkeitsbereich die zur Überschreitung beitragenden Sektoren fallen.

Wir argumentieren, dass viele Kritiker*innen die Wirksamkeit des alten KSG-Mechanismus für die Durchsetzung („enforcement“) der ambitionierten deutschen Klimaziele überschätzen. Eine realistische Einschätzung der Möglichkeiten und Grenzen institutioneller Regelungen zur Durchsetzung ambitionierter Klimapolitik legt stattdessen nahe, dass mit der Novelle einerseits eine Reihe von graduellen und potentiell wirksamen Reformen eingeführt wurden, andererseits aber auch Chancen zur Verbesserung ungenutzt bleiben.

Im Folgenden diskutieren wir zum einen zentrale Vor- und Nachteile der KSG-Novelle. Zum anderen identifizieren wir eine Reihe von Optionen, die dazu beitragen könnten, ein (noch) robusteres rechtliches Rahmenwerk für eine ambitionierte nationale Klimapolitik im Europäischen Kontext zu schaffen. Auch diese Reformen, das sei dem Folgenden vorangestellt, werden die Zielerreichung nicht garantieren können. Denn selbst eine zentrale klimapolitische Institution wie das KSG kann fundamentale klimapolitische Herausforderungen letztlich nur bedingt lösen.

Die Grenzen der Durchsetzbarkeit von Klimazielen durch rechtliche Vorgaben

Die Verteidiger*innen der auf Basis einer Ex-post-Überprüfung von jahresscharfen Sektorzielen ausgelösten gesetzlichen Pflicht zur Vorlage von Sofortprogrammen argumentieren, dass durch die rechtliche Vorgabe und die damit klare ministeriale Verantwortungszuweisung zuständige Ministerien mit höherer Wahrscheinlichkeit ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen vorschlagen werden, als es ohne den Mechanismus der Fall wäre (ERK 2023, Kapitel 7, Tabelle 9). Dieser rechtliche Mechanismus kann durch einen informellen Sanktionsmechanismus verstärkt werden – dem politischen Druck, der durch einen potentiellen Reputationsschaden bei hoher medialer Sichtbarkeit klimapolitischer Zielverfehlung entstehen kann (Zwar et al. 2023 S. 37).

Ist diese Argumentation überzeugend? Zunächst muss festgehalten werden, dass das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) unter der Leitung des Ministers Volker Wissing (FDP) in den vergangenen Jahren sehr deutlich gemacht hat, dass es dieser gesetzlichen Vorgabe des KSG nicht zu folgen bereit ist. So stellte der ERK 2022 fest, dass das vom BMDV vorgelegte Sofortprogramm schon im Ansatz nicht den Anforderungen des KSG entsprach. Auch eine entsprechende Klage seitens der DUH und des BUND mit einem die Bundesregierung zur Vorlage eines KSG-kompatiblen Sofortprogramms verpflichtenden Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg im Herbst 2023 änderte offenbar kaum etwas an der Haltung des BMDV. Auch in den Folgejahren wurde – u.a. mit Verweis auf die angestrebte und nun verabschiedete KSG-Novelle – kein ambitioniertes und wirksames Sofortprogramm für den Verkehrssektor vorgelegt (ERK 2023).

Das ist wenig überraschend, wenn man die mögliche Wirksamkeit klimapolitischer Institutionen in ihrem breiteren politischen und institutionellen Kontext und unter der Annahme nach ihrem Eigeninteresse handelnder, (begrenzt) rationaler politischer Akteure analysiert (Zwar et al. 2023): So lange Institutionen die Kosten und Nutzen politischer Akteure – hier: politische Parteien, Minister*innen und Ministerien – nicht entscheidend verändern, werden sie auch nicht zu substantiellen Verhaltensänderungen führen. Gesetzestexte und mediale Berichterstattung können ignoriert werden. Genau das scheint beim alten KSG-Nachsteuerungsmechanismus mit Sektorzielen und Sofortprogrammen der Fall: Es gibt schlicht keine Instanz, die ein Ministerium direkt zwingen könnte, sein Verhalten zu ändern. Stattdessen müssen Institutionen, um wirksam oder „self-enforcing“ zu sein, die Anreize der handelnden Akteure so umstrukturieren, dass sie aus Eigeninteresse ihr Verhalten entsprechend ändern. Regeln sind also dann „selbst-durchsetzend“, wenn Akteure sich an diese halten, obwohl es keine dritte Instanz gibt, die die Akteure zur Regelkonformität zwingen kann (Przeworski 1991, 2008, 2018; Myerson 2009; Fearon 2011; Svolik 2015). Das war beim Mechanismus der Sektorziele und Sofortprogramme offensichtlich nicht der Fall. Daher erscheint die Bewertung seiner Abschaffung als „klimapolitische Katastrophe“ übertrieben.

Das heißt nicht, dass wir die Novelle des KSG vorbehaltlos begrüßen. Es geht uns vielmehr darum, die Grenzen eines vornehmlich juristischen klimapolitischen Ansatzes aufzuzeigen, gemäß dem rechtlich verbindliche und jahresscharfe Sektorziele die conditio sine qua non ambitionierter Klimapolitik sind. Dieser Ansatz verkennt, dass die Sektorziele nicht „selbst-durchsetzend“ waren. Obwohl sie die de jure Pflichten verschärft haben, wurden die Anreize der relevanten Akteure durch die Sektorziele offenbar nur recht geringfügig verändert. Solange Minister*innen bereit waren, einen kurzlebigen Medienaufschrei über sich ergehen zu lassen, konnten sie ihre Pflichten ignorieren – daran würde auch das Festhalten an der früheren Rolle der Sektorziele wenig ändern. Zudem verlieren die Sektorziele zwar ihre Rolle als Auslöser für ministerielle Vorschläge von Sofortprogrammen, sie bestehen im KSG aber weiterhin fort. So könnten sie informell etwa vom ERK oder anderen Organisationen weiterhin als Indikator für den klimapolitischen Fortschritt in einzelnen Sektoren sowie die „Leistung“ der zuständigen Ministerien verwendet werden.

Die KSG-Novelle stellt so gesehen eine geringere Abweichung vom status quo dar, als die meisten Kommentare und Reaktionen nahelegen. Deshalb ist sie keine Katastrophe, aber eine vertane Chance: Denn trotz einiger vielversprechender Ansätze hat es die Bundesregierung weitestgehend verpasst, die klimapolitischen Anreize für die relevanten Akteure zu stärken und somit den Eindruck einer Klimapolitik bestätigt, die in weiten Teilen nicht im Einklang mit den langfristigen deutschen und europäischen Klimazielen steht.

Auf übersektorale Perspektive und Maßnahmen konzentrieren

Ausdrücklich zu begrüßen sind in der Novelle insbesondere zwei andere Aspekte der Reform des Nachsteuerungsmechanismus: Erstens, eine weitere Verschiebung des Fokus von sektor-spezifischen Zielen und sektor-spezifischer Steuerung auf einen sektorübergreifenden Ansatz. Zweitens, die Umstellung von einer Ex-post- auf eine Ex-ante-Perspektive in der Auslösung von Nachsteuerungspflichten. Beide Änderungen sind in der Novelle aber nicht konsequent umgesetzt – eine Reihe ergänzender Reformen wären denkbar gewesen.

Zuerst zum sektorübergreifenden Ansatz: Das Fit-for-55-Paket der EU hat mit der Reform des EU-Emissionshandelssystems für die Sektoren Strom, Industrie, innereuropäische Flüge und nun auch Schifffahrt (EU ETS 1) sowie mit der Einführung eines Emissionshandelssystems für die Sektoren Wärme und Straßenverkehr (EU ETS 2) ab 2027 die zentrale Rolle des Emissionshandels als Leitinstrument in der EU – und damit auch der deutschen Klimapolitik – bestätigt. Diese beiden Systeme setzen verbindliche Emissionsobergrenzen für ca. 80% der EU-THG-Emissionen, die etwa bis zum Jahr 2039 (ETS 1) und 2045 (ETS 2) linear auf Null herabsinken (Pahle et al. 2023). Die Einführung eines EU ETS 3 für den Landwirtschaftssektor wird derzeit diskutiert. Perspektivisch wird eine Diskussion über die Zusammenführung dieser Systeme geführt werden (müssen). In Deutschland wird zudem die Neuausrichtung des Brennstoffemissionshandelsgesetzes (BEHG) vorbereitet, das seit 2019 ein nationales Emissionshandelssystem für die Sektoren Verkehr und Gebäude eingeführt hat.

Vor diesem Hintergrund der klimapolitisch sehr erfreulichen Etablierung von Emissionshandelssystemen als Leitinstrumente zur Einhaltung der europäischen und deutschen Klimaziele kommt sektor-spezifischen Maßnahmen eine ergänzende Rolle zu: Sie sollten in den verschiedenen Sektoren gezielt Marktversagen und andere Barrieren für eine kostengünstige und zügige Dekarbonisierung im Einklang mit den Klimazielen adressieren. Das aber ist eine andere Funktion als in den früheren sektoralen KSG-Sofortprogrammen verankert, wonach sie das zentrale Instrument für Emissionsreduktionen waren. Zwar erlaubte auch das alte KSG die Einführung sektorübergreifender Maßnahmen als Teil der Sofortprogramme; mit dem Fokus auf Sektorziele und ministeriale Verantwortlichkeiten bestand aber stets die Gefahr von Silo-Denken und ad-hoc-Maßnahmen, die ohne eine integrierte Betrachtung ihrer Wirksamkeit, Kosteneffizienz und Verteilungseffekte rasch in einen teils inkonsistenten Flickenteppich von Maßnahmen münden können. Die Novelle trägt dieser Überlegung, neben der Abschaffung des auf Sektorzielen basierenden Nachsteuerungsmechanismus, immerhin rhetorisch Rechnung, indem sie betont, dass die Vorschläge der Ministerien „auch sektorübergreifende Maßnahmen enthalten“ (§8 (2) KSG) können.

Diese Grundidee ist sinnvoll, könnte aber stärker weiterentwickelt werden, um die politischen Anreize in der klimapolitischen Planung substanzieller zu verändern. Eine Option bestünde darin, verbindlichere Eckpunkte für den interministeriellen Prozess der Planung von klimapolitischen Reformen festzuschreiben. So könnte eine Pflicht zur vorrangingen Prüfung der Wirkungen und möglichen Reformen in den Emissionshandelssystemen EU ETS 1 & 2 – die freilich nicht unmittelbar durch die Bundesregierung geändert werden können – sowie im nationalen BEHG eingeführt werden, bevor darüber hinaus gehende sektorale Maßnahmen vorgeschlagen werden. Dabei kann eine umfassende Begründungspflicht für die als erforderlich erachteten Reformen der Emissionshandelssysteme und der zusätzlichen Maßnahmen eingeführt werden, um eine explizitere Analyse und Debatte der Angemessenheit von Reformmaßnahmen anzureizen.

Denkbar wäre auch, die Möglichkeit von Förderprogrammen und Regulierungen regelbasiert, also analog zu automatischen Stabilisatoren in der Fiskalpolitik, an die Höhe des CO2-Preises zu koppeln, um so durch institutionelle Mechanismen die ministerialen Anreize in der Planung nationaler klimapolitischer Maßnahmen im Rahmen der europäischen Emissionshandelssysteme zielgenauer zu strukturieren. Ergänzend könnten verbindliche Ex-post- und Ex-ante-Abschätzungen der Wirksamkeit, Wirtschaftlichkeit und Verteilungswirkungen des Maßnahmenmixes die klimapolitische Planung verbessern, denn derzeit wird die Wirksamkeit bestehender Maßnahmen etwa des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) nicht systematisch ex-post evaluiert. Mehr evidenzbasierte Transparenz sowie eine kritische Diskussion über die Wirkung bestehender und potentieller zukünftiger Maßnahmen könnte die Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung erhöhen.

Fokus auf Ex-ante-Evaluierung richtig, aber voraussetzungsreich

Das novellierte KSG sieht eine Verpflichtung zur Nachsteuerung der klimapolitischen Maßnahmen vor, wenn in zwei aufeinanderfolgenden Jahren die Ex-ante-Projektionsdaten des UBA eine Zielverfehlung für die kumulativen THG-Emissionen der Jahre 2021-2030 aufweisen. Die verstärkte Ex-ante-Ausrichtung ist deshalb zu begrüßen, weil es bei Klimapolitik um einen langfristigen Transitionsprozess Richtung Klimaneutralität 2045 und negative Emissionen darüber hinaus geht – nicht um die THG-Reduktionen in einem bestimmten Jahr. Es ist richtig, die Regeln zur Steuerung dieses Prozesses so auszugestalten, dass dieser Strukturwandel statt jährlicher Sektorziele im Fokus steht. Auch bei dieser begrüßenswerten Neuerung bleiben aber zentrale Fragen ungeklärt.

Zunächst werden glaubwürdige Modellierung(en) und Projektionsdaten für THG-Emissionen benötigt. Allerdings verfügen derzeit nur wenige Institute über die entsprechende Expertise, so dass es wenig Auswahl gibt. Auf Grund der hohen Kosten der Modellentwicklung besteht hier vermutlich ein „natürliches Monopol“. Hilfreich könnte daher etwa die Entwicklung eines „open-source“-Modells sein, das etwa am UBA betreut und entwickelt werden könnte. Modellvergleiche können helfen, die Projektionsdaten einzuordnen und einen qualitätsstärkenden Peer-review-Prozess in Gang zu bringen. Der ERK sollte personell und mit den erforderlichen zusätzlichen Ressourcen ausgestattet werden, um – gemäß des jüngsten Auftrags der Bundesregierung zur Prüfung der Projektionsdaten – eine kritische Analyse der Modellierung vornehmen und eventuell selbst komplementäre Studien in Auftrag geben zu können.

In jedem Fall sollte der Projektionsbericht den hohen Unsicherheiten in der Modellierung von mittel- bis langfristigen Emissionspfaden durch erforderliche Annahmen u.a. über die BIP-Entwicklung, technischen Fortschritt und andere ungewisse Faktoren systematisch Rechnung tragen. Hier können detaillierte Sensitivitätsanalysen helfen. Zudem können bei der Nachsteuerung der Maßnahmen die Reaktion der klimapolitischen Instrumente (z.B. der sich automatisch anpassende Preis im Emissionshandel) mitberücksichtigt werden. Eine verbindliche und umfassende Berücksichtigung von Unsicherheiten im Projektionsbericht kann die Anreize der handelnden Akteure in der Regierung und darüber hinaus erhöhen, sich mit den unvermeidlichen Unsicherheiten in der Klimapolitik auseinander zu setzen und sie bei der Gestaltung der Maßnahmen zu berücksichtigen. Das setzt freilich voraus, dass diese Akteure auch ein Interesse an der wirksamen Gestaltung effektiver Klimapolitik haben.

Kleine Fortschritte

Die KSG-Novelle enthält neben der bereits angesprochenen Umstellung auf eine sektorübergreifende Perspektive und die nach vorne blickende Nachsteuerung einige weitere inkrementelle Verbesserungen. Davon möchten wir zwei hervorheben. Erstens wird eine Regelung des schwedischen Klimaschutzgesetzes übernommen, wonach jede neue Bundesregierung innerhalb von 12 Monaten nach Beginn der Legislaturperiode ein Klimaschutzprogramm – den klimapolitischen Gesamtplan der Bundesregierung – beschließen muss. In Schweden hatte dieses institutionelle „Agenda-Setting“ den Effekt, dass auch Regierungen mit geringer Priorisierung von Klimapolitik sich mit dieser zumindest auseinander setzen mussten (Zwar et al. 2023).

Im Kontext deutscher Koalitionsregierungen könnte dieser Prozess zu einer gemeinsamen Bestandsaufnahme von Ministerien und Parteien genutzt und zur Ausarbeitung einer detaillierten klimapolitischen Agenda im Modus positiver Koordination genutzt werden: Interministerielle Task Forces könnten auf verschiedenen Ebenen mit entsprechendem Mandat den Leitungsebenen einen gemeinsamen Plan zur (Weiter-)Entwicklung der deutschen und europäischen Klimapolitik erarbeiten. Selbstverständlich setzen solche innovativen Formate eine politische Kooperationsbereitschaft der Koalitionspartner voraus und es ist unklar, ob sie im deutschen politischen System gut funktionieren werden. Solche Formate bieten aber auch die Chance, gleich zu Beginn der Legislaturperiode politische Konflikte und Sachthemen in enger Koordination gemeinsam zu bearbeiten. Zudem können sie die Koalitionsverhandlungen von der teils massiven Detailarbeit klimapolitischer Planung entlasten. Außerdem bietet ein solcher Prozess die Möglichkeit, im Rahmen etwa von (internen oder öffentlichen) Anhörungen oder auch mandatierter Kurzstudien die beträchtliche klimapolitische Expertise in Deutschland zu bündeln und nutzbar zu machen (Flachsland et al. 2021).

Zweitens ist auch die Erweiterung des Mandats des Expertenrates positiv zu bewerten. So stattet die Novelle den ERK nun mit einem Initiativrecht für „Gutachten zur Weiterentwicklung geeigneter Klimaschutzmaßnahmen auf Basis der Emissions- sowie Projektionsdaten“ (§12 (5) KSG) aus. Hilfreich ist unseres Erachtens auch die explizite Spezifizierung der vom ERK zu berücksichtigenden Kriterien der sozialen Verteilungswirkungen, Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit in seinen Stellungnahmen und Gutachten. Offen bleibt, wie der ERK dieses Mandat mit der für eine andere, ursprünglich eng umrissene Aufgabe (Prüfung der Emissionsdaten) vorgesehenen personellen Aufstellung, Ausstattung und finanziellen Kapazität bewerkstelligen kann. Hier erscheint eine Erweiterung der Aufstellung und Ausstattung notwendig.

Eine vertane Chance, aber keine Katastrophe

Neben den oben skizzierten kleineren Fortschritten, mit denen die Anreize der handelnden Akteure im klimapolitischen Prozess wenigstens graduell in Richtung einer verbesserten klimapolitischen Steuerung verschoben werden dürften, verbleibt in der Einordung der KSG-Novelle der Eindruck einer vertanen Chance. Wie bereits ausgeführt sind insbesondere die stärkere inhaltliche und prozedurale Strukturierung der klimapolitischen Reformprozesse, die verbesserte Aufstellung des ERK und des UBA, und eine Stärkung des Prozesses zum Projektionsbericht wünschenswert.

Darüber hinaus sind zur Umsetzung der zeitlich sehr ambitionierten Klimaziele für einen Übergangszeitraum die Anforderungen an staatliches Handeln (z.B. Planung, Genehmigung) auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene so hoch, dass neben einer (a) vorübergehenden Stärkung personeller Kapazitäten in der Administration auch (b) eine kritische Bestandsaufnahme und Reform der institutionellen Strukturen zur Koordination sowie (c) des Finanzausgleichs im Mehrebenensystem der Bundesrepublik Deutschland dringlich erscheinen. Auf Bundesebene könnte (d) die Reaktivierung und Stärkung des Klimakabinetts ein Katalysator für die (Weiter-)Entwicklung der nationalen, aber auch europäischen und internationalen Klimapolitik Deutschlands sein. Eine Verankerung des Klimakabinetts im KSG sollte deshalb erwogen werden (Flachsland et al. 2021). Auch in diesem Sinne beinhaltet die KSG-Reform einige verpasste Chancen und wird voraussichtlich nicht die letzte Novelle gewesen sein.

Anders als von ihren Kritiker*innen angeführt, ist die KSG-Novelle aber keine klimapolitische Katastrophe: Es ist kaum zu erwarten, dass die zukünftigen Emissionen Deutschlands durch die Umstellung des Nachsteuerungsmechanismus signifikant gestiegen sind. Dafür fehlt(e) dem institutionellen Design des alten sowie des novellierten KSG der anreizkompatible Charakter im Sinne des „self-enforcement“ und der Fähigkeit zur entscheidenden Beeinflussung politischen Handelns.

Wie könnten entsprechende institutionelle Designs – über das KSG hinaus – ausgestaltet werden? Vor allem erscheinen Ansätze zur Vermeidung hoher und stark konzentrierter kurzfristiger Kosten für die politische Stabilität von Klimapolitik zentral, z.B. eine Rückverteilung der Einnahmen und Preisobergrenzen im Rahmen von Emissionshandelssystemen. Mehr Forschung und Debatte sowie konkrete Vorschläge zur institutionellen Ausgestaltung politisch anreizkompatibler Klimapolitik wären äußerst wünschenswert.

Ganz grundsätzlich sind indes die Möglichkeiten, fundamentale klimapolitische Probleme durch formales institutionelles Design zu lösen, begrenzt. Man mag die klimapolitische Haltung (von Teilen) der Bundesregierung aus guten klimapolitischen Gründen kritisieren. Um die parteipolitischen Anreize für eine ambitionierte Klimapolitik zu erhöhen, sollten aber andere Wege gesucht werden als die auf die Sektorziele und Sofortprogramme fokussierte Nachsteuerungspflicht des alten KSG. Die Anschärfung und Einführung des EU ETS 1 und 2 mit der anvisierten Absenkung auf THG-Nullemissionen innerhalb von nur 15 (EU ETS 1) bzw. 21 Jahren (EU ETS 2) setzt einen sehr ambitionierten und wirkungsvollen institutionellen Rahmen für die deutsche und europäische Klimapolitik. Aus klimapolitischer Sicht sollte das Ziel sein, diesen institutionellen Rahmen durch gezielte Reformen so zu ergänzen, dass für jede zukünftige Regierung ein Festhalten an ambitionierter Klimapolitik in ihrem Eigeninteresse ist.


SUGGESTED CITATION  Flachsland, Christian, Edenhofer, Jacob; Zwar, Claudia: Eine vertane Chance, aber keine Katastrophe: Die Novelle des Bundes-Klimaschutzgesetzes, VerfBlog, 2024/5/06, https://verfassungsblog.de/novelle-bundesklimaschutzgesetz/, DOI: 10.59704/2c0758cc33ed9dc3.

One Comment

  1. Thomas Groß Sun 12 May 2024 at 14:45 - Reply

    Richtig ist, dass schon die alte Version des KSG keinen ausreichenden Mechanismus enthielt, um wirksame Klimaschutzmaßnahmen durchzusetzen. Andererseits sprechen die bisherigen Erfahrungen mit dem TEH auch nicht dafür, dass damit alle Probleme gelöst werden. Solange die Lenkungswirkung permanent durch fossile Subventionen und das Versäumnis, ausreichend alternative Optionen, z.B. im ÖPNV aufzubauen, ausgebremst wird und außerdem der soziale Ausgleich verweigert wird, fehlt mir der Glaube an die ökonomischen Instrumente.

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