Protecting the Freedom to Express the „Thought that we Hate“
Meinungsfreiheit im Schweizer Markenschutzrecht
Art. 2 lit. d des Schweizer Markenschutzgesetzes (MschG) schliesst Zeichen vom Markenschutz aus, „die gegen die öffentliche Ordnung, die guten Sitten oder geltendes Recht verstossen.“ Als Verstösse gegen die guten Sitten versteht die Rechtsprechung beispielsweise „Zeichen mit rassistischem, religionsfeindlichem oder das religiöse Empfinden verletzendem oder sexuell anstössigem Inhalt“ (E. 3). Auf dieser Grundlage verneinte das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) in einem Urteil vom 7. Mai 2024 die Schutzgewährung für das Zeichen „Bimbo QSR“ einer mexikanischen Lebensmittelfirma. Das Gericht hielt fest, dass „das mehrdeutige Wort “Bimbo” auch als rassistisches Schimpfwort verstanden“ werde und es damit den absoluten Ausschlussgrund der Sittenwidrigkeit erfülle (E. 6.2.1, 6.2.4, 6.5). Die Lebensmittelfirma drang mit ihrem Argument nicht durch, dass die Verwendung des Wortes in anderen Sprachen (insbesondere „kleines Kind“ auf Italienisch) diese sittenwidrige Bedeutung in der deutschsprachigen Schweiz verdränge (E. 6.2.3).
Das BVGer führte weiter aus, dass die Verweigerung des Markenschutzes keine Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes (Art. 8 Abs. 1 Bundesverfassung; BV) oder der Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) darstelle (E. 7, 9.). Gänzlich ausser Acht liess das Gericht hingegen die Frage, ob sich aus Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 16 BV) Implikationen für diese Beurteilung ergeben. Dies erstaunt unter dem Gesichtspunkt, dass die Verweigerung der Schutzgewährung vorliegend vom BVGer explizit mit dem Inhalt der durch den Firmennamen kommunizierten Information begründet wird. Zwar hat sich das Bundesgericht (BGer) in der Vergangenheit auf den Standpunkt gestellt, dass kommerzielle Äusserungen grundsätzlich lediglich von der Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) und nicht von der Meinungsfreiheit geschützt sei (siehe hier, E. 5.a; was jedoch bereits angesichts des klaren Verfassungstextes unhaltbar ist). Das BVGer prüfte im Urteil zum Zeichen „Bimbo QSR“ jedoch auch keine Verletzung der Wirtschaftsfreiheit, weswegen das gänzliche Ignorieren des Meinungsfreiheitsaspektes nicht an dieser Rechtsprechungseigenheit liegen kann.
US Bundesgerichte gehen diese Thematik interessanterweise genau umgekehrt an und setzten die Kompatibilität einer derartigen Schutzverweigerung mit der Meinungsfreiheit ins Zentrum ihrer Analyse.
Matal v. Tam und Iancu v. Brunetti
Die sogenannte Disparagement Clause in 15 U.S. Code § 1052 untersagt die Eintragung eines Trademark „which may disparage […] persons, living or dead, institutions, beliefs, or national symbols, or bring them into contempt, or disrepute“. Mit Bezug auf diese Norm verweigerte das Patent and Trademark Office der asiatisch-amerikanischen Band „The Slants“ den Schutz, da es eine „substantial composite of persons“ gebe, welche das Zeichen (den Bandnamen) als „offensive“ erachten (vgl. Matal v. Tam, S. 228). Dabei wurde unteranderem auf die Definition in diversen Wörterbüchern Bezug genommen, nach welchen die Bezeichnung „slant-eyes“ ein „derogatory or offensive term“ sei (ebd., S. 228 f.). Simon Tam (einer der Gründer der Gruppe) klagte gegen diesen Entscheid zuerst vor dem US Court of Appeals for the Federal Circuit und schliesslich vor dem US Supreme Court. Wie Tam erklärte, wählte die Gruppe den Namen um einen häufig gegen sie verwendeten Begriff zurückzugewinnen: „We know that irony and wit can neutralize racial slurs, because it shifts the dynamics of power.“
In Matal v. Tam erkannte der Supreme Court in 2017 einstimmig, dass es sich bei der fraglichen Eintragungsverweigerung um eine unzulässige Verletzung der Free Speech Clause des First Amendement handelt (ebd., S. 223). Die Disparagement Clause stelle eine unzulässige Diskriminierung von anstössigen Ansichten dar, sei deutlich zu umfassend formuliert („far too broad“) und verstosse gegen den fundamentalen Charakter der Free Speech Clause (ebd., S. 243, 246):
„Speech that demeans on the basis of race, ethnicity, gender, religion, age, disability, or any other similar ground is hateful; but the proudest boast of our free speech jurisprudence is that we protect the freedom to express “the thought that we hate.” United States v. Schwimmer, 279 U. S. 644, 655 (1929) (Holmes, J., dissenting).“ (Ebd., S. 246.)
Zwei Jahre später entschied der Supreme Court, dass die Verweigerung einer Eintragung, weil es sich um eine unmoralische oder skandalöse Materie handle (konkret ein Trademark für die Kleidermarke „FUCT“), ebenfalls eine unzulässige Form von „viewpoint discrimination“ darstelle (Iancu v. Brunetti, S. 1 ff.):
„[T]he “immoral or scandalous” bar is substantially overbroad. There are a great many immoral and scandalous ideas in the world (even more than there are swearwords), and the Lanham Act covers them all. It therefore violates the First Amendment.“ (Ebd., S. 11.)
Meinungsfreiheit und Voraussehbarkeit
Der Schutz von skandalösen, unmoralischen und gar anstössigen Ansichten ist derweil keine amerikanische Eigenheit, sondern ist auch in der schweizerischen Doktrin zur Meinungsfreiheit tief verankert. So betont das Bundesgericht etwa in seiner Rechtsprechung zur Anti-Rassismusstrafnorm (Art. 261bis StGB) regelmässig, dass es in einer Demokratie von zentraler Bedeutung sei, „dass auch Standpunkte vertreten werden können, die einer Mehrheit missfallen und für viele schockierend wirken“ (siehe hier, E. 1 und hier, E. 3.1).
Zwar kann auch die Meinungsfreiheit unter den regulären Voraussetzungen von Art. 36 BV eingeschränkt werden (öffentliches Interesse, gesetzliche Grundlage, Verhältnismässigkeit, Kerngehaltsgarantie), wobei vorliegend jedoch bereits das Vorliegen einer ausreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage zu verneinen ist: Nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung erfordert eine Grundrechtseinschränkung eine Basis im Gesetz, welche so scharf umrissen ist, dass „die Rechtsunterworfenen ihr Verhalten danach ausrichten und die Folgen eines bestimmten Verhaltens mit einem den Umständen entsprechenden Grad an Gewissheit erkennen können“ (siehe hier, E. 3.2.1.).
Diese Hürde ist zu Recht hoch angesetzt, denn die Voraussehbarkeit der rechtlichen Reaktion auf das eigene Verhalten ist ein Kernbestand der Rechtsstaatlichkeit: Wie Joseph Raz aufzeigte, muss das Recht fähig sein, das Verhalten seiner Subjekte zu steuern. Das ist wiederum nur möglich, wenn der Einzelne herausfinden kann, was genau das Recht von ihm verlangt (The Authority of Law, S. 210, 213 f.). Genau hier zeigt sich ein fundamentales Problem, wenn auf ein so unbestimmtes Kriterium wie jenes der Sittenwidrigkeit abgestellt wird. Die guten Sitten können als gesellschaftliches Phänomen in Zeiten zunehmender sozialer Fragmentierung häufig nur schwer treffsicher identifiziert werden und sind zu einem signifikanten Grad von subjektiven Wertvorstellungen abhängig, wie schon Justice Harlan erkannte: „[O]ne man’s vulgarity is another’s lyric“ (Cohen v. California, S. 25, in Bezug auf die Aussage „Fuck the Draft“). Gleichzeitig sind die guten Sitten – wie auch das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Urteil betont – einem stetigen Wandel ausgesetzt (vgl. E. 4.3 und 7.3).
Noch unklarer wird die Rechtslage dadurch, dass eine eigentlich bestehende Sittenwidrigkeit gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung dadurch geheilt werden kann, dass sie durch „Gewöhnung allgemein akzeptiert“ wurde (siehe hier, E. 4.2). Unter welchen Voraussetzungen eine solche Gewöhnung genau eintritt, bleibt – erwartungsgemäss – vage. Vorauszusehen, welche Zeichen unter diesen Voraussetzungen als sittenwidrig erachtet werden würden, verkommt damit beinahe zu einem Glücksspiel.
Ergebnis: Restriktive Auslegung der Sittenwidrigkeitsklausel
Schweizer Gerichte können Art. 2 lit. d MschG anhand von Art. 190 BV (Massgeblichkeit von Bundesgesetzen im Vergleich zur Verfassung) anders als der US Supreme Court in Matal v. Tam und Iancu v. Brunetti nicht die Anwendung verweigern. Jedoch sind Normen, welche die Meinungsfreiheit einschränken, im Lichte dieses Grundrechtes und damit restriktiv auszulegen. In der schweizerischen Rechtsprechung zum Markenschutz geschieht interessanterweise genau das Gegenteil: Bezeichnend für die Tendenz zur extensiven und ausufernden Auslegung der offenen, abstrakten Kategorie des Verstosses gegen die guten Sitten ist das Urteil des Bundesgerichts in BGE 136 III 474, auf welches sich das Bundesverwaltungsgericht vorliegend auch weitgehend stützt. In BGE 136 III 474 wurde der Markenschutz der Wort-/Bildmarke „Madonna“ anhand von Sittenwidrigkeit verneint, weil diese angesichts ihrer religiösen Konnotation bei einer Kommerzialisierung geeignet sei, „das religiöse Empfinden der betroffenen Religionsangehörigen [italienischsprachige katholische Christen] zu verletzen“ (E. 6.2). Es wird damit im Ergebnis versucht, die bereits unscharfe Kategorie der guten Sitten mit dem noch nebulöseren Begriff des religiösen Empfindens mit Inhalt zu füllen.
Der Schutz der Sittenwidrigkeitsklausel bezieht sich im Übrigen gemäss des „Madonna“ Urteils des Bundesgerichts auf „alle Religionen, unabhängig von ihrer quantitativen Verbreitung in der Schweiz“ (E. 4.2). Unter diesen Umständen wird es für den Einzelnen mehr und mehr unmöglich, „die Folgen eines bestimmten Verhaltens mit einem den Umständen entsprechenden Grad an Gewissheit erkennen [zu] können“ (vgl. hier, E. 3.2.1.). Oder kann man von einem Rechtsunterworfenen (der sich Markenschutz erhofft) wirklich erwarten, dass er für jeden potentiellen Firmennamen zuerst in jeder Landessprache überprüft, ob das Zeichen das religiöse Empfinden von potentiell dutzenden Glaubensgemeinschaften tangieren könnte? Eine Privilegierung der zahlenmässig etablierten Religion scheint zwar kaum vertretbar, doch liesse sich diese Problematik deutlich eleganter lösen, wenn auf das aufgeblähte Element der Verletzung des religiösen Empfindens als Unterkategorie der Sittenwidrigkeit einfach verzichtet werden würde.
The Band Who Must Not Be Named
Die Schweizer Verwaltungspraxis und Rechtsprechung muss damit auch beim Markenschutz innerhalb der Schranken der Meinungsfreiheit operieren und damit beginnen, der Sittenwidrigkeitsklausel mit einer restriktiven und genau abgegrenzten Auslegung die notwendige Bestimmtheit zuzuführen.
Die Band „The Slants“ wiederum widmeten der Gerichtssaga um ihren Namen eine eigene Kollektion von Stücken – passend tituliert als „The Band Who Must Not Be Named“. Simon Tam kommentierte seinen Sieg vor dem US Supreme Court schliesslich mit den folgenden Worten:
„It’s a win for all marginalized groups. It can’t be a win for free speech if some people benefit and others don’t. The First Amendment protects speech even that we disagree with. You can’t say you want to shut down the conversation for other people, because that doesn’t advance progress. No one builds better communities by shutting people out.“