US-Repräsentantenhaus: Von wegen one man, one vote
Das BVerfG hat im Lissabon-Urteil – wir erinnern uns – dem Europäischen Parlament den Bescheid ausgestellt, gar kein richtiges Parlament zu sein: weil in Malta viel weniger Wähler nötig sind, um einen Abgeordneten nach Brüssel zu schicken, als in Deutschland. Was gegen “one man, one vote” verstoße.
Derartig ausgeprägte Ungleichgewichte werden in föderalen Staaten regelmäßig nur für die zweite Kammer neben dem Parlament – in Deutschland und Österreich entspricht dieser zweiten Kammer der Bundesrat, in Australien, Belgien und den Vereinigten Staaten von Amerika der Senat – toleriert. Sie werden aber nicht in der Volksvertretung selbst hingenommen, weil diese sonst das Volk nicht in einer vom personalen Freiheitsprinzip ausgehenden gleichheitsgerechten Weise repräsentieren kann.
Werden nicht in der Volksvertretung selbst hingenommen? Das haben die Karlsruher Richter einfach mal so ins Blaue hinein behauptet. Das US-Repräsentantenhaus wäre nach den Kriterien des Zweiten Senats genauso wenig ein Parlament wie das EP: Im Staat Montana benötigt ein Abgeordneter doppelt so viele Wähler als in Wyoming. Weshalb jetzt eine Organisation namens Apportionment.us Klage eingelegt hat: Das Repräsentantenhaus, so die Kläger, müsste doppelt bis dreifach so groß sein wie bisher, um dem Prinzip one man, one vote Geltung zu verschaffen. Knapp 1000 Abgeordnete mindestens.
Dass das BVerfG über den Niederschlag föderaler Kollektividentitäten im repräsentativen US-Wahlrecht in dieser Weise hinwegbürstet, scheint mir ein Zeichen zu sein, dass in den Köpfen der Richter (“in einer vom personalen Freiheitsprinzip ausgehenden gleichheitsgerechten Weise”) der alte Homogenitäts-Topos aus dem Maastricht-Urteil halt doch noch herumgeistert.
Mehr dazu in der NYT und im WSJ Law Blog.