Die weiten Flügel der Demokratie
Zu den Anforderungen des Bundesfinanzhofs an den Gemeinnützigkeitszweck der allgemeinen Förderung des demokratischen Staatswesens
Die nicht mehr kleine Welt des sog. Non-Profit-Sektors wurde vor ein paar Tagen durch ein mittleres Erdbeben erschüttert. Medienwirksam kündigte die Petitionsplattform innn.it (ehemals Change.org) an, auf ihre Gemeinnützigkeit zu verzichten, und zwar in Reaktion auf ein Urteil des Bundesfinanzhofs, das im Dezember vergangenen Jahres zu § 52 Abs. 2 S. 1 Nr. 24 AO erging. Mit den BFH-Vorgaben zur Neutralität könne man eine „Petitionsplattform mit Haltung“ nicht gemeinnützig betreiben.
Nun liegen die Urteilsgründe vor: Ist der BFH in seinen Anforderungen an die Gemeinnützigkeit zu weit gegangen? Oder war es die Petitionsplattform innn.it, die eine Grenze überschritten hat, indem sie nicht mehr zur allgemeinen Förderung des demokratischen Staatswesens tätig wurde – oder auch indem sie, ähnlich wie vor ein paar Jahren Attac, zu parteinah agierte, d.h. politische Zwecke verfolgte, ohne eine politische Partei im Sinne des Parteiengesetzes zu sein?
Das Verfahren
Die Entscheidung des BFH ist vorläufiger Schlusspunkt eines fünfjährigen Rechtsstreits zwischen innn.it und dem Finanzamt Berlin, an dessen Seite sich bald das Bundesfinanzministerium stellte. Innn.it ist ein eingetragener Verein, der nach seiner dem Rechtsstreit zugrundeliegenden Satzung ausschließlich und unmittelbar die „Förderung des demokratischen Staatswesens“ als gemeinnützigen Zweck verfolgte. Dazu unterhält der Verein auf seiner Internetseite eine Onlineplattform, die es den Nutzern ermöglicht, verschiedenste Anliegen zu formulieren und zur elektronischen Abstimmung zu stellen. „Petitionen mit Wirkung“ verspricht diese Plattform, die in den letzten Jahren bis zu etwa 250 Petitionen im Jahr unterstützte, unter anderem im Jahr 2023 den Aufruf „Prüft ein AfD-Verbot“, immerhin über 1,1 Millionen Mal unterzeichnet.
Der Streit um die Gemeinnützigkeit dieser Plattform setzte vor einigen Jahren ein, als das Finanzamt Berlin die Erfüllung des Gemeinnützigkeitszwecks „Förderung des demokratischen Staatswesens“ deshalb in Frage stellte, weil der Verein auch Petitionen gegen Private unterstützte, etwa Boykottaufrufe gegen Unternehmen wie Nestlé. Dagegen klagte der Petitionsverein und hatte bei der Vorinstanz – dem Finanzgericht Berlin-Brandenburg (FG) – im November 2023 zunächst Erfolg. Doch ein Jahr später wurde dieses Urteil von Bundesfinanzhof aufgehoben und an das Finanzgericht zurückverwiesen.
Für das Gemeinnützigkeitsrecht und damit für die finanziellen Grundlagen des Wirkens von über 600.000 Vereinen, 25.000 Stiftungen, 15.000 GmbHs und mehr als 2.000 Genossenschaften hat dieses Urteil besondere Bedeutung. Denn erstmals hat sich hier der BFH vertiefend mit der Auslegung des Gemeinnützigkeitszwecks „zur allgemeinen Förderung des demokratischen Staatswesens im Geltungsbereich dieses Gesetzes“ nach § 52 Abs. 2 S. 1 Nr. 24 Abgabenordnung (AO) befasst.
Das Gesetz hält im zweiten Halbsatz dieser Bestimmung zwar immerhin fest, dass dazu nicht „Bestrebungen gehören, die nur bestimmte Einzelinteressen staatsbürgerlicher Art verfolgen oder die auf den kommunalpolitischen Bereich beschränkt sind.“ Höchstrichterlich ungeklärt war bislang jedoch, was unter „demokratischem Staatswesen“ zu verstehen und wann von dessen „allgemeiner“ Förderung auszugehen ist sowie welche Bedeutung der weithin als veraltet angesehenen räumlichen Verengung auf den Geltungsbereich des Abgabenordnung zukommt. Nicht zuletzt war auch die Abgrenzung zu anderen Gemeinnützigkeitszwecken unklar, etwa der Förderung des bürgerschaftlichen Engagements (Nr. 25) sowie der Erziehung, Volks- und Berufsbildung (Nr. 7).
Allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens
Im Vergleich der Judikate von FG und BFH fällt auf, dass diese Gerichte den Gemeinnützigkeitszweck der allgemeinen Förderung des demokratischen Staatswesens denkbar unterschiedlich interpretieren.
Das FG legt seiner Auslegung ein weites und prozesshaftes Demokratieverständnis zugrunde: Erfasst sei alles, was in einer Demokratie „generell den aufgeklärten Bürger“ fördern könne (Rn. 36). Daher sei allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens gleichzusetzen mit „Förderung der Ausübung der grundgesetzlich verbürgten Grundrechte […] sowie der Förderung allgemeiner demokratischer Teilhabe“ (Rn. 35). Die Online-Plattform sei damit als eine Art Demokratiedienstleister einzustufen, der demokratische Teilhabe ermögliche, insbesondere an Gewaltenteilung, Rechts- und Sozialstaatsprinzip und Meinungsfreiheit. Soweit das FG das Tatbestandsmerkmal „demokratisches Staatswesen“ mit der Ausübung grundgesetzlich verbürgerter Grundrechte gleichsetzt, ist seine Auslegung zwar „nah am Bürger“, doch fehlt es hierbei an definitorischer Schärfe, die eine rechtssichere Abgrenzung ermöglichen könnte. Welches Agieren sollte angesichts der Weite der allgemeinen Handlungsfreiheit nicht in ihren Schutzbereich und damit in den Anwendungsbereich dieses Gemeinnützigkeitszwecks fallen?
Der BFH ist demgegenüber um Eingrenzung bemüht. „Allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens“ interpretiert er explizit eng, etatistisch und gerade nicht prozesshaft aus Sicht der Bürger. Er legt vielmehr ein staatsorganisatorisches, aus dem Wortlaut des Grundgesetzes abgeleitetes Verständnis zugrunde: Was „demokratisches Staatswesen“ bedeute, sei unter Berücksichtigung der Strukturprinzipien der bundesstaatlichen Verfassung in Art. 20 GG zu ermitteln, und zwar insbesondere unter Heranziehung des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG, wonach die Staatsgewalt vom Volk in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt wird (Rn. 12). Bis zu diesem Punkt lässt sich dem BFH gut folgen.
Problematisch ist jedoch der nächste Argumentationsschritt des BFH, der dazu geführt hat, dass er die Sache zurück an das FG verwies. So führt er zu Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG weiter aus (Rn. 24):
„Im Hinblick darauf, dass Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG die Ausübung von Staatsgewalt durch ‚besondere Organe der Gesetzgebung‘ erwähnt, kann es sich dabei um ein beliebiges Thema handeln, das aber – beispielsweise als Verhandlungsgegenstand (vgl. § 75 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages […]) – geeignet sein muss, Gegenstand einer parlamentarischen Befassung zu sein.“
Nach diesem engen Begriffsverständnis verlässt der Betreiber einer Online-Plattform wie innn.it den Bereich der Förderung des demokratischen Staatswesens, wenn dort Anliegen zur Abstimmung gestellt werden, die nicht „Gegenstand einer parlamentarischen Befassung“ sein können, etwa die Kündigung eines Mietvertrags über einen bestimmten Kiosk zwischen zwei Privatrechtssubjekten oder der Boykottaufruf gegenüber einem privaten Unternehmen.
Reduktion auf die Leistung der Gesetzgebungsorgane?
Lässt sich „demokratisches Staatswesen“ auf die Leistung der Gesetzgebungsorgane beschränken? Dass ein solches Begriffsverständnis zu eng ist, zeigt schon der Blick in die erwähnte Grundgesetzbestimmung. Denn in seiner Definition unterschlägt der BFH all das, was das Grundgesetz im ersten Halbsatz von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG garantiert: die Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk in Wahlen und Abstimmungen. Genau dafür braucht es aber – darin ist dem FG Recht zu geben – aufgeklärte Bürgerinnen und Bürger. Ein Verein, der es übernimmt, Kampagnen zu sichten und diese auf Relevanz, Rechtmäßigkeit und voraussichtlichen Erfolg zu untersuchen, der Nutzer der Plattform dazu ermutigt, ihre Anliegen zu teilen, der Bürger darin bestärkt, ihre Ziele öffentlich zu vertreten, zu verbreiten und die Öffentlichkeit zu erreichen, organisiert damit die öffentliche Meinungsbildung und -kundgabe. Er fördert Demonstrationen im Netz und eben darin das politische Interesse, das Bürgerinnen und Bürger – das Volk – dazu bringt, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen auszuüben. Boykottaufrufe gegen einzelne Unternehmer könnten dagegen schon wegen des Verbots des Einzelfallgesetzes kein Gegenstand eines Gesetzgebungsverfahrens im Sinne der Geschäftsordnung des Bundestags sein.
Zudem umfasst Demokratie weit mehr als nur das Handeln der Parlamente. Immerhin nennt der auch für die Länder geltende Art. 20 Abs. 2 S. 1 Halbsatz 1 GG als Formen der Ausübung von Staatsgewalt Wahlen und Abstimmungen, wenn auch ohne nähere Regelung dazu, in welchen Fällen beide stattfinden. Das Grundgesetz konkretisiert diese Abstimmungen, etwa in Art. 29, 118 oder 118a GG. Plebiszitäre Mitwirkungsmöglichkeiten wären auf Bundesebene durch Art. 79 Abs. 3 GG nicht ausgeschlossen, auf Landesebene bestehen sie in erheblichem Umfang. Vor diesem Hintergrund erscheint es verfassungsrechtlich nicht haltbar, den Gemeinnützigkeitszweck des § 52 Abs. 2 S. 2 Nr. 24 AO formal auf die Zuarbeit zu Organen der Legislative zu verengen.
Auch Gesichtspunkte der praktischen Verwirklichung des Demokratieprinzips sprechen gegen die enge Auslegung des BFH. Ohne die bunten Bilder medial aufgeladener Einzelsachverhalte, ohne „bad guys“, an denen sich Nutzer solcher Plattformen emotional abarbeiten können, fehlt den meisten Petitionsanliegen politische Sprengkraft. Auf eben diese sind sie aber angewiesen, um jene Aufmerksamkeit zu erlangen, die ihre Existenzgrundlage sichert. Politische Aufrufe, die so formuliert sind, dass sie Gegenstand eines Gesetzgebungsverfahrens sein könnten, sind politisch tot, noch bevor sie viral gehen. Daher ist auch das Ansinnen, Petitionsplattformen unter dem Damoklesschwert eines Verlusts ihrer Gemeinnützigkeit dazu anzuhalten, von ihren Nutzern eine allgemeine und abstrakte Fassung ihrer Anliegen zu verlangen, faktisch gleichbedeutend mit ihrer Verbannung aus dem öffentlichen Raum.
Selbst wenn man dem BFH darin folgen wollte, das „demokratische Staatswesen“ vor allem an Parlamenten festzumachen, ließe sich einer Petitionsplattform die Gemeinnützigkeit nicht allein deshalb absprechen, weil sie unter vielen Anliegen auch solche verbreitet, die sich formal mit privatrechtlich zu beurteilenden Einzelsachverhalten befassen. Denn sachentscheidend ist, welche politische Fragen sich hinter den jeweiligen Partikularinteressen verbergen. So steckt beispielsweise hinter dem Boykottaufruf gegen einen großen Pharmakonzern regelmäßig die rechtspolitische Forderung, solche Unternehmen insbesondere in ihrer Einflussnahme auf den Inhalt meinungsleitender Studien strenger zu kontrollieren, um die staatliche Schutzpflicht für Leben und Gesundheit umzusetzen. Petitionsplattformen wirken hier als moderne Versammlungsvorbereitungsorgane. Sie holen Bürgerinnen und Bürger dort ab, wo sie in ihrer Rezeption der medialen Berichterstattung jeweils stehen. So leisten sie einen Beitrag dazu, dass Anliegen am Ende eines längeren Meinungsbildungsprozesses Gehör finden. Lediglich bei „Bestrebungen, die nur bestimmte Einzelinteressen verfolgen“, bei denen sich also ein übergeordnetes politisches Interesse hinter den unmittelbar verfolgten Partikularinteressen unter keinem Gesichtspunkt finden lässt, scheidet eine Gemeinnützigkeit aus (§ 52 Abs. 2 S. 1 Nr. 24 a.E. AO).
Funktional-demokratische Deutung
Grundrechtlich muss der Gemeinnützigkeitszweck im Einklang mit der funktional-demokratischen Deutung sowohl von Meinungs-, Rundfunk- und Pressefreiheit als auch insbesondere der Versammlungsfreiheit ausgelegt werden. Dabei setzt eine Versammlung einen gemeinsamen Zweck voraus, der sich nach dem derzeit herrschenden engen Versammlungsbegriff auf die gemeinsame Meinungsbildung und -kundgabe in öffentlichen Angelegenheiten bezieht. Innerhalb einer Versammlung werden die Träger abweichender Meinungen jedoch nicht zu Organisatoren eigener Versammlungen. Entsprechend wird auch der Funktionszusammenhang zur allgemeinen Förderung des demokratischen Staatswesens nicht dadurch unterbrochen, dass ein gemeinnütziger Verein vereinzelt Anliegen vertritt, die den Bereich der Meinungsbildung in öffentlichen Angelegenheiten verlassen.
Für die Annahme einer Gemeinnützigkeit kommt es vielmehr auf die generelle Betrachtung des gesamten Tätigkeitsspektrums der jeweiligen Organisation an. Dies legt das Wort „allgemein“ im Zusammenhang der Förderung des demokratischen Staatswesens nahe. Was Ausreißer betrifft, kommt der BFH zu einem ähnlichen Ergebnis: Er stellt den Verlust des Gemeinnützigkeitsstatus „bei lediglich vereinzelten Verstößen“ unter den Vorbehalt des Verhältnismäßigkeitsprinzips und des „ihm innewohnenden Bagatellvorbehalts“ (zum inflationären Einsatz des Verhältnismäßigkeitsprinzips vgl. allerdings Leisner-Egensperger NVwZ 2024, 1455 ff.).
Beitrag des Gemeinnützigkeitsrechts zur wehrhaften Demokratie
In einer parlamentarischen Demokratie mit geringen plebiszitären Mitwirkungsrechten beschränkt sich die „allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens“ gerade nicht darauf, Aktivitäten zu fördern, die unmittelbar zu Beschlussvorlagen des Bundestages führen. Vielmehr erstreckt sich dieser Zweck auf sämtliche Aktivitäten, die politisch interessierte, aufgeklärte Bürgerinnen und Bürger darin unterstützen sollen, sich bei der nächsten Bundes- oder Landtagswahl – vielleicht aber auch schon früher durch Wahrnehmung ihrer Meinungs- oder Versammlungsfreiheit – zu politischen Fragen zu äußern.
Das Gemeinnützigkeitsrecht leistet darin einen verfassungsrechtlich determinierten Beitrag zur wehrhaften Demokratie, indem es die vielbeschworene Resilienz des demokratischen Systems stärkt: Wer sich auf Petitionsplattformen wie innn.it in Kampagnen ausgetobt hat, kann ein geringeres emotionales Bedürfnis dazu verspüren, seiner Protesthaltung durch die Wahl einer extremistischen Partei Ausdruck zu verleihen. Zugleich hat er im Idealfall die argumentative Auseinandersetzung mit anderen Ansichten gelernt und eingeübt, was ihn davon abhält, sich für politische Strömungen zu engagieren, denen der Schutz von Minderheiten fremd ist. Diese geistige Lenkung kann die Allgemeinheit im Sinne des § 52 Abs. 1 AO fördern. In Verbindung mit einem der Katalogzwecke des § 52 Abs. 2 AO rechtfertigt sie Gemeinnützigkeit. Steht dabei der pädagogische Aspekt im Vordergrund, indem eine besondere Aus- oder Fortbildungsleistung erfolgt, kann es sich um Erziehung oder Volksbildung handeln (Nr. 7), im anderen Fällen um einen Beitrag zur Förderung des demokratischen Staatswesens (Nr. 24).
Parteipolitische Neutralität
Richtig liegt der BFH, wenn er das Erfordernis parteipolitischer Neutralität betont. Denn der Gemeinnützigkeitszweck der allgemeinen Förderung des demokratischen Staatswesens darf nur den offenen Prozess der politischen Willensbildung fördern – und nicht selbst im Sinne des § 2 Abs. 1 PartG auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen oder gar die öffentliche Meinung gemäß § 1 Abs. 2 PartG gestalten.
Würde das Gemeinnützigkeitsrecht auf parteipolitische Neutralität – im Sinne einer Distanz zur Parteienlandschaft – verzichten, würden die Transparenzanforderungen und Rechenschaftspflichten des Parteienrechts ausgehebelt. Diese Regeln halten Parteien insbesondere dazu an, Parteispenden offenzulegen. Ein Petitionsverein, der bei Gesamtwürdigung der von ihm unterstützten Vorhaben als verlängerter Arm einer bestimmten Partei einzuordnen ist, gerät in gefährliche Nähe zum Parteienrecht. Hier droht das Ikarus-Syndrom politischer Betätigung: Ein solcher Verein riskiert das Abschmelzen seiner nur mit Wachs angeklebten Flügel, indem er zu nah an die Sonne der Parteienlandschaft fliegt. So stürzt er ins Meer des Verlusts der Gemeinnützigkeit, was regelmäßig zu seinem Tod führt.
Im Fall von innn.it hat das FG als Tatsacheninstanz aus der Vielfalt der geförderten Vorhaben gefolgert, dass dieser Verein neutral und ohne inhaltliche Wertung agiere. Der BFH hat dem FG nun aufgegeben, genauer zu prüfen, ob die Auswahl der geförderten Gegenstände in hinreichender „geistige[r] Offenheit“ erfolgt sei (Rn. 27): Dies sei beispielsweise problematisch, wenn jeweils die lautstärkste Meinung gefördert würde. Auch muss das FG noch prüfen, ob diese Unvoreingenommenheit bei der Ausschließung offensichtlich rechtswidriger Inhalte in hinreichendem Maße gewährleistet sei (Rn. 28).
Bei all dem bleibt wichtig: Parteipolitische Neutralität als Erfordernis des Gemeinnützigkeitsrechts darf nicht verwechselt werden mit jener Neutralität, die staatliche Instanzen zu wahren haben, wenn sie staatliche Ressourcen, Kommunikationskanäle oder auch die Autorität ihres Amtes in Anspruch nehmen (dazu Deyda). Neutralität im Sinne des Gemeinnützigkeitsrechts meint Abstand zur Parteienlandschaft – nicht mehr und nicht weniger. Gelingt es einer Petitionsplattform, unter Hinweis auf Vielfalt und Vielgestaltigkeit der von ihr geförderten Anliegen die Distanz zur Parteipolitik nachzuweisen, besteht für sie kein Grund, sich mit medial inszeniertem Verzicht auf Gemeinnützigkeit in Resignation zu üben. München locuta, causa non finita. Es bleibt der Weg nach Karlsruhe.
Ich finde es ziemlich anmaßend Wählern gegenüber, wenn man der Auffassung ist, es bräuchte “Feinde”, um sie zur Partizipation in politischen Fragen zu bringen. Das ist ein Gedanke Carl Schmitts, der jetzt nicht unbedingt der größte Freund des Konzepts “Demokratie” war.
Petitionen auf solchen Plattformen haben häufig deswegen keinen Erfolg oder gerade deshalb Erfolg, weil es in ihnen, wie hier ablehnend angeklungen, in der Tat meistens um private Vendettas geht, die in der Bekleidung einer Bürgerbewegung Legitimität zu erheischen versuchen.
Man könnte Wähler zu mehr Partizipation bewegen, wenn man Themen anspricht, die für sie günstig sind, statt seine Agenda auf Missgunst gegenüber anderen (den hier sog. “bad guys”) aufzubauen.
Im Übrigen bin ich überrascht, den alten Kollegen “Funktionalisierung” hier wiederzusehen. Ich dachte, dieser Grundrechtsmythos sei in den 1990er Jahren untergegangen. Die Anhaltspunkte dieses Gedankens lassen sich, wie damals schon, immer noch nicht in der Verfassung finden.