Ein Straftatbestand verbaler sexueller Belästigung
Kein Grund für Aufregung
Es ist immer wieder interessant zu beobachten, welche Abwehrreaktionen es auslöst, wenn Straftatbestände zum Schutz von Frauen diskutiert werden. Ob Sexuelle Belästigung (§ 184i StGB), die Verletzung des Intimbereichs durch Bildaufnahmen (§ 184k StGB) oder Stalking (§ 238 StGB) – die Muster sind dieselben: Die Straftatbestände seien zu unbestimmt, würden Bagatellen regeln und gegen das Ultima-Ratio-Prinzip verstoßen. In der aktuellen Debatte um die Einführung eines strafrechtlichen Verbots verbaler sexueller Belästigungen wird nun ein weiteres Argument bemüht, importiert vor allem aus der US-amerikanischen Debatte: Mehr strafrechtlicher Schutz von Frauen stärke ein rassistisches und auf Ungleichheit basierendes System. Die Notwendigkeit eines Straftatbestandes der verbalen sexuellen Belästigung kann mit guten Gründen unterschiedlich beurteilt werden. Unerfreulich ist es jedoch, wenn an die Stelle einer sachlichen Debatte Polemik tritt, wenn Argumentationsebenen – bewusst oder unbewusst – verwechselt und schutzwürdiger Interessen gegeneinander ausgespielt werden. Eine sachliche Bewertung der aktuellen Reformdiskussion setzt zunächst voraus, dass drei Ebenen klar unterschieden werden: Verfassungsrechtliche Grenzen, strafrechtsdogmatische Konsequenz und rechtspolitische Überzeugungskraft.
Verfassungsrechtliche Grenzen
Eine verbreitete Methode in strafrechtlichen Reformdiskussionen ist es, die eigene kriminalpolitische Haltung als verfassungsrechtliche Notwendigkeit auszugeben – und damit unangreifbar zu machen. Wer einen Straftatbestand mit dem Verdikt der Unbestimmtheit belegt oder eine Verletzung des Ultima-Ratio-Prinzips hervorhebt, der entzieht die Vorschrift jeder weiteren Auseinandersetzung. Was verfassungswidrig ist, muss schließlich nicht weiter debattiert werden; es bedarf keiner Begründung, weshalb verbale sexuelle Belästigungen straflos bleiben sollen, wenn deren Regelung gegen das Grundgesetz verstößt. Im Gegenteil: Der Kritiker kann für sich in Anspruch nehmen, unsere Verfassung gegen unzulässige (feministische) Angriffe zu verteidigen.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ist bei der Aufhebung strafrechtlicher Verbote jedoch zu Recht äußerst zurückhaltend. In einer Demokratie ist es eine dem Gesetzgeber „vorbehaltene grundlegende Entscheidung, in welchem Umfang und in welchen Bereichen ein politisches Gemeinwesen gerade das Mittel des Strafrechts als Instrument sozialer Kontrolle einsetzt“ (BVerfG, Beschluss vom 9.2.2022 – 2 BvL 1/20, NJW 2022, 1160, 1161). Die Verfassung muss der Legislative weite Spielräume bei der Formulierung von Strafnormen als Ausdruck grundlegender gesellschaftlicher Werteentscheidungen überlassen.
Ultima Ratio: Alles Bagatellen?
Was bedeutet das für die vorgebrachten verfassungsrechtlichen Einwände? Von Strafrechtlern immer wieder angemahnt wird die Wahrung des Ultima-Ratio-Prinzips. Das Strafrecht als schärfstes Schwert des Staates soll letztes Mittel in der Bekämpfung sozialer Phänomene sein. Gärditz hat schon vor Jahren einen starken Kontrast zwischen der allgegenwärtigen Berufung auf den Ultima-Ratio-Grundsatz und dessen praktischer Bedeutungslosigkeit festgestellt. Er führt treffend aus: „Dass in der Rechtsprechung noch kein Strafgesetz an der Ultima-Ratio-Formel gescheitert ist, ist […] Konsequenz der Untauglichkeit dieser Formel, die bisweilen auch mit dysfunktionalen Erwartungen überfrachtet wurde. Strafrecht ist wie alles Recht politisch; seine Eingriffsschärfe macht die Entscheidung über Grund und Grenzen staatlichen Strafens in besonderem Maße legitimationsbedürftig. Im demokratischen Rechtsstaat wird Maßstabslegitimation aber vor allem über Gesetzgebung erzeugt. Das BVerfG hat bislang seine Kontrolle gegenüber der Strafgesetzgebung mit Recht zurückhaltend und sorgsam ausgeübt; es hat die inhaltliche Kontingenz, Politizität sowie damit Demokratizität des Strafrechts respektiert.“
Dem ist wenig hinzuzufügen. Strafrechtliche Bestimmungen sind, wie jedes andere Gesetz, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen. Die durch Verbot und Sanktion bewirkten Eingriffe in die Freiheitsrechte potentieller Täter müssen einem legitimen Zweck folgen, geeignet, erforderlich und angemessen sein. Für die Abwägung der kollidierenden Grundrechte ist zunächst zu klären, welches legitime Interesse durch einen Straftatbestand der verbalen sexuellen Belästigung geschützt wird. Bereits diese Frage rührt an einen grundlegenden Aspekt der Debatte: Über welche Phänomene sprechen wir? Wer bei Catcalling an ein harmloses Nachpfeifen oder aufdringliche Blicke denkt, der wird ein Verbot und erst recht den Einsatz von Strafrecht für unnötig halten.
In einer Analyse von Social-Media-Accounts berichten Betroffene jedoch deutlich häufiger von massiven verbalen Übergriffen („Geile Titten. Jemand wie dich würde ich direkt mit nach Hause nehmen“/ „Ich werde deine Fotze ficken, bis sie blutet“). Derartige Äußerungen sind keine bagatellarischen Unannehmlichkeiten, sondern Abwertungen der Person aufgrund ihres Geschlechts, die geeignet sind, Unsicherheitsgefühle zu verstärken und Frauen aus öffentlichen Räumen zu verdrängen. Wer sich ein fundiertes Bild von „Catcalling“ und dessen Auswirkungen machen möchte, der sei auf die aktuelle, repräsentative Studie von Wippermann im Auftrag des BMFSFJ verwiesen.
Neben die Tatsache, dass Ausmaß und Folgen verbaler sexueller Belästigungen nicht generell als bagatellarisch einzustufen sind, tritt die geringe Schutzwürdigkeit sexueller Äußerungen im öffentlichen Raum. Ein strafbewehrtes Verbot verbaler sexueller Belästigung bewegt sich nicht in einem vergleichbaren verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnis zur Meinungsfreiheit wie andere Kommunikationsdelikte. Anders als etwa beim Straftatbestand der Beleidigung greift ein Verbot nicht potentiell tief in die verfassungsrechtlich geschützte Meinungsfreiheit als Basis kontroverser, demokratischer Auseinandersetzung ein.
Der Ultima-Ratio-Grundsatz steht einer Einführung der Strafvorschrift also nicht entgegen; er mahnt jedoch – und das mit Recht – eine zurückhaltende und freiheitssensible Ausgestaltung der Norm an: Der Tatbestand sollte bereits seinem Wortlaut nach auf Formen erheblicher verbaler Übergriffe beschränkt werden.
Bestimmtheitsgebot
Ins Feld geführt wird weiterhin, dass ein solcher Straftatbestand nicht im Einklang mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot formuliert werden könne. Da bislang kein konkreter Vorschlag aus dem BMJ vorliegt, geht die Kritik offenbar davon aus, dass es schlichtweg unmöglich sei, den Bereich verbaler sexueller Belästigungen normativ bestimmt zu erfassen. Weshalb sich gerade jener Kommunikationsbereich einer Regelung entziehen sollte, bleibt dabei im Dunklen. Immerhin normiert das Strafgesetzbuch die Beleidigung ohne den Versuch einer tatbestandlichen Beschreibung, und die Volksverhetzung enthält eine Vielzahl offener Rechtsbegriffe, wie die öffentliche Friedensstörung oder den Angriff auf die Menschenwürde. Es ist Äußerungsdelikten immanent, dass jeder Einzelfall einer Auslegung und Bewertung durch die Gerichte bedarf. Das BVerfG hat stets betont, dass der Gesetzgeber in der Lage bleiben muss, der Vielgestaltigkeit des Lebens Herr zu werden (BVerfGE 126, 170 (195) = NJW 2010, 3209; BVerfGE 143, 38 (54) = NJW 2016, 3648 Rn. 40; BVerfGE 153, 310 (341)). Müsste er „jeden Straftatbestand stets bis ins Letzte ausführen, anstatt sich auf die wesentlichen Bestimmungen über Voraussetzungen, Art und Maß der Strafe zu beschränken, bestünde die Gefahr, dass die Gesetze zu starr und kasuistisch würden und dem Wandel der Verhältnisse oder der Besonderheit des Einzelfalls nicht mehr gerecht werden könnten“ (BVerfG Beschluss vom 9.2.2022 – 2 BvL 1/20, NJW 2022, 1160, 1161). Wegen der notwendigen Abstraktheit strafrechtlicher Normen ist es „unvermeidlich, dass in Einzelfällen zweifelhaft sein kann, ob ein Verhalten noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt oder nicht. Das Bestimmtheitsgebot bedeutet nicht, dass der Gesetzgeber gezwungen wäre, sämtliche Straftatbestände ausschließlich mit unmittelbar in ihrer Bedeutung für jedermann erschließbaren deskriptiven Tatbestandsmerkmalen zu umschreiben.“
Maßgeblich für die Prüfung der Bestimmtheit einer Norm ist die Komplexität ihres Regelungsbereichs. Gerade für die Formulierung von Äußerungsdelikten müssen dem Gesetzgeber weite Spielräume bleiben. Menschliche Kommunikation ist vielschichtig, Abwertungen lassen sich regelmäßig erst durch eine gründliche Würdigung von Inhalt, Kontext und Umständen als strafwürdige Angriffe einordnen. Dass etwa ein Tatbestandsmerkmal der „erheblichen sexuellen Belästigung“ eine einzelfallbezogene Bewertung von Charakter und Schwere der Äußerung voraussetzen würde, ist also unschädlich. Die Probleme erscheinen bei einem Tatbestand, der strafbares Verhalten auf sexuell konnotierte Äußerungen beschränkt, sogar weitaus geringer als bei den allgemeinen Ehrschutzdelikten.
Gegen einen Verfassungsverstoß streitet ferner, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG die Anforderungen an gesetzliche Präzision auch von der Höhe der angedrohten Strafe abhängen. Für einen Straftatbestand der verbalen sexuellen Belästigung, der als Vergehen mit geringem Strafrahmen auszugestalten wäre, sind die Hürden für eine hinreichend bestimmte Formulierung also ohnehin nicht zu hoch anzulegen.
Es bleibt also festzuhalten, dass aus verfassungsrechtlicher Sicht keine generellen Bedenken gegen die Einführung eines Straftatbestandes der verbalen sexuellen Belästigung bestehen. Das Ultima-Ratio-Prinzip (bzw. der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit) und das Bestimmtheitsgebot sind Leitlinien für die Ausgestaltung einer Vorschrift, stehen einer gesetzlichen Regelung allerdings nicht grundlegend entgegen.
Unabhängig davon, wie man zu einem gesetzlichen Verbot steht: Die eigene rechtspolitische Haltung in das Gewand des Verfassungsrechts zu kleiden, ist gefährlich. In einer Demokratie sollte sachlich und unaufgeregt um die überzeugendsten Gesetze gerungen werden – ohne eine politische Position durch schwache Verweise auf verfassungsrechtliche Grenzen für sakrosankt zu erklären.
Strafrechtsdogmatik
Dass ein strafrechtliches Verbot verfassungsrechtlich zulässig wäre, bedeutet nicht, dass es auch strafrechtsdogmatisch sinnvoll sein muss. Gegen eine Regelung würde es sprechen, wenn strafwürdige Fälle verbaler sexueller Belästigungen bereits als Beleidigungen nach § 185 StGB strafbar wären.
Die Rechtsprechung ist hier allerdings zurückhaltend. Der BGH hat wiederholt betont, das sexuelle Ansinnen nur ausnahmsweise eine tatbestandliche Beleidigung darstellen. Eine ehrverletzende Kundgabe, so das Gericht, „liegt regelmäßig nicht allein in der sexuell motivierten Äußerung des Täters. Denn allein die sexuelle Motivation des Täters, mit der er den Betroffenen unerwünscht und gegebenenfalls in einer ungehörigen, das Schamgefühl betreffenden Weise konfrontiert, genügt für die erforderliche, die Strafbarkeit begründende, herabsetzende Bewertung des Opfers nicht.“ (BGH NStZ 2018, 603; siehe auch BGH NStZ-RR 2006, 338). In der jüngeren Vergangenheit zeichnen sich Tendenzen ab, die restriktive Rechtsprechung des BGH zu hinterfragen. So hat das Landgericht Frankfurt a.M. in sexualbezogenen Kommentaren über die Klimaaktivistin Luisa Neubauer eine „sexualisierte Beleidigung“ gesehen: „Hierbei stützt sich das Gericht insbesondere auf die vulgäre und sexistische Sprache der streitgegenständlichen Äußerung („ficken“), die die Klägerin zum bloßen Sexualobjekt reduziert und besonders schwer in ihrer Intimsphäre und ihrem sexuellen Selbstbestimmungsrecht verletzt. Es handelt sich um eine sexualisierte Beleidigung, die allein der Diffamierung und Einschüchterung der Klägerin dient.“ (LG Frankfurt a.M. (3. Zivilkammer), Urt. v. 02.12.2021 – 2-03 O 329/20).
Das Urteil des Landgerichts verdient Zustimmung: Die ungewollte sexistische Ansprache ist, anders als teilweise insinuiert, kein Kompliment und kein Flirt, sondern eine Degradierung des anderen zum Objekt der eigenen sexuellen Wünsche. Aber: Es handelt sich um die Entscheidung eines Landgerichts, noch dazu in einer Zivilsache. Die Rechtsprechung des BGH ist weiterhin maßgebliche Richtlinie für die Strafgerichte, und die enge Auslegung von § 185 StGB im Zusammenhang mit verbalen sexuellen Belästigungen prägt die Arbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei. Für die Frage, ob eine relevante Schutzlücke und mithin ein Regelungsbedürfnis besteht, ist die Realität der Normanwendung und nicht die Möglichkeit einer anderen Auslegungspraxis entscheidend. Handhabt die Rechtsprechung einen Tatbestand in einer anderen als der vom Gesetzgeber erwünschten Weise, so obliegt es ihm, durch normative Korrekturen nachzusteuern.
Rechtspolitik
Die Diskussion um einen Tatbestand der verbalen sexuellen Belästigung ist im Kern weder eine verfassungsrechtliche noch eine strafrechtsdogmatische, sie ist eine rechtspolitische. Einige Einwände gegen eine neue Vorschrift lassen sich hören, andere nicht. Zur zweiten Gruppe gehört die Annahme, dass ein Straftatbestand zum Schutz von Frauen deshalb abzulehnen sei, weil er sich in ein rassistisches und ungleiches System einfüge.
Strafrecht als Kulturrassismus?
Die Gesetzesinitiative ignoriere, so wird argumentiert, dass das Strafrecht ein Instrument zur Perpetuierung von Ungleichheit sei. Bereits der Diskurs über die Strafbarkeit verbaler sexueller Belästigungen zementiere einen historischen und aktuellen Kulturrassismus, da er offen für das Narrativ vom ausländischen Täter und deutschen Opfer sei. Diese Überlegungen gehen auf eine gerade im US-amerikanischen Raum verbreitete Strömung des anti-carceral feminismzurück, der das Strafrecht nicht als Mittel zur Durchsetzung feministischer Forderungen akzeptieren will.
Die unkritische Übernahme dieser Position vernachlässigt zunächst, dass Strafverfolgung und Strafvollstreckung in Deutschland nicht ansatzweise vor denselben Problemen stehen wie in den USA. Wir haben in Deutschland ein vergleichsweise mildes Strafniveau, es existiert keine Masseninhaftierung einzelner Bevölkerungsgruppen und der Gedanke der Resozialisierung leitet – nicht nur in der Theorie – die Vollzugsarbeit. Dies alles soll bestehende Schwächen und Herausforderungen nicht negieren; vieles kann und muss besser werden in Verfolgung und Vollzug. Die deutsche Strafgerichtsbarkeit aber pauschal als ein rassistisches Projekt zu beschreiben, ist eine realitätsferne Überzeichnung und eine ungerechte Abwertung der weit überwiegend sehr sensiblen Arbeit der Justiz. Auch die Tatsache, dass ausländische Personen in Kriminalitätsstatistiken gerade bei Sexualdelikten überrepräsentiert sind, ist nicht per se ein Anzeichen für strukturellen Rassismus; die höhere Kriminalitätsbelastung kann verschiedene Gründe haben – etwa stärkere soziale Benachteiligungen oder die unterschiedliche demografische Zusammensetzungen von Bevölkerungsgruppen. Auch wenn ausländische Täter häufiger angezeigt werden sollten als deutsche, ist die Strafverfolgung keine unzulässige Ungleichbehandlung. Ein Strafverfahren wegen eines sexuellen Übergriffs wird nicht deshalb zu einer Diskriminierung des Täters, weil möglicherweise vergleichbare Delikte anderer Personen nicht zur Anzeige gebracht wurden. Ein solcher Befund wäre ein Hinweis auf ein partielles Vollzugsdefizit – der Täter erleidet aber durch ein Verfahren, das durch seine Normverletzung ausgelöst wird, kein Unrecht.
Die Bewertung des Strafrechts als Instrument der Ungleichheit ist unterkomplex und einseitig. Sie übersieht die Bedeutung des Strafrechts für den gesellschaftlichen Frieden, für die Bestätigung grundlegender Verhaltensnormen sowie für die Belange von Opfern, die einen Anspruch darauf haben, dass der Staat gegen sie verübtes Unrecht als solches benennt und sanktioniert. Da diese Diskussion bereits eingehend geführt wurde (siehe Hoven, Von dunklen und hellen Seiten des Strafrechts – Für eine differenzierte Haltung der Strafrechtswissenschaft zur Kriminalpolitik, ZStW 2024; 136(3): 433–450), soll dieser Aspekt hier nicht weiter vertieft werden. Anzumerken ist lediglich, dass eine pauschale Ablehnung von Strafe letztlich keinen sinnvollen Beitrag zu konkreten rechtspolitischen Fragestellungen zu leisten vermag. Die Diskreditierung von Strafrecht und Strafjustiz als rassistisch und gleichheitsgefährdend müsste sich ihrer Logik nach unterschiedslos gegen jede Strafnorm richten und kann daher kein Maßstab für eine differenzierte Betrachtung einzelner Gesetzesvorhaben sein.
Und auch aus feministischer Perspektive ist dringend Widerspruch angezeigt. Denn es stellt sich die Frage, weshalb ausgerechnet Frauenrechte unter den generellen Schwächen des strafrechtlichen Systems zu leiden haben. Der strafrechtliche Schutz von Frauen ist historisch und strukturell unterentwickelt; die US-amerikanische Juristin Mary Anne Franks beobachtet, dass die Gesellschaft von Frauen erlebtes Unrecht nicht über-, sondern „unter-kriminalisiert“. Die Ahndung der Vergewaltigung in der Ehe als Sexualdelikt, der Tatbestand des sexuellen Übergriffs oder das Verbot des heimlichen Anfertigens von Nacktbildern – sie alle mussten politisch erkämpft werden, um das Recht von Frauen auf sexuelle Selbstbestimmung zu schützen. Nun aber sollen Frauen ihre Belange erneut zurückstellen – wegen genereller Probleme des Strafrechtssystems, deren Ursache sie nicht gesetzt haben. Besonders perfide erscheint es, dass hier zwei Gruppen mit legitimen Gleichheitsinteressen gegeneinander ausgespielt werden sollen: Der berechtigte Kampf gegen rassistische Diskriminierung wird auf dem Rücken von Frauen ausgetragen, die den Staat zur Wahrung ihrer Sexualautonomie in Anspruch nehmen wollen. Es existieren eine Vielzahl strafrechtlicher Normen, die Gegenstand einer Entkriminalisierung sein könnten – und die Ungleichheit weit erheblicher perpetuieren als Sexualdelikte (zu Vorschlägen siehe Hoven, Was macht Straftatbestände entbehrlich? – Plädoyer für eine Entrümpelung des StGB, ZStW 129 (2017), S. 334). Wer aber seine Kritik an der Reichweite des Strafrechts allein gegen neue Vorschriften richtet, der schreibt einen status quo fest, der auf einem traditionellen Bild von Schutzinteressen beruht, der die Belange unterrepräsentierter Gruppen, neue Einsichten, Phänomene und Risiken ausklammert. Clare McGlynn hat in ihrer sehr lesenswerten Antwort auf den anti-carceral feminism überzeugend dargelegt:
„Therefore, while the criminal law does already address some forms of harassment, the question becomes whether the current myopic coverage should remain, or whether an understanding that better reflects some women’s experiences is preferable. Therefore, while anti-carceral feminism is seeking to reduce harm and violence by disengaging with the state and criminal justice systems, it risks reifying the criminal law status quo, without opportunity for change or reform. It risks setting in stone historical, often highly stereotypical, assumptions about the nature and extent of sexual violence.”
Symbolik oder Überforderung?
Andere rechtspolitische Einwände schwanken zwischen zwei gegensätzlichen Polen. Teilweise wird geltend gemacht, dass es sich bei einem Straftatbestand der verbalen sexuellen Belästigung um reine Symbolik ohne tatsächlichen Anwendungsbereich handele. Gleichzeitig wird daran erinnert, dass die Strafjustiz bereits unter erheblichen Kapazitätsengpässen leide und mit einer neuen Strafvorschrift weiter überlastet werde. Die Aspekte schließen einander aus, ein Straftatbestand kann nicht gleichzeitig bedeutungslos und überfordernd sein. So oder so gilt: Dass Straftatbestände auch eine symbolische Wirkung entfalten, ist erst einmal wünschenswert. Durch eine strafrechtliche Sanktion wird über ein Verhalten ein sozialethisches Unwerturteil gefällt. Verbale sexuelle Belästigungen auf diese Weise als Unrecht zu markieren, kann sich langfristig positiv auf den Respekt vor der Sexualautonomie anderer auswirken. Auch Kapazitätsprobleme dürfen nicht einseitig zu Lasten neuer Straftatbestände in Stellung gebracht werden. Sollte sich eine Überlastung nicht durch Erweiterung von Ressourcen beheben lassen, muss grundlegend und unter Einbeziehung aller Strafvorschriften überlegt werden, wie die Aufgaben der Justiz sinnvoll zu priorisieren sind.
Rechtspolitisches Fazit
Ein Straftatbestand der verbalen sexuellen Belästigung würde Angriffe auf Ehre und Sexualautonomie von Frauen gerade im öffentlichen Raum sanktionieren (zum Schutzgut ausführlicher Hoven/Weigend, Sollen verbale sexuelle Belästigungen im öffentlichen Raum strafbar sein? – Ein Streitgespräch mit Thomas Weigend, Festschrift für Cornelius Prittwitz, 2023, S. 653). Eine solche Strafvorschrift wäre weder per se verfassungswidrig noch strafrechtsdogmatisch inkonsequent. Es bleibt eine vom Gesetzgeber zu treffende Entscheidung, wie er die Schutzinteressen von Frauen hier gewichtet. Andere Länder, etwa Spanien oder die Niederlande, kennen bereits eine entsprechende Strafbarkeit; Erfahrungen aus diesen Rechtsordnungen könnten und sollten für eine möglichst präzise und auf erhebliche Angriffe beschränkte Formulierung des Tatbestandes nutzbar gemacht werden.
Nach all dem bleibt ein realistischer Blick: Weder stellt die Einführung einer neuen Strafnorm eine Gefahr für den Rechtsstaat dar noch beendet sie Sexismus in der Gesellschaft. Sie kann ein Baustein sein im Schutz der Sexualautonomie von Frauen – nicht mehr und nicht weniger.