24 March 2025

Alternde Notare und gepflegtes Recht

Die Altersgrenze für Notare auf dem Prüfstand des Verfassungsrechts

Morgen verhandelt das Bundesverfassungsgericht über die Frage, ob die Altersgrenze für Notare verfassungsgemäß ist. Nach § 47 Nr. 2 Var. 1, § 48a BNotO erlischt das Amt eines Notars, sobald er die Altersgrenze von 70 Jahren erreicht hat. Gegen diese Altersgrenze wendet sich der Beschwerdeführer der morgigen Verhandlung mit seiner Verfassungsbeschwerde. Prüfungsmaßstab ist insbesondere die Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG. Während der Bundesgerichtshof die Verfassungskonformität der Altersgrenze für Notare kürzlich noch bejahte (BGH, Urt. v. 21.08.2023 – NotZ(Brfg) 4/22, NJW 2024, 288 Rn. 8), zeigt der folgende Beitrag, dass sich die Altersgrenze aus verfassungsrechtlicher Perspektive nicht halten lässt. Sie ist nicht nur unverhältnismäßig, da sie auch in Gerichtsbezirken gilt, in denen Notarstellen wegen eines Mangels an Bewerbern nicht besetzt werden können. Darüber hinaus beeinträchtigt die Altersgrenze auch die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, anstatt sie zu sichern. In Zeiten des Fachkräftemangels sollte der Gesetzgeber die Altersgrenze für Notare daher um eine Härtefallregelung ergänzen.

Hintergrund der Altersgrenze für Notare

Notare sind aus dem gesellschaftlichen Leben nicht hinwegzudenken. Als unabhängige Träger eines öffentlichen Amtes (§ 1 BNotO) beurkunden sie Rechtsvorgänge und erfüllen andere Aufgaben der vorsorgenden Rechtspflege. Hierunter fällt etwa die Beurkundung von Grundstückskaufverträgen, Ehe-, Erb- oder Gesellschaftsverträgen. Das Berufsbild des Notars unterscheidet sich je nach Bundesland: Während in einigen Bundesländern, etwa Bayern und Hamburg, hauptberufliche Notare tätig sind (sog. Nur-Notariat), wird der Notarberuf in anderen Bundesländern, z.B. Niedersachsen und Schleswig-Holstein, als Nebenberuf zum Beruf des Rechtsanwalts ausgeübt (sog. Anwaltsnotariat).

Seit 1991 gilt für alle Notare die Altersgrenze der § 47 Nr. 2 Var. 1, § 48a BNotO. Im Jahr 1992 hat das Bundesverfassungsgericht die Einführung der Altersgrenze als verfassungsgemäß angesehen (BVerfG, Beschl. v. 29.10.1992 – 1 BvR 1581/91, NJW 1993, 1575). Seitdem haben sich die tatsächlichen Rahmenbedingungen grundlegend gewandelt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.10.2023 – 1 BvR 1796/23, NVwZ 2024, 1251 Rn. 30). Im Anwaltsnotariat herrscht mittlerweile Fachkräftemangel. Auf zu vergebende Notarstellen gehen anders als im hauptberuflichen Notariat nicht genug Bewerbungen ein. So sind etwa in Teilen Schleswig-Holsteins, Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens zahlreiche Notarstellen unbesetzt (vgl. BGH, Urt. v. 21.08.2023 – NotZ(Brfg) 4/22, NJW 2024, 288 Rn. 27). Dies betrifft vor allem ländlich geprägte Gegenden. Die Altersgrenze für Notare unterscheidet aber nicht zwischen Regionen, in denen mehr Bewerber als Notarstellen vorhanden sind, und Regionen, in denen ein Bewerbermangel herrscht. Vor diesem Hintergrund begegnet die Altersgrenze für Notare durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.

Anwendbare Grundrechte

Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts ist in erster Linie die Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG. Zwar fällt die Altersgrenze für Notare in den Anwendungsbereich der EU-Richtlinie 2000/78 und des Diskriminierungsverbots nach Art. 21 Abs. 1 GRCh (vgl. BGH, Urt. v. 21.08.2023 – NotZ(Brfg) 4/22, NJW 2024, 288 Rn. 9). Die Altersgrenze ist aber nicht vollständig, sondern nur teilweise unionsrechtlich determiniert. Im teilweise unionsrechtlich harmonisierten Bereich prüft das Bundesverfassungsgericht staatliche Maßnahmen allein am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes (BVerfG, Beschl. v. 06.11.2019 – 1 BvR 16/13, BVerfGE 152, 152 Rn. 45 ff. – Recht auf Vergessen I).

Subjektive Berufswahlregelung

Die Altersgrenze für Notare ist eine subjektive Berufswahlregelung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.10.1992 – 1 BvR 1581/91, NJW 1993, 1575). Sie betrifft das „Ob“ der Berufstätigkeit, indem sie Notare daran hindert, ihren Beruf auszuüben, wenn sie ein gewisses Alter erreichen. Die Altersgrenze knüpft damit ein Kriterium an, das in der Sphäre des Grundrechtsträgers liegt. Eine subjektive Berufswahlregelung ist nach der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Drei-Stufen-Lehre „nur gerechtfertigt, wenn dadurch ein überragendes Gemeinschaftsgut, das der Freiheit des Einzelnen vorgeht, geschützt werden soll“ (BVerfG, Beschl. v. 18.11.1980 – 1 BvR 228, 311/73, BVerfGE 55, 185, 196).

Weiter gesetzgeberischer Gestaltungsspielraum

Zunächst ist zu beachten, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Notarberufs über einen weiten Gestaltungsspielraum verfügt. Denn der Notar übt einen sog. staatlich gebundenen Beruf aus (BVerfG, Beschl. v. 05.05.1964 – 1 BvL 8/62, BVerfGE 17, 371, 377 ff.; BVerfG, Beschl. v. 18.06.1986 – 1 BvR 787/80, BVerfGE 73, 280, 292). Die zuständige staatliche Körperschaft setzt die Zahl der Notarstellen in Ausübung ihrer Organisationsgewalt fest (BVerfG, Beschl. v. 18.06.1986 – 1 BvR 787/80, BVerfGE 73, 280, 292). Allerdings ist der Spielraum des Gesetzgebers im Lichte von Art. 12 Abs. 1 GG nicht grenzenlos. So muss die Altersgrenze für Notare verhältnismäßig, also zum Schutz eines überragenden Gemeinschaftsgutes geeignet, erforderlich und angemessen, sein.

Funktionsfähigkeit der Rechtspflege als überragendes Gemeinschaftsgut

Die Altersgrenze soll nach der Gesetzesbegründung eine geordnete Altersstruktur sowie den Zugang junger Bewerber zum Notarberuf gewährleisten. Sie verfolgt also das Ziel, die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege zu sichern (vgl. BT-Drs. 11/8307, S. 17 f.; BVerfG, Beschl. v. 29.10.1992 – 1 BvR 1581/91, NJW 1993, 1575). Hierbei handelt es sich um ein überragendes Gemeinschaftsgut, das im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und den Grundrechten (Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 GG) wurzelt.

Hingegen dient die Altersgrenze nicht dem Schutz der Allgemeinheit vor altersbedingt nicht mehr leistungsfähigen Notaren. Dieser Schutz wird vollumfänglich durch § 50 Abs. 1 Nr. 7 BNotO gewährleistet, der bestimmt, dass ein Notar seines Amtes zu entheben ist, wenn er aus gesundheitlichen Gründen nicht nur vorübergehend unfähig ist, sein Amt ordnungsgemäß auszuüben. Es gibt keinen generellen Erfahrungssatz des Inhalts, dass ein Notar mit Vollendung des 70. Lebensjahres altersbedingt nicht mehr leistungsfähig wäre. Folglich ist die Altersgrenze allein an dem Zweck der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege zu messen.

Mit Blick auf das Ziel, eine geordnete Altersstruktur sowie den Zugang junger Bewerber zum Notarberuf zu sichern, ist die Altersgrenze für Notare auch geeignet und erforderlich. Da die Zahl der Notarstellen in einem bestimmten Gerichtsbezirk gesetzlich beschränkt ist (vgl. § 4 BNotO), können Nachwuchsjuristen sich nur um freiwerdende Notarstellen bewerben. Die gesetzliche Begrenzung der Notarstellen dient dem Ziel, eine ruinöse Konkurrenz zwischen Notaren zu verhindern und die ordnungsgemäße Ausübung des Notarberufs im Interesse einer funktionsfähigen Rechtspflege sicherzustellen. Insoweit entspricht die Altersgrenze dem Prinzip der Generationengerechtigkeit: Lebensältere Notare sind vor Konkurrenz durch junge Bewerber geschützt, müssen aber zugleich mit Vollendung des 70. Lebensjahres ihr Amt aufgeben, um eine freie Stelle für junge Bewerber zu schaffen.

Unangemessenheit der Altersgrenze wegen fehlender Härtefallregelung

Zweifel bestehen allerdings an der Angemessenheit der Altersgrenze. Die Altersgrenze gilt für sämtliche Notare, die das 70. Lebensjahr vollenden. Sie unterscheidet nicht zwischen Gerichtsbezirken, in denen mehr Bewerber als Notarstellen vorhanden sind, und solchen, in denen ein Bewerbermangel herrscht. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist eine solche Differenzierung geboten: In Regionen, in denen Notarstellen wegen des Fachkräftemangels unbesetzt bleiben, kann die Altersgrenze ihren Zweck von vornherein nicht erreichen. Übersteigt die Zahl der freien Notarstellen die Zahl der Bewerber, lassen sich eine geordnete Altersstruktur sowie der Zugang junger Bewerber zum Notarberuf auch ohne eine starre Altersgrenze sichern.

Nicht überzeugend ist dagegen die Ansicht des Bundesgerichtshofs, wonach die Altersgrenze auch in Gebieten mit Bewerbermangel verhältnismäßig ist. Demnach wird die Funktion der Altersgrenze, die Berufschancen zwischen den Generationen zu verteilen, dadurch erfüllt, dass das Urkunden- und Gebührenaufkommen eines lebensälteren Notars auf die jüngeren Notare übergeht, wenn der lebensältere Notar aus dem Notariat ausscheidet. Blieben lebensältere Notare mit gut eingeführten Notariaten und einem großen Stamm an Urkundsbeteiligten ohne Altersgrenze im Amt, hätten jüngere Rechtsanwälte keine hinreichende Aussicht auf wirtschaftlich leistungsfähige Notariate (BGH, Urt. v. 21.08.2023 – NotZ(Brfg) 4/22, NJW 2024, 288 Rn. 40).

Die Zahl der für einen Gerichtsbezirk ausgeschriebenen Notarstellen wird allerdings nach Bedarfskriterien bestimmt (vgl. § 4 Satz 1, Satz 2 BNotO). Je mehr freie Notarstellen in einem Gerichtsbezirk vorhanden sind, desto größer sind die wirtschaftlichen Erfolgschancen für jüngere Anwaltsnotare. Darüber hinaus ist die Altersgrenze für Notare untrennbar mit der gesetzlichen Begrenzung der Notarstellen verknüpft: Nach § 4 Satz 1 BNotO werden so viele Notare bestellt, wie es den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege entspricht. Weil die Zahl der Notarstellen begrenzt ist, darf der Staat für das Amt des Notars eine Altersgrenze vorsehen. Er muss sich aber an den von ihm selbst geschaffenen Bedarfskriterien festhalten lassen. Sind in einem bestimmten Gerichtsbezirk mehr freie Notarstellen als Bewerber vorhanden, so sind die mit der Altersgrenze verfolgten Zwecke von geringem Gewicht.

Umgekehrt wiegen die gegen eine starre Altersgrenze streitenden Belange in Gebieten mit Bewerbermangel besonders schwer. Dabei ist zum einen das Gewicht der Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG zu berücksichtigen: Notare an der weiteren Berufsausübung zu hindern, ist ein schwerwiegenden Grundrechtseingriff. Das Alter ist ein Kriterium, das der Grundrechtsträger nicht beeinflussen kann; die Altersgrenze gilt unabhängig von Eignung, Befähigung und Leistung. Zum anderen sprechen öffentliche Belange gegen eine starre Altersgrenze: In Gebieten, in denen Notarstellen unbesetzt bleiben, besteht ohnehin schon ein Mangel an Notaren. Müssen Notare mit Vollendung des 70. Lebensjahres ihr Amt aufgeben, verschärft dies den Fachkräftemangel. Die Altersgrenze wirkt zulasten der Rechtsuchenden, die auf die bedarfsgerechte Versorgung mit notariellen Leistungen angewiesen sind (vgl. § 4 Satz 2 BNotO). Damit beeinträchtigt die Altersgrenze die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, anstatt sie zu sichern.

Die Altersgrenze für von Bewerbermangel geprägte Regionen zu lockern, dient damit sowohl der Berufsfreiheit der betroffenen Notare als auch dem öffentlichen Interesse an einem hinreichenden Angebot notarieller Leistungen. Nutznießer wären vor allem die Menschen im ländlichen Raum. Lebensältere Notare, die ihr Amt freiwillig über die Vollendung des 70. Lebensjahres hinaus ausüben, könnten den Fachkräftemangel im Notariat zumindest partiell lindern. Zudem läge in der Aussicht, den Notarberuf länger ausüben zu können, ein Anreiz für junge Bewerber, eine Notarstelle in einer von Bewerbermangel geprägten Region zu übernehmen. Solange in einem Gerichtsbezirk noch unbesetzte Notarstellen vorhanden sind, trägt eine Ausnahme von der Altersgrenze dazu bei, eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit notariellen Leistungen sicherzustellen (vgl. § 4 Satz 2 BNotO).

Der Gesetzgeber ist somit verfassungsrechtlich verpflichtet, die Altersgrenze für Notare mit einer Härtefallregelung zu versehen. Liegen im Einzelfall besondere Umstände vor, die eine Ausnahme von der Altersgrenze rechtfertigen, sollte ein Notar bei der Aufsichtsbehörde eine Verlängerung seiner Amtszeit über das 70. Lebensjahr hinaus beantragen können. Hierbei ist zwischen den für und gegen eine Verlängerung streitenden Belangen abzuwägen. Besonderes Gewicht kommt insoweit der Zahl der freien Notarstellen in einem bestimmten Gerichtsbezirk zu. Je mehr Notarstellen in einem Gerichtsbezirk unbesetzt sind, desto eher lässt sich eine Ausnahme von der Altersgrenze rechtfertigen. Darüber hinaus sind individuelle Umstände, etwa besondere wirtschaftliche Härten für den betroffenen Notar, zu berücksichtigen. So sollte ein Anwaltsnotar seine Tätigkeit nach Erreichen der Altersgrenze vorübergehend weiterführen können, bis ein Nachfolger für seine Notarstelle gefunden ist (vgl. Fischer, AnwBl Online 2023, 472, 473).

Fazit

Die Altersgrenze für Notare gibt dem Bundesverfassungsgericht die Gelegenheit, ein Grundsatzurteil zur Verfassungsmäßigkeit von Altersgrenzen in Zeiten des Fachkräftemangels zu fällen. Der Schutzbereich der Berufsfreiheit umfasst das Recht eines jeden Menschen, Anfang und Ende seiner Berufstätigkeit selbst zu bestimmen. Dieses Recht kann der Gesetzgeber durch Altersgrenzen einschränken. Gerade bei staatlich gebundenen Berufen wie dem Notarberuf kommt dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Altersgrenzen müssen aber verhältnismäßig sein. Diesen Anforderungen genügt die starre Altersgrenze für Notare nicht. In ihrer geltenden Fassung ist die Altersgrenze unangemessen, da sie auch in Gerichtsbezirken gilt, in denen Notarstellen wegen des Bewerbermangels nicht besetzt werden können. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die Altersgrenze für Notare mit einer Härtefallregelung zu versehen. Werden die § 47 Nr. 2 Var. 1, § 48a BNotO um eine Härtefallregelung ergänzt, sind sie mit den Anforderungen der Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar.


SUGGESTED CITATION  Meyer, Simon Diethelm: Alternde Notare und gepflegtes Recht: Die Altersgrenze für Notare auf dem Prüfstand des Verfassungsrechts, VerfBlog, 2025/3/24, https://verfassungsblog.de/altersgrenze-notare-berufsfreiheit/, DOI: 10.59704/2320cde079ca1e13.

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