Arbeitskampfrecht: Karlsruhe und Straßburg wollen sich nicht einmischen
Die Rolle des Staates im Arbeitskampf kann man vielleicht mit dem Veranstalter eines Boxkampfs vergleichen: Er legt die Regeln fest, misst und überwacht das Kampfgewicht und stellt den Ringrichter. Er geht auch dazwischen, wenn eine Seite plötzlich eine Eisenstange rausholt. Aber ansonsten hält er sich aus dem Kampf raus. Wenn eine Seite zu Boden zu gehen droht, weil die andere dauernd ihre Deckung durchbricht, darf sie nicht auf seine Hilfe zählen. Auch wenn es noch so wehtut.
In dieser Weise hat sich jetzt auch das Bundesverfassungsgericht im Streit um gewerkschaftliche “Flashmob”-Aktionen positioniert.
Die Gewerkschaft Verdi hatte 2007 in einem Einzelhandels-Streik Mitglieder und Anhänger dazu aufgerufen, Läden der bestreikten Kette einen Besuch abzustatten: sich mit Einkäufen im Cent-Bereich in die Schlange zu stellen, Einkaufswägen mit (nicht verderblicher) Ware vollzuladen und irgendwo stehen zu lassen – kurz: den Betrieb lahmzulegen und dafür zu sorgen, dass trotz dem Einsatz von Leih- und anderen nicht organisierten Arbeitern in diesen Läden nichts mehr läuft.
Das Bundesarbeitsgericht hatte diese Arbeitskampfmethode 2009 zur schäumenden Wut der Arbeitgeber als grundsätzlich zulässig erklärt.
Dagegen zogen die Arbeitgeber nach Karlsruhe: Solche Aktionen seien mit Blockaden vergleichbar, machten Arbeitskämpfe unkontrollierbar und unkalkulierbar und verschöben das Kräftegleichgewicht im Arbeitskampf in einer Art und Weise, die die Koalitionsfreiheit aus Art. 9 III GG verletze.
Das kann die 3. Kammer des Ersten Senats nicht erkennen. Die Koalitionsfreiheit schütze mitnichten nur das Recht, die klassischen Arbeitskampfmittel – Streik und Aussperrung – einzusetzen. Wenn eine Gewerkschaft so kreativ ist, ihren Arbeitskampf mit einem solchen Flashmob zu unterstützen, dann mache sie damit ihrerseits von ihrer Koalitionsfreiheit Gebrauch. Dass das BAG nicht eingeschritten ist, sei daher vollkommen in Ordnung.
Ein schwacher Trost für die Arbeitgeber ist vielleicht, dass ein anderes Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg für ihre Seite ausgegangen ist, oder jedenfalls für ihre britischen Kollegen. Es ging dabei um Sympathiestreiks – die Gewerkschaft bestreikt ein anderes Unternehmen, z.B. einen Lieferanten, um Druck auf den Arbeitskampfgegner auszuüben. Das ist (anders als in Deutschland) in Großbritannien seit der Thatcher-Ära gesetzlich verboten.
Der EGMR hat hier nun seinerseits (wenn auch auf einer ganz anderen Ebene) keine Lust verspürt, sich einzumischen: Hier habe der nationale Gesetzgeber einen weiten Beurteilungsspielraum, zumal das Verbot seit 20 Jahren gelte und drei verschiedene Regierungen überlebt habe.