19 May 2014

Auch schlechte Eltern sind Eltern

Nicht jeder hat das Glück, von perfekten, margarinewerbungs-stahlenden Eltern großgezogen zu werden. Mancher hat eine psychisch labile Mutter, andere einen alkoholkranken Vater, oder sogar beides zusammen, und dann streiten die beiden auch noch den ganzen Tag. Wem dieses Schicksal zuteil wird, der wird womöglich mal viel Zeit und Geld für Psychoanalysestunden aufwenden müssen.

Ist das ein Schicksal, vor dem die staatliche Fürsorge uns um jeden Preis bewahren muss? Das ist es nicht.

Das Bundesverfassungsgericht hat heute eine Handvoll Kammerbeschlüsse verkündet, die hier ein paar Dinge klarstellen: Wenn der Staat den Eltern das Sorgerecht entzieht, und sei es auch nur vorläufig, und ihre Kinder ins Heim steckt, dann ist das ein schwerer und in der Regel irreversibler Eingriff sowohl in das Recht der Eltern, ihre Kinder zu erziehen, als auch in das der Kinder, nicht von ihren Eltern getrennt zu werden.

Auch im Eilverfahren komme daher ein Entzug des Sorgerechts nur in Betracht, wenn es um massive und gegenwärtige Gefährdungen für das Kind geht: wenn es geschlagen wird, missbraucht oder auf gefährliche Weise vernachlässigt. Die bloße Tatsache dagegen, dass das Kind Auffälligkeiten zeigt, im Kindergarten schwierig wird, leicht weint und schnell erschreckt – mit anderen Worten: dass das Kind unter den Problemen seiner Eltern leidet – , reicht noch nicht.

Die Fälle, um die es in den Entscheidungen geht, sind für mich als Vater eine schwer auszuhaltende Lektüre.

Ich habe da keine eigenen Einblicke und bin daher dankbar für Korrektur, falls ich mich irre. Aber kann es sein, dass man als zuständiger Jugendamts-Mitarbeiter bzw. Richter geradezu blöd wäre, wenn man sich entscheidet, ein Kind erst mal bei den Eltern zu lassen? Wenn man das tut und sich das hinterher als Fehler herausstellt, hat man die Bildzeitung am Hals, wenn nicht gar den Staatsanwalt. Wenn man dagegen anders entscheidet, kann einem nicht viel passieren, außer dass man halt in Karlsruhe aufgehoben wird. Keiner will schuld sein am nächsten Fall Kevin, und das kann den Leuten wahrhaftig niemand verdenken.

Diese Situation assymetrischer Entscheidungsanreize würde auch erklären, warum das BVerfG in diesen Fällen die Entscheidungen der Instanzgerichte so viel engmaschiger kontrolliert als sonst.


SUGGESTED CITATION  Steinbeis, Maximilian: Auch schlechte Eltern sind Eltern, VerfBlog, 2014/5/19, https://verfassungsblog.de/auch-schlechte-eltern-sind-eltern/.

8 Comments

  1. Gast Mon 19 May 2014 at 23:06 - Reply

    Und die Damen und die Herren am grünen Tisch in Karlsruhe denken, “umbringen werden sie es ja wohl nicht, und an allem anderen ist eben das Grundgesetz schuld”. Dem ist aber nicht so – wie Elternrecht und Wächteramt auszutarieren sind, gibt nicht das Grundgesetz vor, sondern das BVerfG, und diese Vorgabe kann man nur als zynisch und verantwortungslos bezeichnen (und natürlich als Schlag ins Gesicht all derer, die sich an der Basis und im Kontakt mit den Betroffenen Tag für Tag um das Kindeswohl verdient machen).

  2. Matthias Mon 19 May 2014 at 23:46 - Reply

    Die Zeit, in der ich 1631b-BGB-Beschlüsse verantworten musste, habe ich schlecht geschlafen. Egal wie die Entscheidungen ausfielen…

  3. Aufmerksamer Leser Tue 20 May 2014 at 10:45 - Reply

    @Max: Es heißt zwar “Assi”, aber man schreibt “asymmetrisch” trotzdem nur mit einem “s”…

  4. Maximilian Steinbeis Tue 20 May 2014 at 11:09 - Reply

    @AL Ein guter Schlussredakteur erkennt stets auch den freudianischen Assoziationshintergrund (Asoziationshintergrund?) hinter einem Verschreiber. Gratuliere. Wenn wir den Posten eines Tages mal besetzen, denke ich an Sie.

  5. Einfach ich Wed 21 May 2014 at 20:46 - Reply

    Ich kann dem Schreiber nur beipflichten. Lieber werde ich vom Gericht zusammengefaltet, als meinen Job und meine Zukunft zu verlieren. Objektiv ist man gegen das Jugendamt nicht. Wir dürfen keine Fehler machen und es wird so getan, als würden wir die Kinder misshandeln und umbringen. Selbst wenn die Gerichte fehl entscheiden, wird die Verantwortung auf uns geschoben. Gerade so, als würden wir die Kinder schlagen, misshandeln… ich wünschte mir für die Zukunft mehr Objektivität und Journalisten, die uns mal objektiv bei der Arbeit begleiten. Es ist psychisch ein Knochenjob, ohne feste Arbeitszeiten und reich wird man davon nicht (mit der Verantwortung des Wächteramtes ist man im TVÖD SUE – S14 eingestuft).

  6. demokratischer Bürger Tue 27 May 2014 at 21:25 - Reply

    1.) Es gehört nicht zur Ausübung des Wächteramts des Staates, gegen den Willen der Eltern für eine bestmögliche Förderung der Fähigkeiten des Kindes zu sorgen.
    Dies hatten wir in der DDR und in der dunkelsten Zeit deutscher Geschichte. Kinder zur Förderung in die FDJ oder HJ zu stecken. Wenn die Eltern dagegen waren hat man diese Verhaftet, oder die Kinder zur Zwangsadoption freigegeben um die Eltern wieder Linientreu zu machen. Ggf hat man die ganze Familie in Sippenhaft genommen.
    Aus diesen Zeiten hat man zum Glück gelernt und die die primäre Entscheidungszuständigkeit von Eltern zur Förderung ihres Kindes anerkannt.
    Das Bundesverfassungsgericht ist somit der Garant für unsere demokratische Rechtsstaatlichkeit. Eigentlich sollten dies schon die Fachgerichte sein, doch wie man sieht haben die es nicht nötig Antragsschiftsätze von Jugendämtern zu überprüfen. Zu Recht sind diese zwei Entscheidungen als Verfassungswidrig aufgehoben worden.
    2.) Die vom Amtsgericht und vom Oberlandesgericht angeführten Gründe dafür, warum von einer Bestellung der Verwandten als Ergänzungspfleger abzusehen sei, begegnen teilweise erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das gilt
    etwa für die Erwägung, das Mädchen habe sich gerade in ihrerneuen Umgebung eingewöhnt und ein erneuter Aufenthaltswechsel belaste das Kind.
    Eben.. ein Strafgefangener der seine Strafe verbüßt hat, darf anschließend nicht wieder in Freiheit entlassen werden, weil er sich im Gefängnis so gut eingelebt hat. Oder eine entführte Frau die von Ihrem Peiniger im Keller gefangen gehalten wird, darf auch nicht wieder in Freiheit leben, weil es Ihr im Keller so gut gefallen hat und ein Aufenthaltwechsel eine Belastung ist.
    Die erheblichen Verfassungsrechtlichen Bedenken sind mehr als begründet, und weiterhin ein Beleg dafür, das die Verfassungsrichter die Freiheit als höheres Gut einschätzen, als eine Zwangsheimunterbringung eines 3 jährigen Kindes.

  7. jasmin Sat 9 Aug 2014 at 17:52 - Reply

    respekt vor ihrer arbeit,
    und mögen alle Oliver Twists und Pippi Langstrumpfs dieser welt
    ihre Freiheit behalten und nur wirklich mit Liebe gedachte Seelen
    das Licht dieser Erde erblicken.

    in peace and freedom for all abused children of this world
    and may adults better think before they act.

    rest inpeace
    jasmin

  8. britta khokhar Sun 14 Jun 2015 at 15:55 - Reply

    es ist ganz normal in meinen augen das ein kind mal schelchte launen hat und mal ncihts essen möchte da braucht man nicht gleich da juegndamt rufen aber die erzieherinnen können mal nachfrgaen ob sich die eltern vielleicht getrennt haben von der mutter womöglich entführt oder vom vater aber in den meisten fällen von der mutter ob er keinen kontakt zu seinen großeltern hat usw

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SUGGESTED CITATION  Steinbeis, Maximilian: Bad Parents are Parents, too, VerfBlog, 2014/5/19, https://verfassungsblog.de/auch-schlechte-eltern-sind-eltern/, DOI: 10.17176/20170728-122839.

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