11 February 2025

Merz im (europäischen) Trend?

Die Ausbürgerung von kriminellen Doppelstaatlern im Rechtsvergleich

Mit seinem Vorschlag, kriminelle Doppelstaatler auszubürgern, hat Kanzlerkandidat Friedrich Merz jüngst für einigen Wirbel gesorgt. Die in seinem Interview mit der „Welt am Sonntag“ aufgebrachte Idee, straffällig gewordenen Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit die deutsche Staatsangehörigkeit abzuerkennen, wurde schnell als verfassungswidrig kritisiert und vor einer „Zweiklassengesellschaft“ von Deutschen mit und ohne zweiten Pass gewarnt. Die Idee war zwar nicht Teil des umstrittenen Migrationsbeschlusses vom 29. Januar, steht jedoch weiterhin im Raum: Mittlerweile hat sie es in das offizielle Wahlprogramm der CDU/CSU geschafft. Eine weit gefasste Regelung, nach der auch Mord, Vergewaltigung oder gar allgemein wiederholt begangene Straftaten zu einem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit führen, würde zwar Deutschlands völkerrechtliche Verpflichtungen verletzen. Mit einer enger gefassten Ausbürgerungsregel – etwa für nur bestimmte staatsgefährdende Straftaten – stünde Deutschland allerdings in Europa durchaus nicht alleine da.

Verlust der Staatsangehörigkeit de lege lata

Merz und die Union bewegen sich damit weiter auf einem Weg, der 2019 erstmals beschritten wurde, als das Dritte Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes einen zusätzlichen Verlusttatbestand für Terrorkämpfer im Ausland einführte (§ 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG). Schon damals warnten Kritiker, es könne sich um einen „Dammbruch“ dafür handeln, das Staatsangehörigkeitsrecht als Sanktionsinstrument zu instrumentalisieren. Das Argument der Befürworter lautete damals, der Kampf für eine terroristische Vereinigung mit „Staatsanspruch“ stelle eine ähnlich schwerwiegende Abkehr vom deutschen Staat und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung dar, wie der Kampf für ein fremdes Militär (§ 28 Abs. 1 Nr. 1 StAG). Allerdings wurde das für diese Argumentation so zentrale Erfordernis des „Staatsanspruches“, das im ursprünglichen Gesetzesentwurf enthalten war, im Laufe des Gesetzgebungsverfahren schnell und beiläufig wieder aufgegeben – stand also doch eher der Sanktionsgedanke im Vordergrund?

Ein Trend zu mehr Ausbürgerungen

Deutschland steht mit seinen Plänen zur Ausweitung der Ausbürgerungsmöglichkeiten in Europa bei Weitem nicht alleine da. Im letzten Jahrzehnt haben neben Deutschland auch beispielsweise Österreich, die Niederlande, Finnland und Estland neue Tatbestände zur Aberkennung ihrer Staatsangehörigkeiten eingeführt. Erst Anfang Januar 2025 hat die Schwedische Regierung dem Parlament einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet – etwa bei Betrug oder falschen Angaben bei der Einbürgerung, aber auch zur Bekämpfung von systematischer Kriminalität, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder anderer schwerer Straftaten.

Das Staatsangehörigkeitsrecht wird im Völkerrecht traditionellerweise als Kernbereich staatlicher Souveränität eingeordnet, der Staat kann die Zusammensetzung seines Staatsvolkes grundsätzlich frei bestimmen. Es ist daher nicht überraschend, dass die europäischen Staaten unterschiedlichste Regelungen zum Verlust ihrer jeweiligen Staatsangehörigkeit gefunden haben. Dennoch scheint in einigen Punkten grundsätzlich Einigkeit zu bestehen, vor allem darin, dass Ausbürgerungen nur in mehr oder weniger begrenzten Fällen möglich sein sollen. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Vermeidung von Staatenlosigkeit, aber auch z.B. dahingehend, dass strafrechtliche Verfehlungen ohne Weiteres nicht zur Aberkennung der Staatsangehörigkeit führen sollen.

In Schweden z.B. hatte es die Minderheitsregierung unter anderem auf kriminelle Gangs abgesehen – diesen Teil hat der Parlamentsausschuss, der die Reformvorschläge untersucht hat, jedoch gerade nicht in seine Empfehlung übernommen. Im Übrigen ist die Ausgangssituation in Schweden völlig anders als in Deutschland: Schweden lässt bisher nur in eng begrenzten Fällen den Verlust der Staatsangehörigkeit zu, nämlich wenn ein schwedischer Staatsangehöriger bis zu seinem 22. Geburtstag nie in Schweden gelebt hat. Eine auf betrügerischen oder falschen Angaben beruhende Einbürgerung etwa kann bisher nicht zurückgenommen werden. Das ist in Deutschland längst möglich.

Der Umgang europäischer Nachbarstaaten mit straffälligen Staatsbürgern

In Europa sehen einige Staaten ausdrücklich die Ausbürgerung nach strafrechtlichen Verurteilungen vor. Dazu gehören beispielsweise Österreich, Belgien, Bosnien, Bulgarien, Zypern, Dänemark, Frankreich, Litauen, Malta, Montenegro, die Niederlande, Norwegen, Slowenien und die Türkei. In den allermeisten dieser Staaten beschränkt sich diese Möglichkeit allerdings auf einige wenige einzeln aufgezählte Straftatbestände gegen die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung.

Dänemark ordnet in § 8 B Lov om Dansk Infødsret an, dass Personen, die wegen einer Straftat verurteilt werden, die den wesentlichen Interessen des Staates ernsthaft schadet, die dänische Staatsbürgerschaft entzogen wird, es sei denn, dies würde den internationalen Verpflichtungen Dänemarks zuwiderlaufen. Damit hat Dänemark im Jahr 2022 den vorigen Ausbürgerungstatbestand erheblich ausgeweitet. Zuvor war eine Verurteilung konkret wegen Straftaten aus den Kapiteln 12 (Verbrechen gegen die staatliche Souveränität und Sicherheit) und 13 (Straftaten gegen die Verfassung und die obersten Staatsorgane, Terrorismus, usw.) des Strafgesetzbuchs notwendig.

In Österreich kann einem Staatsbürger die Staatsbürgerschaft u.a. entzogen werden, wenn er wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung nach den §§ 278b, 278c, 278d, 278e, 278f, 278g oder 282a Ö-StGB zu einer Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden ist, sofern er dadurch nicht staatenlos wird (§ 33 Abs. 3 Ö-StbG). Bei den aufgezählten Normen handelt es sich um Straftatbestände im Zusammenhang mit Terrorismus.

Ähnlich ist die Regelung in Frankreich (Art. 25 Code civil): Dort kann eingebürgerten Staatsbürgern die Staatsangehörigkeit entzogen werden, wenn eine Person wegen einer Handlung verurteilt wird, die als Verbrechen oder Vergehen eingestuft wird, das einen Angriff auf die grundlegenden Interessen der Nation darstellt, oder wegen eines Verbrechens oder Vergehens, das einen Terrorakt darstellt. Außerdem nimmt Frankreich noch Straftaten gegen öffentliche Einrichtungen oder öffentliche Bedienstete in diesen Katalog auf.

Die Niederlande entziehen ihre Staatsangehörigkeit Personen, die u.a. wegen Verbrechen gegen die Staatssicherheit, die Würde des Könighauses, gegen ausländische Staatsoberhäupter, oder wegen terroristischer Verbrechen verurteilt wurden, wenn diese Verbrechen mit mindestens 8 Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind (Art. 14 Rijkswet op het Nederlanderschap).

Einige Länder, darunter die Niederlande und Montenegro (Art. 24 Nr. 4 Zakon O Crnogorskom Državljanstvu), ordnen die Ausbürgerung außerdem für Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht, also Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen an. So auch Norwegen, das allerdings den Staatsangehörigkeitsentzug nach einer Verurteilung für völkerstrafrechtliche Verbrechen sowie für Straftaten gegen Norwegens nationale Interessen und Terrorismus dann ausschließt, wenn dies einen unverhältnismäßigen Eingriff für die betroffene Person oder deren Familienmitglieder darstellt (§ 26a statsborgerloven). Außerdem müssen die betreffenden Straftaten mit mindestens sechs Jahren Freiheitsstrafe bedroht sein und den wesentlichen Interessen Norwegens ernsthaft schaden.

Auch in der Türkei ist die Ausbürgerung nur für Straftaten gegen die staatliche Sicherheit oder die verfassungsmäßige Ordnung möglich, vorausgesetzt, dass die betreffende Person sich im Ausland aufhält (Art. 29 Türk Vatandaşliği Kanunu). Im Fall von entsprechenden strafrechtlichen Ermittlungen in diese Richtung wird eine Aufforderung zur Rückkehr binnen drei Monaten ausgesprochen, nach deren Ablauf die Ausbürgerung möglich ist.

Das Vereinigte Königreich arbeitet mit der sehr weit gefassten Generalklausel des Art. 40 des British Nationality Act:

„The Secretary of State may by order deprive a person of a citizenship status if the Secretary of State is satisfied that deprivation is conducive to the public good.”

Nach den Richtlinien des Home Office fallen darunter z.B. Verhaltensweisen, die die nationale Sicherheit gefährden, organisierte Kriminalität, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.

Ausreißer Malta, Zypern und Belgien?

Nur eine Handvoll europäischer Staaten beschränkt sich bei der Ausbürgerung von Straftätern nicht auf derartige „schwerste“ Straftaten gegen die nationalen Interessen.

In Malta beispielsweise, wo die Einbürgerungsvorschriften im europäischen Vergleich sehr großzügig sind (siehe nur das Maltesische sog. Citizenship by Investment“-Programm), ist entsprechend auch die Ausbürgerung erleichtert: Innerhalb von sieben Jahren nach einer Einbürgerung bleibt es möglich, die Staatsangehörigkeit wieder zu verlieren, wenn die betreffende Person in irgendeinem Land zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 12 Monaten verurteilt wurde (Art. 14 Abs. 2 Maltese Citizenship Act).

Auch Zypern erlaubt den Staatsangehörigkeitsentzug für eingebürgerte Personen, die innerhalb von zehn Jahren nach der Einbürgerung in irgendeinem Land wegen einer mit mindestens fünf Jahren Freiheitsstrafe bedrohten „schweren Straftat“, oder wegen eines unehrenhaften oder sittlich anstößigen Vergehens verurteilt wurde (Art. 113 des Zypriotischen Staatsangehörigkeitsgesetzes). Auch genügt hier bereits die Verfolgung durch Europol oder Interpol wegen eines solchen Vergehens.

Belgien schränkt den dort geltenden Verlusttatbestand schließlich dahingehend ein, dass neben bestimmten aufgezählten Straftatbeständen (z.B. Verbrechen gegen die Staatssicherheit, Menschenhandel oder Straftaten im Zusammenhang mit biologischen oder Nuklearwaffen) ganz allgemein die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren zum Entzug der Staatsangehörigkeit durch einen Richter führt, vorausgesetzt, dass die Tatbegehung offensichtlich durch den Besitz der belgischen Staatsangehörigkeit erleichtert wurde (Art. 22 §1er Code de la nationalité belge). Auch dies gilt jedoch nur innerhalb von fünf Jahren nach einer Einbürgerung.

EÜStA und EMRK

Diese drei Staaten sind allerdings – im Gegensatz zu Deutschland – auch keine Parteien des Europäischen Übereinkommens über die Staatsangehörigkeit (EÜStA), welches innerhalb seines Geltungsbereichs deutliche Grenzen für die einzelstaatliche Gestaltungsfreiheit für Verlusttatbestände setzt. In Art. 7 EÜStA sind abschließend die Fälle geregelt, in denen das innerstaatliche Recht den Verlust der Staatsangehörigkeit vorsehen darf. In lit. d) ist ein „Verhalten, das den wesentlichen Interessen des Vertragsstaats in schwerwiegender Weise abträglich ist“, genannt. Darunter versteht das Abkommen ausweislich des Erläuternden Berichts z.B. Hochverrat oder die Arbeit für einen fremden Geheimdienst. Dagegen sollen Straftaten allgemeiner Art, wie schwerwiegend sie auch sein mögen, ausdrücklich nicht zu den zulässigen Verlustgründen zählen (siehe S. 11 des Erläuternden Berichts). Wie an den obigen Beispielen erkennbar, entspricht das auch der deutlich überwiegenden Praxis der europäischen Staaten.

Das entspricht auch der Funktion der Staatsangehörigkeit – die „verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit“ zu einem Staatsvolk bürdet dem Staat auch eine gewisse Verantwortung über seine Bürger auf. Dazu gehört auch, dass straffällig gewordene Staatsbürger im Rahmen des staatlichen Gewaltmonopols verfolgt und dann auch bestraft werden – und nicht lediglich als unerwünschte Teile der Gesellschaft an einen anderen Staat „abgeschoben“, weil sie zufällig auch eine andere Staatsangehörigkeit besitzen.

Die Slowakei schließt z.B. eine freiwillige Ausbürgerung sogar ausdrücklich aus, wenn der oder die Betroffene strafrechtlich verfolgt wird oder eine Freiheitsstrafe noch nicht vollständig vollstreckt ist.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Hinweis, dass das in Art. 3 Abs. 1 des Vierten EMRK-Zusatzprotokolls festgeschriebene Verbot, eigene Staatsangehörige auszuweisen, nach herrschender Ansicht auch ein Umgehungsverbot enthält. Eine Ausbürgerung nur zum Zweck der Ausweisung (wie es insbesondere bei Merz anklingt1)) fiele also ebenfalls darunter.

Eine derart weit gefasste Regelung (wie sie Friedrich Merz offenbar angedacht hat), dass auch Mord, Vergewaltigung oder gar ganz allgemein wiederholt begangene Straftaten zu einem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit führen, würde also Deutschlands völkerrechtlichen Verpflichtungen verletzen.

Viele der benachbarten Rechtsordnungen nehmen zu diesem Zweck allgemein und abstrakt gehalten die Voraussetzung in ihre gesetzlichen Regelungen auf, dass die fragliche Straftat die wesentlichen Interessen des Staates verletzt. Die in Deutschland strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen (Art. 16 Abs. 1 GG) an die Vorhersehbarkeit des Staatsangehörigkeitsverlustes führen jedoch dazu, dass eine derartige Regelungstechnik mangels hinreichender Rechtsklarheit in Deutschland kaum verfassungsgemäß wäre.

Mit einer enger gefassten Ausbürgerungsregel etwa für nur bestimmte staatsgefährdende Straftaten z.B. des Ersten Abschnittes des StGB (Hochverrat, Gefährdung des Demokratischen Rechtsstaats u.Ä.) stünde Deutschland allerdings in Europa durchaus nicht alleine da. Ob dies angesichts des Gleichheits- und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verfassungsrechtlich zulässig wäre, geschweige denn ob dies rechtspolitisch und gesellschaftlich als legitimes Mittel zur Kriminalitätsbekämpfung einzuschätzen ist, ist eine andere Frage.

References

References
1 So im Interview mit der Welt am Sonntag: „Merz: […] Und um Anschläge oder weitere Straftaten zu vermeiden, müssen ausländische Straftäter spätestens nach der zweiten Straftat ausgewiesen werden. WELT AM SONNTAG: Was ist mit denen, die eine deutsche Staatsbürgerschaft haben? Merz: […] Die doppelte Staatsangehörigkeit wird damit zum Regelfall in unserem Staatsbürgerschaftsrecht. Wir holen uns damit zusätzliche Probleme ins Land. Es müsste wenigstens auf der gleichen Ebene eine Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft möglich sein, wenn wir erkennen, dass wir bei straffällig werdenden Personen einen Fehler gemacht haben.“

SUGGESTED CITATION  Collorio, Sara: Merz im (europäischen) Trend?: Die Ausbürgerung von kriminellen Doppelstaatlern im Rechtsvergleich, VerfBlog, 2025/2/11, https://verfassungsblog.de/ausburgerung-straftaten-rechtsvergleich/, DOI: 10.59704/d94249187a9b9d7c.

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