Beck to History
Ja, der Beck-Verlag hat sich bewegt. In der jüngsten, der 77. Auflage des „Palandt“ befindet sich unter der Rubrik „Verzeichnis der ausgeschiedenen Bearbeiter“ ein Eintrag zu „Otto Palandt (∗ 1. Mai 1877 – † 3. Dezember 1951)“, in dem erstmals im Kommentar selbst und nicht nur in anderen Verlagspublikationen auf die nationalsozialistischen Verstrickungen des ersten Herausgebers des Beck’schen Kurzkommentars zum BGB hingewiesen wird. Der Verlag vermerkt zudem, dass Otto Palandt nie auch nur einen einzigen Paragraphen des Palandt kommentiert, dafür aber in Vorwort und Einleitung des Kommentars dessen Interpretation im Sinne des Nationalsozialismus propagiert hatte. Zu weiteren „Informationen, Hintergründen und den vielzähligen diesbezüglichen Publikationen des Verlags“ verweist der Verlag C.H. Beck oHG auf die Homepage des Kommentars. Hier werden nun unter dem Reiter „Otto Palandt“ mehr als 60 Texte aufgelistet, darunter Publikationen des Verlags zur Debatte zur Person Otto Palandt sowie zu seiner Biographie, zur Geschichte und Bezeichnung des Kommentars sowie zur Rolle des Rechts und der Justiz im Nationalsozialismus.
Keine Umbenennung
Was will man mehr? Wie anders sollte ein Verlag verdeutlichen, dass er sich, wie der Beck-Verlag auf der Palandt-Homepage schreibt „seiner Verantwortung zu Geschichte und Titel des Werks sehr bewusst“ ist? – Ganz einfach: durch einen weiteren Schritt der Distanzierung vom nationalsozialistisch eingefärbten Erstherausgeber. So zumindest fordert es die mutige, vorwiegend studentische Initiative „Palandt umbenennen“. Die Referenz auf Palandt im Deckblatt des Beck’schen Kurzkommentars solle im Zuge einer Umbenennung endlich verschwinden. Als Namensgeber schlägt die Initiative u.a. Otto Liebmann vor, den jüdischen Verleger, der die Deutsche Juristenzeitung herausgegeben und die Reihe „Kurzkommentare“ begründet hatte, seinen Verlag aber im Zuge der Machtergreifung der Nationalsozialisten an den Beck-Verlag veräußern musste (ausf. Begründung bei van de Loo, JZ 2017, 827 ff.).
Der Beck-Verlag hat sich gegen eine solche Umbenennung entschieden und stattdessen den u.a. von Martin Rath geäußerten Vorschlag aufgegriffen, der sich für „eine Art historischen ‚Stolperstein‘“ im Kommentar stark gemacht hatte. Das solle zur kritischen Geschichtsreflexion anregen: „Wir halten“, schreibt der Verlag „am Titel ‚Palandt‘ bewusst fest, nicht zuletzt damit die Geschichte der Entstehung des Werks präsent bleibt und auch in Zukunft Anlass zur Reflexion bietet“.
Ganz ähnlich hatte Michael Stolleis einst Initiativen verschiedener Fachschaften, den Maunz/Dürig wegen der Verstrickungen von Theodor Maunz in den Nazismus umzubenennen, zurückgewiesen. Das bewirke, so schrieb Stolleis seinerzeit „nicht mehr als ein optisches Verschwinden durch Übermalung“. Dabei sollte es doch nicht „um eine Art postumer Ächtung von Maunz [gehen], sondern um kritisches Verstehen” (ders., Recht im Unrecht, 2005, 313).
Erinnerungskultur
Ist das tatsächlich ein angemessener Weg für eine rechtswissenschaftliche Erinnerungskultur in der Berliner Republik? Stolpersteine als erläuternde Hinweise auf Täter zur Anregung „kritischen Verstehens“? Ermöglicht es tatsächlich eine reflektierte Unrechtserinnerung, wenn in Herxheim die Hitler-Glocke versehen mit einer Mahntafel läutet und in München ein juristisches Standardwerk, das Maßstäbe in Rechtsanwendung und -ausbildung formulieren sollte und doch nach nationalsozialistisch belasteten Juristen benannt ist, um einen „historischen Stolperstein“ ergänzt wird?
Bei solcherlei juridischer „Stolpersteinpraxis“ stockt einem der Atem. Und man wundert sich: Keiner der aktuellen Bearbeiterinnen und Bearbeiter des Kommentars meldet sich in dieser Debatte, die derzeit vorwiegend zwischen Studierenden und dem Verlag geführt wird, zu Wort. Ist es Gerd Brudermüller, Jürgen Ellenberger, Isabell Götz, Christian Grüneberg, Sebastian Herrler, Hartwig Sprau, Karsten Thorn, Walter Weidenkaff, Dietmar Weidlich und Hartmut Wicke nicht unangenehm, wie der Diskurs im Hause Beck um die Erinnerung an historisches Unrecht geführt wird? Ist es Ihnen egal?
Stolpersteine als Opfergedenken
Die Kultur der Stolpersteine geht auf eine Initiative des Künstlers Gunter Demnig aus dem Jahr 1992 zurück. Durch im Boden verlegte Gedenktafeln wollte er an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern und hat damit eine Praxis begründet, die nunmehr in 21 europäischen Ländern als Form des Opfergedenkens gepflegt wird. Stolpern heißt hier, dass ein Unterbrechung im Alltag (beim Einkaufen, auf dem Weg zum Arzt oder wo auch immer) auf die fortwährende Abwesenheit der Opfer des Nationalsozialismus aufmerksam machen soll, also darauf, dass die Konfiguration der Gegenwart durch die Abwesenheit der Opfer des NS geprägt ist. Hier liegt denn auch der zentrale Unterschied zum „Stolperstein“-Hinweis im Beck’schen Kurzkommentar, der nicht die Opfer sichtbar macht, sondern die Täter-Präsenz im Kommentar-Titel durch erläuternde Hinweise zu seiner Person verdoppelt.
Auf Täter verweisende Stolpersteine pervertieren die Idee des Opfergedenkens durch Stolpersteine. Sie sind historische Fußnoten im bleiernen Getriebe des Weiter-so. In der Beibehaltung der Namensgebung des Kurzkommentars kommt eine Traditionslinie der deutschen Rechtswissenschaft zum Ausdruck, die nahtlos an den Nationalsozialismus anknüpft.
Erst eine Tilgung des Namens Palandt macht mit dieser Politik des zustimmenden Schweigens Schluss. Der Stolperstein à la C.H. Beck ist hingegen kein Ausdruck aufgeklärter Erinnerungskultur, sondern annotiert die Kontinuität des Unrechts. Er stellt eine Form der Erinnerung dar, die die Opfer des Nationalsozialismus verhöhnt und das Kontinuum der Gewalt gerade nicht durchbricht, sondern perpetuiert. Es ist eine Zumutung – nicht nur aber gerade auch für die Angehörigen von Opfern des Nationalsozialismus – bei der rechtswissenschaftlichen oder -praktischen Beschäftigung mit dem Recht ein Buch lesen, zitieren und zitiert sehen zu müssen, das auf einen Justizfunktionär des Nationalsozialismus verweist und an dem man aufgrund seines monopolistischen Status im Zivilrecht nicht vorbei kommt, ohne die fachlichen lege-artis-Regeln zu verletzen.
Bruch mit dem Tätergedenken
Wie sollte Sakralgeläut durch eine Hitler-Glocke je möglich sein? Wie könnte je demokratische Rechtskultur im Buch eines Unrechts-Juristen zum Ausdruck kommen können? Wie kann ein Rechtskommentar im 21. Jahrhundert den Namen eines Unrechts-Juristen des 20. Jahrhunderts tragen? Wie kann man es als Bearbeiterin und Bearbeiter eines Standardkommentars, der nach dem Verfechter eines Unrechtsregimes benannt ist, stillschweigend hinnehmen, zu einer solchen Perpetuierung des Unrechts beizutragen?
Dass dieses Tätergedenken im Recht bis heute im Namen vermeintlich „aufgeklärter Erinnerungskultur“ möglich ist, ist skandalös. Zu Zwecken aufgeklärter Erinnerungskultur in Adolf Eichmann-Zügen zu reisen, Rechtsprechung in Rudolf Freisler-Justizpalästen zu üben, die Bundeswehr in Generalfeldmarschall-Rommel-Kasernen zu stationieren oder über Rudolf Heß-Plätze zu flanieren, ist ein absurder Gedanke – an den sich der Verlag offenbar allein deshalb klammert, weil er den Markennamen seines Bestsellers konstant halten möchte.
Nein! Sogenannte Stolpersteine, die mit der Kontinuität des Tätergedenkens nicht brechen, sind der falsche Weg. Erst wenn Otto Palandt vom Deckblatt des Beck’schen Kurzkommentar zum BGB verschwunden, Otto Liebmann als Opfer einer intellektuellen Enteignung zu seinem historischen Recht gekommen und die dunkle Periode, in der der Liebmann zu Unrecht Palandt hieß, im Kommentar beleuchtet wird, ist so etwas wie ein Eingedenken der Vergangenheit oder ein kritisches Verstehen in der Erinnerungskultur des Verlages C.H. Beck möglich.
Vielen Dank für diesen überfälligen Artikel.
Einmal mehr haben wirtschaftliche Interessen den Vorrang vor einer konsequenten Aufarbeitung der NS-Geschichte.
Die Stolperstein-“Argumentation” des Beck-Verlages ist wirklich lächerlich. Ihren Vergleich mit den Namen anderer NS-Größen hingegen finde ich sehr gelungen.
Es bleibt zu hoffen, dass die Kommentierenden, möglicherweise durch internen Druck, Hebel in Gang setzen.
Ein bequemes wie unnötiges Thema im Jahr 2018.
Wie wär’s denn stattdessen mit dem Riesenproblem der Normenklarheit?
Das sollte Schwerpunkt jeder verfassungsrechtlichen Diskussion sein und nicht irgendwelche ewiggestrigen Überlegenheitsdiskussionen, die noch nicht einmal mehr die längst ausgestorbenen Revisionisten führen.
Nicht der Beck-Verlag ist der Feind, sondern der Gesetzgeber, der seinem Volk die Befolgung von Gesetzen zumutet, die er selbst zu schreiben nicht mehr imstande ist.
Kommentare wie Ihrer halten genau diese Überzeugung wach, für die in diesem Artikel bestimmten Anschauungen und gegen die Auswüchse der fachlichen Ignoranz und solch fürchterliche Freund-Feind-Bestimmungen einzustehen.
Grüße aus der Studierendenschaft
Toller Beitrag!
Finde ich wichtig! Danke dafür!
Nun, so völlig undenkbar absurd wie der ICE Adolf Eichmann ist die Rommel-Kaserne ja nun nicht, es gibt immerhin drei davon:
https://de.wikipedia.org/wiki/Rommel-Kaserne
Ja, das ist richtig. Mir war auf die Schnelle keine elegante Formulierung für die Unterscheidung fiktiver und real-existierender Benennungen aufgefallen. Das war mir aber auch nicht wichtig, denn mE überwiegt die Absurdität als gemeinsames Merkmal. – A propos absurd: Die Gestaltungskraft einer Verteidigungsministerin reicht offensichtlich nicht einmal soweit, sich mit dem Vorschlag durchzusetzen die Rommel-Kasernen umzubenennen: https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Von-der-Leyen-will-Kasernen-umbenennen,bundeswehr1672.html
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Fischer-Lescano,
hinsichtlich Ihres Hauptanliegens möchte ich mich an dieser Stelle nicht äußern.
Allerdings möchte ich höflich daraufhin weisen, dass es unangebracht und wissenschaftlich nicht fundiert ist, Rommel in einem Atemzug mit Freisler und Eichmann zu nennen.
Nach aktuellem Stand der militärhistorischen Forschung (vgl. nur Peter Lieb, Erwin Rommel: Widerstandskämpfer oder Nationalsozialist?, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 61 (2013), S. 321-361) war Rommel in die Anschlagspläne des 20. Juli nicht nur eingeweiht, vielmehr noch billigte und unterstützte er sie sogar. Die entsprechende Kasernenbenennung ist damit auch grundsätzlich unproblematisch.
Die anfängliche Begeisterung Rommels über das NS-Regime und seine in gewisser Weise politische Naivität rechtfertigen dagegen keine Gleichstellung mit dem Organisator des Holocaust und dem obersten Scharfrichter des NS-Regimes in Richterrobe, sondern erfordern eine differenzierte Darstellung.
Abschließend darf noch daran erinnert werden, dass Rommel aufgrund seiner Verbindungen zum militärischen Widerstand zur Einnahme eines tödlichen Gifts von der Entourage des Diktators gezwungen wurde.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Christian Richter