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26 November 2012

Beschneidungs-Gesetz: Guter Ansatz, zu hastige Umsetzung

Der Bundestag hat am 22. November 2012 in erster Lesung den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Beschneidungsfrage beraten, der für Rechtssicherheit in dieser emotional aufgeladenen Angelegenheit sorgen soll. Anlass war das Urteil des Kölner Landgerichts vom Mai 2012, das die medizinisch nicht indizierte Beschneidung bei Minderjährigen für unrechtmäßig erklärte. Die Debatte, ob eine religiös motivierte Praxis wie die Beschneidung innerhalb der grundrechtlichen Grammatik des freiheitlichen Rechtsstaats einen legitimen Platz hat, wird trotz der demnächst verabschiedeten Regelung sicherlich weitergehen. Hier soll der Gesetzentwurf einer kurzen ethischen Bewertung unterzogen werden:

1. Der wichtigste Aspekt – Religion ist kein Verfolgungstatbestand

Die Materie wird nicht im Strafrecht behandelt, sondern im bürgerlichen Recht, nämlich im § 1631 des BGB, in dem „Inhalt und Grenzen der Personensorge“ geregelt werden. Ein neu hinzugefügter Absatz (d) räumt ausdrücklich das Recht der Eltern ein, einen minderjährigen Sohn beschneiden zu lassen, allerdings mit der Forderung, die in einer grundrechtlichen Güterabwägung unverzichtbar ist, dass dieser Eingriff lege artis und mit einer „im Einzelfall angemessenen und wirkungsvollen Betäubung“ stattzufinden habe, so die beigefügten Erläuterungen. Außerdem müsse ein eventuell bereits erkennbarer Kinderwille einbezogen werden. Sozialethisch erscheint es von Bedeutung, dass für eine Frage religiöser Selbstbestimmung zunächst das bürgerliche Recht bemüht wird, und nicht mit dem Strafrecht direkt das schärfste Werkzeug des Rechtsstaats zum Einsatz kommt. Religion, so kann man daraus gut und gerne schlussfolgern, wird in den Augen des Gesetzgebers offenbar als eine legitime Dimension menschlicher Existenz angesehen und nicht als Verfolgungstatbestand. Damit ist ein gewichtiger Kontrapunkt gesetzt gegenüber dem Stimmungsbild, das in weiten Teilen der Öffentlichkeit angesichts der vermeintlich “lobbyierten” Geländegewinne der organisierten Religionsgemeinschaften in der Beschneidungsfrage transportiert wird.

2. Zirkumzision & Grundrechtsstaat – die Pflicht zur Güterabwägung

Eine sozialethische Bewertung wird die Regelung auch deswegen gut heißen, weil an ihr erkennbar ist, dass es sich beim Sachverhalt der Beschneidung nicht um eine Bagatelle, sondern um einen Eingriff in die körperliche Integrität handelt. Deswegen müssen in der Tat mehrere Güter gegenüber gestellt und sorgsam gegeneinander abgewogen werden. Die Rechtsprechung kennt für diesen hermeneutisch anspruchsvollen Prozess das Prinzip der Wechselwirkung: Es verlangt, dass im Urteil alle betroffenen Positionen – Elternwille, Religionsfreiheit, Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit – aufscheinen müssen und die (unvermeidbare) Einschränkung einer oder mehrerer dieser Positionen im Lichte des Sinngehalts des eingeschränkten Gutes vorgenommen werden muss. Das Kölner Urteil nun hat die Religionsfreiheit auf eine nicht sachgemäße Weise eingeschränkt, nämlich nicht unter Ansehung des Sinngehalts der religiösen Beschneidungspraxis. Die Richter hätten sehen müssen, dass es sich bei dieser Praxis nicht um ein peripheres, sondern um ein zentrales Merkmal der betreffenden Religionsausübung handelt – es regelt, zumindest im Judentum, Zugehörigkeit zur Religion und ist das Schema ihrer Tradierung. Erklärt man diese Praxis für nicht zulässig, wird der Rechtsanspruch der Religionsfreiheit nicht lediglich graduell eingeschränkt (was im Rechtsstaat bei Grundrechtskonflikten immer wieder vorkommt und von den religiösen Grundrechtsträgern hingenommen werden muss), sondern er fällt vollständig unter den Tisch. Der Gesetzestext nun macht es der Rechtsprechung einfacher, weil er diesen Abwägungsprozess quasi vorwegnimmt und bezüglich der Beschneidung für entschieden aussagt.  Aber es bleibt dabei: Zirkumzision ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, der, wie auch jeder ärztliche Eingriff, gerechtfertigt werden muss. Eine religiöse Intention darf in einem freiheitlichen Gemeinwesen jedoch nicht von vornherein als Rechtfertigungsgrund ausgeschlossen sein.

3. Die Bundestagsentscheidung – richtige Absicht, falsch getaktet

Bedenklich stimmt an der Initiative der Bundesregierung aber, in welcher Geschwindigkeit die Regelung festgezurrt worden ist. Geschuldet ist dies der Verunsicherung der Religionsgemeinschaften, die für ihre religiösen Vollzüge Rechtssicherheit wünschen. Auch integrations- und staatspolitische Intentionen spielen eine gewichtige Rolle: Es solle, so Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger vor dem Bundestag, ein Zeichen gesetzt werden, dass jüdische und muslimische Religionsausübung in unserer Gesellschaft erwünscht seien. Der Sache nach ist das sicher richtig. Im Kontext eines Grundrechtekonflikts, in dem allen beteiligten Positionen prinzipiell ein inkommensurabel hohes Eigengewicht zukommt, wirkt die Begründung aber verdruckst und letztlich fehl am Platz. Besser wäre es, man würde die fehlerhaft vorgenommene Güterabwägung des Kölner Gerichts offen als eine solche benennen und hätte die gesetzliche Klarstellung als eine ausdeutende Hilfestellung für solche Abwägungsprozesse bezeichnet.

Wenn von Zeit zu Zeit eine gesellschaftliche Klärung oder Rückvergewisserung stattfindet, ob diese oder jene soziale Praxis dem grund- und menschenrechtlichen Fundament der Gesellschaft auch wirklich entspricht, so ist das mehr als legitim – es ist notwendig, weil Konflikte um die Reichweite von Grundrechtsansprüchen das Wesen der weltanschaulich pluralen Gesellschaft ausmachen. Diese Debatte hat bis heute noch kaum stattgefunden: Bisher wurden beinahe nur die Signalraketen der verschiedenen Lager abgeschossen, die unterschiedlichen Positionen knallten förmlich aufeinander.

Man kann aus guten Gründen zu dem Ergebnis gelangen, das der Gesetzentwurf vorschlägt. Keiner muss den „rechtspolitischen Notstand“ ausrufen, wie Reinhard Merkel dies getan hat. Aber es wäre ein Zeichen für die Reife einer Demokratie, in einer gemeinsamen Verständigung, die viele mitnimmt, zu diesem Ergebnis zu gelangen – anstatt im technokratischen Hau-Ruck-Verfahren. Das Gemeinwesen und seine politische Kultur haben offenbar noch Luft nach oben.

Dieser Artikel wurde erstmals auf der Seite http://daniel-bogner.eu publiziert.


SUGGESTED CITATION  Bogner, Daniel: Beschneidungs-Gesetz: Guter Ansatz, zu hastige Umsetzung, VerfBlog, 2012/11/26, https://verfassungsblog.de/beschneidungs-gesetz-guter-ansatz-zu-hastige-umsetzung-2/, DOI: 10.17176/20171117-151512.

17 Comments

  1. Martina W. Mon 26 Nov 2012 at 16:28 - Reply

    Wehrter Herr Steinbeis,
    ihren Blog finde ich sehr ansprechend. Hie aber muss ich Ihnen widersprechen. Was helfen all die “hermeneutisch-anspruchsvollen” Prozesse, in all dem feierlichen Ton des Staatsrechts, wenn sie den Blick für die Sachfrage – so auch bei Ihnen – vergessen lassen. Die Frage ist eben nciht, wie alles miteinander abzuwiegen ist, sondern, ob man das überhaupt darf. Die Abwehrrechte des einen sind kein Eingrffstitel bei einem anderen – das ist doch der Kern der Kritik, die sich in dem Alternativentwurf findet. Daher ist ihre Kritk an dem Kölner Urteil kurzsichtig: Denn was auch immer eine Religion für ihr zentrales Ritual hält, rechtfertigt doch nicht das anderen aufzudrängen. Im Mittelpunkt muss das Kindeswohl stehen, und wenn es eine Religion vorschreibt, das Kinder, suchen Sie es sich aus: angespuckt, beschnitten; tättowiert, gejagt, allein gelassen werden oder ihnen der Teufel ausgetrieben wird – rechtfertigt das diese Eingriffe beim Kind eben gar nicht. DAS ist das Argument, und das ergibt sich aus der Grundrechtsdogmatik, wenn sie anspruchsvoller verstanden wird als diese Pseudo “anspruchsvollen Prinzipien”. Gefangen im eigenen Theorieschwurbel, das Staatsrecht.

    Etwa: Begründung des Alternativentwurfs
    http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/katja-keul-interview-alternativer-gesetzentwurf-beschneidung-minderjaehrige-zirkumzision/1/

    Wenn man das so sieht, dann bleibt als Rechtfertigung dafür, Kindern solcher Risiken auszusetzen, einzig und allein der Ausweg “religiöses Sonderrecht”. Das will man nicht und nennt es anders, aber das ändert nichts daran – falsa demonstratio – daß hier die Legitimationsgrundlage liegt. So verstehe ich die Kritik von Herrn Merkel, und diesmal überzeugt sie mich.

  2. Hans Adler Mon 26 Nov 2012 at 17:40 - Reply

    Selbst wenn Ihre Religion es von Ihnen fordern würde — Ihre Religionsfreiheit erlaubt es Ihnen nicht, mir ohne meine Erlaubnis Organe abzuschneiden. Keinen kleinen Finger, Keinen kleinen Zeh, schon gar nicht meinen Penis, aber auch nicht meinen Blinddarm oder meine Vorhaut. Und die Erlaubnis werden Sie im Fall der Vorhaut u.A. deshalb nicht bekommen, weil es 1. schmerzhaft ist, 2. nicht völlig ungefährlich ist, und 3. die Vorhaut durchaus sinnvolle Funktionen erfüllt. (Wenn ich an vorzeitigem Samenerguss leiden würde, würde ich vielleicht eine Beschneidung in Betracht ziehen, da sie bekanntermaßen das sexuelle Empfinden reduziert. Das ist aber bei mir wie bei vielen anderen Männern nicht der Fall und ich bin meinen Eltern dankbar, dass sie damals nicht spekuliert haben, das könne ja vielleicht mal eintreten.)

    Um zu dem Ergebnis zu kommen, dass Sie das nicht dürfen, bedarf es keiner ernsthaften Güterabwägung. *Ihr* Recht auf freie Religionsausübung ist völlig irrelevant, wenn es um *meinen* Körper geht.

    Dasselbe gilt auch für meine Eltern und für die Eltern der Mitglieder von Jews Against Circumcision. Und es gilt nicht nur jetzt, es galt auch, als ich noch zu klein war, um mich zu wehren, aber natürlich nicht zu klein um traumatisiert zu werden. Trauma ist eine der häufigsten Komplikationen von Säuglingsbeschneidungen. Es ist gar nicht so selten noch nach einem Jahr nachweisbar. Dagegen sind Todesfälle (nur ca. 100 pro Jahr in den USA) und Peniskomplettverlust erfreulich seltene Komplikationen.

    Die Religionsfreiheit der einen endet spätestens am Körper des andern. Das gilt für das Abschneiden der Vorhäute von Babies und kleinen Jungen genauso wie für das Steinigen von Sabbatbrechern oder Ehebrecherinnen oder das Prügeln von Kindern in der Klosterschule. Spätestens zu dem Zeitpunkt, als auch in Deutschland körperliche Strafen an Kindern verboten wurden, war die Kindesbeschneidung angezählt, denn ihre Eingriffsintensität geht ganz offensichtlich weit darüber hinaus.

    Unsere Gesellschaft wird zunehmend weniger brutal, und die Religionen haben sich schon immer daran angepasst, wenn auch widerstrebend. Auch das Judentum und der Islam werden das in dieser Frage tun, was natürlich nicht ohne einige Konflikte abgehen wird. Alles, was diese überfällige Korrektur der Riten aufhalten kann, ist hochgradig schädlich. Der Gesetzesentwurf der Regierung wird diese Folge glücklicherweise nicht haben, denn es ist kaum zu erwarten, dass er vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Bestand haben wird. Das von einem höchstrichterlichen Urteil ausgehende Signal dürfte dann noch wesentlich weiter ausstrahlen als das Kölner Urteil.

    Ein vernünftiges Gesetz dagegen würde die Beschneidung ähnlich behandeln wie §218 Abs. 4 StGB unter bestimmten Umständen einen Schwangerschaftsabbruch in der 13. bis 22. Woche behandelt: Sie erfüllt den Straftatbestand von §218, wird aber (aus Staatsräson noch) nicht bestraft. Das ist übrigens auch das maximal mögliche Zugeständnis, wenn man die Gefahr, dass die Haftung für Beschneidungsschäden am Staat hängenbleibt, weitgehend eliminieren will.

    Es gibt auch symbolische Beschneidungen z.B. durch Anpiksen von Penis oder Klitoris. Bei Mädchen ist auch das strikt verboten. Bei Jungen wäre es dagegen ein so riesiger Fortschritt, dass die ganze Diskussion überflüssig wäre, wenn die beiden hauptsächlich betroffenen Religionen das rechtzeitig eingeführt hätten.

    Ist die Forderung, dass Religionen ihren Ritus ans Strafgesetzbuch und an die Menschenrechte anpassen eine Zumutung? Sicher. Aber keine größere als die Forderung an den Staat, dass er sein Strafrecht dahin gehend anpassen soll, dass es religiös begründete Amputationen des einen am Körper des anderen zulässt.

  3. blurks Mon 26 Nov 2012 at 18:05 - Reply

    Es geht hier nicht einmal sehr um um die körperliche Unversehrtheit des Kindes. Es geht v.a. um dessen sexuelle Integrität.

    Bei einer Beschneidung wird der empfindsamste Teil des gesamten Körpers entfernt (die Spitze der Vorhaut). Die veränderte Anatomie führt zu sexuellen Veränderungen, die noch zusätzliche körperliche Probleme verursachen können.

    Hinzu kommen die psychischen Auswirkungen. Eine Beschneidung kann schwer körperlich Traumatisieren. Vernünftige Betäubung lindert das Problem, löst es aber nicht.

    Übrigens: Auch und gerade Kleinkinder können Traumata erleiden. Die wissen schließlich überhaupt nicht, wie ihnen bei dieser OP geschieht. Sie merken bloß, dass man einen Teil ihres Körpers abschneidet. Ohne Vorwarnung, ohne Erklärung. Einen verdammt sensiblen Teil ihres Körpers.

    Es ist erschreckend, dass fast alle Befürworter dieses Entwurfs die sexuellen Folgen komplett ignorieren. Die Befürworter tun so, als sei die sexuelle Integrität von Kindern nichts wert. Als existiere sie gar nicht.

    Sexuelle Integrität ist aber ein enorm wichtiges Rechtsgut. Das ist inzwischen eigentlich auch überall anerkannt—Man beachte, was für ein Riesenthema sexueller Kindesmissbrauch heutzutage ist. Und selbst die großen, institutionalisierten Religionen betrachten ja sexuelle Integrität mittlerweile als schätzenswert.

    Sexuelle Integrität ist also ein enorm wichtiges Rechtsgut. Bei einer Beschneidung von Kindern wird in dieses enorm wichtige Rechtsgut massiv eingegriffen (anatomisch und psychisch). Dementsprechend muss dieses Rechtsgut in der Abwägung auch berücksichtigt werden.

    Herr Bogner, Herr Steinbeis: Es wäre wirklich sehr schön, zu diesem Punkt von irgendeinem Befürworter endlich mal eine Antwort zu bekommen. Es ist erschreckend, wie viele Leute, von denen ich ansonsten eine hohe Meinung habe, dieses Problem völlig ignorieren.

  4. blurks Mon 26 Nov 2012 at 18:50 - Reply

    Ich möchte übrigens noch einen Punkt erwähnen, der mich sehr freut: Herr Bogner, sie sind offenbar bereit, über die Abwägung hinter dieser Regelung überhaupt ernsthaft zu diskutieren. Und Sie erkennen anscheinend sogar an, dass man bei dieser Abwägung auch legitimerweise zu einem anderen Ergebnis kommen kann als Sie. Das ist bei dem Thema leider sehr selten—übrigens auch beiden Seiten.

    Sie plädieren hier für eine Offenheit, die diese Diskussion dringend braucht. Allein schon deshalb wünsche ich Ihnen daher viele Leser für diesen Beitrag 🙂

  5. Innauen Mon 26 Nov 2012 at 20:12 - Reply

    Natürlich steht es jedermann frei, die Beschneidung als religiöses Ritual abzulehnen. Sie kann missbilligt, verurteilt und verdammt werden. Man kann auch der Meinung sein, dass die Beschneidung des männlichen Kindes die gleichen anatomischen Folgen wie die weibliche Genitalverstümmelung hat. Niemand ist gezwungen zur Kenntnis zu nehmen, dass etwa 1/3 der Menschheit beschnitten ist, dass nicht nur die USA sondern auch Staaten wie Südkorea ohne nennenswerte jüdische oder muslimische Tradition sehr hohe medizinisch indizierte Beschneidungsraten aufweisen oder dass die Mehrheit der medizinischen Studien zu diesem Thema eben keine anatomischen Nachteile erkennen, wie sie für eine “Organentfernung” typisch wären. Was mich aber wirklich befremdet, ist dass im Namen des Kindeswohls die Eltern unter Strafe gestellt werden. Ich erkenne keine Reflexion darüber, dass Zirkumzision als strafbare und wohl auch qualifizierte Form der Körperverletzung von Amts wegen verfolgt werden müsste. D.h. Juden und Muslime, die diesen Ritus verfolgen, müssten staatsanwaltlich auf Grund ihrer Religionszugehörigkeit verfolgt werden. Um es deutlich auszusprechen: Juden würden auf Grund ihrer Eigenschaft als Juden und Muslime auf Grund ihrer Eigenschaft als Juden mit Strafe bedroht, denn die Beschneidung ist Teil ihrer religiösen Identität.

    Die heutige Sachverständigenanhörung im Deutschen Bundestag hat übrigens ausser der Minderheitenposition von Herrn Merkel und des Verbandes der Kinderärzte keinen Anstoß an der Regelung genommen. Ich kann auch den Vorwurf der parlamentarischen Eile nicht teilen. Der Gesetzentwurf wurde in Eckpunkten im Frühherbst vorgestellt, am 10.10. vom Kabinett verabschiedet und dem Bundesrat zur ersten Beratung übergeben. Nach der ersten Lesung hat nun die Beratung der Sachverständigen stattgefunden. Es gab keine Fristverkürzungen/Omnibusverfahren o.ä. zeitliche Einschränkungen – aber es gibt eine große Verunsicherung der Menschen, die von Strafverfolgung bedroht sind. Das rechtfertigt ein zügiges reguläres parlamentarisches Verfahren.

  6. Hans Adler Mon 26 Nov 2012 at 20:43 - Reply

    @Innauen: Sie argumentieren hier rein von den Eltern her und ignorieren die Auswirkungen auf die Kinder, von denen manche so sehr leiden, dass sie als Erwachsene erneut Operationen auf sich nehmen, um wieder etwas Vorhautähnliches zu erhalten. Das Leid der Kinder (bei der Operation, bei der Wundheilung und oft auch als Erwachsene) verschwindet nicht einfach dadurch, dass Sie es am Anfang erst einmal durch einen rhetorischen Trick beiseite wischen. Es *muss* bei jeder Abwägung berücksichtigt werden.

    Da ist der Vergleich mit der Fristenlösung von §218a sehr angebracht: Abtreibungen bis zur 22. Schwangerschaftswoche sind verboten, werden aber (nach Beratung) nicht bestraft. Genau so könnte man es auch bei der Beschneidung machen. Das Beschneiden von Kindern ohne medizinische Indikation wäre dann verboten, würde aber z.B. unter den Voraussetzungen des Gesetzesentwurfs der Regierung bei religiöser Begründung (diese Einschränkung fehlt im Gesetzesentwurf unbegreiflicherweise!) nicht bestraft.

    Vermutlich würde das die Chancen der Opfer erhöhen, dass diese von ihren Eltern Schadensersatz einklagen können. Aber wer wirklich glaubt, durch die Beschneidung seinen Kindern etwas Gutes zu tun, wird das ja wohl verkraften können. Vor dem Strafrecht wären diese Eltern dann jedenfalls sicher.

    Wenn die Diskussion anhält, wird das Problem ohnehin allmählich verschwinden. Nämlich in dem Maße, in dem die jüdischen und muslimischen Eltern beginnen, zu verstehen, dass sie sich in einer Situation ähnlich dem Milgram-Experiment von Ihrem Umfeld dazu verleiten lassen, ihren Kindern eigentlich unentschuldbare Gewalt anzutuen. Oder eben nicht.

    Afrikanischen Eltern von Mädchen muten wir Analoges auch zu, und bestrafen sie sogar notfalls. Ähnliches gilt für alle Eltern, die von ihren Eltern noch geprügelt wurden und das für notwendig halten. Keiner ist auf die Idee gekommen, im Interesse von Eltern aus afrikanischen Ländern, in denen das Brustbügeln üblich ist, brustverkleinernde OPs bei kleinen Kindern zu legalisieren. Genauso abwegig ist es, die Vorhautbeschneidung zu legalisieren. Der einzige Unterschied ist, dass es viel mehr Menschen betrifft und wir deshalb zur Bewahrung des sozialen Friedens eine pragmatische Übergangsregelung brauchen, die die Strafverfolgung verhindert bis es alle begriffen haben.

  7. StM Mon 26 Nov 2012 at 20:47 - Reply

    Frau RAin Claudia Holzner, LL.M. aus Hamburg hat sich mit Referentenentwurf differenziert auseinandergesetzt und geht über die allgemeine Diskussion Religionsfreiheit vs. körperliche Unversehrtheit deutlich hinaus. Sie befindet die geplante Neuregelung als zu ungenau, nicht mit dem Kindeswohl vereinbar und für die Praxis untauglich.
    Nachzulesen unter: http://www.foerderverein-medizinrecht.de/publikationen/aufsaetze/beschneidung/

  8. Martina W. Mon 26 Nov 2012 at 21:45 - Reply

    @ Innauen: Niemand wird “wegen seines Jude seins” verfolgt oder wie sie schreiben, “Juden würden auf Grund ihrer Eigenschaft als Juden und Muslime auf Grund ihrer Eigenschaft als Juden mit Strafe bedroht”.

    So ist sachlich nicht zu argumentieren. Personen werden in ihrer Eigenschaft als Verletzer anderer Körper bestraft. Die Frage ist, ob Religion oder Erziehungsrecht das rechtfertigen können.

    Die Verknüpfung von Identität mit Bestrafung ist sachwidrig. Menschen können vieles zu ihrer Identität machen, aber dass erlaubt ihnen nicht, deshalb andere zu verletzen. Soll denn -Achtung, bewusste Zuspitzung um das Problem zu schärfen, nicht um eine Religionsgemeinschaft zu verletzen – also soll denn jeder identitätsstiftende Brauch immer zulässig sein, auch der des Menschenopfers irgendwelcher Stämme oder die verstümmelnde Beschneidung in einigen Ländern? – Nein. Nun sagen sie nicht vorschnell, dass sei etwas anderes. Ist es nämlich zunächst, ihrer Argumentation gemäß, nicht. Auch in diese Dinge greifen wir ein, wenn sie andere verletzen, unabhängig davon, ob das zu jemandem seiner Identität zählt.

    Die Frage hier ist dann, ob die Risiken der Zirkumzision eben deutlich andere sind. Das ist eine Frage, die Ärzte zu klären haben – und gerade die Kinderärzte sagen dass dies schon so sei.

    Und nun sind wir in einer sachlichen Debatte..

  9. Noah Mon 26 Nov 2012 at 22:05 - Reply

    “Erklärt man diese Praxis für nicht zulässig, wird der Rechtsanspruch der Religionsfreiheit nicht lediglich graduell eingeschränkt (was im Rechtsstaat bei Grundrechtskonflikten immer wieder vorkommt und von den religiösen Grundrechtsträgern hingenommen werden muss), sondern er fällt vollständig unter den Tisch. ”

    Das Selbe passiert mit der körperlichen Unversehrtheit, wenn man die “Praxis” für zulässig erklärt. Nicht jedes Grundrechtsproblem ist auf praktische Konkordanz angelegt. Manchmal gibt es zwei Positionen wo die eine hinter der anderen zurücktreten muss. Und in diesem Fall ruled Abwehrrecht aus meiner Sicht Eingriffsrecht der Eltern mehr als deutlich. Die Regierung und Teile der Opposition haben sich zu meinem Bedauern anders entschieden.

  10. Hans Adler Mon 26 Nov 2012 at 22:14 - Reply

    @Innauen: “Die heutige Sachverständigenanhörung im Deutschen Bundestag hat übrigens ausser der Minderheitenposition von Herrn Merkel und des Verbandes der Kinderärzte keinen Anstoß an der Regelung genommen.”

    Minderheitenposition? Das sagt ausschließlich etwas über die Auswahl der Sachverständigen aus. Am Deutschen Ethikrat (Reinhard Merkel) und dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (Wolfgang Hartmann) kamen sie nicht vorbei. Zum Ausgleich hat man dann solche Leute eingeladen wie Herrn Heinig, der sich schon vorher auf dieser Website mit einer völlig einseitigen Stellungnahme als Beschneidungsbefürworter geoutet hat. Betroffene wie den Facharbeitskreis Beschneidungsbetroffener im MOGiS e.V. dagegen hat man abgelehnt. Es wäre doch zu peinlich geworden, wenn Erwachsene, die heute noch unter eine Beschneidung als Kind leiden, eine Stimme bekommen hätten! Dann könnte man den Gesetzesentwurf ja vielleicht gar nicht mehr so verabschieden!

    Es ist dasselbe Vorgehen wie bei den Probanden im Milgram-Experiment: Augen zu und durch. Selbst das Leiden des eigenen Kindes (im Milgram-Experiment sogar ein Mord) wird in Kauf genommen, um nicht gegen echte oder vermeintliche Autoritäten aufbegehren zu müssen.

  11. Innauen Mon 26 Nov 2012 at 22:47 - Reply

    Das ist mir dann doch etwas zu polemisch Herr Adler. Es gibt Interessengruppen für und gegen alles mögliche. Die Frage ist, ob ihre Argumente überzeugen. Und ob sich Einzelfälle schwerer Belastungen auf eine Mehrheit unproblematischer Fälle linear extrapolieren lassen. Wieviele Personen sind bei MOGiS e.V organsiert und wieviele der beschriebenen Fälle sind auf eine unfachmännische Durchführung des Eingriffs zurückzuführen; eine Form des Eingriffs die bei Strafverfolgung durch Ausweichen ins Ausland und in den medizinischen Graubereich zunehmen würde?

  12. blurks Mon 26 Nov 2012 at 23:58 - Reply

    Innauen, zu Ihrem EInwand: “Aber von hunderten Millionen beschnitten Männern beklagen sich nur wenige”:

    Anatomisch ist es klar, dass die Spitze der Vorhaut der mit Abstand sensibelste Teil des Penis ist. Dort befinden sich um ein Vielfaches mehr Nervenzellen als auf der gesamten Eichel. Und die Nervenzellen der Vorhautspitze sind auch noch wesentlich sensibler: Sie liefern viel detailliertere und facettenreichere Empfindungen als die am übrigen Penis.

    Wenn diese Nervenzellen abgeschnitten werden, fehlen diese Empfindungen. Das ist anatomisch so.

    Nicht zu vergessen, dass die Eichel durch den mangelnden Schutz zunehmend abstumpft. Männer, die vor Jahrzehnten beschnitten wurden, brauchen oft immer stärkere physische Stimulation, um überhaupt etwas zu spüren—und das sind nicht “Einzelfälle”, das ist offenbar recht häufig. Und dann gibt es noch mechanische Veränderungen: Ein unbeschnitter Penis gleitet in der Vagina, ein beschnittener reibt darin. Gerade die letzten beiden Punkte zusammen führen wohl oft auch zu viel Leid bei Frauen, die dann dieses reibende Gerammel ihrer Gatten aushalten müssen.

    Manche Männer, die als Erwachsene beschnitten wurden, berichten auch darüber, dass sie diese Empfindungen vermissen oder/und mit der veränderten Anatomie mechanische Probleme haben.

    Andere Männer, die als Erwachsene beschnitten wurden, meinen, sie spürten kaum einen Unterschied zu vorher. Anatomisch schon seltsam. Vielleicht sind diese Leute tw. einfach sensorische Banausen, die die Facetten dieser spezialisierten Nervenzellen vorhin schlicht kaum wahrgenommen haben? Oder vielleicht gibt es psychologische Gründe, mögliche Probleme zu leugnen oder zu verdrängen? Wer sich aus eigenem Antrieb hat beschneiden lassen, wird sich eher schwer eingestehen, dass das ein Fehler war. Und wer aus medizischer Indikation beschnitten wurde, hatte vorher Probleme mit der Vorhaut und fühlt sich deswegen logischerweise besser.

    Das Problem ist: Bei den meisten beschnittenen Männer wurde das vor der Pubertät gemacht. Und die können die Auswirkungen natürlich ohnehin nicht beurteilen. Die können ja prinzipbedingt nicht wissen, was ihnen eigentlich fehlt.

    Hinzu kommt ggf. auch noch eine soziale/religiöse Indoktrination. Auch das kann ein Grund sein, seine eigene Beschneidung schön zu reden. Was z.B. Vater/Mutter in bester Absicht gemacht hat, darf ja nicht schlecht sein. Was “Gott” befiehlt, darf nicht schlecht sein. Und speziell in der BRD: Eine jüdische Tradition darf auch nicht schlecht sein.

    In den USA wurden routinemäßige Beschneidungen im 19. Jahrhundert eingeführt, mit dem erklärten Ziel, die Sexualität von Jungen zu verkrüppeln (damalige Spreche: Sie “zu sittlichem Verhalten zu erziehen” u.ä.).

    Diese Begründung war irgendwann nicht mehr salonfähig. Deshalb wurden im Laufe des 20. Jahrhunderts zunehmend immer neue angebliche medizinische Gründe vorgeschoben. Die meisten dieser medizinischen Gründe sind aber mindestens umstritten. Insbesondere die häufig etwas höhere Resistenz gegen HIV beruht auf Studien, die manche Ärzte für handwerklich fehlerhaft halten.

    Ich bin medizinischer Laie, und kann das selbst nicht wirklich einschätzen. Ich traue aber europäischen Ärzten eher zu, das Thema unvoreingenommen zu beurteilen als US-Ärzten. Und europäische Ärzte lehnen Beschneidungen aus medizinischen Gründen nach meinem Eindruck ganz überwiegend ab. Ausnahmen gibt es natürlich bei solchen Fällen, in denen es mal wirkliche medizinsche Indikationen gibt—etwa bei vernarbte Vorhautverengungen, oder bei Gewebeschäden an der Vorhaut selbst.

    US-Ärzte dagegen entstammen einer Pro-Beschneidungs-Tradition. Die wurden oft von kleinauf so erzogen, und später so ausgebildet. Außerdem ist das gerade für viele Kinderärzte auch noch ein gutes Geschäft. Nicht zuletzt: Wer in bester Absicht schon hunderte oder tausende kleine Jungen beschnitten hat, wird sich später nur sehr schwer eingestehen können, dass er denen womöglich etwas Schlimmes angetan hat.

    Und obendrein scheint sich bei vielen US-Ärzten heute noch zumindest unbewusst einiges von der ursprünglichen, sexualfeindlichen Tradition zu halten. Das sieht man etwa daran, dass Kleinkinder in den USA auch heute noch oft von Ärtzen(!) ohne jede Betäubung beschnitten werden. “Die spüren doch nichts. Und falls sie doch spüren sollten, erinnern sie sich später nicht dran. Also kann also keine schlimmen Folgen haben.” Von so etwas bekomme ich Brechreiz.

    Südkorea hat die Tradition m.W. nach dem 2.WK einfach von den USA übernommen. Die USA hatten sie gerade erst vor den Japanern gerettet und waren die großen Befreier. Außerdem galten die USA damals als ganz modern, freiheitlich und fortschrittlich, und waren insofern ein Vorbild.

    Übrigens: Selbst schwer genitalverstümmelte Frauen beklagen sich oft nicht, sondern finden das sogar gut. Viele lassen das auch bei ihren eigenen Töchtern machen. Auf die Gesamtzahl (>100 Mio) beschnitten Frauen beklagen sich auch nur sehr wenige. Auch alles nur Einzelfälle?

  13. blurks Tue 27 Nov 2012 at 00:20 - Reply

    Hans Adler: Eine Regelung ähnlich wie bei der Abtreibung wäre vielleicht eine Lösung, die für alle Beteiligten noch irgendwo akzeptabel sein könnte. Man stellt den Eingriff straffrei, sofern medizinische Standards vollständig eingehalten werden, und sofern die Eltern vorher umfassend über die Folgen aufgeklärt wurden(!). Allerdings hätte das Kind anders als im derzeitigen Regierungsentwurf zumindest zivilrechtliche Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegen seine Eltern und gegen den Arzt. Das wäre immerhin ein Signal an das Opfer, dass die Rechtsordnung es zumindest ein bisschen unterstützt.

    Für diese Ansprüche müssten dann natürlich lange Verjährungsfristen gelten. Vielleicht. 20 Jahre ab Volljährigkeit?

    Man könnte hier übrigens auch noch an etwas anderes denken: Wenn diese Anforderungen (fachliche Durchführung, umfangreiche Aufklärung) erfüllt sind, könnte man das ganze auch zu einem absoluten Antragsdelikt machen. D.h. die Tat wäre weiterhin strafbar; sie würde aber ausschließlich dann verfolgt werden, wenn das Opfer selbst das möchte. Auch da dann ähnliche Verjährungsfristen.

    In dem Fall wäre eine Beschneidung eines Kindes natürlich ein großes Risiko. Aber: Wenn sich die Eltern wirklich sicher sind, dass das Kind diese Amputation später ebenfalls gut finden wird, sollte das ja kein Problem sein. Denn wenn ihr Kind das später auch toll findet, wird es ja keinen Strafantrag deswegen stellen…

  14. emelei Tue 27 Nov 2012 at 01:04 - Reply

    Herr Bogner, ich würde gerne diesen Satz hier genauer verstehen:

    “Eine sozialethische Bewertung wird die Regelung auch deswegen gut heißen, weil an ihr erkennbar ist, dass es sich beim Sachverhalt der Beschneidung nicht um eine Bagatelle, sondern um einen Eingriff in die körperliche Integrität handelt.”

    Sollten wir nun auch andere Formen der Körperverletzung legalisieren, um zu verdeutlichen, dass es sich nicht um Bagatellen handelt? Seltsame Logik.

  15. Stephen Schöndorf Tue 27 Nov 2012 at 05:09 - Reply

    Ich halte dem Autor zugute, daß er sich wesentlich mehr Mühe gegeben hat als die Autoren des Gesetzentwurfs, der die Zwangsbeschneidung an Jungen legalisieren soll.

    Er scheitert aber daran, daß er von vornherein die Religion als den “wichtigsten Aspekt” der Angelegenheit betrachtet und die “Frage religiöser Selbstbestimmung” nur vom Standpunkt der Eltern betrachtet. Vom Standpunkt des Kindes aus (von dem ja nicht feststeht, ob es später tatsächlich Jude oder Moslem sein will) ist natürlich nicht das Verbot der Zwangsbeschneidung, sondern die Zwangsbeschneidung selbst eine massive Einschränkung der religiösen Selbstbestimmung: Bis an sein Lebensende wird der Mann bei jedem Wasserlassen, bei jeder sexuellen Handlung an die Religion erinnert, die ihm seine Eltern ins Fleisch geschnitten haben. Daß der Eingriff auch in psychologischer und sexueller Hinsicht nachteilige Folgen haben kann, wird ebenfalls vom Autor nicht berücksichtigt, wie schon hier mehrere Kommentatoren festgestellt haben.

    “Das Kölner Urteil nun hat die Religionsfreiheit auf eine nicht sachgemäße Weise eingeschränkt, nämlich nicht unter Ansehung des Sinngehalts der religiösen Beschneidungspraxis.”

    Wenn den Staat den Sinngehalt religiöser Bräuche berücksichtigen muß, wo ziehen wir dann die Grenze? (Und müßten wir dann nicht Katholiken wegen Kannibalismus verfolgen?)

    “Die Richter hätten sehen müssen, dass es sich bei dieser Praxis nicht um ein peripheres, sondern um ein zentrales Merkmal der betreffenden Religionsausübung handelt…”

    Die Richter können ebenso wenig wie eine irgendeine andere staatliche Instanz eine Unterscheidung zwischen “peripheren” und “zentralen” Merkmalen treffen (mal abgesehen davon, daß die Zirkumzision auch innerhalb der Religionen nicht unumstritten ist). Das Kölner Gericht hat also richtigerweise diesen Punkt außer acht gelassen.

    “…es regelt, zumindest im Judentum, Zugehörigkeit zur Religion und ist das Schema ihrer Tradierung. ”

    Jude ist, wer von einer jüdischen Mutter geboren wurde, und so gibt es zigtausende von gläubigen und ungläubigen Juden mit intakten Penissen. Die Juden, die glauben, daß zur Tradierung ihrer Religion eine Vorhautamputation erforderlich ist, können problemlos als Erwachsene diesen Eingriff vornehmen lassen. Deswegen ist es unsinnig, zu behaupten, bei einem Verbot der Zwangsbeschneidung von Kindern falle der “Rechtsanspruch der Religionsfreiheit (…) vollständig unter den Tisch”.

    “Eine religiöse Intention darf in einem freiheitlichen Gemeinwesen jedoch nicht von vornherein als Rechtfertigungsgrund ausgeschlossen sein.”

    Bei einer Verletzung der Grundrechte einer anderen Person ist sie als Rechtfertigungsgrund ebenso ausgeschlossen wie etwa (um das Beispiel von Reinhard Merkel in seinem SZ-Aufsatz aufzugreifen) wie eine künstlerische Intention.

    P.S.: Der Link zum Vortrag von Prof. Merkel im Ethikrat funktioniert nicht – hier ist der korrekte URL:

    http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/plenarsitzung-23-08-2012-merkel-ppt.pdf

  16. […] wonach bei 1531 Beschneidungen zwischen 2003 und 2012 nur eine Komplikation aufgetreten sei. Daniel Bogner attestiert auf verfassungsblog.de dem Gesetzentwurf der Bundesregierung inhaltlich einen guten Ansatz, kritisiert jedoch, dass das […]

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