Corona, entschädigungsrechtlich betrachtet
Die Sache wird ernst: Die Infektionszahlen schießen nach oben, das soziale Leben kommt zum Erliegen, nun mehr und mehr auch in Deutschland. Veranstaltungen werden abgesagt, Einrichtungen geschlossen, freiwillig, aber auch aufgrund behördlicher Anordnung. Die Länder sind vom Empfehlungsmodus in den Verbotsmodus gewechselt.
Übernehmen sie damit auch eine finanzielle Einstandsverantwortung für die potentiell sehr großen Schäden, die aus den Absagen entstehen? Oder bleiben die Veranstalter, die Ticketpreise zurückerstatten müssen und keine Einnahmen mehr, wohl aber laufende Kosten haben, auf dem Schaden sitzen? Gewiss kann man, wie etwa auch in wetterbedingten Katastrophenlagen, ad hoc Existenzsicherungsprogramme für besonders betroffene Branchen oder Unternehmen beschließen, darüber wird ja auch schon nachgedacht. Aber auf der Suche nach etwaigen Ausgleichsansprüchen kommt natürlich auch das reguläre Entschädigungsrecht in den Blick.
Geschieht die Veranstaltungsabsage auf behördliche Anordnung, führt diese Suche in das Recht der öffentlichen Ersatzleistungen und hier in die Kategorie der Aufopferungsentschädigung für Schäden aus rechtmäßigem Staatshandeln (und nicht Staatsunrecht). Denn darum wird es bei den behördlichen Anordnungen in der Regel gehen: um – wenn nicht irgendwelche Fehler gemacht worden sind oder die Anordnung im Einzelfall unverhältnismäßig ist – rechtmäßige Maßnahmen in Wahrnehmung von Befugnissen nach dem Bundes-Infektionsschutzgesetz.
Damit kommen nun abgelegene sonderordnungsrechtliche Spezialregelungen des IfSG in den Blick, die auch dem mit Fragen des Staatshaftungsrechts vertrauten Juristen kaum bekannt sind und die zudem, wie sich jetzt zeigt, erhebliche Interpretationsprobleme aufwerfen. Die Kommentare sind in der Entschädigungsfrage wenig ergiebig, auch zum 2000 abgelösten Vorgängergesetz, dem Bundesseuchengesetz von 1961; Rechtsprechung und Aufsatzliteratur gibt es nur vereinzelt.
Schaut man in das Gesetz, scheinen berechtigte Entschädigungsforderungen gegen die Länder wegen aufgrund von Veranstaltungsverboten entstandener Schäden prima vista tatsächlich denkbar. § 65 IfSG bestimmt, dass eine Wiederbeschaffungswert-Entschädigung zu leisten ist, wenn aufgrund behördlicher Maßnahmen nach § 16 oder § 17 IfSG entweder „Gegenstände vernichtet, beschädigt oder in sonstiger Weise in ihrem Wert gemindert werden oder ein anderer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht wird“. Die ersten drei auf Gegenstände bezogenen Tatbestände einer Schädigung nehmen Bezug auf die Maßnahmenermächtigung des § 17, mit der den zuständigen Behörden (z.B. den Kreisordnungsbehörden als Infektionsschutzbehörden) die Befugnis gegeben wird, mit Krankheitserregern kontaminierte Gegenstände zu sichern und auch zu vernichten.
Hinsichtlich der Veranstaltungsverbote interessant ist demgegenüber (nur) der vierte, in § 65 aufgeführte Schädigungstatbestand (Verursachung eines anderen nicht nur unwesentlichen Vermögensnachteils), der auf die allgemeine Gefahrenvorsorge-Generalklausel des § 16 IfSG verweist. Nach dieser ist die Behörde berechtigt, die notwendigen Maßnahmen zur Abwendung der dem Einzelnen oder der Allgemeinheit drohenden Gefahren“ zu treffen, wenn „Tatsachen festgestellt werden“ oder „anzunehmen ist, dass solchen Tatsachen vorliegen“, welche „zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit führen können“.
War die Verhütungs-Generalklausel schon in der Ursprungsfassung des BSeuchG vorgesehen (§ 10), erfasste die Entschädigungsregelung seinerzeit (§ 57 BSeuchG) doch nur die Fälle der Gegenstandsvernichtung (damals noch § 39 BSeuchG). Erst das Dritte Gesetz zur Änderung des BSeuchG von 1971 ergänzte, so die Begründung des Regierungsentwurfs, die „konkret bezeichneten“ gegenstandbezogenen „Enteignungstatbestände“ um den (vierten) „Auffangtatbestand“, der erforderlich sei, „um mögliche Lücken zu schließen“. Durch die Neufassung dürften nun „alle in der Praxis vorkommenden Entschädigungsfälle erfasst sein“ (BT-Drs. VI/1568).
Kein Sonderopfer
Kann es wirklich sein, dass dieser 1971 nachgeschobene und ins IfSG übernommene Auffangtatbestand im Kontext einer Regelung, die eigentlich historisch die überschaubaren Fälle der Vernichtung kontaminierten Sacheigentums (etwa: salmonelleninfizierter Lebensmittel) im Blick hatte, nun Grundlage für in der Summe exorbitante Entschädigungsansprüche (in Millionen- oder sogar Milliardenhöhe) wegen breitflächiger und ggf. lang anhaltender Veranstaltungsverbote ist? Daran bestehen, aus einer die Logik und Praxis des gesamten Entschädigungsrechts überschauenden Perspektive, schon im Ausgangspunkt massive Zweifel.
Das Staatshaftungsrecht zielt mit seinen vielfach an begrenzende Voraussetzungen gebundenen Haftungstatbeständen und ihrer zudem häufig restriktiven Anwendung grundsätzlich nur auf den Ausgleich überschaubarer, eher „punktueller“ Schadenslagen und ist kein Instrument gesamtgesellschaftlicher Schadensversicherung oder Sozialleistung. Erst recht gilt das für die Aufopferungsansprüche, etwa wegen Beeinträchtigungen durch rechtmäßiges – ggf. aus grundrechtlichen Schutzpflichten sogar gebotenes – Gefahrenabwehrhandeln.
Ansprüche aus Aufopferung setzen ihrer alten Leitidee gemäß ein außerordentliches Sonderopfer, also eine ungleiche Betroffenheit, eine Inanspruchnahme über das Maß der jeden gleichermaßen bindenden Sozialpflichtigkeit des Eigentums und anderer Freiheit hinaus voraus. Im allgemeinen Polizeirecht resultiert daraus die Beschränkung der Entschädigung des Entschädigungsanspruchs auf die Fälle einer gezielten Inanspruchnahme des Nichtstörers, bei der Enteignung heute deren begriffliche Begrenzung auf Fälle der Entziehung privaten Eigentums für Zwecke der Selbstnutzung dieser Rechte durch den Staat (oder dritte Begünstigte): „Güterbeschaffung“.
Würden Entschädigungspflichten sogar für rechtmäßige Gefahrenabwehr (nicht erst und nur für fehlerhaftes Polizeihandeln, rechtwidrige Baugenehmigungen usw.) extensiv verstanden, hätte das unweigerlich einen hemmenden Effekt auf die Bereitschaft der Behörden zu Schutzeingriffen, für deren Folgen ihr Träger ja zu zahlen hätte – diese Sorge vor etwaigen Entschädigungslasten mag nun im Übrigen auch zur Zögerlichkeit der deutschen Länder beim Corona-Schutz beigetragen haben.
Und dieses alte Argument gegen zu weit gesteckte, über (eher niedrig anzusetzende) verfassungsrechtliche Pflichtstandards hinausgehende Entschädigungen hat bezeichnenderweise auch die Ausgestaltung der seuchenschutzrechtlichen Entschädigung selbst geprägt: Die schon angesprochene Änderung des § 57 BSeuchG von 1971 begrenzte nämlich den Kreis der Anspruchsberechtigten auf die „Nichtstörer“, im genaueren diejenigen, die durch die behördlich veranlasste Beschädigung oder Vernichtung von Gegenständen betroffen sind, die nicht mit Krankheitserregern behaftet oder dessen verdächtig sind.
Hintergrund dieser heute in § 65 IfSG fortlebenden, ganz wichtigen Beschränkung war die Erwägung, die bisherige, auch Eigentümer kontaminierter Sachen (also „Zustandsstörer“) berechtigende „reine Billigkeitsregelung“ habe „wegen ihrer außerordentlichen Großzügigkeit zu einer erheblichen, ungerechtfertigten finanziellen Belastung der Länder“ („in die Millionen“ gehend) geführt (s. wiederum BT-Drs. VI/1568, S. 7).
Bekämpfung, nicht Verhütung
Auch auf juristisch-handwerklicher Ebene lassen sich Argumente gegen ein Verständnis des § 65 IfSG als Haftungsgrundlage für die jetzt ausgesprochenen und kommenden Veranstaltungsverbote formulieren. Das kann hier natürlich nicht annähernd erschöpfend geschehen. Nur so viel:
Zunächst spricht schon viel dafür, dass § 65 IfSG Verbotsanordnungen in der jetzigen epidemischen Phase (und auch schon früher, nach Auftreten der ersten erwiesenen Krankheitsfälle) gar nicht erfasst: Diese dürften tatsächlich gar nicht auf die Verhütungs-Generalklausel des § 16 IfSG zu stützen sein, sondern auf § 28 IfSG, der – wiederum generalklauselartig – zu Schutz-Maßnahmen ermächtigt, wenn die Krankheit (beim Menschen) ausgebrochen ist oder auch nur ein Krankheits- oder Ansteckungsverdacht besteht.
Das IfSG unterscheidet (wie schon das BSeuchG) systematisch zwischen Maßnahmen zur Verhütung und solchen der Bekämpfung von Infektionskrankheiten. Übersetzt in allgemeine Kategorien liegt dem die Unterscheidung von (Risiko-)Vorsorge und Gefahrenabwehr zugrunde, auch wenn die Abgrenzung nicht überschneidungsfrei durchgeführt sein mag.
Der Entschädigungsanspruch in § 65 IfSG bezieht sich nur auf die Maßnahmen der Verhütung (hier: § 16), nicht auch auf solche der Bekämpfung gem. § 25 ff., zu denen z.B. die stationäre Quarantäne (§ 30), aber eben auch – in § 28 IfSG sogar beispielhaft ausdrücklich angeführt – Veranstaltungs-und Ansammlungsverbote und die Schließung von Einrichtung gehören. § 16 und § 28 stehen im Verhältnis der Exklusivität (Nds. OVG 3.2.2011 – 13 LC 198/08, Rn. 540 – juris, nachfolgend BVerwG, 22.3.2013 – 3 C 16/11).
Für die Gefahrenabwehr-/Bekämpfungsphase sieht das Gesetz nur einen Anspruch der von Berufsausübungsverboten betroffenen (etwa unter Quarantäne gestellten) Personen auf Verdienstausfallentschädigung vor (§ 56 IfSG), nicht aber den Anspruch aus § 65 IfSG, der sich nur auf die Vorsorge-Befugnisse der §§ 16 f. IfSG bezieht. Diese Differenzierung macht durchaus Sinn: Ist die Krankheit schon ausgebrochen, verdichten sich sowohl die staatliche Schutzpflicht zu wirksamen Eindämmungsmaßnahmen als auch korrespondierend die Pflicht Betroffener, Schutzeingriffe im nun dringenden Gemeinwohlinteresse zu dulden.
Die Frage hinsichtlich eines auf § 28 gestützten und damit jedenfalls entschädigungslosen Veranstaltungsverbotes kann nur sein, wie dicht der Zusammenhang zwischen dem Krankheitsfall (oder Verdacht), der den Eintritt in die Bekämpfungsphase markiert, und der in Rede stehenden Veranstaltung sein muss und ob – vorrangige – Maßnahmen gegen Infizierte oder verdächtige Personen („Störer“) möglich und ausreichend sind.
Unzweifelhaft erfasst § 28 auch Maßnahmen gegen „Nichtstörer“, also nicht nur gegen die infizierten oder ansteckungsverdächtigen Personen. Setzte § 43 BSeuchG in seiner Ursprungsfassung für Veranstaltungsverbote noch das Auftreten der Krankheit „in epidemischer Form“ voraus, ist auch diese Beschränkung später entfallen. Jedenfalls wenn angenommen werden muss, dass auch kranke oder ansteckende Personen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit bei größeren Veranstaltungen oder in stark frequentierten Einrichtungen anwesend sein können – und davon wird man bei Corona wohl längst bundesweit ausgehen müssen –, dürfte der gefahr- und damit befugnisbegründende Zusammenhang begründbar sein.
Keine umfassende Einstandspflicht
Selbst soweit (noch) die Vorsorge-Generalklausel des § 16 IfSG einschlägig sein sollte, wäre noch keineswegs ausgemacht, dass Veranstaltungsverbote Entschädigungsansprüche der Veranstalter nach sich ziehen müssten: § 65 IfSG ist – entstehungsgeschichtlich klar nachweisbar – als „Enteignungsentschädigung“ konzipiert.
Nach heutigem Verständnis geht es dabei zwar nicht mehr um eine Enteignung im technischen Sinn (Art. 14 Abs. 3 GG), sondern um eine gesetzlich gewährte Entschädigung für eine vom Gesetzgeber für ausgleichspflichtig gehaltene, enteignungsähnliche Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums, besonders deutlich sichtbar in dem Hauptfall der Regelung der Vernichtung nicht kontaminierter (d.h. nicht selbst „polizeiwidriger“) Gegenstände im Eigentum des Nichtstörers.
Der Bezug auf das Eigentum im verfassungsrechtlichen Sinn ist aber erhalten geblieben. Auch § 65 IfSG setzt die Beeinträchtigung einer Eigentumsposition im Sinn des Art 14 Abs. 1 GG voraus. Die Vorschrift begründet daher keine umfassende Einstandspflicht für sämtliche Vermögensschäden, etwa aufgrund von maßnahmenbedingten Einschränkungen der Berufsausübung.
Dagegen spricht neben dem klaren entstehungsgeschichtlichen Eigentumsbezug auch schon die Sonderregelung für den Verdienstausfall in § 56 IfSG. Ob Veranstalter aber bei Veranstaltungsabsagen eine dem Eingriff in das Sacheigentum bei der prototypischen Gegenstandsvernichtung vergleichbare Eigentumsposition geltend machen können, ist alles andere als sicher. Allenfalls kann man an den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb denken, der aber bis heute bekanntlich verfassungsgerichtlich nicht definitiv anerkannt ist. Hier wäre auch zu fragen und zu bezweifeln, ob § 65 tatsächlich den Schutzzweck haben kann, in Richtung einer Schadensersatzpflicht weitreichende mittelbare Verluste und entgangene Gewinne aus Beschränkungen der Betriebstätigkeit aufzufangen.
Schließlich muss auch die geschilderte Beschränkung des Anspruchs auf den Nichtstörer bedacht werden: § 65 Abs. 1 IfSG bezieht sie (wie § 57 BSeuchG) zwar ausdrücklich nur auf die gegenstandsbezogenen „Enteignungen“. Es kann aber nicht sein, dass ausgerechnet der 1971 eingefügte „Auffangtatbestand“ (s.o.) eine unbegrenzte Einstandspflicht auch gegenüber dem Störer – die der Gesetzgeber doch mit derselben Gesetzesnovelle gerade ausschließen wollte – eröffnet; hier ist also eine analoge Anwendung des § 65 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz IfSG geboten.
Damit stellt sich aber die Frage der Einordnung von (Groß-)Veranstaltern in die polizeirechtlichen Akteurs-Kategorien und landet man in dem sumpfigen Terrain der insgesamt wenig befriedigenden „Theorien“ oder Faustregeln zur Gefahrverursachung. Dass Ausrichter von Veranstaltungen, durch die ein Ansteckungsrisiko erhöht wird, unter allen Umständen einfach nur Nichtstörer sind oder nicht doch wenigstens Zweckveranlasser oder sogar Verhaltensverantwortliche, ist keineswegs gesichert. Das BVerwG hat in seinem Urteil zur bremischen Gebührenpflicht für Veranstalter von Hoch-Risiko-Veranstaltungen (also z.B. bei bestimmten Fußballspielen) zwar mangels Entscheidungserheblichkeit (es ging nur um eine neben dem Polizeirecht stehende Abgabenbelastung) in dieser Kontroverse zwar nicht Stellung zu bezogen, aber instruktiv auf den Streitstand hingewiesen (BVerwG, 29.3.2019 – 9 C 4/18, Rn. 37, juris).
Alles in allem zeichnet sich doch ab, dass der eigentumsverfassungsrechtlich begründete Sonderopferausgleich des Infektionsschutzrechts kaum der Hebel sein dürfte, mit dem das gesamtgesellschaftliche Problem schwerwiegender, wohl auch für manches Unternehmen existenzgefährdender wirtschaftlicher Schäden aufgrund der Corona-Epidemie zu bewältigen wäre. Die Frage einer gerechten Lastenverteilung für die wirtschaftlichen Folgen dieser Krankheit muss politisch verhandelt und dann situationsangemessen entschieden werden; sie ist schwerlich schon durch die spezifischen Entschädigungsvorschriften des Seuchenrechts, die solche Schadensszenarien ersichtlich nicht im Blick hatten, vorentschieden.
Danke für die erhellenden Ausführungen. Ich bin demgegenüber nach der verfügbaren Literatur (Trute, Pandemien als potentiell globale Katastrophe, GSZ 2018, 125 ff [131]; Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Gesundheitsrecht, Rd. 48) davon ausgegangen, dass bei Veranstaltungsuntersagungen immer nur der Kranke, der Krankheitsverdächtige, der Ansteckungsverdächtige oder der Ausscheider möglicher Adressat der behördlichen Anordnung ist und daher für eine Entschädigung allein § 58 IfSG in Rede steht.
an wen wende ich mich denn nun, mein Geschäft muss ich wie alle auch ab mittwoch schliessen , und da ich fast allein da bin, ich habe keine ahnung wie ich die anfallenden Kosten für KV (500 e im monat ) und Miete (1500 euro 9 bezahlen soll ohne einnahmen. onlinehaandel betreibe ich nicht, urlaub mache ich auch nie das wäre sonst ja vergleichbar. $58 besagt für priv KV ersatz, aber wo muss ich das beantragen? MFG Ina Lefevre, Nirvana , Erlangen