Das ist Alles von der Kunstfreiheit gedeckt
Der „NEUSTART KULTUR“ im Visier rechter Kulturkämpfer
Dem Thema „Kulturkampf von Rechts“ wurde bis 2019 große Aufmerksamkeit geschenkt, mit Beginn der Coronapandemie verschwand es aber zusehends aus dem öffentlichen Diskurs. Ein Ende März veröffentlichter Song des Rappers Danger Dan und eine darauf bezogene schriftliche Anfrage des bis August 2020 der AfD angehörigen Bundestagsabgeorndeten Frank Pasemann (BT-Drs. 19/28338, S.2) scheinen das Thema nun im Kontext der staatlichen Kulturförderung zu aktualisieren. Der Vorgang bietet Anlass die Rolle parlamentarischer Anfragen in der Kulturpolitik der AfD und deren Verhältnis zum übergeordneten Kulturkampf der Neuen Rechten in den Blick zu nehmen. Denn erst aus der übergeordneten Perspektive zeigt sich die gefährliche Strategie, die hinter der recht unverfänglich wirkenden Forderung nach (partei-)politischer Neutralität staatlich geförderter Künstler:innen und deren bewusst einseitiger Darstellung in parlamentarischen Anfragen steht. Eine Strategie, die nicht nur die geförderten Künstler:innen sondern auch die staatliche Kulturförderung systematisch diskreditieren soll.
Hintergrund: Künsterische Provoaktion und parlamentarische Reaktion
Der am 26. März 2021 veröffentlichte Song „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“, um den es in der Anfrage geht, stellt eine bewusste Provokation der (neu-)rechten Szene dar. Ziel dieser Provokation war es eigentlich, Leitfiguren wie Ken Jebsen, Götz Kubitschek oder Alexander Gauland durch einen unter juristischer Beratung entstandenen Text zu erfolglosen Klagen zu verleiten. Nur scheint mittlerweile allgemein bekannt zu sein, dass der Schutz der Kunstfreiheit recht weit reicht. Als der Künstler am 18. April in einem Interview gefragt wurde, ob er im Hinblick auf die ausstehenden Klageversuche gescheitert sei, entgegnete er: „[…] Ich glaube nicht, dass die angesprochenen Personen durch den Reifen hüpfen, den ich ihnen da hinhalte. Was kommen wird, sind kleine Anfragen in Landtagen, warum öffentliche Fördergelder so ein Lied finanzieren. Das ist ja Strategie der AfD, mit Anfragen demokratische Prozesse lahmzulegen.“
Und tatsächlich war es schon vor dem Interview zu einer schriftlichen Anfrage des mittlerweile fraktionslosen Bundestagsabgeordneten Frank Pasemann gekommen. Pasemann wollte unter Bezugnahme auf das Musikvideo wissen, inwiefern es „Bedenken der Bundesregierung“ begegne, dass „im Rahmen des Konjunkturprogramms „NEUSTART KULTUR“ des Bundes musikalische Projekte gefördert werden, in denen „Andersdenkende und Oppositionelle (etwa Vorsitzende von Bundestagsfraktionen sowie nonkonformelle Verleger) verunglimpft werden oder politisch motivierte Gewalt diesen gegenüber erwogen wird und – bebildert mit dem Aufmunitionieren von Kriegswaffen – zu politischer Militanz und Selbstjustiz aufgerufen wird“.
In ihrer Stoßrichtung und Formulierung reiht sich diese Anfrage recht nahtlos in die Anfragenpraxis ein, die die AfD in den letzten Jahren im Rahmen ihrer Kulturpolitik verfolgte. Neben der Diskreditierung des Künstlers zielt sie vor allem auf das Förderprogramm „NEUSTART KULTUR“ ab, in dessen Rahmen der Bund 900 Millionen Euro an die Kulturszene verteilt. Denn die Verteilung der Fördermittel ermöglicht einen gewissen Einfluss auf den kulturellen Bereich, dessen politischer Relevanz im Staatsrecht bislang vielleicht unterschätzt wurde, der aber aus der Perspektive der Neuen Rechten eine Schlüsselrolle auf dem Weg zur Übernahme der politischen Herrschaft spielt.
Kulturelle Hegemonie: Der Kulturkampf der Neuen Rechten
Mit dem Begriff „Kulturkampf“ wurden ursprünglich Auseinandersetzungen zischen Otto von Bismarck und der katholischen Kirche bezeichnet, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Deutschen Kaiserreich ausgetragen wurden. Allerdings hat der Begriff vor wenigen Jahren eine Neukontextualisierung erfahren, die etwa in einem kürzlich veröffentlichten Video des oft als „Chefideologe“ der AfD bezeichnete Bundestagsabgeordnete Marc Jongen sichtbar wird, in dem er in heroischer Inszenierung auf „VIER JAHRE KULTURKAMPF“ zurückblickt.
Wichtige Wurzeln des neuen „Kulturkampfs von Rechts“ liegen in der Bewegung der französischen „Nouvelle Droite“. Das theoretisches Grundkonzept, an dem sich die Nouvelle Droite orientiert, legte Alain de Benoist in seinem 1985 erschienen Werk „Kulturrevolution von Rechts“ nieder. Ihr eigentlicher (und unfreiwilliger) Ideengeber ist allerdings Antonio Gramsci, einer der Mitbegründer der Kommunistischen Partei Italiens. Sein Werk besteht insbesondere aus 32 „Gefängnisheften“, die zwischen seiner Inhaftierung 1926 und seinem Tod 1937 geschrieben wurden. Für de Benoist waren vor allem die Ausführungen interessant, die sich auf die Rolle des von Gramsci geprägten Begriffs der „Kulturellen Hegemonie“ bezogen. Denn Gramsci hatte die marxistische Grundprämisse, dass die Kultur, als ideologischer Überbau von der materiellen und ökonomischen Struktur der Gesellschaft abhänge und diese reproduziere und perpetuiere teilweise umgekehrt. Nicht nur Politik und ökonomische Verhältnisse sollten den kulturellen Überbau prägen, sondern auch der kulturelle Überbau die Politik. Die Übernahme der politischen Macht sei sogar meist kaum möglich, ohne eine vorhergehende Übernahme der kulturellen Macht. – so de Benoists Rezeption von Gramsci (Jungeuropa Verlag 2017, S.69 f.).
Für die praktischen Frage, wie sich die kulturelle Macht und Deutungshoheit übernehmen lässt, entwickelte de Benoist sein Konzept der „metapolitschen Botschaften“. Gemeint sind Botschaften, die zwar den rechtsextremen Anschauungen der Bewegung entsprechen, deren politische Suggestivkraft aber nicht unmittelbar sichtbar ist. Der große Vorteil dieser Art der Kommunikation solle darin bestehen, die gesellschaftlichen Widerstände zu umgehen, die eine offene Kommunikation hervorrufen würde (Jungeuropa Verlag 2017, S. 79).
Im deutschsprachigen Raum angewendet und verbreitet wurden die Ansätze von de Benoist vor allem durch die Identitäre Bewegung (IB). Das Aushängeschild der österreichischen IB, Martin Sellner, befasste sich in seinem 2017 erschienenen Buch „Identitär! – Geschichte eines Aufbruchs“ mit de Benoists theoretischem Modell. Nach Sellner soll zur Erreichung der kulturellen Hegemonie an erfolgreiche linke Ästhetik und Aktionsformen angeknüpft werden (3.A. Schnellroda 2019, S. 99 ff.). Dementsprechend verzichtet die IB auf die Verwendung klassischer rechtsextremer Bekleidungscodes (vgl. dazu den Begriff „Nipster“), prägt eigene Begriffe wie den „Ethnopluralismus“ um rassistisches Gedankengut politisch möglichst unverdächtig zu etikettieren und versucht durch Flashmobs und Störaktionen rechtsextremes Gedankengut nachhaltig im kulturellen Raum zu verankern.
Die AfD wiederum bezieht sich in ihrer Kulturpolitik nicht offen auf Gramsci oder de Benoist und auch nicht auf Sellner. Von der IB, die der deutsche Verfassungsschutz seit 2019 als „gesichert rechtsextremistisch“ bezeichnet und über deren Verbot gegenwärtig in Österreich, Frankreich und Deutschland diskutiert wird, distanzierte sich die Partei in der Öffentlichkeit immer wieder. Nichtsdestotrotz kam es aber zu personellen Überschneidungen, Kontakten und Sympathiebekundungen. Auch eine Analyse ihrer parlamentarischen Praxis zeigt, dass die Partei die parlamentarische Macht, die sie bereits errungen hat, bewusst einsetzt, um die aus ihrer Sicht linke bis linksextreme Hegemonie im kulturellen Raum zu brechen, die sie beim weiteren Machtausbau behindern könnte.
Künstlerische „Neutralität“: Die kulturpolitische Kernforderung der AfD
Als Kernpunkt im kulturpolitischen Programm der AfD diente dazu bislang die Einforderung von parteipolitischer „Neutralität“. Eine Forderung die gut zur Technik der metapolitischen Botschaften von de Benoist passt. Denn die Forderung nach mehr parteipolitischer „Neutralität“ dürfte weniger öffentlichen Widerstand erregen als die offene Forderung einer „Re-Nationalisierung“ des kulturellen Raums. Dass sie letztlich aber genau dieses Ziel verfolgt, wird der Partei beispielsweise von dem Bündnis „Die Vielen“ vorgeworfen, in dem sich mittlerweile hunderte Künstler:innen und Kulturinstitutionen aus Protest zusammengeschlossen haben.
Verfassungsrechtlich lässt sich die Forderung teilweise an den legitimen Gedanken anknüpfen, dass sich der Staat und seine Amtsträger, wenn sie als solche auf den Parteienwettbewerb einwirken, parteipolitisch „neutral“ zu verhalten haben. Das Problem ist nur, dass die Künstler:innen um deren Kommunikationsverhalten es im Bereich der Kulturpolitik letztlich geht, sich im Schutzbereich der Kunstfreiheit durchaus politisch positionieren können und diese Positionierungen auch überspitzt oder polemisch vortragen dürfen. Das hat das Bundesverfassungsgericht in einer langen Rechtsprechungsreihe zur Kunstfreiheit wiederholt klargestellt (vgl. dazu: Bieczynski, KUR 2011, 188). Die staatliche Kulturförderung wird von der AfD insoweit als Argumentationsbrücke genutzt, die beide Bereiche kurzschließen und die Übertragung der Neutralitätspflichten auf den kulturellen Bereich ermöglichen soll. Das scheint aber allenfalls im Ansatz und nur bezüglich eines Teilbereichs der staatlichen Kulturförderung möglich.
Betreibt der Staat Kulturförderung, indem er selbst Kulturinstitutionen wie Staatstheater oder Opernhäuser unterhält, macht er die dort beschäftigten Personen zu staatlichen Amtsträgern. Äußert sich etwa der Intendant eines staatlichen Theaters im Namen seines Theaters zu parteipolitischen Vorgängen, so handelt er durchaus als Amtsträger. Nur scheint es im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in der immer wieder die Abhängigkeit der eingeforderten Maßstäbe vom jeweiligen Amt betont wird, fernliegend, die etwa für Bundesminister:innen entwickelten strengen Maßstäbe unmittelbar auf Theaterintendant:innen oder Schauspieler:innen zu übertragen (vgl. dazu Wolf, NVwZ 2020, 845).
Für private Kulturinstitutionen und Künstler:innen, deren Verknüpfung mit dem Staat lediglich darin besteht, dass sie finanzielle Förderungen erhalten, gelten diese Neutralitätspflichten dagegen nicht. Staatliche Förderungen machen Künstle:innen nicht zu Amtsträgern. Deshalb versucht die Partei eine mittelbare Bindung zu schaffen, indem sie an der Vergabepraxis ansetzt, die durchaus zum staatlichen Bereich gehört. Diesem Ansatz nach dürften nur „neutrale“ Künstler:innen vom Staat gefördert werden, da der Staat sich selbst neutral verhalten muss. Auf dieser Prämisse beruhte etwa die Forderung der AfD-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses, die Mittel des Maxim-Gorki Theaters zu kürzen. Im Kulturausschuss wurde insofern argumentiert, dass sich das Theater zunehmend auf „politischen Kulturkampf und Gesinnungstheater“ fixiere, weshalb die staatliche Finanzierung der Bevölkerung nicht mehr zu vermitteln sei. In eine ähnliche Richtung zielte die schriftlich Anfrage von Pasemann zur Förderung von Danger Dan, mit der Kritik, dass im Song „Andersdenkende und Oppositionelle (etwa Vorsitzende von Bundestagsfraktionen […])“ verunglimpft würden.
Welche praktischen Auswirkungen die systematische Umsetzung dieser Forderung hätte, ist der Partei wohl durchaus bewusst. Ein Großteil der deutschen Kulturlandschaft ist abhängig von staatlicher Subventionierung. Eine Verknüpfung staatlicher Förderung mit politischen Neutralitätspflichten, würde deshalb faktisch zu einer weitreichenden Aushöhlung der ökonomischen Grundlagen der Kunstfreiheit führen. (AfD-)kritische Künstler:innen müssten ihre Kritik aufgeben, um weiter an der staatlichen Förderung partizipieren zu können. Geben sie ihre Kritik auf, macht die Partei im Kulturkampf ein weiteres Stück Boden gut.
Deshalb wird wohl auch bewusst überspielt, dass parteipolitische „Neutralität“ schon jetzt eine wichtige Rolle in der staatlichen Kulturförderung spielt. Allerdings auf einer Ebene, die es zulässt, die politischen Freiheiten des Eigenbereichs Kunst zu wahren. Denn die „Neutralität“ der staatlichen Kulturförderung basiert auf politisch möglichst neutralen Auswahlverfahren, nicht auf der Auswahl politisch „neutraler“ Künstler.
Das zeigt sich etwa auch am Beispiel der (wiederholten) Förderung von Danger Dan. Die Förderentscheidung wurde weder von der Staatsministerin für Kultur und Medien selbst getroffen, die die Förderung gezielt für parteipolitische Zwecke missbrauchen könnte, noch von weisungsabhängigen Vertreter:innen. Verantwortlich war ein mit Musiker:innen, Produzent:innen und Labelbetreiber:innen besetztes Gremium der „Initiative Musik gGmbH“, die mit der Aufgabe betraut ist, staatliche Fördergelder an Musiker:innen zu verteilen. Entscheidende Kriterien waren insoweit etwa der (wegen seiner Subjektivität durchaus problematische) künstlerische Wert oder die Bedeutung der Künstler:innen für den Musikstandort Deutschland (vgl. Programmbeschreibung: VII. Auswahlverfahren). Das die Entscheidung von einer „Fachjury“ getroffen wurde, ist von der Staatsministerin in der Antwort auf die Anfrage von Pasemann deshalb völlig zu Recht betont worden.
Verfassungsrechtlich belastbare Kritik an der staatlichen Kulturförderung müsste insoweit eher hinterfragen, ob Förderrichtlinien ausreichend normiert sind und Gremien tatsächlich ausreichend vor parteipolitischer Einflussnahme geschützt werden, als die mangelnde parteipolitische Neutralität geförderter Künstler:innen anzuprangern.
Framing: Die Darstellung von Kunstwerken in parlamentarischen Anfragen
Eine weitere Facette des parlamentarischen Kulturkampfes, die an der schriftlichen Anfrage von Pasemann sichtbar wird, ist die gezielte Instrumentalisierung parlamentarischer Anfragen. Anfragen sind eigentlich als Kontrollinstrument der Opposition gedacht, die es ermöglichen sollen, sich Informationen von der Regierung zu verschaffen. Sie können aber eben auch dazu genutzt werden, Künstler durch suggestive Fragestellungen politisch zu diskreditieren. Denn künstlerische Kritik, die von militanten Linksextremisten stammt, dürfte in weiten Teilen der Gesellschaft (unabhängig von ihrem Inhalt) weniger Zustimmung finden als die Kritik „bürgerlicher“ Künstler. Ebenso wie der Hinweis auf die Finanzierung militanter Linksextremisten im Rahmen der staatlichen Kulturförderung geeignet erscheint, die staatliche Kulturförderung in der Öffentlichkeit zu diskreditieren oder den Staat von der Förderung der Künstler:innen abzubringen.
Das spannende, in politischen Auseinandersetzungen aber zugleich auch gefährliche an Kunst ist, dass ihre Bewertung immer nur subjektiv und perspektivabhängig bleiben kann. Insofern kann Pasemann keinesfalls vorgeworfen werden, das Musikvideo in seiner Anfrage „falsch“ dargestellt oder interpretiert zu haben. Der Künstler ist im Video tatsächlich beim „aufmunitionieren“ einer „Kriegswaffe“ zu sehen. Und der letzte Vers endet mit der Zeile: „Und wenn du friedlich gegen die Gewalt nicht ankommen kannst ist das letzte Mittel, das uns allen bleibt, Militanz“. Eine Zeile, die man durchaus kritisieren kann und die in den Medien auch durchaus kritisch hinterfragt wurde.
Problematisch ist aber, dass das Erwartungsbild das Pasemann mit der Formulierung der Anfrage aufbaut, wohl enttäuscht wird, wenn man das Video erstmalig sieht, nachdem man die Anfrage gelesen hat. Denn die Kriegswaffe nimmt im Video nicht ganz den Raum ein, den sie in der Anfrage einimmt. Überwiegend ist der Künstler zu sehen, wie er auf einer Theaterbühne, im Licht eines Scheinwerfers (etwas kitschig inszeniert) auf einem Konzertflügel spielt und singt. Bei kunstspezifischer Betrachtung könnte man die Kriegswaffe als überspitztes Stilelement und die Äußerung zur Militanz als Auseinandersetzung mit Art. 20 IV GG oder dem Nothilferecht sehen. Man könnte – muss aber natürlich nicht. Jedenfalls solange man nicht als Richter:inn an die kunstspezifische Auslegung von Kunstwerken gebunden ist.
Der Erfolg der Instrumentalisierung von Anfragen zur Diskreditierung von Künstler:innen ist insofern davon abhängig, dass nur die in den Anfragen geframten Ausschnitte, meist einzelne künstlerische Zuspitzungen, in den öffentlichen Diskurs gelangen. Im hier besprochenen Fall, scheint das Vorgehen keinen Erfolg gehabt zu haben, das zeigt die teils ausführliche Beschäftigung der Medien mit dem gesamten Text. Ein kleiner Erfolg für die Freiheit der Kunst.
“Bei kunstspezifischer Betrachtung könnte man die Kriegswaffe als überspitztes Stilelement und die Äußerung zur Militanz als Auseinandersetzung mit Art. 20 IV GG oder dem Nothilferecht sehen.”
Sowohl dem Widerstandsrecht als auch dem Nothilferecht sind enge Grenzen gesetzt. Wenn man dem Künstler unterstellen möchte, dass ironischerweise er mit dem Schutz der freiheitlich demokratisch Grundordnung liebäugelt oder das Nothilferecht in Betracht zu ziehen ist, dann muss man sich fragen, inwiefern beide Mittel in dem von ihm vorgestellten Szenario auf Grundlage der Grundsätze des Widerstandsrechts und des Nothilferechts zu überlegen sind. Sein Szenario ist die Existenz von Personen der Öffentlichkeit, die der neuen Rechten zuzuordnen sind und deren Tötung er ja kunstvoll besingt. Es fragt sich also, inwiefern die Existenz dieser rechtsradikalen Personen die freiheitlich demokratische Grundordnung oder ein anderes Rechtsgut gefährden, sodass es zu einer Extremsituation kommt, in der die Schutzgüter derart gefährdet sind, als dass die genannten Personen getötet werden müssen. Eine andere Form der Abhilfe darf sowohl im Widerstands-, als auch im Nothilferecht nicht erkennbar sein.
Schnell wird festzustellen sein, dass diese Extremsituation nicht einmal im Ansatz erreicht ist. Gegen radikale politische Strömungen sind etliche mildere Mittel denkbar. Das Wahlverhalten des Einzelnen, die Tätigkeit des Verfassungsschutzes, der Staatsschutz etc.
Wenn eine Rechtsfolge, hier die Militanz und das Töten von Menschen, so fernab von der legitimierenden Grundlage besungen wird wie hier, dann ist davon auszugehen, dass es sich um eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Töten aus anderen Gründen oder dem Akt des Tötens selbst handelt.
Es ist in meinen Augen sehr verkrampft, in dieses Werk außerhalb einer Kritik an die Kunstfreiheit irgendwelche höheren Zwecke rein zu lesen. Ich kann verstehen, dass man es sich als Jurist schwer tut, sich nicht jede noch so abwegige Aussage zu sparen, um seine – hier politischen – Interessen zu stützen. Das hat ja auch eine gewissen sportlichen Reiz. Aber man sollte aufpassen, dabei nicht komplett den Boden unter den Füßen zu verlieren. Denn dann wird eine rechtliche Würdigung doch sehr schnell zum Gesinnungsaufsatz im Paragrafenkostüm.
Lieber Herr Lammich, vielen Dank für den interessanten Kommentar.
Ich denke ich bin mir sowohl mit Ihnen als auch mit dem Abgeordneten Pasemann in einem zentralen Punkt einig: Ein öffentlicher Aufruf zur Gewalt gegen die im Song genannten Personen ließe sich aus juristischer Perspektive natürlich weder durch ein Notwehr-/Nothilferecht rechtfertigen, noch in irgendeiner Weise durch Art. 20 IV GG (das in der Öffentlichkeit wohl am meisten fehlinterpretierte Grundrecht) legitimieren.
Worum es im Kontext des von Ihnen genannten Zitates aus meinem Beitrag ging, war darzustellen, dass man den Text zwar durchaus wie Sie oder Herr Pasemann interpretieren kann (denn damit kokettiert der Künstler wohl absichtlich) dass es aber – und hier gehen unsere Meinungen wohl auseinander – auch andere Interpretationsansätze gibt, die sich ohne größere Verrenkungen erschließen und nach denen der Songtext keinen Gewaltaufruf (insbesondere nicht konkret gegen die genannten Personen) enthält. Und solange ein Kunstwerk verschiedene Interpretationsansätze zulässt darf (so die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts) nicht auf den für den Künstler am nachteiligsten Interpretationsansatz abgestellt werden.
Dafür, dass dieser Umstand auch den im Song genannten Personen bewusst ist, spricht, dass es bislang nicht zu Anzeigen (etwa wegen Beleidigung oder Volksverhetzung) kam – wobei eine Gerichtsentscheidung sicher spannend wäre. Ich möchte insoweit nur auf die genaue (und wohl sehr bewusst gewählte) Formulierung der Songzeile verweisen, auf die Sie und Herr Pasemann sich beziehen und zudem dazu anregen, auch den restlichen Text und Interviews des Künstler, in denen er die Passage erläutert (etwa in dem im Beitrag verlinkten Werkstattgespräch mit Jan Böhmermann und Igor Levit), mit einzubeziehen.
Klar ist aber, dass aus einer Perspektive, aus der der Songtext ausschließlich als Gewaltaufruf gegen die genannte Personen verstanden werden soll, auch jede Relativierung dieser Eindeutigkeit als „Gesinnungsaufsatz im Paragraphenkostüm“ verstanden werden muss.
Angesichts der fantasievollen Einordnung des Liedtextes durch den Autor gehe ich wahrscheinlich recht in der Annahme, dass der Autor dasselbe Maß auch im Falle Gaulands anlegen würde, dem ja bekanntlich öffentlichkeitswirksam die “Entsorgung” einer gewissen Staatsministerin nach Anatolien vorschwebte, woraus die Auslegungskunst der zuständigen Staatsanwaltschaft eine durch die Meinungsfreiheit geschützte Äußerung machte. Herr Fischer hat seinerzeit zu dieser Auslegungsfantasterei, die auch hier vorexerziert wird, das Nötige im Spiegel gesagt (https://www.spiegel.de/politik/deutschland/alexander-gauland-und-die-volksverhetzung-debatte-von-thomas-fischer-a-1210885.html).
Es kann nicht darum gehen, Künstler vor ihren eigenen Äußerungen zu schützen, die sehr wohl von allen genau so verstanden werden, wie sie intendiert sind. Genau darauf spielt der gute Danger Dan im Text ja selbst zu Genüge an. Könnte allein der wiederkehrende, ständige, kindische Verweis auf die Kunstfreiheit im betroffenen Werk die Amnestie des Künstlers begründen, wäre am Ende jede menschliche Kommunikation völlig sinnentleert, weil nichts mehr das bedeuten würde, als was es gemeinhin verstanden wird und verstanden werden sollte.
Ihr Vergleich beruht zunächst einmal auf einer gewagten Prämisse, die ich nicht unbedingt teilen würde. Ob im Falle der Kunstfreiheit und der Meinungsfreiheit wirklich „dasselbe Maß“ gilt oder gelten sollte kann im Kommentarbereich eines Blogs allerdings kaum substanziell erörtert werden. Aber selbst wenn, dann glaube ich nicht, dass eine juristische Subsumtion in beiden Fällen zum selben Ergebnis kommen dürfte oder der von Ihnen bemühte (ehemalige) Bundesrichter zum selben Ergebnis kommen würde.
Nur zur Klarstellung: Das Zitat von Gauland lautete: “Das sagt eine Deutsch-Türkin. Ladet sie mal ins Eichsfeld ein und sagt ihr dann, was spezifisch deutsche Kultur ist. Danach kommt sie nie wieder her. Und wir werden sie dann auch, Gott sei Dank, in Anatolien entsorgen können.” Es enthält eine offen formulierte Handlungsaufforderung („ladet sie ein“/“zeigt ihr“/“wir werden sie … entsorgen können“), die sich ganz konkret auf die damalige Integrationsbeauftrage der Bundesregierung bezieht, weil diese das Vorhandensein einer „spezifisch deutsche Kultur“ abseits der Sprache in Frage gestellt hatte. Später stellte Gauland klar: „Ich hätte das Wort ‘Entsorgen’ nicht verwenden sollen. Inhaltlich stehe ich aber zu meiner Aussage. Frau Özoguz hat weder etwas in der Bundesregierung verloren noch in Deutschland.“
Thomas Fischer deutet das Zitat als eindeutigen Gewaltaufruf, die im Fall ermittelnde Staatsanwaltschaft nicht. Ich halte das Zitat (genau wie die nachträgliche Klarstellung) politisch gesehen für absolut abstoßend – eine abschließende juristische Bewertung möchte ich mir (trotz gewisser Sympathien für die Position von Herrn Fischer) hier aber nicht anmaßen.
Dagegen enthält das Zitat aus dem Song, auf dass Sie, Herr Lammich und Herr Pasemann, sich (bewusst) fokussieren zunächst grammatikalisch keinerlei Aufforderung, sondern eine Feststellung: „Militanz“ wird als „letztes Mittel“ gegen „die Gewalt“ genannt. Ich weiß das Wortlautargumente bei der Bewertung von Kunstwerken schwierig sind und man auch hier wieder eine „Verrenkung“, „fantasievolle Einordnung“ oder Anzeichen eines „Gesinnungsaufsatzes“ anprangern könnte.
Zur Einordnung der „Intention des Künstlers“ sei deshalb auch kurz auf das Folgende verwiesen: Zum einen geht dem Zitat im Song u.a. eine Auseinandersetzung mit dem NSU-Terror voraus. Zum anderen berief sich der Künstler etwa im Werkstattgespräch mit Jan Böhmermann bezüglich der Frage nach legitimer Gewalt (auch) auf das Beispiel „Rostock-Lichtenhagen“: Solange eine Geflüchtetenunterkunft mit Steine und Molotow-Cocktails angegriffen werde, sei zivile Gewalt gegen die Angreifer ein legitimes Mittel – jedenfalls solange die (seinerzeit überforderte) Polizei nicht einschreite. Insoweit könnte situtationsabhängig und und in engem Rahmen (!) tatsächlich von einer rechtfertigenden Nothilfesitution ausgegangen werden.
Ich halte es für absolut richtig und wichtig die Äußerungen zu Militanz kritisch zu reflektieren. Gleichzeitig halte ich es aber für gefährlich darüber den Rest des Werkes (oder eines Blogbeitrages) zu verdrängen und den Künstler auf juristischer Ebene durch eine eindimensionale, scheinbar alternativlose Interpretation einzelner Zuspitzungen zu diskreditieren.
Der Einsicht in eine gewisse Interpretationsoffenheit vieler von Art. 5 GG geschützter Kommunikationsinhalte wird man im 21. Jahrhundert wohl kaum noch entgehen können. Dass Künstler:Innen (jeglicher Couleur) im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen mit dieser Offenheit spielen wird man ihnen nicht verwehren können. Jedenfalls wenn man Art. 5 III GG nicht entwerten möchte.
Vielen Dank für die tiefgehende und sprachlich sehr genaue Auseinandersetzung mit diesem schwierigen Thema. Ich habe mir als absoluter Laie Ihren Text mit meinem vierzehnjährigen Sohn angeschaut, weil er mir das Lied von Danger Dan vorgespielt hat. Mich beunruhigt die zunehmende öffentliche sprachliche Entmenschlichung politischer Gegner sowohl von rechts als auch links sehr und ich finde Ihre Überlegungen sehr hilfreich, um zumindest die grundlegende Sachlage zu ordnen. Vielen Dank!