Das Kölner Beschneidungsurteil und das Judentum, Teil 2: Jüdische Beschneidungspraxis
Wie das Judentum mit unbeschnittenen Mitgliedern umgeht, muss den Gesetzgeber nicht interessieren. Dennoch wäre es für die Debatte hilfreich, wenn jüdische Vertreter etwa darlegen würden, wieso die Beschneidung Minderjähriger nicht wenigstens bis zum 13. Lebensjahr verschoben werden könnte, ein Termin, der zumindest deutlich näher an dem staatlicherseits gesetzten Zeitpunkt der uneingeschränkten Religionsmündigkeit des 14. Lebensjahrs läge.
Ob der Gesetzgeber so weit gehen würde, den Betroffenen bereits zu einem so frühen Zeitpunkt die notwenige Eigenständigkeit für eine solche Entscheidung zuzutrauen, ist offen; Zweifel sind auch hier angebracht. Ähnlich wird es sich mit den eigenartigen, kaum mehr als Kompromiss zu bezeichnenden Empfehlungen des Ethikrats verhalten: Es kann davon ausgegangen werden, dass keines der Mitglieder des Rates sich oder gar seine Kindern zumal einer so invasiven Operation wie die Beschneidung unter den hier formulierten vagen Vorgaben unterziehen würde.
Denn was mit “qualifizierter Schmerzbehandlung“ und „fachgerechter Durchführung“ gemeint sein soll, bleibt offen. Die Brisanz dieser vagen Formulierungen wird deutlich, wenn man die breite Debatte um die Operationstechnik im Judentum kennt. Das vom Vertreter des Zentralrats der Juden im Ethikrat gezeigte Video belegt dies eindrücklich. Hier wurden – abgesehen von einer eher symbolischen Desinfektion des Penis offenbar allerdings mit einem Handdesinfektionsmittel – nicht nur die üblichen medizinischen Hygienevorschriften für das Umfeld, die Hände und die Instrumente nicht eingehalten. Es handelte sich dabei zudem um die auch in der innerjüdischen Diskussion vielfach kritisierte ultra-orthodoxe Umsetzung des Rituals mit dem Einreißen des inneren Vorhautblatts mithilfe der Fingernägel, dem Aussaugen der Wunde mit dem Mund und der ebenso häufig kritisierten Art der Blutungsstillung durch einen Druckverband, alles ohne jede Betäubung. Würde der Vertreter des Zentralrats, wohlgemerkt ein Mediziner und kein Rabbiner, in seiner ärztlichen Praxis so arbeiten, würde ihn dies vermutlich die Zulassung kosten.
Auch das aktuelle Eckpunktepapier des Bundesjustizministeriums schreibt diese Unklarheiten fort, obwohl diese das Vorhaben insgesamt fraglich erscheinen lassen. Die Probleme, die sich aus einem solchen Bruch mit der bestehenden Gesetzgebungstradition ergeben, sind zahllos. Zwar versucht man in diesem Entwurf der zweifachen Problematik einer Bevorzugung einiger Religionsgemeinschaften und der rechtlich für den Gesetzgeber nicht zulässigen Möglichkeit, selbst zu bestimmen, was nach einer religiösen Tradition angemessen sei oder nicht, zu entgehen: Damit ist die Beschneidung, und hier zudem jede mögliche Form, männlicher Minderjähriger jedoch für alle Personenkreise zulässig. Verdecken kann dies dennoch die Sonderstellung zweier spezifischer Religionsgemeinschaften keineswegs, denn schon die Begrenzung der Regelung auf die Genitalbeschneidung männlicher Personen unter implizitem Ausschluss der Vielzahl anderer religiöser oder sonst möglicher Körpermodifikationen legt dies nahe. Zugleich wird eindeutig die jüdische Religion gegenüber der islamischen Tradition bevorzugt, wie sich klar aus der eigenartigen Begrenzung der Vornahme der Operation durch Nicht-Mediziner auf die ersten sechs Lebensmonate ergibt.
Offenbar hofft man durch ein solches Gesetz den grundlegenden Einwand, dass dies nicht im Sinne des Kindeswohls sein kann, auszuhebeln: Tatsächlich wird dies dadurch aber keineswegs beantwortet, denn bislang war das einzige halbwegs nachvollziehbare Argument in dieser Hinsicht, die nahtlose Eingliederung in den Religionsverband. Die grundlegenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber dem Aufweichen des Rechts auf körperliche Unversehrtheit sind keineswegs beseitigt. Ein solches Gesetz stellt, wie zu Recht schon gemahnt wurde und wie der Entwurf bestätigt, ein dramatischer Sündenfall der Rechtsgebung dar. Zugleich bleibt das logische Problem bestehen, dass man zwar die religiösen Traditionen der Beschneidung nicht benennt, die Körperverletzung allerdings eben nur auf Beschneidungen begrenzt bleiben soll: Hier könnte man sich mit einigem Recht fragen, warum nicht etwa Tätowierungen und dergleichen weit weniger eingreifende Modifikationen des Körpers nicht auch zulässig sein sollten. Gleiches gilt für den fragwürdigen Spagat, einen weiterhin illegalen Akt straffrei zu stellen, was einen direkten Bezug zu der bestehenden Abtreibungsregelung herstellt, wo abermals unter dem Einfluss von Religionsgemeinschaften eine vergleichbare, logisch schwer verständliche Regelung getroffen wurde.
Auch die damit erfolgte Begrenzung des Rechts der körperlichen Unversehrtheit auf Personen männlichen Geschlechts wird so nicht einzuhalten sein, will man nicht gegen den tragenden Gedanken der Gleichbehandlung verstoßen. Sogar die bei den Empfehlungen des Ethikrats bereits erkennbaren Probleme aufgrund unklarer Anforderungen an die Operationstechnik werden fortgeschrieben. Dies wird schon aus der eigenartigen Formulierung ersichtlich, dass die Operation nicht nur von Medizinern, sondern in den ersten sechs Lebensmonaten auch von ‚vergleichbar befähigten Personen‘ vorgenommen werden dürfe: Letztlich werden damit die vernünftigen Regelungen der Ausbildungsgänge zum Arzt sowie die ärztliche Zulassung in Frage gestellt, wenn sogar eine zweifellos ernsthafte Operation nunmehr Personen überlassen bleibt, deren eigentliche Befähigung sicherlich keine ärztlich angemessene ist und die in der vorgelegten Regelung insgesamt unklar bleibt.
Gleiches gilt für die an sich vernünftige Forderung nach einer “gebotenen und wirkungsvollen Schmerzbehandlung“ – warum es hier eine Einschränkung auf den ‚Einzelfall‘ geben sollte, bleibt unklar –, was dann aber Nicht-Medizinern sogar das Verabreichen von Lokalanästhesien oder sogar Vollnarkosen erlauben würde, eine ebenso unvorstellbare Missachtung von Patientenrechten bzw. hier der zu Beschneidenden, da eine medizinische Indikation ja nun nicht mehr gefordert wird, auch dies ein Novum, das gegen die bestehenden zentralen Grundlagen ärztlichen Handels verstößt: Gegen all diese Aspekte dürften die Interessensvertretungen der Mediziner in ihrem und im allgemeinen Interesse aller Erwartung nach zu Recht protestieren, während andere Berufsgruppen wie die Tätowierer, letztlich aber jedermann, hier vielleicht ganz neue Berufsfelder sehen könnten, von denen bisher niemand zu träumen wagte.
Die doch eher verhaltene Reaktion und erste Kritiken von Seiten der jüdischen Gemeinden und der Muslime zeigen, dass dieser vorauseilende Regelungsversuch ohne eingehende Kenntnis der eigentlichen Problemfelder zustande kam, da man einer eingehenden Debatte bislang auswich. All dies scheint man gar nicht zu bemerken: Solange nicht klar gesagt wird, dass man hier die für jede Impfung geltenden medizinischen Standards von Hygiene, Operationstechnik und Betäubung fordert – und dies gilt auch für die Aufklärung vor dem Eingriff –, bleiben es im wahrsten Sinne des Wortes fromme Wunschvorstellungen.
Zwar bieten diese vagen Vorschläge den jüdischen Gemeinden nunmehr die Möglichkeit, sich als kompromissbereit darzustellen und eine ‚medizinische‘ Ausbildung der Beschneider an einem Rabbinerseminar und entsprechende Regelungen in den Gemeinden anzukündigen. Damit werden jedoch nur Versäumnisse nachgeholt, denn solche Regelungen sind in anderen Staaten längst selbstverständlich. Und dies nicht nur von staatlicher Seite, sondern auch von jüdischer: Die jüdische Gemeinde Frankfurt am Main erließ aus Sorge um ihre Kinder bereits in den 1840er Jahren derlei interne Vorschriften. In anderen großen jüdischen Gemeinschaften wurden schon längst sowohl der Ausbildungsgang, die Zulassung, die Praxis und die Kontrolle geregelt, und dies oft in Absprache mit den öffentlichen Verwaltungen.
Zudem stellt sich die Geschichte dieses Rituals insbesondere in der Moderne und auch bei der Orthodoxie als allmähliche Anpassung an einen modernen Begriff von Medizin dar. Sieht man einmal von sehr kleinen Gruppierungen ab, die jüngst die vormoderne Praxis des direkten Aussaugens der Wunde mit dem Mund wieder propagieren, wurden durchgängig erste hygienische Grundstandards etabliert. Zweifellos entsprechen dennoch weiterhin wohl die meisten Beschneidungen in vielerlei Hinsicht nicht dem medizinischen Standard. Immerhin erklärte aber auch das orthodoxe Rabbinat das Benutzen medizinischer Instrumente für zulässig, etwa für das Aussaugen, ebenso wie man das innere Blatt der Vorhaut, das bei Kleinkindern noch fest mit der Eichel verklebt ist, nicht mehr mit angeschärften Fingernägeln einreißen und ablösen muss. Es gibt generell auch keine Vorschriften, die sich gegen Desinfektion, Mundschutz und sterile Handschuhe aussprächen. Es wäre bereits ein Fortschritt, wenn diese bestehenden Zugeständnisse überhaupt durchgängig umgesetzt würden.
Derlei Änderungen gingen bezeichnenderweise oft von der Neuregelung der Beschneidung Erwachsener auf diejenige achttägiger Säuglinge über. Im Bezug auf die Schmerztherapie geschah dies jedoch nur unzureichend: Bei der Beschneidung von Erwachsenen toleriert man bei Einhaltung der Rituale inzwischen eine zeitgemäße medizinische Operation, also sowohl eine medizinische Hygiene- und Operationstechnik, vor allem aber eine angemessene Anästhesie, zum Teil sogar die umstrittene kurzzeitige Vollnarkose. Man akzeptiert dies notgedrungen, da sich sonst niemand mehr beschneiden ließe, schließt diese Zugeständnisse jedoch zugleich für Säuglinge aus. Obwohl sich zentrale orthodoxe Gutachter inzwischen trotz erheblicher Bedenken selbst für die Möglichkeit einer Schmerztherapie bei Kleinkindern aussprechen, wurde selbst dies bislang nur teilweise und nicht verpflichtend in die Praxis übernommen. Aus medizinischer Sicht kann die dabei angedachte Schmerztherapie kaum überzeugen, weshalb vage Hinweise wie die des Ethikrats das Problem nicht lösen.
Hierzu muss man sich ein wenig mehr mit den letztlich medizinischen Aspekten der jüdischen Beschneidung befassen, die nicht nur eine Reihe spezifischer Techniken voraussetzt, sondern zugleich eine ganz besondere Form der Beschneidung fordert. Die Hauptargumente gegen eine Anästhesie leiten sich aus älteren Regelungen ab, so etwa dem Verbot, ein schlafendes Kind zu beschneiden, da dies ‚Anfälle‘ – vermutlich war damit die Epilepsie gemeint – hervorrufen könne. Diese Entscheidung wird nunmehr auf die Vollnarkose übertragen.
Hinzu kommt, dass die wache Wahrnehmung einen ganz zentralen Bestandteil des Aktes darstellt. In diesem Zusammenhang wird auch die Erduldung des Schmerzes diskutiert. Obwohl vom orthodoxen Rabbinat der Schmerz mehrheitlich nicht als notwendiger Bestandteil der rituellen Beschneidung anerkannt wurde, konnte sich die etablierte Rechtsauslegung nicht dazu durchringen, einem generellen Verbot der Beschneidung ohne Betäubung oder gar einer wirksamen Lokalanästhesie geschweige denn einer kurzen Narkose zuzustimmen.
Eine Argumentationslinie schätzt die Betäubung als gefährlicher ein als die Beschneidung – ein medizinisch zweifellos überholtes Argument, zumal wenn argumentiert wird, dass der Schmerz durch eine Injektion schwerer als der der Beschneidung selbst sei. Eine zweite zentrale Argumentationslinie bezieht sich entweder auf die Wahrnehmung des Aktes durch den Beschnittenen oder auf die Vorstellung, dass ein nicht vollständig funktionsfähiges, etwa ein betäubtes Organ letztlich nicht mehr wirklich belebt sei, weshalb an diesem kein religiöser Akt vollzogen werden könne: Dies führte zu dem Verbot der Lokalanästhesie, da hier die Nervenbahnen blockiert werden. Erlaubt wurde lediglich die Anwendung einer äußerlich aufgetragenen anästhesierenden Salbe, die den Schmerz jedoch nicht wirklich ausschalten kann: In den seit Jahren anhaltenden Debatten plädierte die medizinische Seite stets für eine umfassende Lokalanästhesie, wobei gerade bei Kleinkindern nur die problematische kurzzeitige Vollnarkose völlige Schmerzfreiheit zu garantieren scheint.
Warum man bei Erwachsenen pragmatisch all dies zumindest toleriert, ausgerechnet bei Säuglingen aber fundamentalistisch darauf beharrt, dass man am alten Ritual so wenig wie möglich ändern dürfe, bleibt unverständlich: Die jüdische Gemeinschaft müsste für sich klären, ob man Säuglingen nicht dasselbe zugestehen kann, was bei Erwachsenen bereits die Regel ist und ob der Verweis auf die Unveränderlichkeit des Rituals, das bereits vielfach modifiziert wurde, und das Beharren auf vormodernen medizinischen Vorstellungen beispielsweise parallele religiöse Gebote wie den Erhalt der Gesundheit oder das Verbot, unnötige Schmerzen zuzufügen wirklich aufwiegt?
Ähnlich verhält es sich denn auch mit der Forderung, dass dies auch weiterhin durch religiöse Beschneider, auch wenn diese keine Ärzte sind, möglich sein muss. Dies erklärt sich religiös allein dadurch, dass man den religiös positiven Verdienst, eine Beschneidung vorzunehmen, weiterhin einer möglichst großen Anzahl jüdischer Männer gestatten möchte. Jenseits dessen könnten die Gemeinden sogar vorschreiben, Beschneidungen ausschließlich durch jüdische Ärzte in der Klinik vornehmen lassen. Mehr sogar: Religionsgesetzlich muss einem Mann, der bereits in der Klinik von einem nichtjüdischen Arzt beschnitten wurde, als Ersatz für das hiermit nicht vollzogene religiöse Aufnahmeritual lediglich durch einen Nadelstich ein Blutstropfen entnommen werden. Beide Ausnahmeregelungen widersprechen den religiösen Vorstellungen und Intentionen zweifellos; sie zeigen jedoch, wie kompromissfähig das Judentum tatsächlich ist.
Auch wenn derlei interne Debatten den Gesetzgeber bei seiner Entscheidung, ob man zugunsten religiöser Normen ein Grundrecht aufheben kann, nicht leiten dürfen: Eine öffentliche Diskussion, die differenziert die Sachverhalte beleuchtet, wäre aber auch den Religionsgemeinschaften dienlich. So würde beispielsweise nicht der Eindruck entstehen, dass es sich beim Judentum generell um eine anti-moderne, religiös-fundamentalistische Tradition handle.
Die rechtlichen Implikationen einer solchen Gesetzesänderung sind tiefgreifend. Sie betreffen das Verhältnis von Staat und Kirche und stellen zugleich auch eine ganze Reihe weiterer grundlegender Rechte in Frage: Denn wie sollte man ein solches Recht nur auf zwei religiöse Traditionen und nur auf Männer begrenzen können, um nur zwei grundlegende Aspekte zu nennen. Zumal in der Übertragung auf ganz andere Rechtsgebiete und Zusammenhänge würde dies unabsehbare Wirkungen auf das Gemeinwesen haben, die man sich nicht ausmalen möchte.
Man mag gar nicht darüber nachdenken, was der ultra-orthodoxe Berliner Gemeinderabbiner Yitzhak Ehrenberg meinte, als er laut TAZ auf die Frage nach der Verschiebung des Zeitpunkts der Beschneidung antwortete, dies sei ‚noch schlimmer als physische Vernichtung‘. Doch wäre es entscheidend, von den Vertretern der jüdischen und der muslimischen Gemeinden, insbesondere ihren religiösen Würdenträgern, zu erfahren, wie sie derlei Veränderungen des gesellschaftlichen Rechtslebens verantworten und mit welchem Recht sie ihren Söhnen jenes Grundrecht der Entscheidungsfreiheit entziehen wollen, das sie für sich ganz selbstverständlich in Anspruch nehmen?
Prof. Dr. Andreas Gotzmann ist Professor für Judaistik an der Universität Erfurt.
Ein interessanter Kommentar, der die Vielschichtigkeit der Problematik aus jüdischer Sicht aufzeigt. Dass auch im Judentum mit der Frage Beschneidung ja/nein viel ergebnisoffener umgegangen werden sollte/müßte, habe ich schon vor Jahren betont. Die Frage, die der Kommentar jedoch nicht beantwortet, ist, woher die Autorität des LG Köln kommt, die Vorgaben dieser Diskussion bestimmen zu dürfen.
Anscheinend sehen Sie die Gefahr, einen „Eindruck des Fundmentalismus“ zu erzeugen, v.a. dann, wenn Juden strikt an dieser Praxis festhalten. Das finde ich noch gar nicht einmal so problematisch: Wenn gläubige Menschen im Ergebnis dogmatisch an ihrem Glauben festhalten, ist das doch gerade ein Ausdruck, dass sie von ihrem Glauben wirklich überzeugt sind. Ich habe großen Respekt davor, wenn jemand trotz aller Widerstände an seinen Überzeugungen festhält und sie konsequent vertritt. Das ist auch völlig unabhängig davon, was ich persönlich von diesen Überzeugungen halte: Ich mag grundsätzlich Menschen, die Prinzipien haben, die zu ihren Prinzipien stehen und an diesen Prinzipien auch festhalten, wenn es schwer fällt. Das gilt auch und gerade dann, wenn ihre Prinzipien sich von meinen deutlich unterscheiden.
Mein Hauptproblem in dieser Debatte ist ein anderes. Und zwar finde ich die Art und Weise, wie viele Rabbis diese Praxis verteidigen, fürchterlich. Z.B. der ZdJ behauptet immer noch steif und fest, eine Zwangsbeschneidung von Säuglingen habe „nur Vorteile“ und „führe zu keinerlei Beeinträchtigung“: http://www.zentralratdjuden.de/de/article/3731.html Ganz ähnlich „argumentieren“ oft auch Moslems und (US-)Ärzte mit entsprechenden Überzeugungen. Die meisten Befürworter von Zwangsbeschneidungen sind nicht bereit, sich ernsthaft mit den Nachteilen und Schäden einer solchen OP zu beschäftigen. Und das ist kein Ausdruck von Prinzipientreue oder Glaubenstreue. Es ist einfach Ignoranz.
Diese Art der „Diskussions“führung, sämtliche Probleme von (Zwangs-)Beschneidungen schlicht zu leugnen, die ist wirklich erschüttert. Das ist Fundamentalismus im schlechten Sinne: Kritikunfähigkeit. Vielleicht sind diese Leute noch nicht einmal wirklich überzeugt von ihrem Glauben, sondern im Gegenteil: Sie nicht gewillt oder nicht in der Lage, ihn auch nur zu hinterfragen. Okay, vom Islam habe ich eigentlich auch nichts anderes erwartet. Aber meine Achtung vor dem institutionalisierten jüdischen Glauben ist im Laufe der letzten Monate erheblich gesunken.
Ich würde das deutlich anders bewerten, wenn Juden und Moslems sagen würden: „Okay, vielleicht tun wir unseren Jungs hier wirklich etwas Fürchterliches an, oder wir setzen sie zumindest enormen Risiken aus. Aber unser Gott verlangt nun einmal, dass wir das tun. Und wir wollen Ihm gehorchen, also müssen wir das auch tun“. Vor einer solchen Überzeugung hätte ich großen Respekt. Ich würde sie sicherlicht nicht teilen. Und man müsste natürlich auch dann diskutieren, ob man das Umsetzen einer solchen Überzeugung erlauben sollte. Aber ganz unabhängig von der politischen und rechtlichen Bewertung hätte ich große Achtung davor, wenn jemand so konsequent zu seinen Überzeugungen steht.
to Mark Swatek-Evenstei..
nun: die jüdischen Gemeinden muessten m.E. ihre Tradition sowie ihre Vorstellungen zur Gestaltung dieses Rituals innerhalb des deutschen Rechts überhaupt erst einmal adäquat darstellen. Davon kann bislang nicht die Rede sein… .
Die das deutsche Recht betreffende Diskussion musste hier aus Raumgruenden aussen vor bleiben: Die Berechtigung, den spez. Fall zu entscheiden, erhielt das Gericht natuerlich durch die Klage. Dass es dadurch die Debatte anschob, duerfte aller Wahrscheinlichkeit nach kaum im Interesse der Richter gelegen sein.
Ich vermute, die Frage zielt darauf ab, wie das Gericht so entscheiden konnte: Nach meiner Einschaetzung vollzieht das Urteil jedoch nur nach, was bestehendes Recht ist.
Wenn man ueberhaupt etwas an diesem kritisieren moechte, so den Aspekt, dass das Koelner Urteil – ebenso wie die jahrzehntelange Duldung einer offenkundig rechtswidrigen Praxis von seiten der Eltern/Religionsgemeinschaften sowie der involvierten Aerzte und noch mehr der ohne aerztliche Zulassung agierenden Personen durch den Staat – erneut eine minimale Position bezieht, indem letztlich niemand bestraft wird etc.pp.
Dies ist im Hinblick auf den Arzt nicht zu verstehen, denn selbst wenn man wie das Gericht es tat zubilligt, dass dieser eine etablierte Praxis als rechtskonform missverstand, bleibt der zweite Umstand, der notwendige Voraussetzung jeder aerztlichen Taetigkeit ist, bestehen: naemlich, dass es auch in diesem Fall keine medizinische Indikation zur der Operation gab.
Hinsichtlich des zweiten zentralen Aspekts, ob die Eltern hier zum Kindeswohl handeln, lässt sich nur mit erheblichen Schwierigkeiten ein Argument erzwingen, dass das EInschränken des Grundrechts auf koerperliche Unversehrtheit rechtfertigen koennte. Auch hier hat das Koelner Gericht sich im Rahmen des Moeglichen weitgehend zurueck gehalten.
Dass das Argument des Kindeswohls problematisch ist, zeigt sich schon, da hier offenkundig religioese Normsetzungen, die auf ein definiertes Kollektiv ausgerichtet sind, das Handeln der Eltern bestimmen. Die Definition des Kindeswohls ist jedoch notwendigerweise auf ein spezifisches Kind bezogen; die religioese Regelung erkennt subjektive Befindlichkeiten allerdings nur als strikt beschraenkte Ausnahme, zB. bei Erkrankung.
Zudem bedeutet das Kindeswohl nicht das Wohl der Eltern, die tatsaechlich sozusagen treuhaenderisch im Interesse des Kindes zu handeln haben; die religioese Regelung (s. den Beitrag) zielt auch bzw. sogar primär aber dezidiert auf die Erfuellung eines positiven religioesen Gebots ab, dass den Eltern obliegt.
Selbst wenn man diese Bezuege zwischen religioesem und staatlichem Recht ausser acht laesst – was aus Sicht des staatlichen Rechts ohnedies der Fall sein sollte -, liesse sich hier ein Wohl des Kindes, das eine Koerperverletzung rechtfertigen wuerde, m.E. kaum konstruieren. Das staerkste Argument ist sicherlich, die nahtlose Integration in die (religioese) Gemeinschaft: spaetestens wenn nachweislich ist, dass unbeschnittene Personen keine oder wenige Ausgrenzungen zu erwarten haben, bzw. wie im Beitrag dargestellt, die Religionsgemeinschaften hier zu einem recht unproblematischen Umgang gefunden haben, duerfte dieses – ohnedies in Abwägung mit einem Grundrecht doch sehr gezwungene Argument – nicht ueberzeugen.
Das vielfach angefuehrte Argument der Religionsfreiheit greift ohnedies gar nicht, da auch dieses Recht auf ein Individuum und seine spez. Freiheit bezogen ist – aber niemals die Freiheit einer Person einzuschränken, zB. andere zu verletzen, meinen kann.
@Andreas Gotzmann: Danke für die Antwort, ich sehe das („Berechtigung des Gerichts“, „das Urteil vollzieht nur nach, was bestehendes Recht ist“) anders, siehe mein früherer Beitrag hier beim verfassungsblog.
@ zirp
Ich würde das deutlich anders bewerten, wenn Juden und Moslems sagen würden: “Okay, vielleicht tun wir unseren Jungs hier wirklich etwas Fürchterliches an, oder wir setzen sie zumindest enormen Risiken aus. Aber unser Gott verlangt nun einmal, dass wir das tun. Und wir wollen Ihm gehorchen, also müssen wir das auch tun”. Vor einer solchen Überzeugung hätte ich großen Respekt. Ich würde sie sicherlicht nicht teilen. Und man müsste natürlich auch dann diskutieren, ob man das Umsetzen einer solchen Überzeugung erlauben sollte. Aber ganz unabhängig von der politischen und rechtlichen Bewertung hätte ich große Achtung davor, wenn jemand so konsequent zu seinen Überzeugungen steht.
Solche Leute gibt es – wenn auch offenbar nicht in Deutschland:
http://www.noharmm.org/CArabbi%20admits.htm
Das Problem der Betäubung, ist die Anästhesie als Solches. Auch bei Erwachsenen, kommt es in hohem Maße, zu Nebenwirkungen, die unerwünscht bis tödlich ausgehen können. Bei einem Säugling, könnte sich das Risiko, bis auf 50% steigern. Schon dieses Risiko, sorgt dafür, das kaum Erfahrungen mit Anästhesie bei Säuglingen gemacht werden, und es deshalb keine Studien gibt. Daneben, weis man aus der islamischen Beschneidung, das der Penis eines Knaben, schwer zu betäuben ist. Ca. 10% der Beschneidungen, müssen, obwohl Betäubungsversuch, ohne Betäubung auskommen. Hierbei ist noch zu berücksichtigen, das man bei einem 4 bis 12-jährigen, durchaus Nachbetäubungen machen kann, die bei einem Säugling, wegen der fehlenden Resonanzmöglichkeit, nicht machbar sind. Insofern wäre also eine Betäubung schlimmer, als die Beschneidung. Und nicht wegen dem Piekser, den eine Spritze verursacht.
Die jüdische Religion, hat in ihrer tausenden Jahre alten Geschichte, soviele Änderungen, die in der Thora vorgeschrieben werden, hinnehmen müssen, ich denke da an Vielweiberei, Opfergesetze, Sabbatgesetze, Sklavenhaltung oder Sexualvorschriften, das es einfach nur abwegig und unverständlich erscheint, wenn um diese Beschneidung, ein solcher Bohei gemacht wird. Ja, selbst auf der Seite, im Zusammenhang mit der Beschneidung in der Thora, werden Bestimmungen gemacht, z.B. gegenüber Sklaven, die heute gar nicht mehr machbar sind.
Völlig unverständlich, wie die Regierung, mit diesem Problem umgeht. Nicht nur völlig unnachvollziehbar, wie hier Richterschelte verteilt wird (Komikernation), nein, es wird auch noch das Recht, insbesondere das Grundgesetz verbogen, das es einem Angst und Bange um den Rechtsstaat werden kann. Man fragt sich wirklich, wovon einige Abgeordnete geritten werden.
Wie will man Eltern klar machen, das zwar Ohrfeigen verboten sind, aber Beschneidungen ohne Anästhesie, dem Wohl des Kindes dienen? Wie will man Ärzten klar machen, das jeder medizinische Eingriff, von Laien, strafrechtlich relevant ist, aber das Rumschnippeln an Säuglingen, ohne Betäubung und unter folterähnlichen Bedingungen, von jedem Mohel ausgeführt werden dürfen? Wie will man Autofahrern klar machen, das sie besondere Rücksicht um Kleinkindern üben müssen, wenn man bei Beschneidungen, „zum Wohl des Kindes“, sogar Gesundheit und Leben riskiert? Und, wie will man einem Pädophilen klar machen, das das liebevolle Behandeln eines Geschlechtsteiles, strafrechtlich erheblich relevant ist, aber eine „Beschneidung“, die man durchaus in den Bereich des Sadismus bei Kindern, einordnen kann, ein völlig normaler und gesetzlich geschützter Vorgang ist? Ich fürchte, hier wird eine Büchse der Pandora geöffnet, die fest verschlossen bleiben müsste. Und ich kann nur hoffen, das beim Bundesverfassungsgericht, mehr Weisheit herrscht, als bei einigen Regierungsmitgliedern.
Grüße, Rudi Gems
„Gleiches gilt für den fragwürdigen Spagat, einen weiterhin illegalen Akt straffrei zu stellen, was einen direkten Bezug zu der bestehenden Abtreibungsregelung herstellt,“
hier fehlen leider einige Kenntnisse im Strafrecht, die fehlen allerdings auch etlichen in der Presse:
Das hier vorgestellte Model hat nichts mit dem Model straffreie Abtreibung zu tun:
„Auch mit dem Gesezt bleibt die Beschneidung eine Körperverletzung, aber …“ hört man immer. Und das ist richtig.
Das heißt aber nicht, daß es weiterhin eine rechtswidrige oder illegale Tat bleibt.
Im Strafrecht wird zuerst geguckt, ob ein Verhalten den Tatbestand des Verbotsgesetzes erfüllt.
Da wird schlicht jeder Eingriff in den Körper als KV angesehen. (vereinfacht)
Ob das ganze dann wirklich strafbar ist, entscheidet sich (u.a.) an der Frage, ob die Tat rechtswidrig war. Normalerweise geht man davon aus, was einen Tatbestand erfüllt, ist rechtswidrig, wenn keine Ausnahme vorliegt. Eine solche Ausnahme ist zB Notwehr oder eben die Einwilligung eines dazu Berechtigten.
Und mit dem Gesetz wird diese Berechtigung klargestellt.
Gleiche Konstellation:
Der medizinische Eingriff des Arztes bleibt auch immer eine KV – dem Tatbestand nach. Es ist aber keine Straftat, weil eben eine rechtfertigende Einwilligung vorliegt.
Damit liegt klar keine Straftat vor – kein Vergleich mit der rechtswidrigen, aber straffrei bleibenden Abtreibung. Kein fragwürdiger Spagat.
Die Abtreibung ist mit der Beschneidung überhaupt nicht vergleichbar. Bei einer Abtreibung, versucht man eine Notlage der Frauen zu verstehen, die sich gegen ein Kind entscheiden, weil sie die sozialen Folgen fürchten. Eine Frau die abtreibt, entscheidet für sich, als Opfer. Sie ist wenigstens schon so mündig, das sie Geschlechtsverkehr machen kann. Auch das eigentliche Opfer, das abgetriebene Kind, ist mit der Beschneidung, nicht vergleichbar. Bei einer Beschneidung fällt als „Opfer“, lediglich ein Stück Haut an. Auch bei der strafrechtlichen Bestrafung, geht es gegen das Opfer, das in einer Notlage war. Bei der Beschneidung, wird gegen einen Täter ermittelt, der sich der Körperverletzung schuldig gemacht hat.
Bei einer Beschneidung liegt die Sache eben ganz anders. Das Opfer, hat, wenn man mal von ein paar Spinnern absieht, keinerlei böse Folgen zu erwarten, wenn es nicht beschnitten ist. Und, die Beschneidung oder Nichtbeschneidung, lässt sich lebenslang verbergen, im Gegensatz zu einer Geburt. Und weiter, durch die Beschneidung, wird in keinster Weise, so wie bei der Abtreibung, die Gefahr einer brutalen sozialen Ausgrenzung vermieden. Und noch weiter, das Opfer, kann in keiner Weise aktiv an der Ausführung der Beschneidung teilhaben, was bei einer Abtreibung, in fast jedem Falle möglich ist.
Bei dem Vergleich, Beschneidung gegen Abtreibung, werden einfach nur Äpfel mit Birnen verglichen.
Grüße, Rudi Gems
me schrieb:
»“Auch mit dem Gesezt bleibt die Beschneidung eine Körperverletzung, aber …” hört man immer. Und das ist richtig.
Das heißt aber nicht, daß es weiterhin eine rechtswidrige oder illegale Tat bleibt.«
Doch, die Beschneidung als solche bleibt eine rechtswidrige Tat, nämlich dann, wenn sie nicht an Jungen, sondern an Mädchen vorgenommen wird. Sogar dann, wenn beim Mädchen die Schwere des Eingriffs geringer ist als beim Jungen (etwa bei der sogenannten „milden Sunna“).
Wenn das kein „fragwürdiger Spagat“ ist, was dann?
@ Balanus:
Aber Sie wissen doch: Bei Mädchen gibt es für Schnarrenberger und Co. nur Infibulation und das Wegschneiden der Klitoris. Die vergleichsweise leichteren Formen weiblicher Genitalbeschneidung, bei denen z.B. nur die Vorhaut weggeschnitten wird, existieren für die Befürworter dieses Gesetzes schlicht nicht.
Kein Wunder. Wenn man nämlich berücksichtigt, dass es die gibt, lässt sich das Gesetz in dieser Form auch auf keinen Fall mehr halten.
Den zweiteiligen Artikel von Prof. Gotzmann empfinde ich als enttäuschend. Es wäre zu mühsam, alle die Punkte aufzuführen, an denen seine Argumentation krankt. Mich verwundert vor allem seine Verwunderung darüber, warum die Juden nicht einfach dieses Ritual auf das 13. Lebensjahr verlegen. Kennt ein Professor für Judaistik wirklich so wenige Juden, dass er sich nicht in sie einzufühlen vermag und nicht weiss, wie tief die Beschneidung in der jüdischen Kultur — also auch bei säkularen Juden — verwurzelt ist?
Zuzustimmen ist ihm nur insofern, dass der Gesetzesentwurf zu vieles im unklaren lässt. Hier müssen die Ausführungsbestimmungen nachliefern. Den mitlesenden Beamten im Justizministerium empfehle ich die Lektüre der Schrift „Die Beschneidung vom historischen, kritischen und medicinischen Standpunkt“ von J. Bergson (Berlin 1844): http://books.google.de/books?id=lAg_AAAAcAAJ&hl=de&source=gbs_similarbooks
Die darin enthaltenen Vorschläge, speziell bezüglich der Anforderungen an die Qualifikation von Beschneidern, könnten auch heute als Grundlage für die flankierenden Ausführungsbestimmungen genommen werden. Darüber hinaus könnten sich einige ein Beispiel daran nehmen, wie eine gründliche Befassung mit dem Thema aussehen kann.
Die „vergleichsweise leichteren Formen weiblicher Genitalbeschneidung, bei denen z.B. nur die Vorhaut weggeschnitten wird“ kommen so gut wie gar nicht vor.
Quelle: http://www.who.int/mediacentre/factsheets/fs241/en/
@ noram
Kennt ein Professor für Judaistik wirklich so wenige Juden, dass er sich nicht in sie einzufühlen vermag und nicht weiss, wie tief die Beschneidung in der jüdischen Kultur — also auch bei säkularen Juden — verwurzelt ist?
So tief kann die Verankerung nicht sein, wenn in den Niederlanden nur ca. 30 % der neugeborenen Juden beschnitten werden.
http://www.reuters.com/article/2011/09/23/us-dutch-circumcision-health-idUSTRE78M3R620110923
In Deutschland sollen es laut Rabbi Walter Rothschild (Interview in der taz vom 27. August 2012) 100 Knaben pro Jahr sein – demzufolge wäre der Anteil hierzulande noch viel niedriger.
@ noram
… in very rare cases, only the prepuce (the fold of skin surrounding the clitoris)
Sie unterschlagen hier den Typ IV der WHO:
Von der Verätzung abgesehen sind alle diese Formen der weiblichen Genitalverstümmelung weitaus weniger schwerwiegend als das männliche Pendant – trotzdem sind sie alle verboten.
Eine Einstufung der männlichen und weiblichen Beschneidungsformen nach ihrem Schadenspotential findet sich hier:
http://3.bp.blogspot.com/-FEO4Jfcrznc/Taiz-K7MwAI/AAAAAAAABhY/tM8PNdnLgeE/s1600/MGC-FGC.jpg
@Sol1 Ich unterschlage überhaupt nichts, Sie Hirni. Jeder kann die von mir angegebene Quelle anklicken und selbst lesen, was da steht. Grotesk, dass Sie mir unsauberen Umgang mit Quellen vorwerfen, da in der von Ihnen angebenen Quelle gar nichts von „30 Prozent“ steht. Immerhin eine feine Ironie: in dem Reuters-Artikel sagt der holländische Arzt und Beschneidungsgegner, dass die religiöse Beschneidung tief verwurzelt („deeply embedded“) ist und bestätigt damit, was ich oben schon geschrieben habe.
@ noram:
Zur Häufigkeit habe ich auch schon andere Angaben gehört, nach denen diese Typ-I-a Beschneidungen z.B. in Ägypten und Nigeria recht weit verbreitet seien. Und gerade in Ägypten werden sie oft sogar von Ärzten vorgenommen.
Allerdings kommt es dabei ohnehin nicht auf die Häufigkeit an. Selbst wenn das zwangsweise Entfernen der Vorhaut bei Mädchen tatsächlich nur sehr selten sein sollte: Es muss trotzdem vor dem Gesetz immer noch ebenso behandelt werden wie das zwangsweise Entfernen der Vorhaut bei Jungs. Eine Ungleichbehandlung würde allermindestens einen sachlichen Grund für diese Ungleichbehandlung voraussetzen. Und „das machen doch ohnehin nur sehr wenige Leute“ ist kein sachlicher Grund. Das ist schlicht Ignoranz gegenüber Minderheiten.
Übrigens: Gerade die WHO ist ein Aushängeschild genau der Doppelmoral, die ich kritisiere. Die WHO definiert Vorhautamputationen bei Mädchen ganz zwanglos als „Genitalverstümmelung“, und schert sie weitgehend über einen Kamm mit den wirklich schweren Formen von FGM. Die entsprechende Amputation bei Jungs soll dann aber plötzlich nur ein ganz harmloser, kleiner Eingriff sein.
Sehen Sie diesen Widerspruch?
Zur tiefen Verwurzelung im Judentum auch interessant:
http://www.welt.de/print/die_welt/debatte/article108847257/Die-Vorhaut-des-Herzens.html
Und der Einwand mit dem teilweise milderen Typ-4-Formen bei Frauen bleibt natürlich besthen. Den können Sie auch mit Beschimpfungen nicht beseitigen.
Wer sich ernsthaft mit dem Thema Genitalverstümmelung bei Frauen beschäftigt, findet leicht heraus, dass die relativ harmlose Klitorisvorhautbeschneidung in Asien sehr verbreitet ist. In Malaysia und Indonesien werden fast alle Frauen nach dieser Variante beschnitten. (Es handelt sich dabei übrigens um viele Millionen von Frauen.) Die Frauen-Beschneidung ist religiöse Pflicht bei den Shafiiten, einer der vier Rechtsschulen der Sunniten. In Malaysia wird der Eingriff an der Klitorisvorhaut von Ärzten vorgenommen, und zwar an Mädchen im Alter ca. 50 Tagen. Der Eingriff ist weitaus weniger gravierend als die Jungenbeschneidung und dennoch in Deutschland und internatioal geächtet. Die deutschen Politiker ignorieren diese Tatsachen. Für mich ist es absolut bizarr, dass unsere Politiker bei Mädchen den allerkleinsten Piekser unter Strafe stellen wollen und bei Jungen gerne beide Augen zudrücken.
http://www.nytimes.com/2008/01/20/magazine/20circumcision-t.html?_r=1
http://www.aandes.blogspot.de/2010/04/circumcision.html
http://www.unhcr.org/refworld/topic,45a5fb512,46556aac2,46d57879c,0.html
http://www.irinnews.org/Report/90366/INDONESIA-Female-genital-mutilation-persists-despite-ban
Ja ja, auch die WHO ist Teil der Verschwörung.
Whatever.
Ich bin raus.
@ noram
Ich unterschlage überhaupt nichts, Sie Hirni. Jeder kann die von mir angegebene Quelle anklicken und selbst lesen, was da steht. Grotesk, dass Sie mir unsauberen Umgang mit Quellen vorwerfen, da in der von Ihnen angebenen Quelle gar nichts von “30 Prozent” steht.
Der „Hirni“ sind Sie selbst, wenn Sie nicht in der Lage sind, die allgemein zugänglichen Zahlen für die Niederlande (30.000 Juden, 11 Geburten pro Jahr und 1000 Einwohner) zueinander ins Verhältnis zu setzen.
@ noram:
Es gibt natürlich keine „Verschwörung“. Das Problem ist einfach eine ganz schlichte Doppelmoral. Und genau von dieser Doppelmoral spreche ich.
Es gibt nun einmal einen Haufen von (US-) Ärzten, die bei dem Thema ideologisch vorbelastet sind. Dazu kommen noch Traditionalisten mit ähnlichen Zielrichtungen. Die Positionen dieser Leute sind oft noch nicht einmal in sich selbst schlüssig. Und genau diese Widersprüche zeige ich auf.
Wenn Sie das als „Verschwörungs“theorie ansehen, dann sagt diese Haltung wohl vor allem etwas über Ihre eigene Weltsicht aus.
Ich verzichte jetzt mal darauf, Ihren Abgang hier noch in irgendeiner Weise zu kommentieren.
@zirp:
»Doppelmoral«
Ich denke, wir haben es hier nicht mit „Doppelmoral“, sondern einfach nur mit einem Problem der Wahrnehmung zu tun. Vermutlich ist aus kulturellen Gründen für jeden dritten WHO-Mitarbeiter die männliche Beschneidung etwas ganz Normales. Hinzu kommt, dass dieser Eingriff seit Urzeiten vorgenommen wird und auch entsprechend weit verbreitet ist. Und im Gegensatz zur weiblichen Beschneidung glaubt man, es gäbe für die männliche Variante unterm Strich einen Nutzen für den Betroffenen oder gar die Gesellschaft (die höchst umstrittenen Studien zur HIV-Prävention in Afrika haben bei der WHO leider ihre Spuren hinterlassen).
Solange das in den Köpfen der meisten Entscheider drin ist, wird sich bezüglich der männlichen Beschneidung von Säuglingen und Kindern nichts ändern. Die vorherigen Blog-Beiträge zu diesem Thema zeigen das sehr deutlich.
(Ein schöner Beleg für die „Blindheit“ für das das, was eine Zirkumzision für ein Kind wirklich bedeutet, ist auch die WHO-Schrift “Neonatal and child male circumcision: a global review (April 2010 | UNAIDS) (http://www.who.int/hiv/pub/malecircumcision/neonatal_mc/en/). Auf dem inneren Titelblatt sehen wir einen friedlich schlafenden nigerianischen Jungen nach der Zirkumz