Das neue Sonderstraftribunal für Gambia
Am 15. Dezember 2024 wurde auf der 66. ordentlichen Sitzung der Behörde der Staatsoberhäupter der Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten (ECOWAS) die Einrichtung eines Sonderstraftribunals zur Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen und völkerrechtlichen Straftaten während der Diktatur von Yahya Jammeh beschlossen. Das höchste Entscheidungsgremium der Organisation kam damit einem Ersuchen der gambischen Regierung aus dem Oktober 2022 nach. Für Gambia stellt die strafrechtliche Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen aus der Regierungszeit von Jammeh bis heute nämlich ein großes Problem dar. Insbesondere erkannte die jetzige Regierung Gambias Lücken im nationalen Strafrecht hinsichtlich der Verfolgung von völkerstrafrechtlichen Verbrechen. In dem Ersuchen wurde die ECOWAS um Unterstützung bei der Errichtung eines Straftribunals gebeten, das nationale und internationale Standards bei der Strafverfolgung inkorporieren sollte. Für die Aufarbeitung von Diktaturen in Westafrika stellt der Beschluss einen Meilenstein dar.
Ende der Diktatur und Beginn der Aufarbeitung
Am 21. Januar 2017 setzte sich der ehemalige Staatspräsident von Gambia, Yahya Jammeh, nach Äquatorialguinea ab. Vorausgegangen war eine unblutige Militäraktion der drei ECOWAS-Mitgliedstaaten Nigeria, Senegal und Ghana zur Durchsetzung des Wahlergebnisses der Präsidentschaftswahl im Dezember 2016. Bei dieser hatte sich Jammehs Mitbewerber Adama Barrow nach Angaben der Unabhängigen Wahlkommission Gambias durchgesetzt. Der noch amtierende Staatspräsident hatte allerdings versucht, die Übergabe der politischen Macht an seinen designierten Nachfolger zu verhindern. Jammehs hatte Gambia seit 1994 autoritär regiert. Als Leutnant der Militärpolizei hatte er einen Putsch gegen den damaligen Präsidenten des westafrikanischen Staates, Dawda Jawara, angeführt und war zunächst Chef der regierenden Junta. Nach der Präsidentschaftswahl im Jahr 1996 wurde er selbst Präsident.
Jammeh wollte sich durch seine Flucht nach Äquatorialguinea der Verantwortung für die Menschenrechtsverletzungen während seiner Regierungszeit entziehen. Sein Exilland wird ebenfalls durch den dortigen Machthaber Teodoro Obiang Nguema autoritär regiert. Der kleine Staat am Golf von Guinea hat das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs weder unterzeichnet noch ratifiziert. Die Chancen für einen Strafprozess gegen Jammeh auf nationaler oder internationaler Ebene erscheinen vor diesem Hintergrund verschwindend gering. Nichtsdestotrotz besteht – wie regelmäßig in Staaten, die eine Phase autoritärer Regierungsführung überwunden haben – weiterhin ein Bedürfnis nach gesellschaftlicher, politischer und juristischer Aufarbeitung dieser Phase und der während ihr begangenen Menschenrechtsverletzungen. Einen wichtigen Schritt ging Gambia in dieser Hinsicht bereits im Jahr 2018 mit der Errichtung einer Wahrheits-, Versöhnungs- und Entschädigungskommission, die im Jahr 2021 ihren Abschlussbericht vorlegte.
Menschenrechtsverletzungen während der Regierungszeit von Jammeh
Die Menschenrechtslage in Gambia verschlechterte sich bereits kurz nach der Machtübernahme von Jammeh drastisch. Zunächst führte er die Todesstrafe nach den Regeln der Scharia ein. Kritik an seinem als exzessiv geltenden Lebensstil und der um sich greifenden Korruption nahm er zum Anlass, die gambische Presse gleichzuschalten. Oppositionelle wurden gefoltert, wobei Elektroschocks und Sauerstoffentzug zum Einsatz kamen. Zudem wurden Fälle dokumentiert, in denen die Haut von Personen mit heißer Flüssigkeit verbrüht wurde. Afrikanische Nichtregierungsorganisationen fanden weiterhin starke Hinweise auf ein Verschwindenlassen zahlreicher Personen.
Der Abschlussbericht der Wahrheits-, Versöhnungs- und Entschädigungskommission listet zudem verschiedene Formen sexueller und sexualisierter Gewalt auf; dies war ein Schwerpunkt der Arbeit des Gremiums. Die Kommission kam zu dem Ergebnis, dass diese Formen der Gewalt verbreitet und in vielen Fällen das Ergebnis systematischer und institutionalisierter Programme des Regimes gewesen seien. Zudem habe es Fälle der Kastration und der Verstümmelung von Geschlechtsorganen gegeben. All diese Methoden seien eingesetzt worden, um zu unterdrücken, zu bestrafen oder zu demütigen oder um Angst zu schüren.
Die Kommission stellte weiterhin fest, dass die Anzahl der Tötungen in den 2000er Jahren einen Höhepunkt erreicht habe. Zu den Opfern zählten etwa junge Menschen, die an Versammlungen teilgenommen hatten, Journalisten sowie Migranten aus anderen afrikanischen Staaten. 41 Menschen seien in Folge einer Kräuterbehandlung verstorben, von der Jammeh behauptete, sie sei wirksam und er habe sie zur Heilung von HIV/AIDS entwickelt. Der Bericht der Kommission enthält eine Reihe von Namen von Personen aus der Politik, der Polizei und dem Militär Gambias, die als Tatverdächtige hinsichtlich der in dem Bericht dokumentierten Menschenrechtsverletzungen in Betracht kommen.
Institutionelle Aspekte
Der ECOWAS-Beschluss wurde von vielen Seiten begrüßt. Präsident Barrow brachte gegenüber der Behörde der Staatsoberhäupter der ECOWAS seine tiefe Dankbarkeit zum Ausdruck. Die Vereinigten Staaten von Amerika und die Europäische Union beglückwünschten die ECOWAS und die Regierung von Gambia zu dem Schritt. Viele Opfergruppen und Organisationen der gambischen Zivilgesellschaft zeigten sich im Angesicht der Entwicklung erleichtert.
Das Sonderstraftribunal wird unabhängig arbeiten. In der entsprechenden Presseerklärung der Behörde der Staatsoberhäupter wird es als Institution sui generis bezeichnet. Der anwendbare Rechtskorpus wird gambisches Recht und Völkerrecht kombinieren. Die Richter, die Ankläger und das sonstige Personal des Gerichts werden Personen aus Gambia, aus den ECOWAS-Mitgliedstaaten und aus anderen Staaten sein. Die Gerichtsbarkeit des Tribunals erstreckt sich auf völkerrechtliche Straftaten sowie schwere Rechtsverstöße nach gambischem Recht. Das Tribunal wird seinen Sitz in Gambia haben; es besteht jedoch die Möglichkeit, die Verfahren auch im Ausland zu führen, wenn dies aus Gründen der Praktikabilität oder der Sicherheit geboten erscheint.
Ein Meilenstein für die Aufarbeitung von Diktaturen in Westafrika
Es ist das erste Mal, dass die ECOWAS ein derartiges Tribunal einrichtet. Dies bedeutet einen Meilenstein für die Aufarbeitung von Diktaturen im krisengeschüttelten Westafrika. Die Verfolgung von potenziellen Tätern des Jammeh-Regimes fand unter Anwendung des Weltrechtsprinzips bisher vor allem im Ausland statt. Im Herbst 2023 sprach das Oberlandesgericht Celle ein Mitglied der sog. Junglers, einer Todesschwadron des Militärs, wegen Mordes in Tateinheit mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit, in drei Fällen schuldig und verurteilte ihn zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Im vergangenen Mai wurde durch das Bundesstrafgericht der Schweiz gegen den ehemaligen Innenminister Gambias, Ousman Sonko, ebenfalls wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, eine 20-jährige Freiheitsstrafe verhängt.
Mit der alsbaldigen Arbeitsaufnahme des Sondertribunals wird nunmehr die Erwartung einhergehen, dass eine effektive Strafverfolgung der Verantwortlichen für die Menschenrechtsverletzungen des Jammeh-Regimes in Gambia selbst stattfinden kann. Zudem reiht sich das Sondertribunal in eine Reihe von ähnlichen Institutionen ein, die in jüngerer Zeit in Afrika selbst errichtet wurden, um Menschenrechtsverletzungen aufzuarbeiten. In diese Reihe gehören die auf Grundlage einer Vereinbarung zwischen der Afrikanischen Union und dem Senegal im Jahr 2013 geschaffenen Außerordentlichen Afrikanischen Kammern zur Verfolgung von Verbrechen des ehemaligen tschadischen Diktators Hissène Habré in der Zeit von 1982 bis 1990 mit Sitz in Dakar sowie das hybride Sonderstrafgericht für die Zentralafrikanische Republik, das für Menschenrechtsverletzungen und Verletzungen des humanitären Völkerrechts in dem Staat seit dem 1. Januar 2003 zuständig ist.
Diese Tendenz spricht zum einen für eine zunehmende Bereitschaft der lokalen Staatengemeinschaft in Afrika, Menschenrechtsverletzungen in den Staaten des Kontinents nunmehr mit eigenen Mitteln zu verfolgen. Andererseits stehen diese afrikanischen Tribunale in einer gewissen Konkurrenz zum Internationalen Strafgerichtshof. Viele afrikanische Staaten – so auch Gambia – haben zwar das Römische Statut gezeichnet und ratifiziert; allerdings wird das Gericht in Den Haag von vielen Regierungen dieser Staaten inzwischen kritisch gesehen. Ungeachtet dessen bleibt jedenfalls abzuwarten, ob das Sonderstraftribunal für Gambia die in es gesetzten Erwartungen zu erfüllen vermag, auch wenn ein Verfahren gegen Jammeh selbst aus den oben genannten Gründen eher unwahrscheinlich erscheint.