07 February 2018

„Den wähle ich nicht!“

Bei der Besetzung parlamentarischer Positionen durch Abgeordnete der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag kam es in den vergangenen Wochen zu politischem Streit. Der Abgeordnete Albrecht Glaser wurde in drei Wahlgängen nicht zum Vizepräsidenten des Bundestages gewählt. Die Ablehnung dieses Kandidaten in den anderen Fraktionen beruht auf Aussagen, die den Schutz auch des Islam durch die Religionsfreiheit des Grundgesetzes in Abrede gestellt haben. Einen weiteren Wahlgang will der Ältestenrat für diesen Kandidaten nicht ansetzen (s. § 2 Abs. 3 GOBT), während die Fraktion bislang an ihrer Nominierung festhält. Der Abgeordnete Roman Reusch wurde inzwischen vom Plenum des Bundestages zum Mitglied des für die Geheimdienstkontrolle zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremiums gewählt; zwei Wochen vorher hatte er jedoch als einziger der nominierten Kandidaten nicht die nach § 2 Abs. 3 PKGrG erforderliche absolute Mehrheit erreicht. Es war befürchtet worden, vertrauliche Geheimdienstinformationen könnten durch eine Beteiligung der AfD-Fraktion an der Geheimdienstkontrolle an Rechtsextreme gelangen. Mit Blick auf Äußerungen über straffällig gewordene Ausländer gab es aber auch persönliche Vorbehalte gegen den Kandidaten. Entgegen den parlamentarischen Gepflogenheiten wurden schließlich die Vorschläge der AfD-Fraktion für die drei Positionen der Ausschussvorsitzenden nicht einfach im Konsens aller Fraktionen gebilligt. Denn gegen die Kandidaten Peter Boehringer, Stephan Brandner und Stefan Münzenmaier gab es in den übrigen Fraktionen erhebliche Vorbehalte. Während letzterer – bislang nicht rechtskräftig – wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden ist, waren die beiden erstgenannten Kandidaten mehrfach durch ausländerfeindliche oder politische Gegner verunglimpfende öffentliche Äußerungen, über die andernorts eingehend berichtet wurde, aus der Rolle gefallen. Vor diesem Hintergrund beriefen sich einige Abgeordnete der anderen Fraktionen auf ihr Recht, nicht jeden Kandidaten, der ihnen vorgesetzt werde, auch zu wählen. Andere Abgeordnete gaben den AfD-Kandidaten zwar ihre Stimme, betonten aber, dass dies aus formalen Gründen und mit Blick auf die Gleichbehandlung der Fraktionen geschehe und keine Zustimmung zur Kandidatenauswahl ausdrücke.

Der Frage nach der politischen Klugheit des einen oder anderen Wahlverhaltens oder allgemeiner des Umgangs mit der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag ist nicht Gegenstand dieses Beitrags. Vielmehr soll geklärt werden, ob der Hinweis auf die Freiheit, Kandidatinnen und Kandidaten einer Fraktion bei der Besetzung von Positionen im Deutschen Bundestag aus politischen Gründen abzulehnen, verfassungsrechtlich zutrifft. Diese Frage stellt sich dort nicht, wo die Fraktionen das Recht haben, ihre Mitglieder für bestimmte Positionen einfach zu benennen. Das ist nach § 57 Abs. 2 Satz 1 GOBT für die Besetzung der Ausschüsse der Fall. Wo jedoch ein Wahlverfahren vorgesehen ist, kann es zu einer Kollisionslage kommen: Denn natürlich impliziert ein Wahlverfahren eine Wahlfreiheit – ginge es um die obligatorische Akklamation eines Kandidaten, ließe sich kaum von einer „Wahl“ sprechen. Zudem ließe ein derart gesteuertes Verfahren von der Freiheit des Mandats, also von dem verfassungsrechtlich geschützten Privileg, bei der Ausübung des Mandats nur dem eigenen Gewissen unterworfen zu sein, nichts übrig. Andererseits haben alle Mitglieder des Deutschen Bundestages aus ihrer in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verankerten Rechtsstellung einen Anspruch auf ungehinderte und gleichberechtigte Mitwirkung an der Arbeit des Bundestages, zu dessen Mitgliedern sie durch den Wahlakt bestimmt worden sind. Deshalb kann eine unbedingte und für alle parlamentsinternen Positionen geltende Wahlfreiheit der Abgeordneten nicht das letzte Wort sein; sonst ließen sich einzelne Fraktionen von der Mitwirkung an der Arbeit des Bundestages außerhalb des Plenums weitgehend fernhalten. Die Wahlentscheidung der Bürgerinnen und Bürger darf aber nicht durch politische Mitwirkungsvorbehalte zwischen den Fraktionen unterlaufen werden (vgl. dazu BVerfGE 80, 188 [218 f.]).

Deshalb kann man schon fragen, ob Wahlverfahren für die Besetzung interner Positionen ganz generell bedenklich sind, wo es um Gremien geht, in denen aus verfassungsrechtlichen Gründen alle Fraktionen repräsentiert sein müssen. Das aber ließe sich nur annehmen, wenn man die Freiheit des Mandats allein auf inhaltliche Fragen der parlamentarischen Willensbildung, etwa bei der Abstimmung über Gesetzentwürfe, beziehen würde – Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG also in der Parlamentsorganisation keinen oder nur einen stark eingeschränkten Platz einräumen würde, wie es von Sophie und Christoph Schönberger vertreten wurde (JZ 2018, S. 105 [110]; in diese Richtung wohl auch, aber nicht ganz eindeutig, BVerfGE 84, 304 [328]). Dagegen spricht aber erstens, dass jede Mitwirkung an der Parlamentsarbeit Mandatsausübung ist, egal ob es um inhaltliche oder um organisatorische Fragen geht, die ohnehin nicht immer trennscharf voneinander abgegrenzt werden können. Zweitens verfügt der Deutsche Bundestag als Verfassungsorgan im Rahmen der recht weit gesteckten Grenzen des Grundgesetzes nach Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG über Geschäftsordnungsautonomie und damit über einen großen Entscheidungsspielraum bei binnenorganisatorischen Fragen. Wenn das so ist und wenn die Fraktionen den Abgeordneten zur schlagkräftigeren weil gebündelten Parlamentsarbeit verhelfen, dann lässt sich schwerlich begründen, dass in Fragen der Personalauswahl bei der Besetzung interner Positionen kein Entscheidungsraum der einzelnen Abgeordneten besteht, sondern diese Fragen „fraktionsautonom“ bestimmt werden. Deshalb sind Wahlverfahren, wie sie für das Bundestagspräsidium in § 2 Abs. 1 und 21 GOBT und in Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG und für das Parlamentarische Kontrollgremium in § 2 Abs. 3 PKGrG vorgesehen sind und wie sie für die Ausschussvorsitzenden bei fehlendem Konsens eingreifen, nicht generell verfassungsrechtlich bedenklich.

Das wird insbesondere dort plausibel, wo es um Positionen geht, für die bestimmte persönliche Eigenschaften eine Rolle spielen. So gilt für die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums nach § 10 Abs. 1 PKGrG eine strikte Verschwiegenheitspflicht, die gehobene Anforderungen an die persönliche Integrität seiner Mitglieder stellt. Das Präsidium des Deutschen Bundestages ist nicht nur für die organisatorischen Abläufe und damit für die Geschäftsführung des Bundestages verantwortlich, sondern gerade auch für seine Repräsentation nach außen. So heißt es für den Bundestagspräsidenten in § 7 Abs. 1 GOBT, dass er den Bundestag vertritt und seine Würde wahrt. Angesichts dieser Repräsentationsfunktion kann es nicht damit sein Bewenden haben, dass alle Fraktionen im Bundestagspräsidium vertreten sind, wie es § 2 Abs. 1 Satz 2 GOBT fordert, der nach hier vertretener Auffassung auch verfassungsrechtlich grundiert ist; vielmehr besteht ein spezifisches Interesse daran, über die personelle Besetzung des Präsidiums zu entscheiden. Für die Besetzung der Ausschüsse gilt diese Überlegung nicht, sodass es plausibel ist, dass hier kein Wahlverfahren stattfindet. Irgendwo dazwischen liegt die Bestimmung der Ausschussvorsitzenden, die nicht von ungefähr in einer von der Geschäftsordnung nicht genauer determinierten Kombination von Benennung im gegenseitigen Einvernehmen (Regelfall) und Wahl der Vorsitzenden in den Ausschüssen im Fall fehlenden Einvernehmens (Ausnahme) besteht. Dieses Vorgehen ist gemessen an der Position der Ausschussvorsitzenden sinnvoll: Einem bloßen Benennungsverfahren steht erstens entgegen, dass auch der Vorsitz in einem Ausschuss, wenn auch in deutlich geringerem Maße als beim Bundestagspräsidium, repräsentative Funktionen mit sich bringt. Zweitens ist der Vorsitzende bei der Leitung der Ausschussarbeit, wie sie im Einzelnen durch §§ 59 ff. GOBT vorgezeichnet ist, zu politischer Ausgewogenheit bei der Amtsführung und zur Gleichbehandlung der Ausschussmitglieder verpflichtet (man denke etwa an das Recht zur Berichterstatterbenennung nach § 65 GOBT). Diese Anforderungen begründen ein Interesse der Ausschussmitglieder an einer Entscheidung über die Besetzung des Vorsitzes, dem durch das Konsenserfordernis und hilfsweise durch eine Wahl Rechnung getragen wird (zur Möglichkeit der Abwahl s. nochmals den Beitrag von Sophie und Christoph Schönberger, JZ 2018, S. 105 [110 f.]).

Damit stellt sich die Frage, wie man den widerstreitenden Belangen, die sich aus einer Kollision der unterschiedlichen Mandatsrechte ergeben, Rechnung tragen kann. Ein Kompromiss zwischen dem Recht aller Abgeordneten, an der Parlamentsarbeit mitzuwirken, und ihrem Recht, über interne Personalfragen zu entscheiden, könnte folgendermaßen aussehen: Jedes Wahlverfahren muss mit einem echten Entscheidungsspielraum verbunden sein. Dieser muss aber unter Berücksichtigung und in Wahrung der Mitwirkungsrechte aller Abgeordneten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG ausgefüllt werden. Jedenfalls dann, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass es einer bzw. einem von einer Fraktion nominierten Kandidatin bzw. Kandidaten an der persönlichen Eignung für die zu besetzende Position fehlt, besteht die verfassungsrechtliche geschützte Freiheit, einen Personalvorschlag abzulehnen (in Bezug auf den Gesichtspunkt des Geheimnisschutzes wesentlich strenger und unter Hinweis auf den offen stehenden Weg des Parteiverbotsverfahrens BVerfGE 70, 324 [384 f.] – Sondervotum Böckenförde). Wenn dann infolge der fehlenden Bereitschaft zu einer Nachnominierung eine Position, auf deren Besetzung eine Fraktion einen Anspruch hat, vorübergehend oder sogar dauerhaft unbesetzt bleibt, ist das von Verfassungs wegen hinzunehmen. Entsprechende Annahmen lagen für die Abgeordneten Glaser, Boehringer und Brandner mit Blick auf die jedenfalls auch repräsentative Funktion der in Rede stehenden Positionen und die dargestellten Vorbehalte aus meiner Sicht vor; für den Abgeordneten Münzenmaier wäre der Frage nachzugehen, welche Bedeutung der Unschuldsvermutung im hier gegebenen Zusammenhang zukommt. Der Hinweis einiger Abgeordneter, es bestehe keine Verpflichtung, die nominierten Kandidaten zu unterstützen, war also verfassungsrechtlich zutreffend. Gerade weil diese Wahl also im Ergebnis nicht erfolgen musste, ist der durch viele Enthaltungen möglich gewordene Erfolg der umstrittenen Kandidaten politisch zu diskutieren. Demgegenüber beinhaltete ein ablehnendes Wahlverhalten, das sich generell gegen praktisch alle Abgeordnete einer Fraktion wegen ihres politischen Programms richten würde, eine ungemessene Benachteiligung der verfassungsrechtlich geschützten Mitwirkungsrechte dieser Fraktion und ihrer Mitglieder (s. dazu BVerfGE 70, 324 [365]). Eine solche Benachteiligung steht in Bezug auf die Beteiligung des Abgeordneten Reusch an der Arbeit des Kontrollgremiums zumindest im Raum, sie hätte sich angesichts seiner inzwischen erfolgten Wahl aber erledigt. Eine ungleiche Behandlung der Kandidatinnen und Kandidaten einer Fraktion durch die Abgeordneten der anderen Fraktionen ist damit zwar rechtfertigungsfähig, aber auch rechtfertigungsbedürftig.

Natürlich hat der hier vorgeschlagene Kompromiss einen entscheidenden Nachteil – er leidet unter einem Kontrolldefizit: Verfassungsrechtliche Benachteiligungen einer Fraktion bei Wahlen zu parlamentsinternen Positionen lassen sich verfassungsgerichtlich nur schwer einfangen, wo persönlichen Motive entscheidend sind, wo sich Nachteile erst aus dem kumulierten Wahlverhalten Einzelner ergeben und wo Wahlen geheim stattfinden (s. hierzu §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 49 Abs. 1 Satz 1 GOBT für das Bundestagspräsidium). In letzter Konsequenz müsste deshalb der begründete Verdacht wiederholter Benachteiligungen irgendwann doch zu Änderungen der Besetzungsverfahren führen. Hierzu muss es aber nicht kommen, solange der skizzierte Ausgleich innerhalb von Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG in der Praxis vernünftig funktioniert. Daran sollten alle Beteiligten arbeiten.

Dieser Artikel ist zuerst im Blog “Zur Geschäftsordnung” erschienen.


SUGGESTED CITATION  Sauer, Heiko: „Den wähle ich nicht!“, VerfBlog, 2018/2/07, https://verfassungsblog.de/den-waehle-ich-nicht/, DOI: 10.17176/20180207-175112.

5 Comments

  1. schorsch Wed 7 Feb 2018 at 17:41 - Reply

    Ich kann Ihrem dritten Absatz nicht ganz folgen. Der Punkt der Schönbergers auf S. 110 ist doch, dass es kein verfassungsrechtliches Spiegelbildlichkeitsprinzip bei Besetzung des Bundestagspräsidiums und der Verteilung der Ausschussvorsitze gibt. Erwidern Sie in Absatz 3 darauf? Mir scheint, Sie behandeln dort das freie Mandat/die Freiheit der Wahlentscheidung des *wählenden* Abgeordneten. Aber wenn Spiegelbildlichkeit dort nicht verlangt ist, ist das (freie) Wahlverfahren doch gerade (auch nach Schönberger/Schönberger) unbedenklich. Den Konflikt, den Sie aufmachen, gibt es dort dann nicht.
    Sie widersprechen der Auffassung, dass das Präsidium verfassungsrechtlich kein Spiegelbild des Parlaments sein müsse, erst im vierten Absatz. Dort leider ohne Begründung.

  2. RA Splendor Wed 7 Feb 2018 at 18:24 - Reply

    Dass ein Verfahren, bei dem die Mitglieder der Mehrheitsfraktionen bestimmen, wen eine Minderheitsfraktion in einen Ausschuss entsenden darf, nicht verfassungskonform sein kann, zeigt eine einfache traductio ad absurdum:
    Jedenfalls bei der Besetzung der Ausschüsse ist das Gebot der Spiegelbildlichkeit anerkannt. Würde man den Abgeordneten ein echtes Wahlrecht einräumen, könnte dies im Extremfall dazu führen, dass die Mehrheitsfraktionen ausgerechnet solche Abgeordneten der Minderheitsfraktion als Ausschussmitglieder ablehnen, die fachlich besonders gut vorgebildet für das Thema des Ausschusses sind und somit erheblichen Widerstand bei Diskussionen erwarten lassen. Mit ihrer Verweigerungshaltung könnten die Mehrheitsfraktionen letztlich erzwingen, dass eine Minderheitsfraktion nur noch Abgeordnete zur Wahl in einen Ausschuss vorschlagen kann, die möglichst wenig vom Thema verstehen und dadurch für die Mehrheitsfraktionen besonders bequem sind. Dass ein solches Vorgehen mit dem Gebot der Spiegelbildlichkeit unvereinbar ist, erscheint mir evident.

    Einen Anhaltspunkt dafür, dass ein solches Wahlrecht jedenfalls bei berechtigten Bedenken gegen eine Person gegeben wäre, sehe ich im Grundgesetz nicht. Davon abgesehen ist auch nicht erkennbar, in welchem Verfahren und nach welchem Maßstab die Berechtigung solcher Bedenken überprüft werden könnte.

    Das gleiche gilt meines Erachtens auch für die Besetzung anderer Gremien, wie zum Beispiel des Bundestagspräsidiums. Wenn eine Minderheitsfraktion das Recht hat, einen Vizepräsidenten zu stellen, dann kann dieses Recht nicht von der Gnade der Mehrheitsfraktionen abhängen. Es gehört zum Wesen der Demokratie, die sich daraus eventuell ergebenden Zumutungen zu ertragen.

  3. Heiko Sauer Thu 8 Feb 2018 at 09:07 - Reply

    @Schorsch und @RA Splendor:
    Danke. In der Tat bin ich der Meinung, dass auch die Mitwirkung aller Fraktionen im Präsidium und bei den Ausschussvorsitzenden eine verfassungsrechtliche Grundlage hat (das muss nicht im engeren Sinne über “Spiegelbildlichkeit” laufen). Die Gründe dafür finden sich im dritten und vierten Absatz. Insoweit Widerspruch zum ersten und Zustimmung zum ersten Teil des zweiten Kommentars. Ich widerspreche aber auch dem zweiten Kommentar insofern, als ich – mit den von mir konzedierten Nachteilen – für einen “vermittelnden Ansatz” eintrete, die Frage des Mitwirkungsanspruchs also nicht im Sinne der beiden Kommentare entweder mit “ja” oder mit “nein” beantworte, sondern die Notwendigkeit eines Ausgleichs innerhalb von Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG sehe. Insofern muss man etwaige “Zumutungen”, die sich etwa aus der Repräsentation des Organs durch bestimmte Personen ergeben könnten, m.E. gerade nicht aushalten. Es gehört für mich zur Mandatsfreiheit, dass man nicht jede Person in einer repräsentativen Funktion für den Bundestag akzeptieren muss.

  4. schorsch Thu 8 Feb 2018 at 10:45 - Reply

    Sehr geehrter Herr Sauer, zunächst vielen Dank für die Antwort.
    Sie nennen im dritten Absatz zwei Gründe, die mir, wenn ich sie doch auf die Spiegelbildlichkeit beziehen soll, nicht einleuchten.
    Erstens finde ich den Verweis auf die Unabgrenzbarkeit von inhaltlicher und organisatorischer Arbeit nicht überzeugend. Nicht zufällig kommen Sie ja im vierten Absatz bei einer parallelen Entscheidung heraus, wenn Sie die unterschiedlichen Konstitutionsverfahren rechtfertigen. Die Repräsentationsfunktion, mit der sie die andere Behandlung vom Präsidium und (eingeschränkt) den Ausschussvorsitzenden rechtfertigen, verweist ja bereits auf die Unterschiede.
    Und dass – zweitens – ausgerechnet aus der weiten Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages deren Begrenzung durch verfassungsgerichtliche Gebote folgen soll? Unwahrscheinlich.

    Mir scheint das Ergebnis auch aus anderen Gründen nicht überzeugend: Die parlamentarische Aufgabenteilung nach dem Fraktionsproporz setzt eine gewisse Mindestloyalität zur politischen Ordnung voraus. Will man parlamentarisch Opposition organisieren, bedarf diese – bei aller Gegnerschaft in der Sache – dieser gemeinsamen Grundlage. Die Rede von Her Majesty’s Most Loyal Opposition im Vereinigten Königreich illustriert das wunderbar. Wenn man aber den Gegner im System sieht, die anderen Parteien als System- oder Kartellparteien begreift und die Mehrheitsregierung als Merkel-Regime bezeichnet, kann man an diesem Parteienproporz nicht in gleicher Weise teilhaben. Das Präsidium vertritt den Bundestag als Ganzen (siehe abermals Schönberger/Schönberger), die Ausschussvorsitzenden immerhin den Ausschuss. Das kann eine Partei, die nicht nur zur Mehrheit, sondern gleich zum System in Opposition geht, einfach nicht.

  5. Rudolf Stammler Tue 13 Feb 2018 at 09:57 - Reply

    Betr. Absätze 2 und 3: Hochspannende Frage, Heiko Sauer hat Recht, dass er hier sehr vorsichtig formuliert. Wir werden wohl in den kommenden Jahren von Seiten der Verfassungsgerichte Interessantes zum Verhältnis von Minderheitenrechten (und auch der Spiegelbildlichkeitsgrundsatz ist nach der Rspr. des BVerfG ein solches, denn es handelt sich um eine Durchbrechung des Mehrheitsprinzips) und der Geschäftsordnungs- und Organisationsautonomie des Parlaments lesen können. Es wird sich zeigen, wo die Abgrenzung zwischen (verfassungsrechtlich zulässiger und gewollter) politischer “Taktik” der parlamentarischen Mehrheit und unzulässiger politisch-inhaltlicher Diskriminierung einzelner Fraktionen (d.i. der AfD) verläuft. Lesenswerter Auftakt ist ein dieser Tage veröffentlichtes Urteil des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz, VGH O 17/17
    https://verfgh.justiz.rlp.de/de/presse-aktuelles/entscheidungen/

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