Die Relativierung der ultra-vires-Kontrolle im Eilrechtsschutz
Eine verfassungsprozessuale Analyse der Entscheidung in Sachen „Next Generation EU“
Mit einem am 21.4.2021 bekannt gegebenen Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht es abgelehnt, die Ausfertigung des Eigenmittelbeschluss-Ratifizierungsgesetzes durch den Bundespräsidenten weiter aufzuschieben. Ein zuvor wegen besonderer Dringlichkeit ohne Begründung erlassener sog. „Hängebeschluss“ wird hierdurch gegenstandslos. Damit ist der Weg frei für die Beteiligung Deutschlands am temporären Aufbauinstrument „Next Generation EU“ (NGEU), das es der EU erlaubt, Mittel bis zu einem Betrag von 750 Milliarden Euro am Kapitalmarkt aufzunehmen. Die Sorge vor eine Blockade des wichtigsten EU-Instruments zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie scheint gebannt. Entsprechend groß ist allenthalben die Erleichterung. Die SZ spricht von „Entspannung auf dem Justizbarometer“ und einem engagierten Verfechter einer integrationsfreundliche Interpretation des Grundgesetzes entfährt auf Twitter eine erleichtertes „Na also.“ Auch eine erste Analyse hier auf dem Verfassungsblog sieht in der Entscheidung tendenziell eine Zurücknahme der Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts.
Aber worin genau besteht diese Zurücknahme der Kontrolle? Die Spielräume des Gerichts im Hauptsacheverfahren dürften größer sein, als es die ersten Reaktionen vermuten lassen. Insofern teilen wir die Einschätzung von Hanno Kube. Allerdings zeigt der Verzicht auf eine summarische Prüfung beim Eilrechtsschutz im Rahmen von ultra-vires-Rügen, dass das Bundesverfassungsgericht es hinnimmt, dass potentiell kompetenzwidrige Unionsrechtsakte zumindest vorübergehende Rechtswirkungen entfalten. Diese Konsequenz kommt im Beschluss eher versteckt zum Ausdruck. Sie ist vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung zum Integrationsverfassungsrecht bemerkenswert und dürfte wohl der Dringlichkeit der Pandemiebekämpfung geschuldet sein.
1. Summarische Prüfung statt Folgenabwägung als allgemein anerkannter Ausgangspunkt bei völkerrechtlichen Verträgen
Die Begründung des Beschlusses folgt in ihrem Grundansatz gut ausgebauten verfassungsprozessualen Pfaden. Soweit das Hauptsacheverfahren weder offensichtlich unzulässig noch offensichtlich unbegründet ist, kommt grundsätzlich eine besondere Art der Folgenabwägung zur Anwendung, die auf die Erfolgsaussichten keine Rücksicht nimmt. Gefragt wird lediglich, in welcher Eventualhypothese die Nachteile überwiegen: Sind die Nachteile größer, wenn jetzt einstweiliger Rechtsschutz gewährt wird und sich anschließend die Hauptsache als unbegründet herausstellt, oder sind sie größer, wenn jetzt einstweiliger Rechtsschutz versagt wird, die Hauptsache dann aber doch Erfolg hat?
Von diesem Grundsatz gibt es in Bezug auf völkerrechtliche Verträge eine ebenfalls in gefestigter Rechtsprechung anerkannte Ausnahme. Weil mit der Ratifikation auf völkerrechtlicher Ebene eine Bindung an den Vertrag eintritt, die sich allein mit Mitteln des innerstaatlichen Rechts nicht mehr korrigieren lässt, soll hier ausnahmsweise summarisch geprüft werden, wie es um die Erfolgsaussichten der Hauptsache steht. So soll vermieden werden, dass im Außenverhältnis eine Verpflichtung entsteht, die aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen dann nicht erfüllt werden darf.
Der Beschluss referiert diesen etablierten Ausgangspunkt und nimmt dann eine erste Weichenstellung vor, indem er das „Gesetz zum Beschluss des Rates vom 14. Dezember 2020 über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union und zur Aufhebung des Beschlusses 2014/335/EU, Euratom (Eigenmittelbeschluss-Ratifizierungsgesetz – ERatG)“ einem Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag gleichstellt. Das ist nicht völlig selbstverständlich, aber sehr naheliegend, weil das Finanzierungsinstrument „Next Generation EU“ nicht als reiner Sekundärrechtsakt der EU qualifiziert werden kann. Dies sieht auch das Unionsrecht so, wenn es in Art. 311 Abs. 3 AEUV ein besonderes Zustimmungserfordernis durch die Mitgliedstaaten festlegt.
Mit der Qualifikation des Gesetzes als „Quasi-Ratifikationsgesetz“ wäre nun eigentlich der Weg in eine summarische Prüfung der Hauptsache vollumfänglich eröffnet. Der Zweite Senat geht diesen Weg aber nicht weiter, sondern führt eine neue Differenzierung ein. Im Eilrechtsschutz im Bereich des Unionsrechts soll nach dem verfassungsgerichtlichen Kontrollmaßstab differenziert werden.
2. Die Differenzierung nach dem Kontrollmaßstab: Identitätskontrolle oder ultra vires-Kontrolle?
Das Gericht unterscheidet zwischen der auf Art. 79 Abs. 3 GG gestützten Identitätskontrolle einerseits und der (bloßen?) ultra vires-Kontrolle andererseits. In seiner Eilentscheidung im ESM-Verfahren wurde eine summarische Prüfung insbesondere dann verlangt, wenn eine Verletzung der Schutzgüter des Art. 79 Abs. 3 GG in Rede steht. In einer derartigen Situation müsse es Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts sein, die Identität der Verfassung zu schützen (Rn. 88): „Ergibt die summarische Prüfung im Eilrechtsschutzverfahren, dass eine behauptete Verletzung von Art. 79 Abs. 3 GG mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben ist, läge in der Nichtgewährung von Rechtsschutz ein schwerer Nachteil für das gemeine Wohl im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG.“
Im vorliegenden Verfahren zieht das Gericht nun aus der Begründung im ESM-Verfahren eine Art Gegenschluss und geht davon aus, dass keine summarische Prüfung erforderlich ist, wenn es nicht um die Schutzgüter des Art. 79 Abs. 3 GG geht. Dies führt – und darin liegt die zweite zentrale Weichenstellung – für das weitere Prüfprogramm dazu, dass für die Identitätskontrolle, die ihre verfassungsrechtliche Verankerung in Art. 79 Abs. 3 GG findet, eine summarische Prüfung durchgeführt wird, für die ultra-vires-Kontrolle hingegen nicht.
Die Ausführungen zur Identitätskontrolle sollen hier nicht näher thematisiert werden. Die vom Gericht vorgenommen Bewertungen im Hinblick auf das Demokratieprinzip sind gut nachvollziehbar und in der Tat kann man sich kaum vorstellen, dass es im Hauptsacheverfahren insoweit zu einer Kehrtwende kommt.
Aber wie sieht es mit der ultra-vires-Rüge der Beschwerdeführer aus? Auf den ersten Blick erstaunt es, dass hier nicht auch eine summarische Prüfung zur Anwendung kommt. Das Argument für ihre Durchführung bei völkerrechtlichen Verträgen besteht – wie oben dargelegt – darin, dass völkerrechtliches Müssen und verfassungsrechtliches Dürfen nicht auseinanderfallen sollen. Zwar nimmt das Eigenmittelbeschluss-Ratifizierungsgesetz zugegebenermaßen eine etwas seltsame Zwitterstellung zwischen einem Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag und der Zustimmung zu einem Unionsrechtsakt ein, aber dies ändert nichts daran, dass mit diesem Rechtsakt, genauso wie mit der Ratifikation eines völkerrechtlichen Vertrags, im Außenverhältnis eine Bindungswirkung erzeugt wird, die sich nicht mehr einseitig mit den Mitteln des innerstaatlichen Rechts korrigieren lässt. Von daher wäre es eigentlich konsequent gewesen, auch die ultra-vires-Rüge summarisch zu prüfen und nicht lediglich der Folgenabwägung zu unterwerfen.
3. Zum Verhältnis von Folgenabwägung und summarischer Prüfung
Dies wirft die Frage nach dem Verhältnis von Folgenabwägung und summarischer Prüfung auf. Für ihre Beantwortung muss man berücksichtigen, dass der Zeitfaktor nicht nur aus der Rechtsschutzperspektive des Klägers eine Rolle spielt. Die pandemiebezogenen Maßnahmen sind (wie im Übrigen auch die im ESM-Verfahren streitgegenständlichen Euro-Rettungsmaßnahmen) ihrerseits eilbedürftig. Werden diese Maßnahmen erheblich verzögert, so drohen sie ihre Wirkung zu verlieren. In der üblichen Folgenabwägung wäre der in der Verzögerung liegende Nachteil ein Faktor: Je dringlicher die Maßnahme, desto geringer die Aussicht auf Eilrechtsschutz. Und umgekehrt: Je dramatischer die Konsequenzen der Maßnahme für die Beschwerdeführer (oder das von ihnen in Anspruch genommene Gemeinwohl), desto wahrscheinlicher der Eilrechtsschutz. Was aber, wenn auf beiden Seiten der Abwägung die Nachteile so groß sind, dass sie eigentlich nicht in Kauf genommen werden können? In einer solchen Situation nimmt der Eilrechtsschutz unvermeidlich wesentliche Teile der Hauptsache vorweg, weil diese in jedem Fall für eine Seite zu spät kommen wird. Und genau darin – in der unvermeidlichen Vorwegnahme wesentlicher Teile der Hauptsache – liegt eine wesentliche Begründung für den Wechsel von der Folgenabwägung zur summarischen Prüfung. Wenn schon die Vorwegnahme der Hauptsache ganz oder in wesentlichen Teilen unvermeidlich ist, dann soll wenigstens summarisch untersucht werden, wer voraussichtlich obsiegt hätte. Das leuchtet ein. Warum verzichtet das Gericht dann bei der ultra-vires-Kontrolle auf die eigentlich angezeigte summarische Prüfung?
4. Korrigierbarkeit eines etwaigen Kompetenzverstoßes?
Das Gericht begründet diesen Verzicht nicht explizit. Die Ausführungen zur Folgenabwägung indizieren aber, dass es von der späteren Korrigierbarkeit eines etwaigen Kompetenzverstoßes ausgeht (Rn. 111):
„Stellt der Senat einen Ultra-vires-Akt fest […], müssten Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat die ihnen zu Gebote stehenden Maßnahmen ergreifen, um die Verfassungsordnung wiederherzustellen. Sie müssten dem weiteren Vollzug des Eigenmittelbeschlusses 2020 entgegentreten, Vorstöße zu dessen gebotener Aufhebung oder Anpassung unternehmen – auch wenn dies der Zustimmung aller anderen Mitgliedstaaten bedürfte – und Maßnahmen ergreifen, um seine innerstaatlichen Auswirkungen so weit wie möglich zu begrenzen.“
An sich überzeugt der Gedanke der Korrigierbarkeit. Aber reichen die vom Gericht aufgeführten Maßnahmen aus, um einen etwaigen Kompetenzverstoß zu korrigieren? Zweifel erscheinen angebracht: Die angesprochenen Maßnahmen sind zukunftsgerichtet und stellen die Wirksamkeit des Eigenmittelbeschlusses 2020 und auf seiner Basis erfüllte Verpflichtungen nicht rückwirkend in Frage. Korrigiert würden lediglich „Fernwirkungen“ in Form einer Fortschreibung oder Erneuerung des Eigenmittelbeschlusses 2020. Außerdem würde die den Beschluss tragende Auslegung des Unionsprimärrechts abgelehnt und für die Zukunft ausgeschlossen. Darin liegt nur eine teilweise Korrektur der Wirkungen des Eigenmittelbeschlusses 2020. Ab dem Zeitpunkt der Hauptsacheentscheidung entsteht in Bezug auf den Eigenmittelbeschluss 2020 eine Bemühenspflicht zur Korrektur. Rechtswirkungen zwischen seinem Inkrafttreten und der Entscheidung in der Hauptsache blieben unberührt, soweit sie sich nicht im Verhandlungswege rückabwickeln lassen. Im Falle des Scheiterns der Bemühungen bleiben potentiell die gesamten Rechtswirkungen des Eigenmittelbeschlusses 2020 bestehen. Im Vergleich zur Rechtsfolgenanordnung im PSPP-Verfahren ist dies eine deutliche Abmilderung der Rechtsfolgen einer ultra-vires-Feststellung. Diese Relativierung beruht auf der vorliegenden Eilentscheidung. Deshalb liegt in ihr eine teilweise Vorwegnahme der Hauptsache. Dass das Gericht trotzdem auf eine summarische Prüfung verzichtet, passt nicht zur bisherigen Rechtsprechung und ist deshalb bemerkenswert.
5. Fünf Thesen zur Bewertung
1. Der Senat vermeidet die rechtlich komplexe und vermutlich in der internen Beschlussfassung heikle summarische Prüfung der ultra-vires-Rüge durch eine in der bisherigen Dogmatik des Eilrechtsschutzes nicht angelegte Differenzierung.
2. Die Entscheidung relativiert die Bedeutung der ultra-vires-Kontrolle im Rahmen der Verfassungsbeschwerde, da sie Wirkungen eines Verstoßes (möglicherweise bis zum vollständigen Erhalt der Rechtswirkungen des Eigenmittelbeschlusses 2020) nicht sanktioniert.
3. Eine solche, auf „Fernwirkungen“ beschränkte Kontrolle wird dem besonderen Charakter von Integrationsverfassungsbeschwerden gerecht, weil diese kein Individualinteresse verfolgen, sondern ein von den Beschwerdeführern für sich in Anspruch genommenes Allgemeininteresse.
4. Es ist legitim, das Allgemeininteresse an der Einhaltung der Kompetenzordnung gegen das Allgemeininteresse an der Pandemiebekämpfung abzuwägen. Durch den Verzicht auf die summarische Prüfung gewichtet das Gericht die Dringlichkeit der Finanzierungsmaßnahme höher als einen möglichen Verstoß gegen die Kompetenzordnung der Union.
5. Für die Pandemiebekämpfung durch die Europäische Union schafft die Entscheidung eine gewisse Rechtssicherheit, weil davon ausgegangen werden kann, dass der Eigenmittelbeschluss 2020 von Deutschland nicht rückwirkend in Frage gestellt werden wird.
Der Verzicht auf dies summarische Prüfung eines ultra-vires-Akts ist auch aus einem anderen Grund legitim.
Stellt der im Hauptsacheverfahren EuGH einen Kompetenzverstoß fest, erklärt er den EMB 2020 für ungültig (und hält ggf. einige Wirkungen für eine begrenzte Zeit aufrecht). Dann käme eine Vertragsänderung in Frage, um den Kompetenzverstoß zu beseitigen. Die Kompetenz dafür könnte auch zeitlich begrenzt geschaffen werden. In diesem Szenario haben sich die Reaktionspflichten der deutschen Staatsorgane erledigt, denn der ultra-vires-Akt ist bereits vom EuGH aufgehoben.
Hält der EuGH den EMB 2020 für kompetenzgemäß und das BVerfG sieht dennoch einen ultra-vires-Akt, besteht eine Reaktionspflicht der deutschen Staatsorgane. Eine mögliche Reaktion kann – in den Grenzen des Art. 79 III GG – auch die nachträgliche Kompetenzübertragung auf die Union sein, darauf weist das BVerfG seit dem OMT-Vorlagebeschluss hin.
Demnach würde bei einem ultra-vires-Akt, anders als bei einer Identitätsverletzung, die Möglichkeit einer Behebung des “Problems”, wenn auch nur ex nunc bestehen. Damit ist, jedenfalls theoretisch, kein dauerhaft verfassungswidrige uionsrechtliche Bedingung zu befürchten, wass es rechtfertigt, keine summarische Prüfung vorzunehmen.
Vielen Dank für den interessanten Beitrag. In der Tat wären Ausführungen zur summarischen Prüfung im Rahmen der Ultra-vires-Prüfung wünschenswert gewesen. Dass das BVerfG in der aktuellen Entscheidung insofern keine summarische Prüfung vornimmt, muss aber nicht bedeuten, dass es für alle Zeiten dabei bleibt. Zudem frage ich mich, ob der Schluss, in Analogie zur Übertragungskontrolle sei auch für die Ultra-vires-Kontrolle eine summarische Prüfung angezeigt, wirklich hält. Das hängt etwas davon ab, von welchem prozessualen Szenario man ausgeht. Sofern der EuGH im Rahmen einer Vorlage einen ausbrechenden Rechtsakt erkennt, und dies ist der ordentliche Weg, von dem man ausgehen sollte, ist dieser nichtig. Insofern besteht im Unterschied zu völkerrechtlichen Verträgen eben gerade keine Bindung. Das BVerfG deutet diesen Weg in Rn. 110 an. Dagegen betrifft Rn. 111 den Fall, dass der EuGH wieder mal eine “schlechterdings nicht vertretbare” Entscheidung fällt und Deutschland aufgrund eines Senatsurteils einseitig ausschert, womöglich ohne der EU wie beim PSPP-Urteil die Chance einer Heilung zu geben. Ich denke nicht, dass man dieses Szenario, das eigentlich nach Honeywell den absoluten Ausnahmefall darstellt, zur Grundlage einer Entscheidung über eine summarische Prüfung nehmen sollte.
Mit herzlichem Dank für die beiden Kommentare eine kurze Reaktion von uns:
Unser Anliegen war eine Analyse aus der Perspektive des Verfassungsprozessrechts. Für den einstweiligen Rechtsschutz bedeutet das zunächst einmal, die Perspektive des Beschwerdeführers einzunehmen, denn der einstweilige Rechtsschutz verfolgt einen Sicherungszweck für das Rechtsschutzanliegen des Beschwerdeführers. Um diesem Sicherungsanliegen Rechnung zu tragen, sind grundsätzlich alle Eventualitäten der späteren Entwicklung einzubeziehen. Deshalb normalisiert unsere Betrachtung nicht die ultra vires-Kontrolle und erst recht nicht die PSPP-Konstellation der Feststellung eines ausbrechenden Rechtsakts durch das Bundesverfassungsgericht gegen den EuGH (das zu normalisieren liegt uns wirklich sehr fern!), sondern es handelt sich um eine mögliche Entwicklung im weiteren Verfahrensgang, die bei der Entscheidung über den einstweiligen Rechtsschutz zu berücksichtigen ist. Für den Hinweis auf eine nachträgliche Kompetenzübertragung gilt die gleiche Überlegung: Man kann im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag im einstweiligen Rechtsschutz nicht wissen, ob eine solche Übertragung erfolgen würde. Deshalb muss ein effektiver einstweiliger Rechtsschutz auch das worst case-Szenario berücksichtigen.
Bei der Gelegenheit noch eine zweite Bemerkung: Die summarische Prüfung erscheint in der gegenwärtigen Diskussion als besonders scharfes Schwert des Bundesverfassungsgerichts, sodass ihre Nichtdurchführung als unionsrechtsfreundlich gewertet wird. Das wird der Sache aber nur teilweise gerecht. Man muss die Ausnahme der summarischen Prüfung immer in Relation zum “Normalfall” der Folgenabwägung sehen. Nur wenn die summarische Prüfung entgegen der Folgenabwägung zum Erlass einer einstweiligen Anordnung führt, wird sie zum scharfen Schwert. Spricht die summarische Prüfung gegen eine einstweilige Anordnung, so kann sie in der Folgenabwägung zum entscheidenden Argument gegen einstweiligen Rechtsschutz werden. Geht die Folgenabwägung gegen den einstweiligen Rechtsschutz aus, kann die summarische Prüfung diese Entscheidung stärken und zusätzliche Rechtssicherheit schaffen (so liegen die Dinge ja in Bezug auf die Identitätskontrolle bei NGEU).