Die Zwei Körper der Bürgermeisterin
Man sollte meinen, dass alles ganz einfach ist. Die Bürgermeisterin von Eisenach, Katja Wolf, verweigert den Stadträten der NPD die von ihr laut Gesetz vorzunehmende Amtseinführungszeremonie. Ein betroffenes NPD-Mitglied klagt und bekommt vom OVG Weimar Recht: Die Regelung sei eindeutig, für eine Ausnahme zulasten der NPD-Stadträte lasse das Gesetz keinen Raum. Und tatsächlich stößt die Bürgermeisterin mit ihrem Argument, dass es sich bei der NPD um eine verfassungsfeindliche Partei handelt, juristisch auf taube Ohren. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2017 der Partei qua obiter dictum die Verfassungsfeindlichkeit bescheinigt, sie aber im Ergebnis dann doch nicht verboten. Zu den Kernelementen der in Art. 21 GG verankerten und letztlich im Demokratieprinzip wurzelnden Chancengleichheit der Parteien gehört aber, dass eine Partei, so lange sie nicht verboten ist, auch grundsätzlich nicht anders behandelt werden darf als andere Parteien. Eine Ausnahme soll mittlerweile nur für den Bereich der staatlichen Finanzierung möglich sein – jedenfalls dann, wenn man die entsprechende Grundgesetzänderung nicht ihrerseits für verfassungswidriges Verfassungsrecht hält.
Was den Fall, der demnächst noch einmal vor dem Bundesverwaltungsgericht verhandelt werden könnte, trotzdem so interessant macht, ist daher nicht die Frage der Gleichbehandlung der Ratsmitglieder, sondern die konkrete Handlung, die von der Bürgermeisterin durch Gesetz verlangt, von ihr aber verweigert wird. § 24 Abs. 2 der thüringischen Gemeinde- und Landkreisordnung schreibt nämlich vor, dass die Gemeinderatsmitglieder in der ersten nach ihrer Wahl stattfindenden öffentlichen Sitzung des Gemeinderats vom Bürgermeister auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Pflichten durch Handschlag zu verpflichten sind. Verweigert ein Gemeinderatsmitglied die Verpflichtung, so verliert es sein Amt. Für den umgekehrten Fall, in dem eine Bürgermeisterin den Handschlag versagt, trifft die Vorschrift hingegen keine Regelung. Unstreitig dürfte insofern nur sein, dass dies auf das Amt des Gemeinderatsmitglieds jedenfalls keine Auswirkung haben kann.
Diese Regelung, die an der Stelle eines Amtseides eine Verpflichtung durch Handschlag vorsieht, ist keine Thüringer Besonderheit. In das dortige Kommunalrecht ist sie wahrscheinlich nach der Wiedervereinigung durch das Partnerland Rheinland-Pfalz gelangt, das über eine entsprechende Regelung in seiner Gemeindeordnung verfügt. Darüber hinaus sieht auch das Richterwahlgesetz einen entsprechenden Handschlag des Bundesjustizministers für die Mitglieder des Richterwahlausschusses vor, ebenso wie die Bundesrechtsanwaltsordnung für die Protokollführer beim Anwaltsgericht gegenüber dem Vorsitzenden des Spruchkammer. Auch Notarassessoren müssen dem Präsidenten der Notarkammer ihre Hand auf die gewissenhafte Pflichterfüllung geben.
Trotzdem bleibt diese Pflicht zum Handschlag in zweifacher Hinsicht bemerkenswert. Zum einen verdient die symbolische Komponente Beachtung, die hier in das Recht transformiert wird. An die Stelle eines Eides, der bei der Übernahme verschiedener öffentlicher Ämter, inklusive desjenigen eines thüringischen Bürgermeisters, geleistet wird, tritt ein Händedruck. Der Gemeinderat „gibt seine Hand drauf“, dass er seine Pflichten ordnungsgemäß erfüllen wird, und bedient damit sehr alte gesellschaftliche Bilder des Ehrenworts, das per Handschlag besiegelt wird. Man kann trefflich darüber streiten, ob dieses Symbol einer zweiseitigen Abmachung passend ist für die Übernahme eines öffentlichen Amtes und die Zusicherung, die daraus resultierenden Pflichten gewissenhaft zu erfüllen. Denn Adressat einer solchen Zusage kann und soll nach demokratischem Amtsverständnis eigentlich nicht die konkrete Autoritätsperson sein, die den Handschlag entgegennimmt. Unabhängig davon ist die Pflicht zum Handschlag aber ein anschauliches Beispiel für die performativen Elemente des Rechts, die ihren Ursprung oft in vormodernen und teils noch von magischem Denken geprägten Rechtsschichten haben, aber ohne größere Reflexion oft bis heute fortwirken.
Neben dieser symbolischen Seite ist die Regelung aber zum anderen deshalb besonders interessant, weil hier in ganz besonderer Weise durch das Recht der Einsatz des Körpers des Amtsträgers verlangt wird. Indem die Norm den Handschlag durch die Bürgermeisterin vorschreibt und das OVG ihn rechtlich erzwingt, greift der Staat unmittelbar auf den Körper der Amtsträgerin zu. Aus diesem Grund unterscheiden sich die rechtlichen Maßstäbe hier auch grundlegend von anderen Fällen, in denen der (verweigerte) Handschlag in jüngerer Zeit zum Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen wurde: So hielt das OVG Koblenz jüngst die Entlassung eines Soldaten, der Frauen aus religiösen Gründen den Handschlag verweigerte, für rechtlich nicht beanstandenswert. Schon kurz zuvor hatte dasselbe Gericht den Widerruf einer Erlaubnis für den Betrieb eines Kindergartens unter anderem deshalb für rechtmäßig erachtet, weil das weibliche Betreuungspersonal aus religiösen Gründen männlichen Besuchern nicht die Hand reichen wollte. In beiden Fällen ging es gerade nicht darum, dass das Recht den Handschlag zwingend einfordern wollte. Vielmehr wurde lediglich die Verweigerung des Handschlags als Indiz dafür gewertet, dass grundlegende Wertfragen der Verfassung nicht respektiert werden – das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 Abs. 2 GG etwa oder die Menschwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG.
Bei der Verpflichtung der Bürgermeisterin zum Handschlag ist dies nun anders. Denn hier kommt es rechtlich gerade darauf an, dass sie als Amtsträgerin die körperliche Handlung vollzieht. Die von Juristen sonst so vehement verteidigte Unterscheidung zwischen Amtsträger und Privatperson fällt an dieser Stelle daher plötzlich in sich zusammen. Zwar kann man die Handlung der Bürgermeisterin, die Ratsmitglieder auf eine gewissenhafte Pflichterfüllung zu verpflichten, ohne Weiteres ihrer Amtstätigkeit zuordnen. Der Handschlag hingegen lässt sich von der Körperlichkeit ihrer Person im höchst natürlichen Sinne nicht trennen. Im physiologischen Sinne gibt es keine zwei Körper der Bürgermeisterin. Wer die Bürgermeisterin zum Handschlag zwingt, zwingt auch die Privatperson Katja Wolf.
Auf diese Weise wird dann aber auch die sonst so klare Trennung zwischen Grundrechtsgebundenheit und Grundrechtsberechtigung der Amtsperson brüchig. Wenn der Staat auf den physiologischen Körper der Amtsträgerin zugreift, greift er in die körperliche Selbstbestimmung der Privatperson ein. Und damit stellt sich die Frage nach den rechtlichen Grenzen auf einmal ganz neu. Zwar darf die Bürgermeisterin die Stadträte der NPD grundsätzlich nicht anders behandeln als die Vertreter anderer Parteien. Aber darf der Staat die Privatperson Katja Wolf dazu zwingen, den NPD-Politikern die Hand zu geben?
Die Verfügungsgewalt über den eigenen Körper ist ein zentraler Baustein jedes menschenwürdegeleiteten Grundrechtsschutzes. Einschränkungen zulasten von solchen Personen, die im buchstäblichen Sinne ein öffentliches Amt verkörpern, bedürfen einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung, die insbesondere auch die Erforderlichkeit des Eingriffs in den Blick nimmt. Man muss nicht die symbolische und psychologische Wirkung einer öffentlichen Bekräftigung der Pflichtenstellung kleinreden, um die Erforderlichkeit des Handschlags hier zu verneinen. Gerade aufgrund der fehlenden eindeutigen Symbolkraft des Händedrucks würden vielmehr andere rituelle Formen wie etwa ein entsprechendes Gelöbnis oder ein Amtseid die Funktion genauso gut erfüllen, ohne einen unmittelbaren Körpereinsatz der Amtsträger zu verlangen.
Damit fehlt es aus grundrechtlicher Perspektive an einer Rechtfertigung für die Regelung in der thüringischen Gemeinde- und Landkreisordnung. Die Grundrechte von Katja Wolf schützen daher auch die Bürgermeisterin von Eisenach davor, den NPD-Stadträten die Hand geben zu müssen. Insofern ist es zwar richtig, dass eine Unterscheidung der Bürgermeisterin bei der Behandlung der NPD-Stadträte gegen die verfassungsrechtlich garantierte Gleichheit der Parteien verstoßen. Eine Verpflichtung Katja Wolfs dazu, Körperkontakt mit den Stadträten der NPD herzustellen, verletzt allerdings umgekehrt ihre Grundrechte. Wenn das Bundesverwaltungsgericht die Revision gegen das Urteil des OVG Weimar zulässt, sollte es daher die Regelung des thüringischen Kommunalrechts dem Bundesverfassungsgericht vorlegen und auf seine Vereinbarkeit mit den Grundrechten hin überprüfen lassen. Der körperliche Einsatz, den gerade Kommunalpolitiker angesichts zunehmender Drohungen mit und Ausübung von Gewalt für ihr demokratisches Engagement aufbringen, ist schon hoch genug, an vielen Stellen auch schlicht zu hoch. Er darf nicht auch noch rechtlich eingefordert werden.
Vielen Dank für Ihren Beitrag.
Im Ausgangspunkt teile ich Ihren Befund, dass die Verpflichtung die Hand eines Ratsmitgliedes zu schütteln an den Grundrechten des Amtswalters zu messen ist. Dagegen erscheint es mir verfehlt, einen derart rationalen Erforderlichkeitsmaßstab an eine zeremonielle Handlung anzulegen. Der Handschlag zur Amtseinführung scheint jedenfalls in RLP ein traditionell gewachsenes Ritual zu sein. Darin mag man anachronistische Züge eines Investituraktes oder Ähnliches sehen. Dennoch scheint das Symbol ohne weiteres akzeptiert zu sein – in RLP und in Thüringen. Es ist für mich auch nicht ganz einsichtig, wieso Adressat der Verpflichtung die Autoritätsperson und nicht das Gemeinwesen sein soll. Ist es nicht der nicht-physiologische, das Gemeinwesen präsentierende Körper, dem der Handschlag gilt? Jedenfalls erscheint mir der Eigenwert solcher Rituale verdeckt, wenn man sie im Rahmen einer Erforderlichkeitsprüfung kurzerhand für austauschbar erklärt.
Inwieweit die Pflicht der Bürgermeisterin, den neu gewählten Gemeinderatsmitgliedern die Hand zu geben, ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung verletzt, darüber mag man geteilter Meinung sein. Ich halte es jedenfalls nicht für zu viel verlangt, dass eine Bürgermeisterin den neu gewählten Gemeinderatsmitgliedern im Rahmen einer Einführungszeremonie die Hand schüttelt. Offenbar hat Frau Wolf auch grundsätzlich kein Problem damit, den übrigen Gemeinderäten die Hand zu geben. Dementsprechend habe ich eher den Eindruck, dass der Schwerpunkt hier weniger in einem Eingriff in die körperliche Selbstbestimmung (Art. 2) und mehr in einem Gewissenskonflikt (Art. 5) liegt. Dieser wäre aber nicht abstrakt-generell, sondern im konkreten Fall zu lösen.
In einer wirklich freien Gesellschaft müssten wir über eine solche Trivialität gar nicht einmal diskutieren. Natürlich hat Frau Wolf das Recht jemandem den Handschlag zu verweigern. Wie kann es überhaupt ansatzweise einen Zwang dazu geben? Dann schüttelt sie halt eben nicht die Hand. Als ob bei einer Verbeamtung beispielsweise der Amtseid dadurch ungültig wäre, dass der Beamte hinter seinem Rücken die Finger kreuzt während er schwört…. Symbolhandlungen ändern nichts an der Rechtsgültigkeit des Vorgangs an sich. Wenn Frau Wolf die NPD so entschieden ablehnt, dass sie Vertretern dieser Partei nicht die Hand schütteln will, dann sollte sie niemand dazu zwingen. Das entsprechende Gerichtsurteil ist daher meiner Meinung nach hochproblematisch, befördert es doch einmal mehr die Überbetonung der Formen vor den Inhalten und dies zugunsten einer weiteren Erosion der Freiheit in diesem Land.
Ich halte generell die Vermischung zwischen Rechten und Pflichten einer Amtsperson und einer Privatperson für höchst problematisch, entspricht aber den heutigen Zeitgeist. Die Amtsträgerin N.N. (Namen und Personen sind austauschbar und uninteressant) hat die Aufnahmezeremonie auszuführen, das ist ihre Pflicht und in diesem Zusammenhang sollte sich nicht die Grundrechtsfrage stellen. Dieser Akt ist keine persönliche Geste der Amtsträgerin und kann der Privatperson Katja Wolf nicht zugerechnet werden. Die für mich entscheidende Frage ist dann nicht, ob Katja Wolf durch den unterlassenen Handschlag in ihren Rechten beeinträchtigt ist (im Privatverkehr ihr natürliches Recht), sondern ob das Amt (das sie nur zeitweise innehat und “über ihr steht”) dadurch beeinträchtigt wird.
Man sollte auch die Frage in einem größeren Rahmen betrachten, z.B. wenn Diplomaten in schwierige Länder fahren und dort mit Machthabern verhandeln müssen, die nicht an demokratische Regeln glauben.
Sehr geehrter Herr Tullius,
meiner Ansicht nach würde das Amt in einer freien (!) Gesellscchaft in keinster Weise beschädigt werden, nur weil die Amtsperson einer lediglich formalen Handlung nicht nachkommt. Ihren Verweis auf die Diplomatie in Ländern welche Unfrei sind finde ich hier recht gut. Er zeigt meiner Überzeugung nach klar auf, dass die Überbetonung der bloßen Formen vor den tatsächlichen Inhalten ein Ausfluss von Unfreiheit ist.
Wenn also in einem Unrechtsregime eine solche Handlung zwingend notwendig ist, zeigt dies nur umso mehr auf, wie sehr zwanghafte Formalien abzulehnen sind als dass was sie sind: Unfreiheit.
Hochachtungsvoll
Handelt es sich im Kern dieser Debatte nicht um die Frage, ob und in wie weit in einer sog. “Sonderrechtsbeziehung” bzw “Besonderen Gewaltverhältnis” sich Amtswalter auf ihre Grundrechte berufen können?
Vorliegend würde ich sagen, dass diese Regelung ausschließlich die Bürgermeisterin in ihrer Stellung als Amtswalterin trifft, und nicht zugleich sie in ihrer persönlichen Rechtstellung, da das Recht der körperlichen Selbstbestimmung nicht nennenswert tangiert wird.
Ansonsten könnte gleichsam im Beamtenrecht die innerdienstliche Weisung oder Versetzung mit dem gleichen Argument abgelehnt werden.
Freifahrtschein für sittenloses Verhalten im politischen Amt
Vielen Dank für den interessanten Beitrag, den ich gerne aus kommunalrechtlicher Perspektive kurz kommentieren möchte.
Nach dem Willen des Landesgesetzgebers in Thüringen sind die Gemeinderatsmitglieder in der ersten nach ihrer Wahl stattfindenden öffentlichen Sitzung des Gemeinderats vom Bürgermeister auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Pflichten durch Handschlag zu verpflichten. Das Wort „sind“ deutet auf ein objektive Rechtsverpflichtung hin. Eine Ausnahme sieht der Gesetzgeber nicht vor (Das ist wichtig!). Demnach wäre die Bürgermeisterin auch verpflichtet gewesen, den gesetzlich verankerten Handschlag durchzuführen.
Sinn und Zweck des Handschlages ist, die Gemeinderatsmitglieder zu einer gewissenhaften Amtswahrnehmung zu verpflichten. Das Gegenteil von gewissenhaft ist sittenlos, unzuverlässig und vernachlässigt (keine schönen Adjektive).
Auch wenn die Stadträte der NPD nicht ihr Amt verlieren (warum auch, sie sind gewählt), so erhalten sie jedoch durch den nicht durchgeführten Handschlag der Bürgermeisterin einen rechtlichen Freifahrtschein, ihr Amt nicht gewissenhaft auszuführen. Das ist jedoch ein rechtlicher und politischer Widerspruch. Es ist doch für alle politischen Akteure vorteilhafter, den Stadträten der NPD durch den Handschlag die Pflicht aufzuerlegen, ihr Amt gewissenhaft auszuüben, als ihnen durch das Verweigern des Handschlages ein Freifahrtschein für sittenloses Verhalten zu erteilen.