Freie Fahrt für die Mietpreisbremse
Das Bundesverfassungsgericht akzentuiert die Sozialbindung des Eigentums und die politischen Spielräume für ihre Ausgestaltung
Die immense Steigung der Immobilien- und Mietpreise für Wohnraum in den attraktiven Städten hat sich zu einem drängenden sozialpolitischen Thema entwickelt. Für das Land Berlin wird an einem Mietendeckel gearbeitet, d.h. an einer Regelung zum kompletten Einfrieren zulässig vereinbarter Mieten für fünf Jahre. Und im Bund hat die Große Koalition am vergangenen Sonntag beschlossen, die seit 2015 bestehende bundesrechtliche Mietpreisbremse bis 2025 zu verlängern, den Berechnungszeitraum für die ortsübliche Vergleichsmiete von vier auf sechs Jahre zu erhöhen und die Möglichkeit auszubauen, zu viel bezahlte Miete zurückzufordern. Nach den Regelungen zur Mietpreisbremse in §§ 556d ff. BGB können die Landesregierungen durch Rechtsverordnung Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten identifizieren; in Berlin ist das für das gesamte Stadtgebiet geschehen. Das hat zur Folge, dass bei einer Wiedervermietung die ortsübliche Vergleichsmiete grundsätzlich nicht um mehr als 10% überschritten werden darf; nicht unerhebliche Ausnahmen gelten bei höheren Vormieten, bei zuletzt durchgeführten Modernisierungsmaßnahmen und bei Erstvermietungen.
Diese Mietpreisbremse hat das Bundesverfassungsgericht gestern für mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt. Der Beschluss ist bemerkenswert, weil er auf dem Höhepunkt der politischen Diskussionen die Sozialbindung des Eigentums betont und der Politik erhebliche Spielräume für ihr Vorgehen zur Regulierung des Wohnungsmarkts und zur Steuerung der Sozialstruktur in den Ballungsräumen belässt.
Der Umgang des Bundesverfassungsgerichts mit dem Verfahren
Erstaunlich ist, dass die Entscheidung von einer Kammer und nicht vom Ersten Senat getroffen wurde. Die Kammer verneint die grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung der Verfassungsbeschwerde einer Berliner Vermieterin im Sinne von § 93a Abs. 2 lit. a) BVerfGG unter Hinweis darauf, dass die Maßstäbe durch frühere Senatsentscheidungen – die jüngste von ihnen liegt freilich auch schon 25 Jahre zurück – bereits feststünden. Nun ja: Nach diesen Maßstäben müssen die Interessen der Beteiligten zum Ausgleich gebracht werden, ist Wohnraum in besonderer Weise sozialgebunden, aber auch das Interesse von Vermieterinnen und Vermietern an einer wirtschaftlichen Nutzung ihres Eigentums grundrechtlich geschützt. Das alles ist selbstverständlich.
Die Musik spielt in der Frage, ob die Mietpreisbremse nun einen verfassungskonformen Ausgleich zwischen Privatnützigkeit und Sozialbindung des Eigentums herstellt oder nicht. Wenn diese Frage mit Recht sehr eingehend aufgearbeitet wird, sieht das nicht nach der bloßen Exekution feststehender Maßstäbe aus. Man wüsste gern, ob mit Blick auf den geplanten Berliner Mietendeckel eine schnelle Entscheidung getroffen werden sollte oder ob man den Gang in den Senat wegen des dort ungewisseren Ausgangs gescheut hat.
Die mit der Verfassungsbeschwerde verbundenen Richtervorlagen des Landgerichts Berlin sieht die Kammer – gemessen an den üblichen strengen Maßstäben, die hier nicht diskutiert werden sollen – gut nachvollziehbar als nicht hinreichend begründet und damit unzulässig an (Rn. 32 ff.). In der Sache werden dann zunächst die Vorschriften der Mietpreisbremse selbst am Maßstab der Eigentumsgarantie und des allgemeinen Gleichheitssatzes geprüft, dann folgt die Prüfung der Verordnungsermächtigung in § 556d Abs. 2 BGB und ihrer Ausfüllung durch die Berliner Landesregierung.
Die Mietpreisbremse als verhältnismäßiger Eingriff in das Eigentumsgrundrecht
Die Mietpreisbremse ist nach dem Beschluss eine verhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums. Zur Verfolgung der Gemeinwohlziele, dass Wohnraum insbesondere in Ballungsgebieten nicht nur einkommensstärkeren Bevölkerungsschichten zur Verfügung steht und dadurch eine Gentrifizierung von Städten oder Stadtteilen vermieden wird, ist die Regelung geeignet (wenn hier auch leise Einwände geäußert werden, Rn. 62), erforderlich (was unter Betonung des Einschätzungsspielraums des Gesetzesgebers bemerkenswert knapp dargelegt wird, Rn. 66 f.) und auch zumutbar (Rn. 66 ff.). Die breite Prüfung der Zumutbarkeit betont im Allgemeinen die „verfassungsrechtlichen Vorstellungen eines sozialgebundenen Privateigentums“ (Rn. 69) und im Besonderen die Sozialbindung gerade von Wohnraum (Rn. 71).
Dabei geht es nach Auffassung der Kammer nicht nur um klassischen Mieterschutz etwa durch Vorschriften zum Kündigungsschutz, sondern auch um das gesellschaftspolitische Interesse an einer durchmischten Wohnbevölkerung (Rn. 72; diese Bewertung steht dem Gesetzgeber zu, was nicht überall verstanden wird). Auch hier wird der weite Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers herausgestellt, das Vertrauen auf die Erzielbarkeit bestimmter Mieteinnahmen angesichts der Dynamik des Mietrechts stark zurückgedrängt und richtigerweise betont, dass das Vertrauen, höchstmögliche Mieteinnahmen erzielen zu können, nicht verfassungsrechtlich geschützt ist (Rn. 74 ff.).
Die Zumutbarkeit der Mietpreisbremse wird vor allem darauf gestützt, dass eine wirtschaftliche Verwertung des Eigentums beim Abstellen auf die ortsübliche Vergleichsmiete regelmäßig sichergestellt sei, diese um 10% überschritten werden dürfe und Ausnahmevorschriften bestünden (Rn. 83 ff.); dies gelte auch in Anbetracht von privaten Vermieterinnen und Vermietern, die mit der Vermietung von Wohnungen ihren Lebensunterhalt bestritten. Zudem werde der materielle Spielraum des Gesetzgebers verfahrensrechtlich insbesondere durch die Anforderungen an die Begründung der erforderlichen Rechtsverordnungen kompensiert (Rn. 77 ff.). Zur Frage, wo denn die Zumutbarkeitsgrenze liegen könnte, findet sich nur, allerdings immerhin zweimal, der Hinweis, dass die Mietpreisregulierung nicht auf Dauer zur Verlusten für die Vermieterinnen und Vermieter oder zu einer Substanzgefährdung der Mietsache führen dürfe (Rn. 69 und 88).
Gleichheitsprüfung und Vergleichsgruppenbildungen
Das Bundesverfassungsgericht sieht in der Mietpreisbremse auch keinen Gleichheitsverstoß. Überzeugend zieht die Kammer bereits in Zweifel, ob in dem Abstellen auf die je unterschiedlichen ortsüblichen Vergleichsmieten überhaupt eine relevante Ungleichbehandlung liegt. Jedenfalls aber sieht sie diese Differenzierung als verhältnismäßig an (Rn. 91 ff.).
Interessanter ist die Auseinandersetzung mit dem Einwand einer unzulässigen Gleichbehandlung privater und gewerblicher Vermieter: Denn die Kammer beanstandet diese Gleichbehandlung nicht, stellt aber mehrfach heraus, dass in dem stärkeren Eigentumsschutz privater Vermieterinnen und Vermieter ein grundsätzlich mögliches Differenzierungskriterium liegen könnte (Rn. 71, 100 ff.). Wenn gestern Abend von Kursschwankungen börsennotierter Wohnungsgesellschaften berichtet wurde, mag es dieser berechtigte Hinweis des Verfassungsgerichts sein, der auf Seiten der gewerblichen Vermieter für Unbehagen sorgt. Man darf gespannt sein, ob die künftige Regulierung diese Differenzierungsmöglichkeit aufgreift.
Gesetzliche Verordnungsermächtigung und Verordnungsermessen der Regierung
Bemerkenswert großzügig ist das Bundesverfassungsgericht schließlich im Umgang mit der in § 556d BGB angelegten Kopplung von Gesetz und Verordnung: Die Verordnungsermächtigung, die die Entscheidung über das Ob der Verordnungsgebung ganz auf die Landesregierungen zu delegieren scheint, könne verfassungskonform ausgelegt werden; dann ergebe sich bei angespannten Wohnungsmärkten eine Verpflichtung zur Verordnungsgebung, wenn das Problem nicht kurzfristig auf andere Weise behoben werden könne (Rn. 109 ff.).
Hier scheint die Kammer fast mutiger, ja politischer zu sein als der Gesetzgeber selbst – und Mieterinnen und Mieter, die die Ausweisung von Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten durch Normerlassklagen zu erzwingen suchen, könnten nicht lange auf sich warten lassen.
Gleichzeitig und durchaus gegenläufig soll der Verordnungsgeber bei dieser Ausweisung aber über erhebliche Spielräume verfügen, wenn es ausreichen soll, dass Alternativen zu dieser Ausweisung nicht eindeutig feststellbar vorzugswürdig sind (Rn. 115). Ferner soll die Fristbestimmung innerhalb der Höchstfrist von fünf Jahren bei komplexen Wohnungsmärkten wie in Berlin nur einer Vertretbarkeitskontrolle unterliegen (Rn. 117).
Wichtig ist schließlich der Hinweis, dass die Ausweisung von Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten zulässig ist, soweit alternative Maßnahmen wie der soziale Wohnungsbau oder Änderungen im Bereich des Wohngelds kurzfristig nicht greifen könnten (Rn. 118). Denn damit wird der vorübergehende Charakter von Mietpreisregelungen betont, womit die Kommunen selbst auch von Verfassungs wegen nicht die Hände in den Schoß legen dürfen.
Folgerungen für den Berliner Mietendeckel
Extrapolationen auf die verfassungsrechtliche Bewertung des geplanten Berliner Mietendeckels sind naturgemäß schwierig. Immerhin aber ist auffällig, dass das Bundesverfassungsgericht die Steigerung der Miete um bis zu 10% nicht als conditio sine qua non der Zumutbarkeit angesehen hat. Und die doppelt betonte Zumutbarkeitsgrenze dürfte zumindest bei sorgfältig austarierten Ausnahmeklauseln auch durch einen fünfjährigen Mietendeckel nicht erreicht werden.
Von Interesse für den Berliner Mietendeckel ist schließlich der Hinweis auf die verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Stichtagsregelungen, die der Gesetzgeber hier zulässigerweise auf den Tag der Vorlage des Regierungsentwurfs festgelegt habe (Rn. 107); dies könnte ein Indiz dafür sein, dass sich der Versuch, bereits auf ein Eckpunktepapier zur Ausarbeitung eines Regierungsentwurfs abzustellen, als problematisch erweisen könnte (s. dazu bereits hier).
Unabhängig von der genauen Ausgestaltung des Berliner Mietendeckels und seines verfassungsrechtlichen Schicksals ist das verfassungsgerichtliche Placet für die Mietpreisbremse aber ein wichtiges Signal dafür, dass die Regulierungsspielräume der Politik nicht strikt auf marktwirtschaftliche Logiken festgelegt sind.
Das BVerfG schreibt die Dogmatik zum Eigentumsgrundrecht konsequent fort. Angesichts der in Art. 14 GG selbst angegelegten Beschränkungsmöglichkeiten und einem flexibel einsetzbaren Verhältnismäßigkeitsprinzip steht dem Gesetzgeber ein weites Feld an Handlungsoptionen offen. Dies ist zu begrüßen, aber auch nichts Neues.
Sehr geehrter Herr Prof. Sauer, warum halten Sie es für problematisch, dass der Berliner Senat die geplante Rückwirkung des Mietendeckels auf das Datum des Eckpunkte-Beschlusses des Senats bezieht, nachdem das BVerfG im von ihm entschiedenen Fall 2 BvR 882/97 sogar eine Rückwirkung auf das Datum eines “Koalitionsbeschlusses” für zulässig erachtet hatte? Zu jenem Zeitpunkt lag meines Wissens auch noch kein Gesetzentwurf vor.
In der Rn. 60 führt das BVerfG aus:
„(a) Mit der Miethöhenregulierung in § 556d Abs. 1 BGB verfolgt der Gesetzgeber ein legitimes Ziel. Der gesetzgeberische Zweck, durch die Begrenzung der Miethöhe bei Wiedervermietung der direkten oder indirekten Verdrängung wirtschaftlich weniger leistungsfähiger Bevölkerungsgruppen aus stark nachgefragten Wohnquartieren entgegenzuwirken, liegt im öffentlichen Interesse.“
In den folgenden Randnummern eiert das BVerfG bei den Konsequenzen im Falle der Wiedervermietung herum, um schnell von der Wiedervermietung auf die Bestandsmietverhältnisse überzuleiten.
Letzten Endes lässt aber auch das BVerfG erkennen, dass es bei der Wiedervermietung die Konsequenz sieht, dass im Zweifel von privaten Vermietern
– an Besserverdienende und nicht an Schlechterverdienende
– an Facharbeiter in gesicherten Einkommensverhältnissen und nicht an Juristen oder Lehrer
– an Pensionärinnen und Witwen von Pensionären und nicht an Alleinerziehende mit Kindern oder kinderreiche Familien
vermietet wird (finanzielle Anreize sind durch die Mietpreisbremse entfallen).
Im Grunde müsste ein solches Gesetz in Hinblick auf die Wiedervermietung mit Einweisungsrechten („Wohnbezugsscheinen“) flankiert werden.
Hätten wir den Anteil von Wohneigentum in Privatbesitz wie in Italien oder Spanien (und anderen EU Ländern), finanziert übrigens nicht zuletzt indirekt durch uns, hätten wir das ganze Problem nicht.
Die wahre Lösung des Problems der steigenen Mieten ist allein, Menschen in eigenes Wohneigentum zu bringen. Dafür fehlen jedwede sinnvolle Konzepte.
Die kapitalisierte Differenz zwischen erzielbarer und erlaubter Miete stellt ökonomisch eine entschädigungslose Teilenteignung dar. Die Konsequenz ist weniger Mietwohnungsbau, geringere Mobilität und weniger Instandhaltung (so lange bis sich die Wohnqualität der Miete angepasst hat). Das Gericht sieht hierfür ein öffentliches Interesse. Erstaunlich.