24 January 2025

Gefährliche Entkoppelung

Die Kosten von Polizeieinsätzen bei „Hochrisikospielen“ und die polizeirechtliche Verantwortlichkeit

Fußballspiele haben auch eine soziale Funktion. Dies gilt nicht nur für den Amateurbereich, sondern gleichermaßen für Begegnungen im Profifußball, denn aus der Perspektive der Zuschauer*innen geht es um eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (BVerfG 1 BvR 3080/09, Rn. 41). Derartige Begegnungen sind aber zugleich Veranstaltungen, die von professionellen Akteuren aus kommerziellen Gründen organisiert werden. Mit ihrer Durchführung können zudem Gefahren für die öffentliche Sicherheit durch gewaltbereite Anhänger*innen konkurrierender Teams einhergehen. Der bremische Gesetzgeber hat daher vor rund 10 Jahren entschieden, dass bei gewinnorientierten (Groß-)Veranstaltungen („Hochrisikospiele“) im Falle „erfahrungsgemäß zu erwartender Gewalthandlungen“ von den Veranstalter*innen eine gesonderte Gebühr für den Einsatz zusätzlich erforderlicher Polizeikräfte erhoben wird (§ 4 Abs. 4 BremGebBeitrG i.d.F. v. 04.11.2014). Diese gesetzliche Regelung hat das Bundesverfassungsgericht nunmehr gebilligt (BVerfG 1 BvR 548/22).

Das dürfte auch deshalb auf Zustimmung stoßen, weil nicht erkennbar ist, warum die Allgemeinheit die Sicherheit und Störungsfreiheit kommerzieller Sportveranstaltungen aus Steuermitteln gewährleisten soll. Auch das Bundesverfassungsgericht erachtet es als legitimes Ziel, dass Polizeikosten für die „Begleitung gewinnorientierter privater Veranstaltungen im öffentlichen Raum“ durch „die (un)mittelbaren wirtschaftlichen Nutznießerinnen und Nutznießer“ gegenfinanziert werden (Rn. 69). Näheres Hinsehen zeigt indes, dass die Begründung dieses Ergebnisses unter Anknüpfung an ein „Veranlasserprinzip“ geeignet ist, Wertungswidersprüche in das Gefahrenabwehrrecht hineinzutragen, aus denen sich eine gefährliche Ausdehnung der gefahrenabwehrrechtlichen Verantwortlichkeit ergeben könnte.

Das Kostenrisiko der Hochrisikospiele

Das Bundesverfassungsgericht nähert sich der Angelegenheit aus der Perspektive allein des Gebührenrechts. Im Mittelpunkt der Prüfung steht die Beeinträchtigung der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) der Gebührenschuldnerin (einer Tochtergesellschaft der „Deutsche Fußball Liga e.V.“) durch die Gebührenerhebung (Rn. 53 ff.). Die Kernfrage ist, ob Organisator*innen einer Veranstaltung als Gebührenschuldner*innen in Anspruch genommen werden können, wenn Dritte die Veranstaltung (erwartbar) zum Anlass für Störungen nehmen werden. Zwar kennt das Polizeirecht – wie das Bundesverfassungsgericht zu Recht betont (Rn. 71) – kein allgemeines verfassungsrechtliches Gebührenerhebungsverbot. Typischerweise werden Kosten und Gebühren im Polizeirecht aber von handlungs- oder zustandsverantwortlichen Personen (den Störer*innen) erhoben. Das Gericht sieht es in dieser Entscheidung nun auch als zulässig an, die Veranstalter*innen eines Fußballspiels auf polizeiliche Gebühren für die Abwehr drohender Störungen der Veranstaltung in Anspruch zu nehmen. Die dafür erforderliche Zurechnung gefahrenträchtiger Handlungen Dritter zu den Veranstalter*innen (Rn. 87) wird unter Rückgriff auf zwei allgemeine gebührenrechtliche und in § 3 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BGebG gesetzlich verankerte Kriterien begründet. Zum einen wird an die Begünstigung der veranstaltenden Stelle durch die staatlichen Maßnahmen angeknüpft, zum anderen wird der Umstand herangezogen, dass die zusätzlichen Kosten durch die Veranstaltung veranlasst werden. Mit der Überwälzung der Polizeikosten würde die Allgemeinheit vor Kosten bewahrt, indem diese „den wirtschaftlichen Nutznießerinnen und Nutznießern“ auferlegt würden, die zugleich deren Verursacherinnen und Verursacher seien (Rn. 78). Insbesondere finde die Gebührenerhebung in dem Verhalten der Veranstalterinnen und Veranstalter ihren Anlass (Rn. 83); diese werden daher auch als „Veranlasserinen“ bzw. „Veranlasser“ bezeichnet (Rn. 84).

In der Anknüpfung an eine „Begünstigung“ spiegelt sich der für sich genommen tragende Gedanke wider, dass diejenigen, die den wirtschaftlichen Nutzen aus einer kommerziellen Veranstaltung ziehen, die Kosten der Sicherheit nicht auf die Allgemeinheit sollen abwälzen können. Daneben wird auch auf ein „Veranlasserprinzip“ (Rn. 92) zurückgegriffen, da „der Mehraufwand des Polizeieinsatzes durch die Veranstalterinnen und Veranstalter ausgelöst“ werde (Rn. 93). Mit dieser Anknüpfung an die Verursachung bzw. Veranlassung polizeilichen Aufwandes weist die Argumentation des Bundesverfassungsgericht einen deutlichen Bezug zu der gefahrenabwehrrechtlichen Kategorie der „Zweckveranlassung“ auf. Diese soll gerade ermöglichen, eine Gefahr einer Person zuzurechnen, die die Gefahrenlage nicht (unmittelbar) verursacht. Voraussetzung ist, dass diese (bewusst) eine typischerweise eintretende Situation herbeiführt, in der Dritte gefahrenträchtige Handlungen vornehmen können (vgl. dazu den Überblick bei Schoch, Jura 2009, 360 (361 ff.)).

Das dogmatische Gespenst der „Zweckveranlassung“

Die Rechtsfigur der „Zweckveranlassung“, die sich erstmals in einer knappen Entscheidung des preußischen Oberverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1901 zu einer gewerberechtlichen (Sonder-) Problematik findet (PrOVGE 40, 16), ist seit jeher umstritten. Ganz ohne sie kommt die (gleichwohl als „Schulfall“ geltende) „Borkumlied-Entscheidung“ aus (PrOVGE 80, 176). Diese betraf mit dem Absingen eines polizeirechtlich relevanten „Alternativtextes“ zu einem isoliert betrachtet unverdächtigen Musikstück eine einhundert Jahre später noch (oder wieder) rechtlich und politisch aktuelle Problematik. Regelmäßig lassen sich derartige Sachverhalte ohne Rückgriff auf diese Rechtsfigur lösen, weil die Mitwirkung an rechtswidrigen Handlungen anderer eine eigene Handlungsverantwortlichkeit begründet. So lässt sich beispielsweise in den Fällen der musikalischen Begleitung rechtswidriger Gesänge ein gemeinsames Überschreiten der „Gefahrenschwelle“ annehmen (vgl. OVG Bremen 1 B 309/11). Im Übrigen können auch nicht verantwortliche Personen unter engen Voraussetzungen polizeirechtlich in Anspruch genommen werden (beispielhaft VG Schleswig 3 A 5/95), wenn dies unbedingt notwendig erscheint (vgl. zB § 20 BPolG, § 16 ASOG Bln).

Weil es bei der Zweckveranlassung aber um die Zurechnung einer (potentiellen) Gefahr geht bildet sie immer eine mögliche „Einbruchstelle“ für die Zurechnung des Verhaltens Dritter, und so ist sie auch im Kontext der „Hochrisikospiele“ diskutiert worden (vgl. z.B. Heise, NVwZ-Extra 5/2015, S. 1 (3 ff.); Lange, Zweckveranlassung (2014), S. 169 ff.). Ob etwa die Verantwortlichkeit hin zu einer „Voraussehbarkeit“ einer Gefahrenlage ausgedehnt werden sollte, war auch im bremischen Gesetzgebungsverfahren Thema. In einer Mitteilung der Landesregierung von 2014 heißt es, dass Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit „unmittelbar nur von den Teilnehmern respektive Besuchern der Veranstaltung ausgehen“, die Kausalität der Veranstaltung aber zugleich „die Frage nach der polizeirechtlichen Verantwortlichkeit des Veranstalters“ aufwerfe (Bremische Bürgerschaft, Drs. 18/1501 v. 22.07.2014, S. 9). Hier wird erkennbar von dem Gleichlauf von Veranlasserprinzip und gefahrenabwehrrechtlicher Verantwortlichkeit ausgegangen. Sei der Veranstalter nicht nach Polizeirecht verantwortlich, so komme auch eine „gebührenrechtliche Veranlasserschaft“ nicht in Betracht; die Veranstalter*innen könnten für die Einsatzkosten dann nur nach dem Vorteilsprinzip in Anspruch genommen werden. Die polizeirechtliche Verantwortlichkeit wird mangels Überschreitung der „Gefahrenschwelle“ durch die veranstaltende Stelle aber verneint und auch die Anknüpfung an eine Zweckveranlassung abgelehnt. Gegenüber der veranstaltenden Stelle keine Maßnahmen zu treffen, sondern sie allein auf der Kostenseite heranzuziehen, erscheine als „widersprüchlich“ (Bremische Bürgerschaft ebd., S. 10 mit Anm. 19).

Inkonsequente Entkoppelung

Das Bundesverfassungsgericht sieht das Problem ebenfalls und will es offenbar dadurch lösen, dass es die gebührenrechtliche Veranlassung und Zurechenbarkeit von der gefahrenabwehrrechtlichen (Handlungs-) Verantwortlichkeit abzukoppeln sucht. Ob die veranstaltende Stelle unter dem Aspekt der Zweckveranlassung verantwortlich sei, soll unerheblich sein (Rn. 94). Im Übrigen setze die individuelle Zurechnung der Kosten nicht die polizeirechtliche Verantwortlichkeit der Veranstalter*innen voraus. Es gebe keinen verfassungsrechtlichen Grundsatz, der es geböte, „Polizeikosten nur Störerinnen und Störern oder solchen Personen aufzuerlegen, die nach den Vorschriften des Polizeigesetzes anstelle der Störerinnen und Störer in Anspruch genommen werden können oder die sich rechtswidrig verhalten“ (Rn. 101). Mit dieser Erwägung wird die Frage des Zusammenhangs zwischen gefahrenabwehrrechtlicher und gebührenrechtlicher Verantwortlichkeit indes nur beschrieben, nicht jedoch gelöst. Denn sie setzt voraus, was zu beweisen war: Dass es sich bei der gefahrenabwehrrechtlichen und der gebührenrechtlichen Verantwortlichkeit um verschiedene Kategorien handelt. Das versteht sich aber nicht von selbst (Lange, Zweckveranlassung (2014), S. 175 ff.). Vielmehr wird es sich nur schlüssig begründen lassen, wenn man den (überfälligen) Schritt geht und die Anknüpfung an die Überschreitung der Gefahrenschwelle durch die „letzte Ursache“ als das sieht, was sie eigentlich ist: Die Zurechnung einer Gefahr aufgrund der Rechtswidrigkeit der sie begründenden Handlung der verantwortlichen Person (Koch, Niedersächsisches Polizei- und Ordnungsrecht, 2023, § 6 Rn. 4 mwN.). Damit würde zum einen die folgerichtige Konsequenz aus dem Umstand gezogen, dass rechtmäßiges Handeln unabhängig von der Motivation der handelnden Person regelmäßig nicht geeignet ist, eine rechtserhebliche Gefahr für ein Recht oder Rechtsgut zu verursachen. Zugleich lässt sich auf dieser Grundlage die Gebührenerhebung von der polizeirechtlichen Veranlassung abkoppeln, weil es für eine Kostenpflicht regelmäßig nicht auf die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des ihr zugrunde liegenden Verhaltens ankommt. Darin liegt ein kategorialer Unterschied zum Gefahrenabwehrrecht, wenn für die polizeirechtliche Verhaltensverantwortlichkeit ein Verstoß gegen Rechtspflichten und damit rechtswidriges Verhalten gefordert wird. Von der Konstruktion einer „Zweckveranlassung“ wird man sich dann aber verabschieden müssen.

Konsequenzen für das Versammlungsrecht?

Eine weitere Frage ist, welche Konsequenzen sich über den Fall der „Hochrisikospiele“ hinaus für andere Veranstaltungen ergeben, die zusätzliche polizeiliche Einsätze erfordern. Das betrifft nicht zuletzt Versammlungen mit einer größeren Teilnehmendenzahl sowie „Hochrisikoversammlungen“, bei denen mit Gegendemonstrationen und damit einhergehenden Ausschreitungen zu rechnen ist. Bislang reichte die Anmeldung und Durchführung einer Versammlung nicht aus, um eine Gebührenpflicht für versammlungsbezogene Maßnahmen zu rechtfertigen; insbesondere die Verwirklichung von Gefahrentatbeständen durch Dritte ist der veranstaltenden Stelle nicht zurechenbar (BVerfG 1 BvR 943/02, Rn. 40).  Allerdings folgt dies nicht schon aus der Erlaubnisfreiheit von Versammlungen (Art. 8 Abs. 1 GG); es gibt keinen rechtlichen Zusammenhang zwischen Erlaubnis- und Gebührenfreiheit (Rn. 75). Auch in diesem Zusammenhang stellt sich daher die Frage nach einer Neuausrichtung der gebührenrechtlichen Zurechenbarkeit.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen der Versammlungsfreiheit und der Berufsfreiheit ist, dass Versammlungen typischerweise Belange der Allgemeinheit betreffen, während Art. 12 GG eher partikulare Interessen adressiert. Ob auf dieser Grundlage eine Anknüpfung an eine „wertorientierte“, den Bezug zu öffentlichen Angelegenheiten in den Mittelpunkt rückende Deutung der Versammlungsfreiheit weiterhelfen würde, ist aber zweifelhaft, da insoweit keine kategoriale Unterscheidung in Rede steht. Vielmehr betont das Bundesverfassungsgericht das „Gemeinwohlinteresse“ auch an Begegnungen im (Profi-) Fußball im Hinblick auf dessen Integrationsleistung sowie die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (Rn. 85). Der entscheidende Unterschied wird vielmehr sein, dass es sich bei Hochrisikospielen unabhängig von einem Gemeinwohlbezug um kommerzielle, auf Gewinnerzielung gerichtete Veranstaltungen handelt. Es wäre fragwürdig, wenn damit einhergehende Aufwendungen für die Gewährleistung von Sicherheit von der Allgemeinheit getragen werden müssten. Damit korrespondiert, dass die Grenzen der (auch mit Blick auf die Berufsfreiheit) vertretbaren Wirkungen der Gebührenpflicht wohl überschritten sind, wenn die Durchführung einer Veranstaltung „durch die Gebührenerhebung ernsthaft in Frage gestellt“ wird (Rn. 85). Dies dürfte eine Kostenbelastung bei nicht-kommerziellen Veranstaltungen erst recht (weiterhin) ausschließen. Gleichwohl verschwimmt auch an dieser Stelle die Grenzziehung etwas, denn dass jede Gebührenerhebung bei Versammlungen ausscheiden muss, steht damit nicht fest.

Trennlinie zum Polizeirecht erforderlich

Damit ergibt sich: Die Kostentragungspflicht der veranstaltenden Stelle bei Hochrisikospielen rechtfertigt das Bundesverfassungsgericht nicht zuletzt mit einem „Veranlassungsprinzip“. Dabei verfolgt die verfassungsrechtliche Prüfung einen ausschließlich gebührenrechtlichen und am Maßstab von Art. 12 GG orientierten Ansatz, sodass sowohl die notwendige Abstimmung mit anderen Grundrechten – namentlich Art 8 GG – sowie auch die Einpassung in das System und die Begrifflichkeit des Gefahrenabwehrrechts unterbleiben. Die daraus resultierenden Wertungswidersprüche wären vermeidbar gewesen. Der letztlich nicht veranlasste Rückgriff auf ein Veranlasserprinzip auch im Grenzbereich zum Gefahrenabwehrrecht macht zudem erforderlich, eine deutliche Trennlinie zwischen polizeirechtlicher Verantwortlichkeit und Gebührenpflicht zu ziehen.


SUGGESTED CITATION  Koch, Thorsten: Gefährliche Entkoppelung: Die Kosten von Polizeieinsätzen bei „Hochrisikospielen“ und die polizeirechtliche Verantwortlichkeit, VerfBlog, 2025/1/24, https://verfassungsblog.de/gefahrliche-entkoppelung/, DOI: 10.59704/367aa09eaa81da76.

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