Gesetzblatt aus Papier
Der Regierungsentwurf zur elektronischen Gesetzesverkündung verpasst die Chance zur Digitalisierung
Mit Ende des Jahres 2022 soll die Gesetzesverkündung auf Papier enden. Den entsprechenden Regierungsentwurf hat die Bundesregierung am 25. Mai veröffentlicht – digital in einem PDF-Dokument und damit genau so, wie es laut Pressemitteilung auch für künftige Gesetze geplant ist. Das geplante Gesetz steht allerdings unter dem Vorbehalt einer parallelen Verfassungsänderung, die noch im Innenministerium ausgearbeitet werden müsse, verkündete Justizminister Marco Buschmann.
Schon Ende 2018 hatte die damalige Justizministerin Barley angekündigt, dass Gesetze elektronisch verkündet werden sollten. Den Einführungstermin zu 2022 konnte man nicht halten. Der aktuelle Regierungsentwurf zeigt, dass die Zwischenzeit nicht für konzeptionelle Überlegungen genutzt wurde.
Verfassungsänderung unnötig
Dass die elektronische Gesetzesverkündung einer Verfassungsänderungbedarf ist bestenfalls zweifelhaft. Zwei Argumente sprechen dafür: Erstenshat der Bund keine Kompetenz, die Gesetzesverkündung einfachgesetzlich zu regeln. Zweitens könnte auch die elektronische Verkündung selbst ohne Änderung rechtswidrig sein. Beide Aspekte könnten einer Änderung bedürfen.
Das erste Argument macht sich der Regierungsentwurf ausdrücklich zu eigen (S. 18), wenn es heißt, die Gesetzgebungskompetenz für das geplante Gesetz ergebe sich „zukünftig (…) aus dem geplanten neuen Artikel 82 Absatz 1 Satz 3 GG“. Tatsächlich stellt Art. 82 GG lediglich fest, dass Gesetze und Verordnungen „im Bundesgesetzblatte“ zu verkünden sind. Weder an dieser Stelle, noch anderswo im Grundgesetz ist ausdrücklich eine Gesetzgebungskompetenz über die Art und Weise der Verkündung von Gesetzen oder Verordnungen des Bundes gegeben.
Gibt es keine Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes, liegt diese in der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes bei den Ländern (Art. 30, 70 GG). Die Tatsache, dass das GG etwa für Wahlen zum Bundestag (Art. 38 Abs. 3 GG) oder des Bundespräsidenten (Art. 54 Abs. 7 GG) ausdrückliche Gesetzgebungskompetenzen vorsieht, mag daher systematisch für die Notwendigkeit einer Grundgesetzänderung sprechen, soll die Gesetzesverkündung einfachgesetzlich geregelt werden.
Dagegen bezeichnete das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 1960 die Existenz einer Kompetenz „Kraft Natur der Sache“ als „unbestritten“ (BVerfGE 11, 89 [97]). „Schlussfolgerungen ‚aus der Natur der Sache‘ müssen begriffsnotwendig sein und eine bestimmte Lösung unter Ausschluss anderer Möglichkeiten sachgerechter Lösung zwingend fordern“ (ebd. S. 99). Für diese Anforderung ist die Regelung der Gesetzesverkündung geradezu ein Lehrbuchbeispiel. Denn wer sonst außer dem Bund könnte die Verkündung der Bundesgesetze sinnvoll regeln können?
Auf die Gesetzgebungskompetenz Kraft Natur der Sache stützt sich der Regierungsentwurf im Folgenden selbst, soweit es Übernahmen aus der bisherigen Regelung zur vereinfachten Verkündung (etwa im Verteidigungsfall) aus dem Gesetz über vereinfachte Verkündungen und Bekanntgaben (VerkVereinfG) betrifft. Es bleibt offen, warum dann für weitere Regeln eine, letztendlich deklaratorische, Verfassungsänderung erfolgen müsste. So man deren selbstvergewissernde Wirkung nicht missen will, wäre es daher mit dem schlichten Satz „Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“ getan. Mehr Änderungsbedarf besteht nicht.
Das Grundgesetz ist für Digitalisierung offen
Über diese deklaratorische Änderung geht auch der Bedarf des anderen Arguments nicht hinaus. Denn auch jetzt schon steht das Grundgesetz einer Verkündung in einem elektronischen Bundesgesetzblatt nicht entgegen. Tatsächlich lautet das einzige Argument für die Notwendigkeit einer Verfassungsänderung: „Da steht eben ‚-blatt‘ – das muss Papier sein!“ Das grenzt an eine intellektuelle Verweigerungshaltung.
Für die tief im Rechtsstaatsprinzip verankerte Gesetzesverkündung ist nicht das Medium an sich relevant. Von Bedeutung ist stattdessen, dass Gesetze für die Öffentlichkeit möglichst niedrigschwellig und dauerhaft nachvollziehbar sind. Zu Zeiten des Norddeutschen Bundes, auf den sich das Grundgesetz mit dem Namen „Bundesgesetzblatt“ als Verkündungsorgan historisch bezieht, war tatsächlich Papier das Mittel der Wahl. Mehr als 150 Jahre später von verfassungsrechtlich garantierter Drucklegung auszugehen, weil den Vätern und Müttern des Grundgesetzes in den späten Vierzigerjahren eine Anknüpfung an Namenstraditionen bedeutend erschien, ist wenig überzeugend. Wesentlich näher liegt es, die Gesetzesverkündung auch ohne Verfassungsänderung funktional im Sinne größtmöglicher Verbreitung unter den Rechtsunterworfenen zu betrachten und das dafür geeignetste Einzelmedium mit dem erhabenen Namen „Bundesgesetzblatt“ zu adeln.
Verpasste Chancen
Das von der Bundesregierung geplante Medium ist nicht geeignet, das geltende Recht bestmöglich zu verbreiten. Der derzeitige Stand des Gesetzesentwurfes sieht nichts mehr vor, als den Verzicht auf die eigentliche Drucklegung. Sämtliche Prozesse der Druckvorstufe bleiben, von Details wie elektronischer Signatur abgesehen, unverändert. Daran ändert auch der geplante E-Mail-Newsletter (vgl. S. 29 des Regierungsentwurfes) nichts.
Damit verpasst die Regierung die Chance, die Gesetzesverkündung tatsächlich zu digitalisieren.
Die oben angesprochene „bestmögliche“ Verbreitung lässt sich unter den Gesichtspunkten Verfügbarkeit, Verlässlichkeit und Verwendbarkeit betrachten. Lediglich zur Verlässlichkeit äußert sich der Entwurf mit der Verpflichtung zu qualifizierten elektronischen Signaturen. Dabei sieht der Entwurf lobenswerterweise auch Aktualisierungen vor, damit auch ältere Verkündungen stets nach aktuellen kryptographischen Standards signiert bleiben.
Zur Verfügbarkeit hingegen beschränkt sich der Entwurf auf Kommentare zur Bedeutungslosigkeit kurzer Wartungsarbeiten sowie differenzierte Überlegungen zur Archivierung. Denn der Plan geht, ganz analog, noch immer von einem einzelnen System aus. Dabei bestehen mit Landesregierungen, Kommunen, Hochschulen, Rechtsanwalts- und Notarkammern, Berufsträgerinnen und Berufsträgern (die, je nach Beruf, ohnehin bereits zum Bezug des BGBl verpflichtet sind) und natürlich Bibliotheken jeder Art ausreichend vertrauenswürdige Stellen für eine dezentrale Spiegelung des Systems. An der dauerhaften Verfügbarkeit authentischer Gesetzestexte könnten dann auch tagelange Wartungsarbeiten im Bundesamt für Justiz nichts ändern.
Auch in Sachen Verwertbarkeit bleibt das geplante elektronische Bundesgesetzblatt weit hinter den Möglichkeiten zurück. Das Selbstlob des Regierungsentwurf, „[d]as frei zugängliche Bundesgesetzblatt [leiste] einen wichtigen Beitrag auf dem Gebiet ‚Open Data‘“ trifft schlicht nicht zu. Denn der Entwurf beschränkt sich darauf, in § 4 Abs. 1 S. 2 die unentgeltliche Verwertungsmöglichkeit gesetzlich festzuschreiben. Aus der begleitenden Pressmitteilung ergibt sich jedoch, dass das elektronische System lediglich PDF-Dateien verteilen soll. Dass diese verwertet werden dürfen, ändert nichts an der Herausforderung, die jeweilige Gesetzesänderung auch tatsächlich automatisiert aus den einzelnen „Nummern“ (Dateien) des elektronischen Bundesgesetzblattes auszulesen.
Was möglich gewesen wäre
Die von der Regierung um Stellungnahme gebetene Open Knowledge Foundation Deutschland (OKF DE) fordert daher zu recht moderne offene Schnittstellen, damit die veröffentlichten „offenen Daten“ auch wirklich maschinell verwendet und verwertet werden können. Der Deutsche EDV-Gerichtstag macht in seiner Stellungnahme sogar konkrete Vorschläge zu maschinenlesbaren Standards.
Vergegenwärtigt man sich die Funktion des Bundesgesetzblattes als „Änderungsmitteilungsdienst“ für Gesetze, liegt die Parallele zu Versionsverwaltungssystemen, wie sie in der Informatik für Programmierarbeiten seit Jahrzehnten gebräuchlich sind, auf der Hand. Ein digitalisiertes Gesetzblatt könnte deren Funktionsweise übernehmen und nicht nur die angesprochene Dezentralisierung, sondern auch gleich die maschinelle Verwertbarkeit gewährleisten. Damit könnten Interessierte nicht nur die aktuell geltenden Gesetze abrufen oder durchsuchen (was derzeit nur über den Dienst offenegesetze.de der OKF DE möglich ist), sondern auch alte Fassungen lesen oder vergleichen (wie es ein Mannheimer Rechtsanwalt unter lexetius.de seit Jahren für viele Gesetze ermöglicht) – auf Knopfdruck.
Schließlich setzt in Deutschland nicht nur der Bund Regeln, die veröffentlicht werden müssen. Auch bei Ländern, Kommunen und zahlreichen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen öffentlichen Rechts besteht Bedarf an einem digitalen Verkündungsorgan für Gesetze, Verordnungen und Satzungen. Stellte der Bund ein System wie das geschilderte unter eine Open-Source-Lizenz, würde damit nicht nur, wie es die OKF DE formuliert, „das Projekt selbst den Transparenzgedanken der offenen Gesetze [tragen]“. Er würde den anderen „Spielern“ im föderalen System gleichzeitig ein nützliches Werkzeug einsatzbereit an die Hand geben. „Public Money – Public Code!“ bedeutet für Deutschland eben auch, dass die öffentliche Hand Geld nur einmal und nicht 17-mal (oder öfter) ausgeben muss.
All das hat das FDP-geführte Justizministerium für den aktuellen Entwurf anscheinend nicht bedacht. Vielleicht war diese Herangehensweise mit dem 2017er Wahlslogan „Digital First – Bedenken Second!“ gemeint. Die Digitalisierung der Gesetzesverkündung bietet die Chance, aus der „Formalsache“ Bundesgesetzblatt, die in der Praxis kaum gelesen wird, ein nützliches Alltags-Werkzeug für die Allgemeinheit zu schaffen. Dagegen sieht der aktuelle Plan leider nur vor, dass bei der Gesetzesverkündung künftig im Druckdialog die Option „in PDF drucken“ ausgewählt wird; sonst ändert sich nichts. Das ist keine Digitalisierung. Das ist peinlich.
Im Bundesgesetzblatt Teil I verkündetes Bundesrecht ist seit mehr als 15 Jahren vollständig durchsuchbar, strukturiert und inhaltlich aufbereitet bei buzer.de frei zugänglich. Insofern ist die Darstellung durch OKF DE bzw. hier im Artikel nicht ganz korrekt.
Danke für den Hinweis. Das finde ich eine wichtige Klarstellung. Buzer.de ist ein tolles Projekt und ich bin immer wieder von der Arbeit beeindruckt.
Unabhängig davon scheint es mir der Schluss des Artikels richtig, das, was hier der Staat macht ist keine Digitalisierung — und es sollte der Staat die Daten schon aufbereitet zur Verfügung stellen und nicht erst Private dazu brauchen.
Zu dem Wort “peinlich” fallen mir die vier Finger ein, die auf einen selbst zeigen, während man mit dem Zeigefinger auf etwas deutet. Die eVerkündung des Bundes ist nur ein Baustein im Rahmen der Digitalisierung des Gesetzgebungsprozesses. Dazu zählen weitere Projekte zur Unterstützung der Anfertigung von Gesetzentwürfen und zur Dokumentation des geltenden Rechts. Das Gesetzblatt selbst ist für die meisten Rechtsanwender:innen völlig unbedeutend. Wichtiger ist ein Rechtsinformationsportal mit konsolidiertem Recht, aber auch der Möglichkeit strukturierte Daten (XML) auslesen zu können. Für die an der Gesetzgebung Beteiligten sind gute Editoren sinnvoll, die einen Wechsel vom Änderungsbefehl zum Volltext auf Knopfdruck möglich machen. In den Bereichen laufen weitere Projekte, nicht nur im BMJ, sondern auch im BMI. Das Ganze ist daher auch kein blitzschnelles FDP-Projekt, sondern war schon in der vergangenen Legislaturperiode angekündigt worden.
Dass bei dem Vorhaben auch auf eine Änderung des Grundgesetzes verzichtet werden könnte, lässt sich sicherlich gut vertreten. Hier dürfte wohl auch etwas German Angst im Spiel sein. Denn eine zukünftige Entscheidung des BVerfG, dass eine ohne explizite Verfassungsänderung eingeführte elektronische Verkündung verfassungwidrig sein könnte, dürfte verheerende Folgen haben.
Sind die genannten Projekte öffentlich? Ich fände es spannend zu sehen, wie wir Arbeitsmittel eingesetzt werden und welche Technologien es gibt.
Ich hoffe inständig, dass dabei nicht versucht wird, das Rad neu zu erfinden oder die 100%-ige Lösung zu schaffen, sondern eher geschaut wird, wie man vor allem auch vorhandenen Mittel und Standardtechnologien (derer es schon sehr viele gibt) so einsetzen kann, dass man z.B. 80% des Prozesses viel besser macht. Lösungen, die auch an anderen Stellen genutzt werden sind in der Regel leichter und günstiger zu pflegen. Und 100%-Lösungen haben häufig den unangenehmen Nebeneffekt damit auch sehr statisch einen konkreten Ablauf festzuzurren.