13 March 2025

Illoyalität als staatsangehörigkeitsrechtlicher Verlustgrund

„Terrorunterstützern, Antisemiten und Extremisten, die zur Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufrufen“, soll womöglich die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen werden. So sieht es das Sondierungspapier von Union und SPD vor, das ankündigt, ein solches Vorgehen verfassungsrechtlich zu prüfen. Gänzlich neu ist die Forderung nicht. Bereits Friedrich Merz schlug im Wahlkampf vor, straffälligen Mehrstaatern die deutsche Staatsangehörigkeit abzuerkennen (siehe dazu hier, hier, hier und hier). Diese in ihrer Systematik an den Terrorismusverlustgrund § 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG angelehnten Vorschläge (hierzu ausführlich: Gerdes, Terroristische Kampfhandlungen als Verlustgrund. Eine völkerrechtliche Untersuchung und staatsangehörigkeitsrechtliche Systematisierung des § 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG, 2025) setzen sich jedoch über grundlegende völker- und unionsrechtliche Prinzipien des Ausbürgerungsrechts hinweg und verletzen den verfassungsrechtlich verankerten Schutz der deutschen Staatsangehörigkeit.

Rahmenbedingungen für den Verlust von Staatsangehörigkeit

Aufgrund der Erfahrungen im Nationalsozialismus sind die Grenzen für verfassungs-, unions- und völkerrechtskonforme Verlustgründe bewusst hoch angesetzt. Art. 16 Abs. 1 GG schützt grundrechtlich die deutsche Staatsangehörigkeit. Damit unterscheidet sich Deutschland auch von anderen Ländern. Die deutsche Staatsangehörigkeit genießt deshalb einen vergleichbar hohen verfassungsrechtlichen Schutz, da die Entstehungsgeschichte des Grundrechts von dem unmittelbaren Eindruck der Ausbürgerungspraxis der NS-Zeit geprägt ist. Art. 16 Abs. 1 GG basiert dabei auf der Erfahrung, dass der Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit dazu instrumentalisiert wurde, politisch und anderweitig Unerwünschte auszubürgern. Der Staatsangehörigkeitsstatus wurde in „Zugehörigkeitsverhältnisse besserer und minderer Güte“1) aufgespalten. Mit anderen Worten: Der Entzug der Staatsangehörigkeit richtete sich nach verschiedenen „Würdigkeitskriterien“2). Es ist deshalb auch kein Zufall, dass dem Grundrecht zwei zentrale völkerrechtliche Prinzipien zugrunde liegen, da Art. 15 der Allgemeinen Erklärung für Menschenrechte den konkreten Anstoß für die Aufnahme des Art. 16 Abs. 1 in das Grundgesetz gab: Das Gebot der Vermeidung von Staatenlosigkeit sowie das Verbot eines willkürlichen Entzugs der Staatsangehörigkeit. Auch das Unionsrecht sieht in ständiger Rechtsprechung vor, dass dem Verlust der Unionsbürgerschaft eine Einzelfallprüfung vorausgehen muss. Das unionsrechtliche Erfordernis, zwischen der konkreten persönlichen Situation der Person und dem staatlichen Interesse behördlich abzuwägen, stellt letztlich auch eine Konkretisierung des völkerrechtlichen Verbots eines willkürlichen Entzugs der Staatsbürgerschaft dar.

Willkürlicher Entzug von Staatsangehörigkeit

Was aber zeichnet das Willkürverbot aus? Mangels eindeutiger Definition werden im Völkerrecht als Konkretisierung verschiedene Fallgruppen vorgeschlagen. Darunter fallen beispielsweise Rechtsgrundlagen, die den Entzug nicht vorhersehbar regeln, sowie solche, die rückwirkende Wirkung entfalten. Ebenfalls als willkürlich wird der Entzug der Staatsangehörigkeit qualifiziert, wenn er zum alleinigen Zweck der Ausweisung angeordnet wird oder Folge einer diskriminierenden Regelung und nicht verhältnismäßig ist. Mangelnde Verfahrensrechte, beispielsweise das Recht auf (gerichtliche) Rechtsbehelfe, sprechen auch für einen willkürlichen Entzug.

Einige dieser Aspekte finden sich in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Abgrenzung eines verfassungswidrigen Entzugs von einem verfassungsgemäßen Verlust (Art. 16 Abs. 1 GG) wieder. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) geht bekanntermaßen von einem Entzug aus bei „jeder Verlustzufügung, die die […] Funktion der Staatsangehörigkeit als verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit beeinträchtigt“, und führt weiter aus, dass „eine Beeinträchtigung der Verlässlichkeit und Gleichheit des Zugehörigkeitsstatus [insbesondere] [..] in jeder Verlustzufügung, die der Betroffene nicht oder nicht auf zumutbare Weise beeinflussen kann [liegt]“3). Das Gericht weist außerdem darauf hin, dass „zur Verlässlichkeit des Staatsangehörigkeitsstatus […] auch die Vorhersehbarkeit eines Verlusts und damit ein ausreichendes Maß an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im Bereich der staatsangehörigkeitsrechtlichen Verlustregelungen [gehört]“4). Auch eine mögliche diskriminierende Wirkung der Maßnahme könne zur Verfassungswidrigkeit der Verlustregelung und damit zu einem Entzug führen.5)

Im Völker- und Unionsrecht kristallisieren sich damit ähnliche Voraussetzungen heraus, die für eine Abgrenzung des verfassungswidrigen Entzugs und des verfassungsgemäßen Verlusts fruchtbar gemacht werden können. Aber auch Verlusttatbestände (mit Ausnahme des § 35 StAG) unterliegen in ihrer Systematik einer bestimmten Logik: Sie haben alle etwas mit Zuordnung zu tun. Dies ist angesichts der Funktion von Staatsangehörigkeit, Menschen Staaten zuzuordnen, auch plausibel und dient auch wieder dem Ziel, Menschen nicht willkürlich auszubürgern.

Rechtspolitische Verantwortung

Wenn nun neue Verlustgründe in das Staatsangehörigkeitsgesetz implementiert werden sollen, bei denen Anknüpfung für den Verlust ein bestimmtes gegen den Staat gerichtetes (illoyales) Verhalten ist, dann offenbart dies ein Staatsangehörigkeitsverständnis, das auf subjektiven Erwägungen wie Loyalitäten beruht. Bei dieser Art von Verlustgründen ist die Gefahr eines willkürlichen und damit verfassungs- und völkerrechtswidrigen und (je nach technischer Ausgestaltung) auch unionsrechtswidrigen Entzugs der Staatsangehörigkeit jedoch besonders hoch. Deswegen muss insbesondere bei diesen Verlustgründen darauf geachtet werden, dass das (illoyale) Verhalten – neben den genannten Kriterien – auch inhaltlich mit Zuordnungsfragen in Verbindung gebracht werden kann. Für Loyalitätsfragen bedeutet dies konkret: Eine reine Abwendung von Deutschland reicht nicht aus, sie muss sich durch Hinwendung zu einem ausländischen Staat äußern.

In diesem Zusammenhang typisch ist die Beschränkung von Verlustregelungen auf Menschen mit mehrfacher Staatsangehörigkeit, um Staatenlosigkeit zu verhindern. Dies hat aber zur Folge, dass Verlustgründen, die an Loyalitäten anknüpfen, ein bitterer Beigeschmack anhaftet: Den „Nur-Deutschen“ werden diese Loyalitäten schlicht und einfach unterstellt. Mehrstaater hingegen stehen unter dem Verdacht unzureichender Loyalität. Dabei mag aus Sicht mancher gleichheitsrechtlich das Argument der Vermeidung von Staatenlosigkeit einen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung darstellen. Den Wesensgehalt des Art. 16 Abs. 1 GG tasten entsprechende Regelungen dennoch – gerade auch wegen dieser Unterscheidung – an.

Diese Kritik trifft § 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG (wonach ein Mehrstaater, der sich an Kampfhandlungen einer terroristischen Vereinigung im Ausland konkret beteiligt, die deutsche Staatsangehörigkeit verliert) genauso, wie sich daran orientierende weitere potenzielle Verlustregelungen. Zusätzlich fehlt bei dem nunmehr diskutierten Vorschlag aber auch jeglicher Auslandsbezug, während § 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG den Verlust bei Kampfhandlungen im Ausland anordnet. Dadurch rückt der rein sanktionierende Charakter eines Verlustgrunds für – in diesem Fall – Verfassungsfeinde noch deutlicher in den Vordergrund. Der Bezug zur Funktion von Staatsangehörigkeit gerät somit immer mehr in den Hintergrund.

Bereits die Verfassungsmäßigkeit des § 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG kann im Lichte der oben skizzierten Rahmenbedingungen aufgrund seines sanktionierenden und diskriminierenden Charakters mit guten Gründen angezweifelt werden. Auch kann der vermeintliche Auslandsbezug im Hinblick auf Zuordnung kritisch hinterfragt werden. Umso mehr muss sich der Gesetzgeber bei der Einführung weiterer Verlustgründe, die § 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG zum Vorbild haben, bewusst sein, dass sich diese in einem rechtlich dunkelgrauen bzw. aus der Sicht der Verfasserin verfassungswidrigen Bereich befinden.

References

References
1 BVerfGE 116, 24, 44.
2 BVerfGE 116, 24, 44.
3 BVerfGE 116, 24, 44. 
4 BVerfGE 116, 24, 44.   
5 BVerfGE 116, 24, 44.     

SUGGESTED CITATION  Gerdes, Maria Martha: Illoyalität als staatsangehörigkeitsrechtlicher Verlustgrund, VerfBlog, 2025/3/13, https://verfassungsblog.de/illoyalitat-als-staatsangehorigkeitsrechtlicher-verlustgrund/, DOI: 10.59704/128297802e869453.

3 Comments

  1. Bob härber Tue 18 Mar 2025 at 18:10 - Reply

    It is sad, after all the things we saw…
    I just could not understand or trust the german politicians and it’s government as much as in the past, they definitely made a lot very wrong decisions, statements and declarations, which are contrary to international laws, to the universal human rights declaration, Geneva conventions, rome statute and it’s own Constitution. There is a lot more cracks in the free liberal democracy system and it’s civil society, more dis-uniting policies than unity, because of the recent past, few years, more inequality and bad faith actions against it’s own society, than upholding the principle basic freedoms of it’s citizenship. It is very sad to have a government, which is ever more ruling authoritarian, which shows it’s distrusting of it’s civil society. The space for basic freedoms of it’s citizens definitely is shrinking.
    Not the best sign.

  2. Sebastian Thu 20 Mar 2025 at 16:46 - Reply

    „Terrorunterstützern, Antisemiten und Extremisten, die zur Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufrufen“ (aus Satz 1) als bloße Illoyalität ggü. dem Staat zu qualifizieren ist auch eine interessante Ansicht. Ist es nicht vielmehr so, das an weitere, konkrete Straftatbestände die Möglichkeit des Verlusts der Staatsangehörigkeit geknüpft werden soll? Es also nicht so ist, das Betroffene eine Illoyalität aufweisen (die ja auch durch konkrete, objektive Merkmale belegt werden müsste – Stichwort Rechtsstaat), sondern das konkrete Straftaten (z.B. Körperverletzung) begangen wurden, auf die der Staat nun reagieren möchte.

    • c.gliem Fri 4 Apr 2025 at 16:14 - Reply

      das klingt auch zu … einfach. es gibt nur eine Straftat, die konkret den Entzug der Staatsangehörigkeit bewirkt (und per se nicht bei Geburtsdeutschen vorkommen kann): Betrug bei der Erlangung. Sinn machen noch konkrete staatsgefährdende Straftaten GEGEN den Staat wie schwerer Hochverrat oder Terrorismus mit Todesfolge. aber selbst hier wird es schon …. problematisch. Damit es nicht diskriminierend wird, müsste dies für Geburtsdeutsche ebenso gelten wie für Eingebürgerte…

      alles andere verstößt gegen das Rechtsstaatsprinzip und die harte Lehre aus dem Dritten Reich, was Ausbürgerungen betrifft.

      Ich verstehe darüberhinaus sowieso nicht, wieso man so oft straffällige Bürger loswerden will – diese haben gefälligst ihre Strafe hier abzuleisten und sollten nicht in Länder abgeschoben werden, die denen noch nen Orden verleihen….

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