Illoyalität als staatsangehörigkeitsrechtlicher Verlustgrund
„Terrorunterstützern, Antisemiten und Extremisten, die zur Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufrufen“, soll womöglich die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen werden. So sieht es das Sondierungspapier von Union und SPD vor, das ankündigt, ein solches Vorgehen verfassungsrechtlich zu prüfen. Gänzlich neu ist die Forderung nicht. Bereits Friedrich Merz schlug im Wahlkampf vor, straffälligen Mehrstaatern die deutsche Staatsangehörigkeit abzuerkennen (siehe dazu hier, hier, hier und hier). Diese in ihrer Systematik an den Terrorismusverlustgrund § 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG angelehnten Vorschläge (hierzu ausführlich: Gerdes, Terroristische Kampfhandlungen als Verlustgrund. Eine völkerrechtliche Untersuchung und staatsangehörigkeitsrechtliche Systematisierung des § 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG, 2025) setzen sich jedoch über grundlegende völker- und unionsrechtliche Prinzipien des Ausbürgerungsrechts hinweg und verletzen den verfassungsrechtlich verankerten Schutz der deutschen Staatsangehörigkeit.
Rahmenbedingungen für den Verlust von Staatsangehörigkeit
Aufgrund der Erfahrungen im Nationalsozialismus sind die Grenzen für verfassungs-, unions- und völkerrechtskonforme Verlustgründe bewusst hoch angesetzt. Art. 16 Abs. 1 GG schützt grundrechtlich die deutsche Staatsangehörigkeit. Damit unterscheidet sich Deutschland auch von anderen Ländern. Die deutsche Staatsangehörigkeit genießt deshalb einen vergleichbar hohen verfassungsrechtlichen Schutz, da die Entstehungsgeschichte des Grundrechts von dem unmittelbaren Eindruck der Ausbürgerungspraxis der NS-Zeit geprägt ist. Art. 16 Abs. 1 GG basiert dabei auf der Erfahrung, dass der Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit dazu instrumentalisiert wurde, politisch und anderweitig Unerwünschte auszubürgern. Der Staatsangehörigkeitsstatus wurde in „Zugehörigkeitsverhältnisse besserer und minderer Güte“1) aufgespalten. Mit anderen Worten: Der Entzug der Staatsangehörigkeit richtete sich nach verschiedenen „Würdigkeitskriterien“2). Es ist deshalb auch kein Zufall, dass dem Grundrecht zwei zentrale völkerrechtliche Prinzipien zugrunde liegen, da Art. 15 der Allgemeinen Erklärung für Menschenrechte den konkreten Anstoß für die Aufnahme des Art. 16 Abs. 1 in das Grundgesetz gab: Das Gebot der Vermeidung von Staatenlosigkeit sowie das Verbot eines willkürlichen Entzugs der Staatsangehörigkeit. Auch das Unionsrecht sieht in ständiger Rechtsprechung vor, dass dem Verlust der Unionsbürgerschaft eine Einzelfallprüfung vorausgehen muss. Das unionsrechtliche Erfordernis, zwischen der konkreten persönlichen Situation der Person und dem staatlichen Interesse behördlich abzuwägen, stellt letztlich auch eine Konkretisierung des völkerrechtlichen Verbots eines willkürlichen Entzugs der Staatsbürgerschaft dar.
Willkürlicher Entzug von Staatsangehörigkeit
Was aber zeichnet das Willkürverbot aus? Mangels eindeutiger Definition werden im Völkerrecht als Konkretisierung verschiedene Fallgruppen vorgeschlagen. Darunter fallen beispielsweise Rechtsgrundlagen, die den Entzug nicht vorhersehbar regeln, sowie solche, die rückwirkende Wirkung entfalten. Ebenfalls als willkürlich wird der Entzug der Staatsangehörigkeit qualifiziert, wenn er zum alleinigen Zweck der Ausweisung angeordnet wird oder Folge einer diskriminierenden Regelung und nicht verhältnismäßig ist. Mangelnde Verfahrensrechte, beispielsweise das Recht auf (gerichtliche) Rechtsbehelfe, sprechen auch für einen willkürlichen Entzug.
Einige dieser Aspekte finden sich in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Abgrenzung eines verfassungswidrigen Entzugs von einem verfassungsgemäßen Verlust (Art. 16 Abs. 1 GG) wieder. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) geht bekanntermaßen von einem Entzug aus bei „jeder Verlustzufügung, die die […] Funktion der Staatsangehörigkeit als verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit beeinträchtigt“, und führt weiter aus, dass „eine Beeinträchtigung der Verlässlichkeit und Gleichheit des Zugehörigkeitsstatus [insbesondere] [..] in jeder Verlustzufügung, die der Betroffene nicht oder nicht auf zumutbare Weise beeinflussen kann [liegt]“3). Das Gericht weist außerdem darauf hin, dass „zur Verlässlichkeit des Staatsangehörigkeitsstatus […] auch die Vorhersehbarkeit eines Verlusts und damit ein ausreichendes Maß an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im Bereich der staatsangehörigkeitsrechtlichen Verlustregelungen [gehört]“4). Auch eine mögliche diskriminierende Wirkung der Maßnahme könne zur Verfassungswidrigkeit der Verlustregelung und damit zu einem Entzug führen.5)
Im Völker- und Unionsrecht kristallisieren sich damit ähnliche Voraussetzungen heraus, die für eine Abgrenzung des verfassungswidrigen Entzugs und des verfassungsgemäßen Verlusts fruchtbar gemacht werden können. Aber auch Verlusttatbestände (mit Ausnahme des § 35 StAG) unterliegen in ihrer Systematik einer bestimmten Logik: Sie haben alle etwas mit Zuordnung zu tun. Dies ist angesichts der Funktion von Staatsangehörigkeit, Menschen Staaten zuzuordnen, auch plausibel und dient auch wieder dem Ziel, Menschen nicht willkürlich auszubürgern.
Rechtspolitische Verantwortung
Wenn nun neue Verlustgründe in das Staatsangehörigkeitsgesetz implementiert werden sollen, bei denen Anknüpfung für den Verlust ein bestimmtes gegen den Staat gerichtetes (illoyales) Verhalten ist, dann offenbart dies ein Staatsangehörigkeitsverständnis, das auf subjektiven Erwägungen wie Loyalitäten beruht. Bei dieser Art von Verlustgründen ist die Gefahr eines willkürlichen und damit verfassungs- und völkerrechtswidrigen und (je nach technischer Ausgestaltung) auch unionsrechtswidrigen Entzugs der Staatsangehörigkeit jedoch besonders hoch. Deswegen muss insbesondere bei diesen Verlustgründen darauf geachtet werden, dass das (illoyale) Verhalten – neben den genannten Kriterien – auch inhaltlich mit Zuordnungsfragen in Verbindung gebracht werden kann. Für Loyalitätsfragen bedeutet dies konkret: Eine reine Abwendung von Deutschland reicht nicht aus, sie muss sich durch Hinwendung zu einem ausländischen Staat äußern.
In diesem Zusammenhang typisch ist die Beschränkung von Verlustregelungen auf Menschen mit mehrfacher Staatsangehörigkeit, um Staatenlosigkeit zu verhindern. Dies hat aber zur Folge, dass Verlustgründen, die an Loyalitäten anknüpfen, ein bitterer Beigeschmack anhaftet: Den „Nur-Deutschen“ werden diese Loyalitäten schlicht und einfach unterstellt. Mehrstaater hingegen stehen unter dem Verdacht unzureichender Loyalität. Dabei mag aus Sicht mancher gleichheitsrechtlich das Argument der Vermeidung von Staatenlosigkeit einen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung darstellen. Den Wesensgehalt des Art. 16 Abs. 1 GG tasten entsprechende Regelungen dennoch – gerade auch wegen dieser Unterscheidung – an.
Diese Kritik trifft § 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG (wonach ein Mehrstaater, der sich an Kampfhandlungen einer terroristischen Vereinigung im Ausland konkret beteiligt, die deutsche Staatsangehörigkeit verliert) genauso, wie sich daran orientierende weitere potenzielle Verlustregelungen. Zusätzlich fehlt bei dem nunmehr diskutierten Vorschlag aber auch jeglicher Auslandsbezug, während § 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG den Verlust bei Kampfhandlungen im Ausland anordnet. Dadurch rückt der rein sanktionierende Charakter eines Verlustgrunds für – in diesem Fall – Verfassungsfeinde noch deutlicher in den Vordergrund. Der Bezug zur Funktion von Staatsangehörigkeit gerät somit immer mehr in den Hintergrund.
Bereits die Verfassungsmäßigkeit des § 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG kann im Lichte der oben skizzierten Rahmenbedingungen aufgrund seines sanktionierenden und diskriminierenden Charakters mit guten Gründen angezweifelt werden. Auch kann der vermeintliche Auslandsbezug im Hinblick auf Zuordnung kritisch hinterfragt werden. Umso mehr muss sich der Gesetzgeber bei der Einführung weiterer Verlustgründe, die § 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG zum Vorbild haben, bewusst sein, dass sich diese in einem rechtlich dunkelgrauen bzw. aus der Sicht der Verfasserin verfassungswidrigen Bereich befinden.