„Impfung macht frei“ als Sachkritik
Das größte deutsche Landesarbeitsgericht verharmlost rechte Hetze
Mit der Parole „Impfung macht frei“ agitierten Impfgegner*innen in den letzten Jahren gegen die Corona-Maßnahmen. Wie der in den Protesten allgegenwärtige „Ungeimpft“-Stern zieht auch die „Impfung macht frei“-Parole Parallelen zum Holocaust: der „Ungeimpft“-Stern, indem er gestalterisch bis auf den Text dem „Judenstern“ des Dritten Reiches entspricht; die Parole „Impfung macht frei“, indem sie sich an die zynische und menschenverachtende Inschrift „Arbeit macht frei!“ über den Eingangstoren der nationalsozialistischen Vernichtungslager anlehnt. Die Impfgegner*innen haben auf diese Weise ihre Situation mit der der Jüd*innen im Dritten Reich verglichen. Wie die Jüd*innen im Nationalsozialismus, seien die Impfgegner*innen von heute unfrei, ausgegrenzt und von staatlicher Politik unterdrückt.
Widersprechende Strafurteile zum „Ungeimpft“-Stern
Dass diese Gleichsetzungen geschmacklos, geschichtsvergessen und grenzenlos dumm sind, liegt auf der Hand. Sind sie aber auch verboten?
Beim „Ungeimpft“-Stern ist die Rechtsprechung gespalten: Während beispielsweise die Landgerichte in Köln (LG Köln, Beschluss vom 04.04.2022, 113 Qs 6/22) und Würzburg (LG Würzburg, Beschluss vom 18.05.2022 – 1 Qs 80/22) jeweils den Tatbestand der Volksverhetzung in Paragraf 130 des Strafgesetzbuches verwirklicht sahen, da die unerträgliche Gleichsetzung der Coronamaßnahmen mit der Vernichtungspolitik des Nationalsozialismus eine strafbare Verharmlosung des Holocausts beinhalte, haben andere Gerichte einzelne Tatbestandsmerkmale wie zum Beispiel die „Störung des öffentlichen Friedens“ durch den Stern verneint oder sich gar die unerträgliche Gleichsetzung zu eigen gemacht.
So hielt beispielsweise das Landgericht Aachen im Jahr 2022 eine Deutung des „Judensterns“ als „allgemeines Symbol für eine staatlich veranlasste Stigmatisierung, Ausgrenzung und Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen“ für möglich (LG Aachen, Beschluss vom 18. August 2022, Az. 60 Qs 16/22). Dabei ist ja diese – nach Auffassung des Gerichts – „aus der Sicht eines verständigen Zuhörers nicht ausgeschlossene“ Deutung gerade das Problem bei dieser Art rechter Verschiebung der Grenze des Sagbaren. Denn das Gericht akzeptiert das perfide rechte Sprachspiel. Damit macht sich das Landgericht Aachen mit der rechten Grenzverschiebung gemein und reduziert den Judenstern auf ein Stigmatisierungssymbol. Das ist Holocaust-Verharmlosung in Robe.
Strafbarkeit der Parole „Impfung macht frei“
Anders als beim „Ungeimpft“-Stern ist die Rechtsprechung der Strafgerichte im Hinblick auf die Parole „Impfung macht frei“ eindeutig. Insbesondere wenn die Parole in einer Bildkomposition mit dem Eingangstor eines Konzentrationslagers verwendet wird, erfüllt sie – so hat es beispielsweise das Bayerische Oberste Landesgericht im August 2022 entschieden – den Straftatbestand der Volksverhetzung gemäß Paragraf 130 des Strafgesetzbuches (BayObLG, Beschluss vom 20. März 2023 – 206 StRR 1/23).
Die qualitative Gleichsetzung der mit der Parole kritisierten staatlichen Regelungen für nicht Geimpfte während der Corona-Pandemie mit der geschichtlich einzigartigen, gleichsam fabrikmäßig begangenen massenhaften Vernichtung menschlichen Lebens in den Konzentrationslagern bildeten, so das Bayerische Gericht, nicht lediglich einen polemisch überzogenen, absurden Vergleich. Durch die Gleichsetzung ungeimpfter Personen mit den Opfern, die in Konzentrationslagern vernichtet wurden, werde dieses historisch einzigartige Unrecht zugleich abgewertet und bagatellisiert.
Volksverhetzender Berliner Lehrer
Während die Strafrechtsprechung zur „Impfung macht frei“-Parole erfreulich deutlich und klar ist, kann man dies von der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung leider nicht behaupten. Die Versäumnisse der Arbeitsgerichtsbarkeit in der Auseinandersetzung mit rechter Rede zeigen sich besonders drastisch im Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg im Kündigungsprozess eines in Berlin angestellten Lehrers.
Der Berliner Lehrer hatte während der Coronapandemie im Internet, wo er regelmäßig als „Lehrer aus Berlin“ agitierte, ein Video veröffentlicht, welches das Tor eines Konzentrationslagers mit der Inschrift „Impfung macht frei“ zeigte. Der Lehrer war auch sonst, gerade in seiner Berliner Schule, als resoluter Corona-Leugner in Erscheinung getreten, hatte – so formulierte die Schulverwaltung im Zuge der Kündigung – Schüler*innen zum Ablegen der Masken aufgefordert, fachfremd die Corona-Maßnahmen zum Unterrichtsgegenstand gemacht und auch rechte Zeitschriften im Lehrendenzimmer seines Oberstufenzentrums ausgelegt.
Die Berliner Schulverwaltung und auch das erstinstanzliche Arbeitsgericht hielten die volksverhetzende Verwendung der Parole „Impfung macht frei“ für einen Kündigungsgrund (ArbG Berlin, Urteil v. 12. September 2022, Ca 223/22). Angestellte Lehrende unterlägen zwar nicht den beamtenrechtlichen Treuepflichten, aber eine Kündigung aus wichtigem Grund nach Paragraf 626 des Bürgerlichen Gesetzbuches sei insbesondere dann geboten, wenn die aus Paragraf 241 des Bürgerlichen Gesetzbuches und Paragraf 3 des Tarifvertrages der Länder fließende Rücksichtnahme- und Loyalitätspflicht verletzt sei. Nach dieser müssten die Angestellten jederzeit die Gewähr bieten, „nicht selbst aktiv verfassungsfeindliche Ziele zu verfolgen oder darauf auszugehen, den Staat, die Verfassung oder ihre Organe zu beseitigen, zu beschimpfen oder verächtlich zu machen.“
Dementsprechend hatte das erstinstanzliche Arbeitsgericht die Kündigung des Lehrers akzeptiert, weil die Gleichsetzung der Corona-Politik mit den Maßnahmen der Judenvernichtung die Grenzen der Meinungsfreiheit verlasse und den Holocaust verharmlose. Ob die Mehrdeutigkeit des Videos deshalb nicht zugunsten des Lehrers zu berücksichtigen sei, weil er diese bewusst im Sinne eines „strategischen Spiels“ genutzt habe, um unter (formaler) Wahrung einer (angenommenen) „Grenze des Sagbaren“ eine Aussage zu verdecken, die sich indes („zwischen den Zeilen“) dem von ihm angesprochenen Publikum als unabweisbare Schlussfolgerung aufdrängt, lies das Gericht dabei sogar offen. Denn auch die meinungsfreiheitsfreundlichste Auslegung indiziere die Pflichtverletzung: „Der grundrechtlich geschützte Anspruch der heute in Deutschland lebenden Juden, als zugehörig zu einer durch das Schicksal herausgehobenen Personengruppe begriffen zu werden, wird“, so formulierte es das Gericht, „verletzt, indem die Behandlung (auch) jüdischer Gefangener in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern durch Gleichsetzung oder auch nur Vergleich mit staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie und/oder der Behandlung nicht gegen das Coronavirus geimpfter Personen relativiert, bagatellisiert und letztlich banalisiert wird.“
Allzu verständnisvolles Landesarbeitsgericht
Das Landesarbeitsgericht sah dies nun in der Berufungsinstanz ganz anders (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 15. Juni 2023, 10 Sa 1143/22). Die Kündigung aus wichtigem Grund sei wegen der Parole „Impfung macht frei“ gerade nicht gerechtfertigt. Bei der Parole handele es sich zwar um einen nicht nur geschmacklosen, sondern unsäglichen, völlig unangemessenen Vergleich, was an der Eignung des Lehrers erheblich zweifeln lasse. Der Lehrer habe aber in der Sache „das damalige Werben um eine Impfbereitschaft in der Pandemie mit dem System der Konzentrationslager zu Zeiten des Nationalsozialismus verglichen“. Damit würden laut Gericht zwar auch die Unrechtstaten sowie die Politik des Nationalsozialismus massiv verharmlost werden, jedoch reiche der im Vergleich enthaltene Sachbezug — die Kritik an der Coronapolitik —, um die Verharmlosung des Holocausts in den Hintergrund treten zu lassen. Weil die Verharmlosung nicht der Hauptzweck der Äußerung sei, weil es dem Lehrer nicht ausschließlich – sondern nur „auch“ – um eine Verharmlosung gehe, sei die Äußerung dennoch von der Meinungsfreiheit geschützt und rechtfertige keine Kündigung.
In der Herleitung bezieht sich das Gericht auf die Differenz von Schmähkritik (die grundsätzlich nicht der Meinungsfreiheit unterfällt) und sachbezogener Kritik (die eben auch geschmacklos sein dürfe). Schmähkritik läge, so das Landesarbeitsgericht, dann vor, wenn eine Äußerung keinen in irgendeiner Weise nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung habe und es der Kritik nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher gehe. Daher attestiert das Gericht dem klagenden Lehrer: „So lange nicht durch Tatsachen tragfähig unter Ausschluss anderer Deutungsmöglichkeiten festgestellt werden kann, dass es dem Kläger nur um die Verharmlosung der Unrechtstaten sowie der Politik des Nationalsozialismus mit den Auswirkungen auf die Opfer des Nationalsozialismus ging, bewegt sich der Kläger weiter im Rahmen der vom Grundgesetz geschützten Meinungsfreiheit.“
Das Gericht verwendet daneben große argumentative Mühe darauf, auch die anderen von der Schulverwaltung angebrachten Kündigungsgründe zu entkräften und aus verfahrensrechtlichen Gründen (fehlende Einbeziehung des Personalrats) zurückzuweisen. Eine Kündigung wird daher abgelehnt, auch die Abmahnung sei aus der Dienstakte zu entfernen.
Goldener Handschlag für Rechte
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat diese Masche der Bagatellisierung und Ausblendung rechter Rede in Kündigungsverfahren bei gleichzeitiger abfindungsrelevanter Vertragsauflösung in jüngster Zeit des Öfteren in Anschlag gebracht und ist so beispielsweise auch im Verfahren zur Kündigung wegen der rechten Whatsapp-Gruppen eines Beschäftigten in einer Unterkunft für geflüchtete Menschen vorgegangen (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.7.2021 – 21 Sa 1291/20).
In beiden Urteilen zieht das Gericht die Grenzen der Meinungsfreiheit gegenüber rechter Rede nicht eng genug, verkennt die grundrechtlichen Rahmenbedingungen und macht sich zum Komplizen rechter Hetze. Bei der Kündigung im Kontext der Whatsapp-Gruppe hat das Bundesarbeitsgericht daher zu Recht mittlerweile anders als das Landesarbeitsgericht nicht die Vertraulichkeit von Whatsapp-Gruppen als Schutzpanzer gegen die Verwertung rassistischer Hetze in Kündigungsprozessen akzeptiert (BAG, Urteil vom 24. August 2023 – 2 AZR 17/23); zumal gruppenbezogene Menschenfeindlichkeiten wohl kaum als Vorgänge bezeichnet werden können, die – wie das Landesarbeitsgericht in seiner Whatsapp-Gruppen-Entscheidung meint, „sich im kleinen betrieblichen Kreis praktisch nicht vermeiden lassen und die üblichen menschlichen Konflikte abbilden.“
Und auch bei seinem Urteil zur Hetzparole „Impfen macht frei“ setzt sich das Gericht in Widerspruch zu höchstgerichtlichen Entscheidungen. So hat das Bundesverfassungsgericht im Verfahren aus Anlass der misogynen Beleidigungen gegen Renate Künast genau die Art der schematischen Grenzziehung zwischen Schmähkritik (die der Meinungsfreiheit nicht unterfalle) und Sachkritik (die der Meinungsfreiheit unterfalle), wie sie vom Landesarbeitsgericht praktiziert wird, in den Blick genommen und scharf kritisiert (BVerfG, Beschluss 19. Dezember 2021, 1 BvR 1073/20). Denn in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung habe die Grenze zwischen Schmähkritik und sachbezogener Kritik lediglich „als Merkmal zur Abgrenzung einer – abwägungsfreien – Schmähung von einer abwägungspflichtigen Beleidigung“ Bedeutung. Anders gesagt: Dass eine Äußerung irgendeinen Sachbezug hat, führt gerade nicht – wie das Landesarbeitsgericht meint – automatisch dazu, dass sie der Meinungsfreiheit unterfällt. Eine Volksverhetzung liegt darum nicht erst dann vor, wenn die rechte Rede „nur“ der Hetze dient, sondern wenn es sich im Kontext betrachtet um eine menschenverachtende Äußerung handelt. Um das zu beurteilen, ist eine umfassende Abwägung der Meinungsfreiheit mit den grundrechtlichen Schutzpflichten gegenüber Personen in vulnerablen Situationen notwendig. Bei der hier nötigen Maßstabsbildung sollte sich auch ein Berliner Landesarbeitsgericht am Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts orientieren, das in der „Impfung macht frei“-Parole zu Recht eine Volksverhetzung sieht.
Und auch wenn das Gericht im Ergebnis dem Land dennoch ein berechtigtes Interesse an der Auflösung des Arbeitsvertrages zugesteht und dabei tief in die rechtliche Trickkiste greift, um dem Interesse des arbeitsgebenden Landes an einer Auflösung des Vertrages Rechnung zu tragen, so kann das den rechtlichen Flurschaden bei der Bekämpfung rechter Rede nicht wiedergutmachen. Denn der Preis für den Auflösungstrick des Gerichts ist allzu hoch: Über 72.000,- Euro Abfindung erhält der rechte Lehrer und, noch schlimmer, das Gericht hält fest, dass sein Tätigwerden im Öffentlichen Dienst nicht etwa deshalb unzumutbar sei, weil der Lehrer das Schicksal der Jüd*innen in Deutschland verharmlost – sondern weil das arbeitsgerichtliche Verfahren das Vertrauensverhältnis zwischen Land und Lehrer zerstört habe.
Da nach der Entscheidung auch die vor der Kündigung erfolgte Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen sei, kann der so mit goldenem Handschlag Entlassene seine rechten Schuldienste flugs wieder andernorts anbieten; zum Schaden der Jüd*innen, aber auch zum Schaden der Schüler*innen und einer an demokratischen Werten ausgerichteten Schulbildung.
Bei dem Text handelt es sich um den Vorabdruck eines Kapitels, das in Nele Austermann u.a. (Hrg.), Recht gegen rechts: Report 2024 erscheint.
Geschmacklosigkeit bedeutet keinen Rechtsbruch. Auch eine rechte Meinung ist kein Rechtsbruch, sondern eine von Art. 5
geschützte Meinung, so blöd man das in der Konsequenz finden mag.
Im Übrigen passt der Verweis zum Beschluss zur Thematik von Künast nicht, ebenso die Verweise auf die anderen Urteile. Künast ist persönlich beleidigt worden,
in den Fällen der Whatsapp-Nachrichten sind ebenfalls bestimmte Personen hinterrücks persönlich beleidigt und runtergemacht worden.
Hier ist lediglich eine Parole aus dem Nationalsozialismus entfremdet worden – ohne einen explizit antisemitischen Kontext zu
ziehen oder sich auf jüdische Personen zu beziehen bzw. sich an sie zu richten. Dieser wird eher etwas hölzern hineingelesen,
was ich nicht sehr überzeugend finde, da die Intention des Meinenden doch irgendeine Berücksichtigung finden sollte.
Insoweit sehe ich keine dogmatisch begründete Entkräftung der Ausführungen des LAG.
Vertretbar ist vieles und selbstverständlich dürfen Gerichtsentscheidungen auch hart kritisiert werden.
Infam ist es allerdings, wenn Fischer-Lescano hier dem LG Aachen „Holocaust-Verharmlosung in Robe“ unterstellt. Tatsächlich hat sich das Gericht unter Berücksichtigung einer namhaften Stimme aus der Literatur differenziert und vorurteilsfrei mit dem Bedeutungsgehalt der Darstellung auseinandergesetzt und ist zu einem gut begründeten Ergebnis gelangt. Diese Auffassung scheint sich übrigens auch immer mehr durchzusetzen (vgl jüngst OLG Braunschweig (https://oberlandesgericht-braunschweig.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/presseinformationen/wann-liegt-eine-volksverhetzung-vor-225396.html).
Dass Fischer-Lescano dem Gericht selbst eine Holocaust-Verharmlosung – und damit letztlich eine Straftat nach § 130 III StGB – unterstellt, lässt jeden Respekt vor dem Gericht vermissen und zeugt von einer erschreckenden Verrohung des Diskurses. Mit sachlicher Kritik haben derartige verbale Entgleisungen, mit denen Fischer-Lescano unter seinen Professorenkollegen glücklicherweise weitgehend alleine ist – mE nichts mehr zu tun. Man muss sich auch fragen, warum eine solche polemische Agitation überhaupt auf einem namhaften Blog veröffentlicht wird.