Intransparenz führt zu mehr Intransparenz
Als ich vor ein paar Wochen zugesagt habe, live von der COP27 in Sharm el Sheik einen Beitrag zu schreiben, waren unsere Erwartungen hoch.
Ich arbeite für ein Forschungsinstitut, bei den Vereinten Nationen sind wir als Nichtregierungsorganisation registriert. Auf meinem Badge, meiner Eintrittskarte zur Konferenz, steht deshalb der große gelbe Schriftzug OBSERVER. Ich kann also die 27. Staaten-Klimakonferenz beobachten. Was heißt beobachten? Erstaunlich wenig.
Es gibt drei Kategorien dieser Eintrittskarten: Staaten, Presse, und Observer. Über 33.000 Menschen sind für die COP27 registriert, ein großer Teil davon als Observer. Sie sind Vertreter:innen der Zivilbevölkerung, die unabhängig von Regierungen sind und denen die Möglichkeit gewährt werden soll, die Geschehnisse zu beobachten.
In die Räume, in denen die eigentlichen Klimaverhandlungen stattfinden, dürfen wir Observer aber nicht rein. Wir halten uns in der sogenannten Blue Zone auf, einem Jahrmarkt von Side-Events, durchgeführt von Staaten, von Internationalen Organisationen, von Vertreter:innen der Zivilbevölkerung. Seltener gibt es Veranstaltungen des UNFCC-Sekretariats, in denen Ergebnisse vorgestellt werden, über laufende Verhandlungen erfahren wir dabei aber nichts.
Kolleg:innen zu Hause in Berlin fragen mich täglich: Wie ist die Stimmung? Ich habe keine Ahnung. Ich kann sagen, die Verhandlungen laufen schlecht, weil ich zwei sehr müde und frustrierte Diplomaten bei ihrer Mittagspause belauscht habe. Ich könnte auch sagen, sie laufen produktiv, weil der Kaffeekonsum am Deutschen Pavillon stetig steigt. Tatsächlich dringt nichts von den Verhandlungen nach außen.
Selbstverständlich sind sämtliche Textentwürfe der Verhandlungen auf der Website des UNFCCC für alle, nicht nur für uns registrierte Observer, verfügbar. Allerdings kaum solange wir uns hier in der Blue Zone aufhalten. Das Internet ist so schlecht, dass ich keinen Text herunterladen kann. Meine Kolleg:innen in Berlin wissen früher und besser Bescheid als ich vor Ort. Sie haben auch im übrigen die besseren Arbeitsbedingungen. Sie haben Steckdosen, Stühle, Tische.
Es geht mir nicht darum, zu jammern, sondern zu zeigen, warum so viele hier keinen gelben Observer-Badge haben wollen.
In diesem Jahr sind neben Staatenvertreter:innen, NGOs usw. so viele Vertreter:innen von privaten Unternehmen auf der COP wie noch nie, allein über 600 Vertreter der Ölindustrie. Viele von ihnen werden von Staaten eingeladen, sie tragen deshalb um ihren Hals violette Badges, „PARTY“. Sie haben damit Zugang zu allen Räumen und Verhandlungen. Auch Nichtregierungsorganisationen und Forschungsinstitute, die normalerweise stolz sind auf ihre staatliche Unabhängigkeit, bewerben sich auf solche Staaten-Tickets, um nicht nur mit dem gelben Zettel um den Hals auf den Jahrmarkt zu gehen.
Die Diplomat:innen, die voraussichtlich noch ein paar weitere Tage die Verhandlungen über den weltweiten Klimaschutz führen, sind also keinesfalls unter sich, sie werden beobachtet. Nur eben nicht von Menschen, die sich als Observer zu erkennen geben.
Die Mehrzahl aller Veranstaltungen der Vereinten Nationen und Internationaler Organisationen lässt Beobachtung durch die Zivilgesellschaft zu. Grund und Ziel ist Transparenz. Von Prozessen, die potenziell Auswirkungen auf jede:n von uns haben. Dies sind Prozesse, die in neuen völkerrechtlichen Verträgen münden können und die Einfluss auf die Entwicklungen in unserem nationalen Recht haben. Ebenso wie in nationalen Gesetzgebungsprozessen muss gewährleistet sein, dass wir alle diese Prozesse nachvollziehen können. Dazu gehört auch, dass sich Lobbyist:innen, egal ob solche der Industrie oder einer Menschenrechtsorganisation, zu erkennen geben.
Mit dem Ausschluss der Zivilgesellschaft von den Verhandlungen entsteht nicht einfach ein weniger transparenter Prozess. Die Intransparenz perpetuiert sich dadurch, dass sich legitime Beobachter:innen aus NGOs, Forschungsinstituten etc. bessere Badges besorgen, welche von der Gunst eines Staates abhängen, wodurch unabhängige und vor allem regierungskritische Organisationen außen vor bleiben.
Und die Intransparenz perpetuiert sich noch weiter dadurch, dass Lobbyist:innen und andere Vertreter:innen von Unternehmen nicht als solche erkennbar sind. Es gibt kein Lobbyregister, es gibt keine eigene Akkreditierungs-Kategorie für Unternehmensvertreter:innen, die mit dem Observer-Status vergleichbar wären. Sollten Unternehmen draußen bleiben? Das ist nicht nur unrealistisch, sondern auch gar nicht wünschenswert. Die globale Klimakrise ist ohne Innovation, das heißt auch ohne die Unterstützung etwa von großen Technologieunternehmen, nicht zu bewältigen. Ihre Beiträge können ein wertvoller Teil der Konferenz sein.
Dass diese Unternehmen dabei jedoch an der Konferenz teilnehmen können, ohne sich als Vertreter:innen privater Interessen auszuweisen, ja dass sie sogar explizit als Vertreter:innen der Interessen eines Staates auftreten, und dass sie hierbei signifikant besser gestellt sind als die als Observer akkreditierte Zivilbevölkerung, schadet der Glaubwürdigkeit der Verhandlungen. Künftige Weltklimakonferenzen brauchen ein Lobbyregister. Und es muss gewährleistet sein, dass alle, die ein berechtigtes Interesse an der Beobachtung der Prozesse haben, dies tatsächlich tun können.