Irland: Verfassungsbigotterien
Mit Iren kann man viel Spaß haben. Aber seit 1. Januar hat der Spaß ein Ende, jedenfalls was den Allmächtigen betrifft. Seit Jahresbeginn ist in Irland ein Gesetz in Kraft, das Gotteslästerung mit einer Strafe von bis zu 25.000 Euro bedroht.
Das Abgefahrene daran ist: Niemand will dieses Gesetz. Selbst der irische Justizminister Dermot Ahern, der es entworfen und durchgesetzt hat, beteuert, dass er den Straftatbestand am liebsten abschaffen würde.
Das Kreuz Problem ist die irische Verfassung. Die gewährt, wie jede vernünftige Verfassung, Meinungsfreiheit, allerdings mit folgendem kleinen Zusatz:
The publication or utterance of blasphemous, seditious, or indecent matter is an offence which shall be punishable in accordance with law.
Das hatte viele Jahre keinen groß interessiert. Mitte der 90er Jahre aber hatte ein frommer Zimmermann aus Dublin namens John Corway sich furchtbar über einen (ziemlich lahmen) kirchen-spöttischen Cartoon in einer Zeitung aufgeregt und bis zum Supreme Court geklagt. Vergebens: Die obersten Richter stellten 1999 fest, dass das irische Recht überhaupt nicht festlege, was in diesen modernen Zeiten als Blasphemie zu gelten habe und was nicht.
Das implizierte aber, dass der irische Gesetzgeber dem Verfassungsauftrag, Blasphemie zur Straftat zu machen, nicht nachgekommen war. Die naheliegende Lösung wäre gewesen, diesen Auftrag einfach aus der Verfassung zu streichen. Das geht aber nicht so einfach, und zwar aus einem Grund, den wir noch aus den Lissabonvertrags-Zeiten kennen: Die irische Verfassung kann nur per Referendum geändert werden.
Normalerweise sind Verfassungen dazu da, die Leute vor dem strafenden Staat zu schützen. Dass sie den Staat zum Strafen zwingt, obwohl dieser überhaupt nicht möchte und es auch gar keinen vernünftigen Grund dafür gibt, scheint mir ziemlich einzigartig (von der Schutzpflicht-Konstellation des Abtreibungsurteils, die ganz anders gelagert ist, jetzt mal abgesehen).
Die irische Verfassung hat noch andere Bigotterien aufzuweisen. Die Präambel ist schon ein echter Kracher:
In the Name of the Most Holy Trinity, from Whom is all authority and to Whom, as our final end, all actions both of men and States must be referred,We, the people of Éire, Humbly acknowledging all our obligations to our Divine Lord, Jesus Christ, Who sustained our fathers through centuries of trial, (…) Do hereby adopt, enact, and give to ourselves this Constitution
Der irische Präsident muss nach Art. XII 8 seinen Amtseid von Verfassung wegen “in the presence of Almighty God” schwören, was jeden Atheisten von diesem Amt ausschließt. Das gleiche gilt für Richter (Art. XXXIV 5).
Aber die Iren verlieren ihren Humor nicht so leicht. Eine Gruppe irischer Atheisten hat jetzt auf einer Website 25 angeblich blasphemische Zitate gepostet, zwei davon von Jesus, eines von Mohammed, nach dem Motto: Verklagt uns doch.
In der Tat: Es gibt ja glücklicherweise noch den EGMR in Straßburg. Der hat ja erst vor kurzem in punkto Kruzifix Mannesmut vor Pfaffenthronen bewiesen.
Update: In den USA schüttelt selbst die religiöse Rechte (evangelikal und antikatholisch) über das irische Gesetz den Kopf.
Das EGMR kann auch keine Verfassung ändern und über das Problem, dass selbst die Regierung ihre selbst durchgepeitschten Gesetze nicht haben will, können wir Deutsche ja auch ein Liedchen singen.
Und dass ein Atheist vom Amt ausgeschlossen sei, lässt sich dieser Bestimmung auch nicht entnehmen. Nur dass er ebend in der Präsenz von etwas schwören muss, was es (seiner Meinung nach) nicht gibt. Ein Atheist (oder Agnotiker) hat wohl damit am wenigstens Probleme, denn schließlich tangiert ihn ja das Nichts nicht wirklich, oder?
Interessanter wird es sicherlich, wenn andere Religionen mit einem ganz anderen Kulturblick ins Spiel kommt (Bhuddismus? Urtümliche Religionen, usw.
Der EGMR kann aber darauf bestehen, dass die Signatarstaten auch verfassungsrechtlich ihren Verpflichtungen aus der EMRK nachkommen. Das ist ja beispielsweise auch die Situation in der Schweiz nach dem Minarett-Referendum.
Atheisten unterscheiden sich von Agnostikern darin, dass sie die Existenz Gottes nicht nur mit Nichtwissen bestreiten. Das heißt, sie würden von der irischen Verfassung zur Lüge gezwungen, wenn sie den Amtseid schwören.
Andere Religionen: Na, hinter dem irischen Gesetz und dem Supreme-Court-Urteil von 1999 steckt schon auch der Gedanke, dass die verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Strafbarkeit von Blasphemie in der heutigen Zeit nicht allein die christliche Religion schützen kann. Das war genau der Grund, warum der Supreme Court gesagt hat, dass das Common Law hier nicht weiterhilft und ohne Statutary Law der Blasphemie-Begriff inhaltsleer bleibt. Insofern sagt das irische Strafrecht jetzt, egal welche Religion ihr beleidigt, ihr dürft das nicht und die Meinungsfreiheit schützt euch insoweit nicht.
This legislation was tabled by the Minister for Justice in order to placate the hard Catholic rightwing in the recent second referendum on the Lisbon Treaty.
As the results of the referendum showed, this, and other extraneous issues raised by the extremes of the left and the right, was irrelevant to the outcome. The cold wind of the economic collapse was the decisive element in bringing about a change of attitude.
The cover-up by the Catholic Church of years of child abuse, resulting in the resignation of four Arch-Bishops at last count, has shattered what remained of the hierarchy’s moral authority. Any action taken under the new legislation would be laughed out of court.
Ireland needs a new constitution. Luckily, there will no further need for referendums on EU matters for many years to come. The requirement to hold them was, in any case, due to bad judgement with regrad to the wording of the original amendment to the constitution, coupled with an inane initial judgement (Crotty) by the Supreme Court, followed by several others equally lacking in judicial common sense.
Does that ring a bell with a German audience informed with regard to judgements of the BVerfG?