Jeder kann abgehört werden, niemand kann klagen
US-Bürger dürfen genauso wenig wie wir einfach so von ihrer Regierung belauscht werden. Uns schützt Art. 10 GG (ein bisschen jedenfalls), die Bürger der Vereinigten Staaten das Fourth Amendment ihrer Verfassung: Das verbietet “unreasonable searches”, und davon ist auch das heimliche Abhören vertraulicher Telefongespräche umfasst.
Nun weiß jeder, dass die US-Geheimdienste spätestens seit 9/11 Telefonverkehr und Internet durchflöhen, als gäbe es kein Morgen, und dass dabei auch millionenfach Gespräche und Emailverkehr von US-Bürgern aufgezeichnet und ausgewertet werden. Dürfen die das? Erlaubt das Fourth Amendment das? Das werden wir womöglich nie erfahren. Denn bevor der Supreme Court diese Frage beantworten kann, müsste jemand klagen. Und bevor jemand klagen kann, müsste er beweisen können, dass er tatsächlich abgehört wurde. Und bevor jemand das beweisen kann, müsste er es selber wissen.
Das weiß aber nur einer, nämlich derjenige, den er verklagen will: die Regierung. Und die sagt es ihm nicht.
Reicht die begründete Furcht, abgehört zu werden, um klagen zu können? Diese Frage steht im Mittelpunkt des Falls Clapper v. Amnesty International, der heute vor dem US Supreme Court (trotz Hurricane Sandy!) verhandelt wird.
Zum Hintergrund: Eine Reihe von Menschenrechtsorganisationen, Journalisten und Anwälten hatte geklagt mit dem Argument, die Abhörpraxis sei so weitreichend, dass sie zu teuren und aufwändigen Gegenmaßnahmen gezwungen seien, um die Vertraulichkeit ihrer Kommunikation zu schützen. Die Regierung hat das gar nicht bestritten, sondern hofft jetzt darauf, dass der Supreme Court klarstellt: Klagen kann hier nur, wer tatsächlich abgehört wurde und das auch beweisen kann. Good luck trying, suckers!
Um ein Gefühl für die gestern hier besprochene Kluft zwischen der deutschen und der amerikanischen Verfassungskultur zu bekommen, lohnt es sich, manche Kommentare von US-Verfassungsrechtlern zu lesen. Eric Posner beispielsweise, Barack Obamas einstiger Fakultätskollege aus Chicago und Sohn des berühmten Law-and-Economics-Richters Richard Posner, erklärt auf Slate.com ganz unverblümt und in Einklang mit seiner These, dass eine von jeder legislativen und judikativen Kontrolle entfesselte Exekutive eine prima Sache sei, dass er es für “a good thing” halte, wenn Amnesty International den Prozess verliert:
The executive cannot exercise discretion, however, if courts, which move slowly and lack expertise, are constantly telling it what to do. The Supreme Court has made standing harder for plaintiffs to achieve so that people cannot enlist courts in schemes to block executive actions they disapprove of. The Obama administration is fine with this. The arc of the moral universe bends toward presidential power.
Mehr Details hier, hier und besonders lesenswert: hier.
Update: Laut SCOTUS Blog ist der Supreme Court wieder mal in die üblichen liberalen und konservativen Camps gespalten, und es kommt darauf an, wie sich Justice Kennedy entscheidet. Den liberalen Richtern scheint besonders das Argument einzuleuchten, dass Anwälte klagen können sollten, wenn sie wegen der Überwachungspraxis ihre Mandanten nicht mehr ordentlich vertreten können.
Foto: Philippe Put, Flickr Creative Commons
US-Bürger dürfen genauso wenig wie wir einfach so von ihrer Regierung belauscht werden. Uns schützt Art. 10 GG (ein bisschen jedenfalls), die Bürger der Vereinigten Staaten das Fourth Amendment ihrer Verfassung: Das verbietet “unreasonable searches”, und davon ist auch das heimliche Abhören vertraulicher Telefongespräche umfasst.
Nun weiß jeder, dass die US-Geheimdienste spätestens seit 9/11 Telefonverkehr und Internet durchflöhen, als gäbe es kein Morgen, und dass dabei auch millionenfach Gespräche und Emailverkehr von US-Bürgern aufgezeichnet und ausgewertet werden. Dürfen die das? Erlaubt das Fourth Amendment das? Das werden wir womöglich nie erfahren. Denn bevor der Supreme Court diese Frage beantworten kann, müsste jemand klagen. Und bevor jemand klagen kann, müsste er beweisen können, dass er tatsächlich abgehört wurde. Und bevor jemand das beweisen kann, müsste er es selber wissen.
Das weiß aber nur einer, nämlich derjenige, den er verklagen will: die Regierung. Und die sagt es ihm nicht.
Reicht die begründete Furcht, abgehört zu werden, um klagen zu können? Diese Frage steht im Mittelpunkt des Falls Clapper v. Amnesty International, der heute vor dem US Supreme Court (trotz Hurricane Sandy!) verhandelt wird.
Zum Hintergrund: Eine Reihe von Menschenrechtsorganisationen, Journalisten und Anwälten hatte geklagt mit dem Argument, die Abhörpraxis sei so weitreichend, dass sie zu teuren und aufwändigen Gegenmaßnahmen gezwungen seien, um die Vertraulichkeit ihrer Kommunikation zu schützen. Die Regierung hat das gar nicht bestritten, sondern hofft jetzt darauf, dass der Supreme Court klarstellt: Klagen kann hier nur, wer tatsächlich abgehört wurde und das auch beweisen kann. Good luck trying, suckers!
Um ein Gefühl für die gestern hier besprochene Kluft zwischen der deutschen und der amerikanischen Verfassungskultur zu bekommen, lohnt es sich, manche Kommentare von US-Verfassungsrechtlern zu lesen. Eric Posner beispielsweise, Barack Obamas einstiger Fakultätskollege aus Chicago und Sohn des berühmten Law-and-Economics-Richters Richard Posner, erklärt auf Slate.com ganz unverblümt und in Einklang mit seiner These, dass eine von jeder legislativen und judikativen Kontrolle entfesselte Exekutive eine prima Sache sei, dass er es für “a good thing” halte, wenn Amnesty International den Prozess verliert:
The executive cannot exercise discretion, however, if courts, which move slowly and lack expertise, are constantly telling it what to do. The Supreme Court has made standing harder for plaintiffs to achieve so that people cannot enlist courts in schemes to block executive actions they disapprove of. The Obama administration is fine with this. The arc of the moral universe bends toward presidential power.
Mehr Details hier, hier und besonders lesenswert: hier.
Update: Laut SCOTUS Blog ist der Supreme Court wieder mal in die üblichen liberalen und konservativen Camps gespalten, und es kommt darauf an, wie sich Justice Kennedy entscheidet. Den liberalen Richtern scheint besonders das Argument einzuleuchten, dass Anwälte klagen können sollten, wenn sie wegen der Überwachungspraxis ihre Mandanten nicht mehr ordentlich vertreten können.
Foto: Philippe Put, Flickr Creative Commons
Der Link zum Atlantic ist ein bisschen kaputt. Er ist relativ zu diesem Artikel.
Das BVerfG scheint in dieser Frage etwas weiter zu sein. Immerhin hat es die Verfassungsbeschwerde gegen den großen Lauschangriff in der Sache behandelt (BVerfGE 109, 279/v.a. 325 ff.), ohne dass dort jemand hätte beweisen müssen, tatsächlich abgehört worden zu sein. Auch wenn der Entscheidung m.E. nicht ganz klar zu entnehmen ist, ob das BVerfG nun schon der Eingriffsermächtigung selbst Eingriffscharakter beimisst oder ob es sozusagen vorbeugenden Rechtsschutz gegen Gesetze zulässt.