John Paul Stevens hört auf
Gemunkelt wurde es schon lange, auch an Andeutungen des alten Herrn selber hat es nicht gefehlt. Jetzt, so meldet SCOTUS Blog, ist es soweit: John Paul Stevens, der Dienstälteste und überhaupt Älteste unter den Richtern des US Supreme Court, hört auf. In wenigen Tagen feiert er seinen 90. Geburtstag.
Stevens gehört zu den Moderat-Liberalen unter den neun Supreme-Court-Richtern. Bei dem epochalen Urteil Citizens United, in dem die konservative Richtermehrheit die Schranken für die Wahlkampffinanzierung durch Konzerne kippte, verfasste er das flammende Minderheitsvotum.
Jetzt geht er in Rente und verschafft so Präsident Obama die Chance, nach Sonia Sotomayor einen weiteren Richter seines Geschmacks gegen die konservative Truppe Roberts/Scalia/Thomas/Alito in Stellung zu bringen.
Update: Bei Above the Law kann man eine Kopie des Rücktrittsschreibens von Justice Stevens an “My dear Mr. President” lesen.
Tuan Samahon weist bei Concurring Opionions auf den interessanten Fakt hin, dass Stevens’ Rücktritt schon mit Beginn der diesjährigen Sommerpause wirksam wird und nicht erst, wenn sein Nachfolger in Amt und Würden ist. Das bedeutet, dass für eine Übergangszeit die Konservativen noch deutlicher in der Mehrheit sind, wenn es nicht gelingt, bis dahin die Nachfolge klar zu machen.
Als Favoriten gelten laut WSJ Law Blog Obamas Solicitor General Elena Kagan und die Bundesrichter Merrick Garland und Diane Wood. Mehr dazu hier und hier.
Update: Lyle Dennison analysiert, warum Stevens’ Rücktritt den moderat-konservativen Swing-Vote-Richter Anthony Kennedy stärkt und warum das für die Liberalen nicht unbedingt eine gute Sache ist.
Update: In der FAZ Patrick Bahners bemerkenswert ausführlich und kenntnisreich zu Stevens’ Abgang und den Folgen. Schon komisch – wenn bei uns daheim ein Verfassungsrichter kommt, nimmt kaum einer davon Notiz, aber wenn bei den Amerikanern einer geht, dann schreibt die FAZ einen Riesenartikel… Na, ich find’s ja auch interessant.
Ich habe vor ca. einem Jahr bei BBC world service ein Interview mit Herrn Stevens gehört, und war sehr beeindruckt davon. Bewertet von der Schlagfertigkeit seiner Antworten und von der offensichtlich “sehr jung” gebliebene Stimme konnte man sein Alter gar nicht vermuten. Das war auch nicht relevant bei so einer Persönlichkeit. Und das scheint auch sein Lebensmotto zu sein: sich selbst sein, alle anderen “sekundären” Umstände ignorieren. Gefragt nach seinem Alter und danach, ob er Gedanken mache, sich zurückzuziehen, antwortete er “Ich sehe ja nicht jeden Tag an meiner Geburtsurkunde”.
Wie es scheint, in den letzten 30 Jahren immer seltener. – Und gut getan!
Welche standhafte Persönlichkeit Obama für seine Stelle findet, bleibt es abzuwarten.