Kafkaeske Rechtsetzung – Der Ausschluss von Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten vom Arbeitsmarkt
Da ist er also, der Entwurf für das sogenannte Zuwanderungsgesetz. Aber statt geduldeten Beschäftigten und Auszubildenden sowie ihren Betrieben Sicherheit zu bieten, sieht der Entwurf zahlreiche Verschärfungen des Aufenthaltsrechts vor. Unter anderem sollen Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten mit einer tautologischen Konstruktion vollständig von Arbeit und Ausbildungsduldung ausgeschlossen werden. Betroffen wären vor allem Rom*nja.
Sanktionierung von „Asylmissbrauch“ durch Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten
Schon seit einigen Jahren sind abgelehnte Asylbewerber*innen aus sicheren Herkunftsstaaten von der Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis und (daran anknüpfend) von der Ausbildungsduldung ausgeschlossen (§ 60a Abs. 2 S. 4, Abs. 6 S. 1 Nr. 3 AufenthG). Letztlich handelt es sich bei diesem Ausschluss um eine verfassungswidrige Kollektivstrafe, wie ich an anderer Stelle dargelegt habe. Die Betroffenen werden dafür sanktioniert, dass sie (bzw. wegen der typisierenden Vorgehensweise: Menschen aus ihrem Herkunftsland) angeblich das Asylverfahren missbräuchlich in Anspruch genommen haben, d.h. den Asylantrag zu asylfremden Zwecken gestellt haben. Im Gesetz kommt dieser Sanktionsgedanke dadurch zum Ausdruck, dass der Ausschluss nur greift, wenn der „nach dem 31. August 2015 gestellte Asylantrag abgelehnt wurde“.
Die Betroffenen fügen sich dem Gesetz. Viele nehmen ihre Asylanträge zurück oder stellen erst gar keinen. Sie tun damit genau das, was die Rechtsordnung von ihnen verlangt. Die Rücknahme des Asylantrags kann ihnen deswegen bisher auch nicht im Rahmen der Ermessensausübung angelastet werden, wie der Hessische Verwaltungsgerichtshof unmissverständlich festgestellt hat: „Verhält sich der betroffene Ausländer so, wie es die Rechtsordnung erwartet, indem er als Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes sich gerade nicht auf ein Asylrecht beruft […], liegt in diesem Verhalten kein Rechtsmissbrauch.“
Umgehung des Missbrauchsverbots?
Das passt dem Bundesinnenministerium (BMI) offenbar nicht. Im Referentenentwurf für das Fachkräfteeinwanderungsgesetz wird behauptet, dass „teilweise Asylbewerber ihren Asylantrag gezielt dann zurücknehmen, wenn deutlich wird, dass dieser zu keinem Schutzstatus führt, um dadurch das Erwerbstätigkeitsverbot zu umgehen.“ Der Ausschluss von Beschäftigung und Ausbildungsduldung soll daher nach dem Willen des BMI auch dann gelten, wenn der Asylantrag zurückgenommen oder gar nicht erst gestellt wurde.
Was will uns das BMI sagen? Wenn Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten einen Asylantrag stellen, dann ist das – so schon jetzt die Logik des Gesetzes – ein Missbrauch des Asylverfahrens. Wenn Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten keinen Asylantrag stellen, dann ist das – so offenbar die Ansicht des BMI – der Missbrauch des Rechts, das Asylrecht nicht zu missbrauchen? Egal, was eine Person aus einem sicheren Herkunftsstaat tut, sie kann es dem BMI nicht recht machen. Entweder sie missbraucht das Asylrecht oder sie umgeht das Missbrauchsverbot.
Tautologische Neuregelung im Entwurf für das Fachkräfteeinwanderungsgesetz
Betrachtet man den Wortlaut der geplanten Neuregelung, wird ihre Tautologie deutlich. Danach sollen Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten von Beschäftigungserlaubnis und Ausbildungsduldung ausgeschlossen sein, wenn der Asylantrag „abgelehnt oder zurückgenommen oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde“. Der Tatbestand ist immer erfüllt. Denn was für eine Möglichkeit bleibt, wenn der Asylantrag nicht abgelehnt, zurückgenommen oder gar nicht erst gestellt sein darf? Klar, die positive Bescheidung des Asylantrags. Aber dann ist die Norm, die nur für Geduldete gilt, gar nicht anwendbar. Im Ergebnis handelt es sich somit um Tatbestandsmerkmale, die gar keine sind. Sie schränken die Rechtsfolge (das Beschäftigungsverbot und den Ausschluss von der Ausbildungsduldung) in keiner Weise ein. Genauso gut hätte man schreiben können, dass Personen ausgeschlossen sind, die „minderjährig oder volljährig“ sind oder die „ledig, verheiratet, verwitwet oder geschieden“ sind. Es macht keinen Unterschied. Ausgeschlossen sind im Ergebnis alle Menschen, die aus einem sicheren Herkunftsstaat kommen. Die Sanktion knüpft nicht mehr an ein irgendwie geartetes Verhalten an, sondern nur noch an die Herkunft.
Der Ausschluss lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, dass man unabhängig vom Asylverfahren die unerlaubte Einreise bzw. den unerlaubten Aufenthalt sanktionieren möchte. Denn nach dieser Logik müsste man die Beschäftigungserlaubnis und die Ausbildungsduldung (die eine vollziehbare Ausreisepflicht voraussetzen) insgesamt ausschließen. Ein Anknüpfen an die asylrechtliche Kategorie der sicheren Herkunftsstaaten ist nicht nachvollziehbar.
Die Konsequenz: Weitere Entrechtung von Rom*nja
Betroffen von der Neuregelung wären alle Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten, zu denen seit Kretschmanns „neuem Asylkompromiss“ von 2014 und dem Asylpaket I von 2015 sämtliche Staaten des Westbalkans zählen. Sie würde daher vor allem Rom*nja treffen, die vor kumulativer rassistischer Diskriminierung in diesen Staaten fliehen. Der Diskriminierung in den Herkunftsstaaten wird in Deutschland nicht nur die Asylrelevanz abgesprochen, sie wird hier zudem durch die besagten Ausschlüsse auf unrühmliche Weise fortgesetzt.
Die Debatten der letzten Jahre um sogenannte Armutszuwanderung aus Osteuropa waren geprägt von antiziganistischen Ressentiments und Geschichtsvergessenheit, was auch bei der Ausweisung der sicheren Herkunftsstaaten eine Rolle gespielt hat. Der vorliegende Entwurf knüpft daran an. Er ist darüber hinaus geeignet, antiziganistische Vorurteile zu bestärken, indem er Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten die Erwerbsarbeit und Ausbildung vollständig verbietet und damit das Bild der „arbeitsscheuen“ und „integrationsunwilligen“ Rom*nja bedient. Solange diese Politik fortgesetzt wird, kann Deutschland auch gegenüber anderen Staaten keine glaubwürdige Position zum Schutz der Rechte von Rom*nja einnehmen.