Klima, Kunst, Kartoffelbrei
Zum „Anschlag“ auf ein Monet-Gemälde im Potsdamer Barberini-Museum
Mitte Oktober bewarfen Klimaaktivist*innen in Potsdam einen Monet mit Kartoffelbrei. Dem Gemälde ist hinter der Glasscheibe zwar nichts passiert. Aber nicht nur der Bundesjustizminister hielt das für keine besonders gute Idee. Und wenn es Ihnen wie mir geht, haben auch Sie sich gefragt: Was soll das? Zumindest ein Kopfschütteln lässt sich angesichts der Aktion kaum vermeiden. Doch vielleicht könnte die allgemeine Empörung als alleinige Reaktion etwas zu voreilig sein. Denn was sich auf den ersten Blick als das neuste Spektakel im Klima-Aktivismus-Zirkus darstellt, verhandelt bei genauerem Hinsehen facettenreich die Verteilung von Aufmerksamkeit und Sorge im Verhältnis zwischen Mensch, Natur und Kultur.
Aufreibende Aufmerksamkeitsspirale
Die Aktivist*innen selbst begründeten ihre Aktion mit einem Ungleichgewicht bei der Sorge um Kulturgüter, die wie Monets Getreideschober Szenen in der Natur darstellen, und der Sorge um die Natur und ihren Erhalt selbst. In den Worten der Sprecherin des Bündnisses „Letzte Generation“: „Zur Bewunderung der Kunst wird keine Zeit mehr sein, wenn wir uns um Nahrung und Wasser bekriegen.“ Diese Art der Endzeit-Rhetorik wird begleitet von einer routiniert durchorganisierten Inszenierung und medienwirksamen Kommunikation. (Einem Tortenwurf auf die weitaus bekanntere Mona Lisa einer Einzelperson wurde demgegenüber mangels Social-Media-Kompetenz weniger Aufmerksamkeit zuteil).
Auch wenn in der Social-Media-Logik jede Aufmerksamkeit grundsätzlich erst einmal gute Aufmerksamkeit sein mag, bringt ein prominenter Platz im Diskurs nicht unbedingt Sympathie. Nicht nur Marco Buschmann gehen solche Protestaktionen, aber auch die Göttinger Hörsaalblockade und die in immer kürzerer Taktung auftretenden Sitzblockaden zu weit. Die Irritation, die sich bereits bei den Blockaden etabliert hat, setzt sich auch bei den verschiedenen Aktionen in Museen fort: Klima-Aktivismus nervt. Diesmal aber nicht nur PKW- und LKW-Fahrer*innen, sondern insbesondere auch das linksliberale, kulturinteressierte Milieu, das den Anliegen der Aktivist*innen eigentlich zugeneigt ist. Kann sich der Aktivismus nicht auch für das Klima einsetzen, ohne unschätzbare Kunstwerke mit Lebensmitteln zu bewerfen oder den Verkehr lahmzulegen?
Protestieren: ja, stören: nein?
Diese Frage mag sich nicht zuletzt vor dem Hintergrund stellen, dass die Gerichte zumindest im Falle von Sitzblockaden aktivistischen Anliegen und ihren Kommunikationsformen Spielräume gelassen haben. Im Kontext der Protestaktionen gegen die Rodung des Dannenröder Forstes entschied beispielsweise der Hessische Verwaltungsgerichtshof, dass eine Blockade der Dannenröder Straße nicht pauschal verboten werden dürfe, sondern die Anliegen der Aktivist*innen mit denjenigen der Nutzer*innen der Straße in Ausgleich gebracht werden müssten. Dem Gericht zufolge könnten daher zum Beispiel „Sitzblockaden täglich für einen Zeitraum von etwa 30 Minuten außerhalb der Schul- und Berufsverkehrszeit“ von der Versammlungsfreiheit geschützt sein. Zudem sollte sichergestellt werden, dass sich die Verkehrsteilnehmer*innen auf die Blockaden „einrichten“ könnten. Es darf also protestiert werden, aber bitte möglichst störungsfrei.
Die in dieser und in vergleichbaren Entscheidungen aufgestellten Maßstäbe decken sich nicht mit einem Klima-Aktivismus, der aber gerade stören will. Denn was bringt ein Protest, den niemand hört und sieht? Während die verschiedenen Blockadeaktionen erhebliche Auswirkungen auf den öffentlichen Raum und den Straßenverkehr mit sich bringen, ist bei der Potsdamer Kartoffelbreiaktion im Ergebnis kein Schaden am Gemälde eingetreten. Der Tweet von Buschmann, der die Aktion sofort als Dummheit bezeichnete, wurde ergänzt durch eine Vorverurteilung, der den Schaden am Rahmen als Sachbeschädigung deklariert. Es ist aber kaum der Rahmen oder die Museumswand, die die Empörung hervorruft. Warum schockiert ein Angriff auf ein Gemälde, dem nichts passiert ist, also so sehr?
Fragilität von Kultur und Natur
Die Aktivist*innen in Potsdam und zuvor bereits in London haben sich Gemälde ausgesucht, die als Kulturgüter die Menschheit über Generationen hinweg verbinden. Hannah Arendt hat in ihrer Vita activa den Kunstwerken die Aufgabe zugesprochen, in ihrer Beständigkeit die Bedingung und Grundlage des menschlichen Daseins bereitzustellen. Für sie sind Kunstwerke „die beständigsten und darum die weltlichsten aller Dinge“. In ihnen trete die „Weltlichkeit der Welt […] selbst in Erscheinung“.1) Und weiter: “[O]hne die Beständigkeit der Welt, die die den Sterblichen zugemessene Frist auf der Erde überdauert, wären die Geschlechter der Menschen wie Gras und alle Herrlichkeit der Erde wie des Grases Blüte“.2)
Das organische Gras der Erde und seine Blüte sieht Arendt in einem Gegensatz zu der Dingwelt der Kunstwerke und ihrer Beständigkeit. Allerdings wird der Mensch nicht nur in eine Welt der von Menschen geschaffenen Dinge hineingeboren. Beständigkeit bieten auch die Wälder und Flüsse, die Inseln und Seen und selbst die Wiesen und ihr Gras. Sie werden in Liedern und Gedichten besungen, in Gemälden gemalt und in Romanen beschrieben. Was wäre ein Gedicht über die Lorelei ohne den Rhein? Und auch die Getreideschober von Monet, die er in allen Jahreszeiten gemalt hat, setzen eine Landschaft voraus, in der Getreide zwar „kultiviert“ wird, aber auch wächst, und in der die Jahreszeiten überhaupt noch ihren „natürlichen“ Gang gehen können.
Natur und Kultur sind beide nur scheinbar unsterblich. Doch während wir die Kunst hinter Glasscheiben schützen und sie umsorgen, nehmen wir die Natur selbstverständlich hin. Der Hambacher Forst, der schon lange vor Ölgemälden existierte, ist in unserer Generation bereits fast verschwunden. Venedig und seine Kulturgüter werden angesichts des Anstiegs des Meeresspiegels vielleicht für künftige Generationen nicht mehr zu bewundern sein, weil es die Insel nicht mehr geben wird, auf der sie stehen. Diese Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Die Dramatik, die im Namen „Letzte Generation“ zum Ausdruck kommt, geht insofern nicht völlig fehl.
15 minutes of fame
Die zunächst unsinnig erscheinende Kartoffelbrei-Attacke parallelisiert vor diesem Hintergrund die Verletzlichkeit der Kunstwerke mit der Verletzlichkeit der Natur. Die Nachhaltigkeit der Aktion lässt sich aber zurecht infrage stellen. Aufmerksamkeit ist in der Demokratie eine ebenso machtvolle wie auch knappe Ressource. Die Frage ist aber, was danach kommt. Die Aktivist*innen geben sich in gewisser Weise der Aufmerksamkeitsökonomie hin, die sie zugleich kritisieren: Der Kartoffelbrei bringt Klicks. Doch was geschieht, wenn die Vorstellung vorbei ist? Die Antwort auf die Frage, wie sich die gewonnene Aufmerksamkeit in gesellschaftliche Lösungen übertragen lässt, bleiben die Aktivist*innen schuldig.
Die Aktion selbst war daher wohl weniger ein Monet als ein Warhol. Sie bringt der „Letzten Generation“ die sprichwörtlich gewordenen 15 Minuten Ruhm. Die Anliegen, für die die Aktivist*innen eintreten, verdienen aber mehr als das. Ob solche Aktionen dazu beitragen, kann mit guten Gründen bezweifelt werden. Ob die Wut, die sich über den Aktivist*innen auslädt oder gar die Einordnung als „Kulturterrorismus“ gerechtfertigt ist, aber auch. Denn eine Ausrichtung auf die 15 Minuten Ruhm, die mehr Stoff für einen Workshop über erfolgreiche Social-Media-Inszenierung für Celebrities bietet als für erfolgreiche politische Mobilisierung, wird dem Thema nicht gerecht. Ganz ohne Störung und Irritation funktioniert politischer Protest – und das sollte in der politischen sowie in der juristischen Debatte nicht untergehen – aber auch nicht. Und das ist im Übrigen ein Satz, der ebenso auf die Kunst zutrifft. „30 Minuten außerhalb der Schul- und Berufsverkehrszeit“ sind daher sicherlich auch zu knapp bemessen, um eine Welt zu erhalten, die es zu malen lohnt.