12 June 2025

Kein Problem des Zivilrechts

Warum das Klimaurteil des OLG Hamm dogmatisch nicht überzeugen kann

139 Seiten Gerichtsurteil, ein peruanischer David gegen einen Goliath der deutschen Energiewirtschaft und eine Gletscherkatastrophe. Der Kläger sieht wegen CO₂-Emissionen aus Kraftwerken eine Mitverantwortung der Beklagten für den Klimawandel, befürchtet eine Überschwemmung seines Grundstücks und will per Unterlassungsklage Geld für Schutzmaßnahmen. Das hätte zur juristischen Großerzählung an einer schwierigen Schnittstelle zwischen Privat- und Verwaltungsrecht getaugt. Man hätte das Eigentumsrecht in einer globalisierten Welt vermessen und hinterfragen können, ob das BGB so einem Fall gerecht werden kann. Aber das Oberlandesgericht Hamm will in seinem Klimaurteil vom 28. Mai 2025 in die Beweiswürdigung und löst den Fall, als spiele er in Wanne-Eickel: Gutachten, kein Beweis für die Gefahr, Klage abgewiesen.

Urteil mit Weltanschauung?

Damit könnte das Urteil zu Ende sein. Ist es aber nicht. Die Urteilsbegründung legt ausführlich dar, dass der Kläger prinzipiell einen Anspruch haben könne. Warum? Richter dürfen sich fachlich zu Fragen äußern, die nicht relevant für eine Urteilsbegründung sind – sie sollten solche (dann eben „nur“) wissenschaftlichen Überlegungen aber nicht mit ihrer Amtsautorität verbinden. Wie es sein könnte, wenn es anders wäre, hat in einem Urteil nichts zu suchen. Dass der Senat sich mit richterlicher Autorität zu materiell-rechtlichen Fragen abschließend äußert, hinterlässt den Beigeschmack, dass richterlicher Aktivismus eine Rolle gespielt haben könnte. Immerhin heißt es bei Germanwatch (S. 4):

„Während der Urteilsverkündung hob der Vorsitzende Richter hervor, dass sich in diesem Verfahren die tiefgreifende Ungleichheit zwischen globalem Norden und Süden, zwischen arm und reich widerspiegle. Verursacher zur Verantwortung zu ziehen sei kein ‚Wettbewerbsnachteil‘, sondern Ausdruck einer ‚wertebasierten Rechtsordnung‘. Im Gegenteil könne es für Deutschland zu einem „Wettbewerbsvorteil werden, wenn Großemittenten ihrer ‚gesellschaftlichen Verantwortung‘ nachkommen und sich zunehmend von fossilen Geschäftsmodellen wegbewegen”.

Dass die Botschaft so ankam, wiegt bei einer Entscheidung schwer, die Unternehmen mit der Frage zurücklässt, ob sie sich auf erteilte Genehmigungen verlassen dürfen oder Jahre später mit Ausgleichsforderungen überzogen werden. Dass es nicht nur um den Kläger ging, sondern auch darum, mit einem wirkmächtigen Narrativ einen Präzedenzfall zu schaffen, formulieren die Unterstützer des Klägers selbst (S. 11 f.).

Zweifellos kann Klimaschutz zu Wettbewerbsvorteilen führen. Gerichte sollen sich aber nicht von Überlegungen zur (voraussetzungsreichen) gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen oder zu aus richterlicher Sicht vorteilhaftem unternehmerischen Handeln leiten lassen. Wenn sie es dennoch tun, gefährden sie die richterliche Unparteilichkeit und damit eine wichtige Vertrauensgrundlage in unserer Gesellschaft. Mit anderen Worten: In einem Gerichtssaal hat die persönliche Meinung der beteiligten Juristen (gleich ob Richter oder Anwälte) nichts zu suchen, weil die Fachleute nicht als Meinungsbotschafter auftreten, sondern sich im höheren Interesse dem juristischen Diskurs unterordnen sollen.

Eigentum vor dem Recht?

Inhaltlich beginnt das Urteil im gewohnten Rahmen. Eigentum ist ein umfassend geschütztes Recht; soweit keine Duldungspflicht besteht, ist eine Beeinträchtigung rechtswidrig, und was im konkreten Fall gilt, ist im Wesentlichen Tatfrage. Danach wird es problematisch. Der Kraftwerksbetrieb ist behördlich ausdrücklich genehmigt und gesetzlich en detail reguliert. Das Oberlandesgericht meint, zivilrechtlicher Eigentumsschutz greife ein, obwohl die Handlung öffentlich-rechtlich erlaubt ist. Es komme nach herrschender Meinung nicht auf das Handlungs(un)recht an, sondern nur auf das Erfolgsunrecht: „Die nach dem Vortrag des Klägers (drohende) Beeinträchtigung seines Grundstücks ist rechtswidrig” (S. 65 des Umdrucks).

Handlungs- und Erfolgsunrecht bei Unterlassungsansprüchen abzugrenzen ist schwierig, weil die Grenzen fließend sind. Das zeigt der vom Oberlandesgericht angesprochene Raucherfall.1) Ist das Rauchen auf dem Balkon rechtmäßig und „nur“ die Gesundheitsschädigung des Nachbarn nicht (Erfolgsunrecht)? Oder ist Rauchen als Handlung unerlaubt, wenn andere ungewollt einbezogen werden (Handlungsunrecht mit resultierendem Erfolgsunrecht)? Auch der als zweiter Beleg herangezogene Baumrodungsfall2) legt nahe, dass unprofessionelles Vorgehen beim Roden einiger Bäume das Problem war und nicht nur der Zustand, der dadurch entstanden war (Handlungsunrecht mit resultierendem Erfolgsunrecht). Der Ansatz des Oberlandesgerichts Hamm, es komme allein auf ein Erfolgsunrecht an, vereinfacht also schon im ersten Schritt zu sehr.

Und es geht noch weiter: In vielen Unterlassungsfällen legt der Erfolg tatsächlich nahe, dass die Handlung rechtswidrig sein und deshalb unterbunden werden muss. Im Klimafall liegen die Dinge jedoch anders:  Die Frage, ob die Handlung erlaubt war, ist im Fall von genehmigten Anlagen durch die Genehmigung entschieden, und deshalb müsste man weiterfragen, woher das Erfolgsunrecht kommen könnte. Wie kann aus einer rechtmäßigen Handlung – hier: der Betrieb von CO2-emittierenden Kraftwerken – ein rechtswidriges Ergebnis entstehen?

Aus der Beeinträchtigung des Eigentums, meint das Oberlandesgericht. Aber ist das, was § 1004 BGB mit dem Rechtsbegriff „beeinträchtigen“ beschreibt, das gleiche wie eine faktische Einwirkung? Ermächtigt Eigentum wirklich dazu, legale Handlungen zu unterbinden, weil sie sich auf eine Eigentumsposition auswirken? Wenn das Gesetz emittierende Anlagen erlaubt, existiert Eigentum juristisch dann nicht von Anfang an unter Vorbehalt der Emissionen? Eigentum ist nicht nur verfassungsrechtlich, sondern auch zivilrechtlich ein normgeprägtes Recht und kein metaphysischer Abwehrzaun. Wenn die Einwirkung gestattet ist, widerspricht ihr Ergebnis nicht ohne weiteres „dem Inhalt des Eigentums“ (S. 41 des Urteilsumdrucks). Vielleicht ist das Eigentum nicht „beeinträchtigt“, sondern unterliegt einem gerechtfertigten Eingriff?

Gesetzesgeltung unter Vorbehalt?

Heißt das, dass eine Handlung legal sein könnte, die mittelbar zu einer Überflutung führte, wenn der Klägervortrag zuträfe? Die Schilderung des Klägers ist dramatisch, sie verführt aber auch zu einem unausgesprochenen überpositiven Eigentumsverständnis. Ob der Senat wohl die Klage eines Einfamilienhausbewohners aus Itzehoe für schlüssig hielte, der eine Windkraftanlage zu laut findet?3) Die immissionsschutzrechtliche Genehmigung, die große Anlagen typischerweise benötigen, schließt privatrechtliche Unterlassungsansprüche aus (§§ 14 Satz 1, 19 Abs. 2 BImSchG). § 14 BImSchG blockiert zivilrechtliche Ansprüche gegen Immissionen von (erfassten) Anlagen,4) kompensiert durch einen Schadensersatzanspruch (§ 14 Satz 3 BImSchG).

Der Bundesgerichtshof hatte vor längerer Zeit eine Haftung für über die Luft vermittelte Schadstoffe und daraus resultierende Waldschäden abgelehnt.5) Das sei nicht vergleichbar, meint der Senat. Der Bundesgerichtshof habe einen Ausgleich sogar für geboten gehalten, nur nicht durch die im Waldschadensfall verklagten staatlichen Stellen (S. 59 ff. des Urteilsumdrucks). Aber daraus folgt nicht positiv, dass § 14 BImSchG einen Unterlassungsanspruch des peruanischen Klägers ermöglicht. Die Norm will Unterlassungsbegehren gegen genehmigte Anlagen verhindern, kompensiert durch einen Schadensersatzanspruch. Wenn sie in einem anderen Fall nicht greift, folgt daraus für den Kläger nichts. Zumal im Waldschadensfall offenblieb, ob gegen die Emissionen ein Unterlassungsanspruch bestanden hätte.

Der Senat scheint zu meinen, dass die Ausschlusswirkung nicht gelte, weil der Kläger als ein Fernbetroffener „zumindest faktisch“ nicht am Genehmigungsverfahren habe teilnehmen können (S. 77 des Urteilsumdrucks). Sollte das die Begründung dafür sein, dass eine bestandskräftige immissionsschutzrechtliche Genehmigung zivilrechtlich belanglos sei, erstaunt sie. Hängt Gesetzesgeltung von der individuellen Befolgungsmöglichkeit ab? Falls ja, wieso geht das zu Lasten der Beklagten, die sich genau wie der Kläger auf Grundrechtsschutz berufen kann? Der Senat ordnet den in § 14 BImSchG geregelten Grundsatz „dulde und liquidiere“ als „nicht sachgerecht“ ein, weil der konkrete Kläger daraus keinen Anspruch herleiten könne (S. 78 des Urteilsumdrucks). Soll man das so verstehen, dass das Oberlandesgericht den Gesetzgeber für uninformiert hält?

In der immissionsschutzrechtlichen Literatur heißt es, § 14 BImSchG gelte nicht gegenüber Fernwirkungen – mit der Begründung, dagegen bestünden ohnehin keine Abwehransprüche.6) An diesem Punkt enttäuscht das Klimaurteil, indem es den Rechtskreis des Klägers allein als Kausalitätsproblem begreift. Man könnte nämlich auch sagen: Die Beklagte wirkt(e) nicht auf das Eigentum des Klägers ein, sondern auf die Allmende, und ob der Kläger an dieser berechtigt ist, ist das wahre Problem eines Unterlassungsanspruchs. Wenn man die Störereigenschaft daran festmacht, ob die Beklagte allgemein zum Klimawandel beiträgt, dann fragt sich, ob das Eigentumsrecht des Klägers wirklich so weit reicht, Veränderungen des Klimas abzuwehren, weil sie sich auf ihn auswirken. Nur nach der Kausalität zu fragen verschleiert dieses Problem: Theoretisch kann sich alles auf jedes auswirken, und so kann man aus allem eine Beweisfrage machen. Das mündet in Einzelfallbetrachtungen statt in Rechtsdogmatik.

Störer fern der Nachbarschaft?

Immerhin nämlich schließt der Senat Duldungspflichten aus, weil die Parteien keine Nachbarn seien: „Das Eingreifen einer Duldungspflicht nach § 906 Abs. 2 S. 1 BGB – wie auch einer solchen nach § 906 Abs. 1 BGB, die oben bereits aus anderen Gründen verneint worden ist – ist zu verneinen, weil es an der erforderlichen Nähe zwischen dem Emittenten und dem von der Immission (möglicherweise) betroffenen Grundstück fehlt“ (S. 70 des Urteilsumdrucks, siehe auch S. 71: „Die Parteien sind keine Nachbarn im immissionsschutzrechtlichen Sinne”). Plastisch gesagt: Die Beteiligten wohnen an ganz unterschiedlichen Rändern der globalen Dorfwiese, und deshalb ist der Kläger so weit von der Beklagten entfernt, dass deren Rechte nicht bis zu ihm reichen. Mag sein, dass sich das mit Rechtsprechung und Lehre begründen lässt, aber ist es richtig? Der Senat hält die Wiese immerhin für klein genug, dass der Rauch vom Lagerfeuer der Beklagten den Kläger stört. Wenn eine juristische Ursachenkette um die halbe Welt reichen kann, warum dann nicht auch die Duldungspflicht? Wenn man peruanisches Eigentum gegen inländische Genehmigungen in Stellung bringen kann, warum dann nicht auch inländische Duldungspflichten gegen peruanisches Eigentum? Nota bene: Der Kläger wäre dann nicht rechtlos gestellt, der Streit dreht sich darum, ob er einen Unterlassungsanspruch hat.

Das verwaltungsrechtliche Schrifttum meint, dass Nachbar jeder ist, den die Anlagenwirkungen qualifiziert betreffen,7) und der Kläger behauptet gerade eine individuelle störende Kausalbeziehung zur Beklagten. Auf solche Störungsbeziehungen sind die Duldungspflichten zugeschnitten. Dass das eine prinzipiell weiterreicht als das andere, ist daher nicht evident. Das Oberlandesgericht sieht den Differenzierungsgrund in Besonderheiten des Falles: „Die (mögliche) Betroffenheit des klägerischen Grundstücks hat nichts mit der räumlichen Lage der Grundstücke der Parteien zueinander zu tun, sondern ist allein dadurch begründet, dass das Klägergrundstück besonders exponiert unterhalb eines Gletschers und eines Gletschersees liegt“ (S. 71 f. des Urteilsumdrucks). Nur widerlegt das nicht, dass der Kläger eine besondere Störungskausalkette dulden und einen – nach seinem Vorbringen – Beitrag von 0,38 % zu einem komplexen Zusammenspiel anderer Störungsquellen hinnehmen muss. Die Störung knüpft das Oberlandesgericht ja auch nicht an räumliche Nähe.

Fazit

Das Oberlandesgericht hat eine komplizierte dogmatische Konstruktion mit Hintertür („besonders exponiert“) gebildet, die Fragen offenlässt. Das könnte die Kausalität zum Schlachtfeld des Umweltzivilrechts machen, einschließlich Diskussionen zum Beweismaß und dem Wunsch nach großzügiger richterlicher Schätzung.8) Der Beobachter ahnt: Das war kein erfolgreiches Scheitern, sondern führt in kleinteilige Einzelstreitigkeiten mit unscharfen Maßstäben. Auch dafür ist das Urteil Beleg.

Natürlich ist der Fall kaum befriedigend zu lösen. Aber es ist kein Zufall, dass öffentlich-rechtliche Genehmigungsverfahren für technische Großanlagen aufwändig sind. Zivilrechtliches Anspruchsdenken in Zweipersonenverhältnissen ist konzeptionell damit überfordert, globale Komplexität zu erfassen, weil die Reduktion einer vielschichtigen Realität in einen epischen Erzählstrang nur um den Preis zu haben ist, vieles auszublenden.

Natürlich kann man die Frage stellen, ob es richtig wäre, wenn deutsche Behörden den Kläger in Peru einer Gefahr aussetzten. Die erste Antwort darauf lautet, dass sie das (gerichtlich festgestellt) nicht getan haben. Die zweite und allgemeinere heißt, dass dies vielleicht ein Problem sein könnte, aber keines des Zivilrechts.

References

References
1 BGH, Urteil vom 16.1.2015 – V ZR 110/14, NJW 2015, 2023: Der eine Mieter qualmt den anderen von Balkon zu Balkon mit gesundheitsschädlichem Zigarettenrauch voll.
2 BGH, Urteil vom 17.9. 2004 – V ZR 230/03, BGHZ 160, 232: Durch Rodung einiger Bäume verlieren andere ihre Standsicherheit und drohen auf das Nachbargrundstück zu stürzen.
3 So der Fall von OLG Schleswig, Urteil vom 10.11.2021 – 9 U 15/20, BeckRS 2021, 44869.
4 Jarass, BImSchG, 15. Aufl. 2024, § 14 Rn. 9; Rehbinder; in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 106. Ergänzungslieferung Januar 2025, § 14 BImSchG Rn. 31; Giesberts, in: ders./Reinhard, BeckOK Umweltrecht, 74. Edition Stand 01.04.2025, § 14 BImSchG Rn. 14.
5 Urteil vom 10.12.1987 – III ZR 220/86, BGHZ 102, 350.
6 Jarass, BImSchG, 15. Aufl. 2024, § 14 Rn. 11a; Rehbinder; in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 106. Ergänzungslieferung Januar 2025, § 14 BImSchG Rn. 39a.
7 Giesberts, in: ders./Reinhard, BeckOK Umweltrecht, 74. Edition Stand 01.04.2025, § 14 BImSchG Rn. 15.
8 Gründlich dazu: Fischer, Kausalität im Klimaschutz. Zur Individualzurechnung von Klimafolgen an Unternehmen, 2024.

SUGGESTED CITATION  Neupert, Michael: Kein Problem des Zivilrechts: Warum das Klimaurteil des OLG Hamm dogmatisch nicht überzeugen kann, VerfBlog, 2025/6/12, https://verfassungsblog.de/klimafolgen-peru-olg-hamm/, DOI: 10.59704/a330a46cdde45a73.

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