Maß für Maaßen
Prozessvertretung der AfD durch die Sozietät des ehemaligen BfV-Präsidenten?
Die Komödie Maß für Maß von William Shakespeare berichtet vom angeblichen Sittenverfall in Wien. Zur Zeit der Handlung wird die Stadt, in einer vom Verlauf der Geschichte ironisch gefärbten Umkehrung späterer Verhältnisse, von einem italienischen Herzog beherrscht, der das Treiben seiner Regenten (alles Männer) mit zunehmender Sorge betrachtet. Um gegenzusteuern, setzt er ein Verwirrspiel ohnegleichen in Gang. Ein nächtlicher Rollentausch offenbart die Korruption des Statthalters in ihrer ganzen Breite.
Ein Rollentausch anderer Art vollzieht sich derzeit im Westen der Republik, der über den Zustand von Teilen der Anwaltschaft nichts Gutes verheißt. Wie LTO und andere Medien berichtet haben, klagt die AfD vor dem VG Köln gegen ihre drohende Einstufung als Verdachtsfall durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Eine weitere Klage des Brandenburger Landesverbands ist vor dem VG Potsdam anhängig. Beide sind mit Anträgen auf einstweiligen Rechtsschutz verbunden.
Soweit scheinen die Rollen klar verteilt. Interessant wird es erst, wenn Jung & Naiv in der Bundespressekonferenz darauf hinweist, dass die AfD in dem Kölner Verfahren von der Kanzlei Höcker vertreten wird. Diese Kanzlei führt den ehemaligen Präsidenten des BfV, Hans-Georg Maaßen, ausweislich ihrer Website als „Of Counsel“. Wir erinnern uns: Maaßen wollte während seiner Amtszeit die AfD noch nicht einmal als „Prüffall“ einstufen – die an § 4 Abs. 1 S. 3 BVerfSchG angelehnte Vorstufe zu dem jetzt in Frage stehenden „Verdachtsfall“ gem. § 3 Abs. 1 BVerfSchG. Dennoch oder gerade deswegen unterhielt Maaßen in seiner amtlichen Funktion Kontakte zu AfD-Politiker*innen.
Nun untersagt es § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO den Rechtsanwälten, in einer „Rechtssache“ tätig zu werden, in der sie als Angehörige des öffentlichen Diensts bereits tätig geworden sind; dieses Verbot erstreckt § 45 Abs. 3 BRAO auf mit dem Rechtsanwalt „zur gemeinschaftlichen Berufsausübung verbundene” Rechtsanwälte. Somit stellen sich zwei Fragen. Erstens: War Maaßen mit der Rechtssache „Verdachtsfall AfD“ während seiner Zeit am BfV befasst? Zweitens: Trifft § 45 Abs. 3 BRAO auf einen Of-Counsel einer Sozietät zu?
Die zweite Frage lässt sich eindeutiger beantworten. Im Juli 2020 entschied der BGH, dass ein Of-Counsel unter § 45 Abs. 3 BRAO fällt. Bei Of-Counsel handelt es sich normalerweise um Persönlichkeiten, die man als „elder statesmen“ oder „stateswomen“ ihres jeweiligen Rechtsgebiets bezeichnen könnte. Gerne geben emeritierte Hochschullehrer*innen oder pensionierte Spitzenbeamt*innen auf diese Weise ihr Wissen weiter. Sie wollen oder können nicht hauptberuflich als Sozien der Kanzlei tätig sein, sondern arbeiten lediglich aufgrund eines Rahmenvertrags in einzelnen Fällen mit der Kanzlei zusammen. Die Kanzlei führt sie denn auch gerne auf ihrer Website auf, ist schließlich gut für’s Geschäft. Dieser Werbeeffekt überzeugte auch den BGH. Denn der Vorschrift des § 45 BRAO geht es auch um die Wahrnehmung der Anwaltschaft in der Bevölkerung. Die Sozietät muss sich daher gem. § 45 Abs. 3 BRAO auch die berufliche Tätigkeit ihrer Of-Counsel zurechnen lassen.
Die erste Frage ist kniffliger. Der Begriff der Rechtssache ist zwar weit zu verstehen. Er bezieht sich nach der Rechtsprechung nicht auf ein konkretes Verfahren, sondern auf einen Lebenssachverhalt, der nach der Verkehrsanschauung als zusammenhängende Einheit gesehen wird. Gerade in Zusammenhang mit § 45 BRAO leuchtet eine solche weite Auslegung ein, denn § 45 BRAO soll ja das Abgleiten der Anwaltschaft in ein Shakespeare’sches Sündenbabel verhindern. Er lässt sich durchaus mit Befangenheitsregeln vergleichen, bei denen auch der Anschein den Ausschlag gibt. Eines konkreten Interessenskonflikts bedarf es nicht.
Fraglich ist aber, ob Maaßen in der im Raum stehenden Rechtssache tätig wurde. Hier geht es vor allem um seine notorischen Politikerkontakte. Ob dies als Tätigwerden in einer Rechtssache zu werten ist, hängt zunächst davon ab, wie man den Lebenssachverhalt genau abgrenzt. Man könnte ihn als „Lebenssachverhalt Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz“ bezeichnen. Dieser Lebenssachverhalt beginnt lange, bevor die eigentliche Beobachtung anfängt, die AfD also zum Verdachtsfall eingestuft wird. Denn dies erfolgt ja erst anhand einer Vorprüfung, die nahtlos in die Einstufung als Sachverhalt übergeht. Könnte die Kanzlei sich aber darauf berufen, dass ihr Of-Counsel Maaßen sich mit AfD-Vertretern traf, als die AfD noch nicht einmal zum Prüffall eingestuft wurde? Drei Argumente sprechen dagegen. Erstens definiert das Gesetz den Prüffall gar nicht genau. § 4 Abs. 1 S. 3 BVerfSchG spricht nur vom „Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte“ für verfassungsfeindliche Bestrebungen, die es vor Einleitung eines Verdachtsfalls zu ermitteln gilt. „Prüffall“ ist eine rein interne Kategorie des BfV. Diese interne Kategorisierung kann aber nicht die Auslegung von § 45 BRAO bestimmen. Zweitens spricht die Ratio des § 45 BRAO gerade dafür, insoweit recht großzügig zu verfahren. Auch der Einstufung als „Prüffall“ muss denknotwendig eine Vorprüfung informeller Art vorausgehen. Eine Rechtssache erfordert nicht unbedingt eine Akte, es geht ja um einen Lebenssachverhalt. Auch in dieser Vorphase können Interessenkonflikte entstehen, die § 45 BRAO verhindern will.
Natürlich bedeutet dies nicht, dass Maaßen schon amtlich mit der Rechtssache „AfD-Beobachtung“ befasst ist, wenn er in seiner Dienstzeit einen Zeitungsbericht über die Partei liest. Es steht aber, drittens, zu vermuten an, dass die Politiker*innenkontakte durchaus die Frage der Verfassungstreue der AfD zum Gegenstand hatten und damit in Kontinuität zu der nunmehr kolportierten Einstufung als Verdachtsfall stehen. Zwar ließ sich das BfV in einem vom Tagesspiegel angestrengten Verfahren vor dem OVG NRW Anfang 2019 dahingehend ein, dass die Gespräche von Maaßen mit AfD-Vertretern nur der Vertrauensbildung zwischen BfV und Parlament gedient hätten. Anderen Berichten und auch einer eidesstattlichen Versicherung zufolge hat Maaßen aber Frauke Petry den Ausschluss von Björn Höcke empfohlen, um eine Beobachtung zu verhindern. Bewiesen ist das nicht, jedoch musste das BfV auf das Urteil des OVG hin gestehen, dass auch Verbindungen der AfD ins rechtsextreme Milieu Gegenstand der Unterredungen zwischen Maaßen und AfD-Funktionsträgern gewesen sind. Wenn das nicht die Frage der Verfassungstreue der AfD und damit auch ihrer möglichen Beobachtung berührt, was dann? Oder, um auf Shakespeare zurückzukommen: O, what may man within him hide, Though angel on the outward side!