15 March 2024

Memo an die Montagehalle

Zum Referentenentwurf einer Reform des WissZeitVG und verfassungskonformen Alternativen

Fast ein Jahr ist es her, dass das Eckpunktepapier zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) veröffentlicht und zu Recht scharf kritisiert wurde. Nun bestätigte ein Sprecher des BMBF, man beabsichtige, den Referentenentwurf einer Reform des WissZeitVG vom 6.6.2023 zeitnah im Kabinett zu beschließen und das parlamentarische Verfahren zu initiieren. Als wahrscheinlicher Termin wird der 27.3.2024 gehandelt. Laut Bundeswissenschaftsministerin Stark-Watzinger habe man sich innerhalb der Bundesregierung erfolgreich verständigt, doch scheint diese Tatsache selbst im eigenen Ministerium nicht unbestritten. Streit herrscht nicht nur im Ministerium: Politiker*innen der Ampel sind zu Recht unzufrieden. Der Referentenentwurf ist nicht geeignet, das Wissenschaftsbefristungsrecht auf verfassungs- und europarechtlich tragfähige Beine zu stellen und lässt dabei die Gelegenheit aus, die Tarifparteien für eine zukunftsfähige Wissenschaftslandschaft in die Pflicht zu nehmen.

Der politische Ruf nach Überarbeitung

Jedenfalls von einer Einigung innerhalb der Ampel-Koalition kann nicht gesprochen werden: Carolin Wagner (SPD) und Laura Kraft (Grüne) markierten umgehend dringenden Bedarf, die Reformvorschläge zur Postdoc-Phase zu überarbeiten. Denn Hauptkritikpunkt am Eckpunktepapier war damals, dass eine sachgrundlose Befristungsmöglichkeit von drei Jahren in der PostDoc-Phase keinen Anreiz bieten werde, unbefristete Stellen neben der Professur zu schaffen, also nur der Druck auf die Beschäftigten erhöht werde. Nach Auffassung der Parlamentarier*innen drohe diese Gefahr erst recht für die im Referentenentwurf vorgesehenen vier Jahre Höchstbefristungsdauer.

Mit dieser Einschätzung sind sie nicht allein. Sowohl die Gewerkschaften als auch Vertreter*innen des akademischen Mittelbaus wie der Professor*innen für Hanna forderten signifikante Veränderungen. Andernfalls drohten sich die Arbeitsbedingungen weiter zu verschlechtern und die hochqualifizierte Zukunft des Wissenschaftsstandorts Deutschland abzuwandern.

Dass der Referentenentwurf auf dieser Grundlage ohne Änderungen in das parlamentarische Verfahren eingebracht werden soll, überrascht in zweierlei Hinsicht: Nach dem Scheitern des Eckpunktepapiers war aus dem BMBF zu vernehmen, man strebe eine neue geteilte Vision an. Ein Entwurf, der von nahezu allen angehörten Fachverbänden vehement abgelehnt wird, erfüllt diesen Anspruch evident nicht. Zugleich verletzt der Vorgang eine interne Vorgabe der Ampel-Koalition, die sie sich als Lehre aus dem Gebäudeenergiegesetz-Debakel gegeben hat: keine ungeeinten Gesetzesvorhaben ins Parlament zu geben.

Der verfassungsrechtliche Ruf nach Überarbeitung

Warum die Bundesregierung gerade für diesen Reformentwurf bereit ist, mit eigenen Vorsätzen zu brechen, bleibt angesichts der gravierenden Abweichungen der Neukonzeption des Wissenschaftsbefristungsrechts von den Zielsetzungen im Koalitionsvertrag (Neue Richter 2023, S. 2 ff.) fraglich. Diese Diskrepanz lässt durchblicken, dass die Reform die verfassungs- und europarechtlich gebotene Senkung der Befristungsquote in der Wissenschaft nicht anstrebt. Zwar ist Sonderbefristungsrecht zur Qualifizierung von Akademiker*innen nach dem Studienabschluss dem Grunde nach zulässig, doch muss ein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem Befristungsgrund Qualifizierung und der Vertragslaufzeit sichergestellt werden, wozu das WissZeitVG bisher nicht imstande ist. Eine im Sinne des effet utile-Grundsatzes effektive Umsetzung der Befristungsrahmenrichtlinie ist nur gewährleistet, wenn das unbefristete Arbeitsverhältnis auch in der Wissenschaft wieder das Normalarbeitsverhältnis wird. Dazu müssen strukturierte Karrierewege hin zur unbefristeten Beschäftigung auch im akademischen Mittelbau etabliert werden. Der Referentenentwurf kehrt auch für die Phase nach der Promotion nicht vom Prinzip sachgrundloser Befristung ab. Die vorgesehene Höchstbefristungsdauer von bis zu vier Jahren ohne weitere sachliche Begrenzung, insbesondere ohne den ausgeuferten Qualifizierungsbegriff des Bundesarbeitsgerichts einzuhegen, wird weiteren Befristungsmissbrauch an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen nicht verhindern. Der Zeitraum ist zu lang, um Druck auf die Arbeitgeber auszuüben, unbefristete Stellen zu schaffen (so schon hier und hier). Zugleich wird die Verkürzung der Höchstbefristungsdauer von bisher sechs auf vier Jahre den Leistungsdruck erhöhen, dem PostDocs schon heute ausgesetzt sind – ohne dass sie dabei ein klar erkennbares Leistungsziel verfolgen können, das ihnen einen unbefristeten Arbeitsvertrag als Krönung eines strukturierten Karrierewegs sichert. Es ist zu erwarten, dass die in § 2 Abs. 1a WissZeitVG-E normierte Anschlusszusage ins Leere laufen wird, weil die Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen keine unbefristeten Stellen schaffen, sondern das Arbeitsaufkommen weiter mit vier Jahre lang sachgrundlos befristeten PostDocs abdecken werden. Nachdem in zwei Jahren keine wesentlichen akademischen (Publikations-)Leistungen erwartet werden können, ist § 2 Abs. 1a WissZeitVG-E als Instrument zur Selektion langfristig für die Wissenschaft geeigneter Beschäftigter ersichtlich ungeeignet (Neue Richter 2023, S. 7 ff.). Unterm Strich: Der Referentenentwurf lässt keine Neuerungen erwarten, die geeignet wären, verfassungskonforme Beschäftigungsbedingungen in der deutschen Wissenschaft zu schaffen.

Der Ruf nach den Tarifparteien

Wo politischer Raum für Änderungen im parlamentarischen Verfahren besteht, deutet das Zuleitungsschreiben des BMBF an das Kabinett an: Denkbar wäre, die Tarifsperre des § 1 Abs. 1 S. 2, 3 WissZeitVG teilweise aufzuweichen. Der Referentenentwurf sieht bisher nur geringfügige Regelungsmöglichkeiten der Tarifvertragsparteien vor (Neue Richter 2023, S. 13). Im aktuellen Klima scheint eine tarifautonome Bestimmung der zulässigen Höchstbefristungsdauer in der PostDoc-Phase jedoch politisch möglich. Sofern den Tarifparteien allerdings auch insoweit nur eine marginale Regelungsmacht (etwa die Verlängerung oder Absenkung der Höchstbefristungsdauer um ein Jahr, wie bei der Mindestdauer von Erstverträgen) eingeräumt wird, ist keine wesentliche Besserung zu erwarten. Die Gewerkschaften werden kaum willens und in der Lage sein, Beschäftigte für den Arbeitskampf zu gewinnen, wenn sich dadurch ihre Arbeitsbedingungen erwartbar weiter verschlechtern (drei Jahre) oder der Arbeitgeberseite weitergehende Befugnisse zur Befristung eingeräumt werden sollen (fünf Jahre). Will der Gesetzgeber den Tarifvertragsparteien die Regelungsmacht zurückgeben, die ihnen § 1 Abs. 1 S. 2, 3 WissZeitVG in Abweichung vom Regelfall des Arbeitsrechts als Mindestarbeitnehmerschutz nimmt, dann sollte er sie umfassend rücküberantworten. Nur dann sind die Tarifvertragsparteien in der Lage, einen umfassenden Kompromiss hinsichtlich der Beschäftigungsbedingungen zu schmieden.

Die Tarifvertragsparteien könnten dazu nicht nur an der Schraube der Höchstbefristungsdauer drehen. Vielmehr könnten sie auch Zeitdauer und Modalitäten der Anschlusszusage bestimmen. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat mit dem Dresdner Entwurf eines Wissenschaftsentfristungsgesetzes bereits einen Vorschlag vorgelegt. Weiterhin wäre denkbar, dass die Tarifvertragsparteien eine Befristungshöchstquote festsetzen (Neue Richter 2023, S. 19). Dieses auch nach Auffassung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages verfassungskonforme Instrument verhinderte den Missbrauch von sachgrundlosen Befristungsmöglichkeiten, die zur Orientierung vorgesehen sind und den Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt erleichtern sollen. Die Quote ließe sich schrittweise anpassen und könnte damit einen bruchlosen Übergang vom aktuellen unsicheren Terrain zu einer beschäftigtenfreundlichen Wissenschaftslandschaft sicherstellen.

Der Vorzug einer tarifvertraglichen Regelung ist: Die sachnahen Tarifpartner könnten einfacher als der Gesetzgeber differenzierte Regelungen für verschiedene Fachgebiete treffen und damit unterschiedlichen Fächerkulturen Rechnung tragen. Denkbar wäre etwa, die Laufzeit der Entwicklungsphase der Anschlusszusage mit konkreten Leistungszielen nur in denjenigen Fachgebieten zu verlängern, die noch heute die Habilitation zur Berufung auf eine Professur voraussetzen (Neue Richter 2023, S. 8). Darüber hinaus wäre es so möglich, Befristungshöchstquoten nicht nur für den Arbeitgeber (regelmäßig die Länder), sondern zielgenau für einzelne Hochschulen und Forschungseinrichtungen festsetzen. So können schließlich auch strukturelle Unterschiede zwischen außeruniversitären und universitären Forschungseinrichtungen adressiert werden.

Damit die Tarifvertragsparteien für eine faktische Absenkung der europarechtswidrig hohen Befristungsquote von mindestens 85 % der PostDocs bis 42 Jahren in der deutschen Wissenschaft sorgen können, muss ihnen jedoch nicht nur die notwendige Regelungskompetenz zurückgegeben werden. Die Gewerkschaften müssen auch ihre Kampffähigkeit beweisen. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz: Ist ein Arbeitsmarkt von atypischer, besonders befristeter Beschäftigung geprägt, sinkt der Organisationsgrad signifikant. Hochgebildete sind tendenziell seltener Gewerkschaftsmitglieder. Im Bereich der Wissenschaft schränkt das Wissenschaftszeitrecht schließlich die tarifvertraglichen Regelungsmöglichkeiten (bisher) derart signifikant ein, dass ein Streik um wesentliche Kampfziele der Arbeitnehmer*innen ausgeschlossen ist. Welche Arbeitnehmer*innen riskieren ihre berufliche und wissenschaftliche Zukunft schon für Nebensächlichkeiten?

In Großbritannien beweist die Gewerkschaft UCU seit 2018, dass bessere Beschäftigungsbedingungen durch Arbeitskampf möglich sind. Die Absolutzahl unbefristeter Beschäftigter steigt dort an den meisten Hochschulen kontinuierlich, während die Befristungsquote sinkt. Die Öffnung der Tarifsperre des § 1 Abs. 1 S. 2, 3 WissZeitVG könnte auch den deutschen Gewerkschaften den nötigen Rückenwind verleihen, um als ernstzunehmende Verhandlungspartner mit der Tarifgemeinschaft deutscher Länder um eine zukunftsfähige deutsche Wissenschaftslandschaft zu ringen.


SUGGESTED CITATION  Pschorr, Simon: Memo an die Montagehalle: Zum Referentenentwurf einer Reform des WissZeitVG und verfassungskonformen Alternativen, VerfBlog, 2024/3/15, https://verfassungsblog.de/memo-an-die-montagehalle/, DOI: 10.59704/735333c33ad091f5.

Leave A Comment

WRITE A COMMENT

1. We welcome your comments but you do so as our guest. Please note that we will exercise our property rights to make sure that Verfassungsblog remains a safe and attractive place for everyone. Your comment will not appear immediately but will be moderated by us. Just as with posts, we make a choice. That means not all submitted comments will be published.

2. We expect comments to be matter-of-fact, on-topic and free of sarcasm, innuendo and ad personam arguments.

3. Racist, sexist and otherwise discriminatory comments will not be published.

4. Comments under pseudonym are allowed but a valid email address is obligatory. The use of more than one pseudonym is not allowed.




Explore posts related to this:
Arbeitsrecht, Tarifautonomie, Wissenschaftszeitvertragsgesetz


Other posts about this region:
Deutschland