Muss sich Daimler in den USA für Verbrechen in Argentinien verantworten?
Diese Frage wird zur Stunde vor dem US Supreme Court verhandelt. Sie wäre schon spannend genug, wenn es dabei nur um den guten Stern auf allen Straßen ginge, unsere wackeren Mercedesbauer aus Stuttgart-Untertürkheim. Es geht aber um viel mehr.
Hintergrund des Falls ist die Zeit der Militärdiktatur in Argentinien in den 70er Jahren. Dort wurden, neben Tausenden anderer Opfer, auch eine Reihe von kritischen Gewerkschaftlern und Betriebsräten verhaftet und ermordet, die in einem Mercedes-Werk in der Nähe von Buenos Aires gearbeitet hatten. Das Mercedes-Management wird beschuldigt, dabei maßgeblich seine Finger mit im Spiel gehabt zu haben: Den Klägern zufolge habe das Management der Polizei gesagt, wen aus der Belegschaft man für “Agitatoren” oder “Subversive” halte, und das im Wissen, dass diese anschließend entführt, gefoltert und ermordet werden würden. Den örtlichen Polizeichef, der für die Verhaftungen zuständig war, stellte Mercedes hinterher sogar als Sicherheitschef an und bezahlte ihm den Anwalt, als er wegen Menschenrechtsverletzungen verklagt wurde.
Die verschwundenen Arbeiter von Mercedes Benz from PARKAFILM.CC on Vimeo.
Diese Vorwürfe sind bislang noch nicht gerichtlich aufgearbeitet. Die deutschen Strafverfolgungsbehörden haben die Ermittlungen eingestellt. Zivilklagen sind aussichtslos, weil nach deutschem IPR argentinisches Recht anwendbar wäre, wonach die Klagen verjährt sind, und überdies die Beweishürden unüberwindbar hoch sind.
Deshalb haben 22 Angehörige verschwundener Ex-Mercedes-Mitarbeiter 2004 in den USA gegen die DaimlerChrysler AG geklagt.
Im Mittelpunkt des Verfahrens steht die Frage, ob überhaupt Argentinier wegen eines Verbrechens in Argentinien einen deutschen Konzern ausgerechnet in San Francisco verklagen können. 2011 entschied das Berufungsgericht für Nordkalifornien, dass das tatsächlich geht: Daimler habe ein amerikanisches Tochterunternehmen, das mit der Konzernmutter faktisch ein und die selbe Person sei. Damit sei die Daimler AG nicht als ausländisches Unternehmen zu betrachten, dessen Missetaten die kalifornische Justiz nichts angehen. Wenn man weder in Argentinien noch in Deutschland sein Recht bekommen könne, dann sei insoweit der Weg zur US-Justiz offen.
Das halten die Daimler-Anwälte für verfassungswidrig: Mercedes-Benz USA sei gesellschaftsrechtlich ein vollkommen anderes Unternehmen als die Daimler AG aus Stuttgart. Die Jurisdiktion der US-Gerichte so weit zu ziehen, dass die Existenz der einen zu der Verklagbarkeit der anderen führe, mache das Recht unberechenbar und sei daher mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens (due process) unvereinbar.
Außerdem, so mahnen die Daimler-Vertreter, hätte es verheerende Folgen für alle internationalen Konzerne, wenn das kalifornische Urteil so stehenbliebe. Jeder Konzern mit einer US-Tochter könnte für alles, was er irgendwo auf der Welt irgendjemandem antut, in den USA verklagt werden. Jeder Patentstreit, jede Verbraucherklage, jede Zankerei wegen unlauteren Wettbewerbs von Malaysia bis Madagaskar würde plötzlich zum potenziellen Gegenstand eines kalifornischen Gerichtsverfahrens. Und schlimmer noch: Andere Staaten könnten zurückschlagen und entsprechend auch US-Konzerne vor ihren schmuddeligen Gerichten verklagbar machen!
Dem Supreme Court hat diese Argumentation immerhin so weit eingeleuchtet, dass er sich entschlossen hat, diesen Fall zu entscheiden. Das dürfte mit dem vor wenigen Monaten ergangenen Urteil Kiobel zu tun haben: Darin hatte der Supreme Court den Ölriesen Royal Dutch davor bewahrt, von Opfern seiner Untaten im Nigerdelta vor einem US-Justiz belangt zu werden: Der Fall habe überhaupt nichts mit den USA zu tun, und dass Royal Dutch in den USA auch irgendwie präsent sei, reiche nicht aus, um eine Zuständigkeit der US-Gerichte zu begründen.
Mein Zutrauen in die Erreichbarkeit der konservativen Richtermehrheit am Supreme Court für Argumente reicht nicht so weit, dass ich optimistisch wäre, dass sie im Fall Daimler am Ende zu einem wesentlich anderen Schluss kommen. Immerhin: Marco Simons prognostiziert bei Concurring Opinions, dass die Richter, wenn sie den Daimler-Anwälten folgen und ein verfassungsmäßig verbürgtes Recht für Konzernmütter anerkennen, nicht mit ihren Konzerntöchtern identifiziert zu werden, allerhand Folgen auslösen würden, die gerade den Konservativen nicht recht sein dürften. Eine solche Konstitutionalisierung des Gesellschaftsrechts ginge auf Kosten der Bundesstaaten. Außerdem könnten dann alle US-Unternehmen ihre Konzernsitze auf die Virgin Islands verlegen und wären so der Kontrolle der US-Justiz effektiv entzogen.
Update: Laut SCOTUS-Blog hat so gut wie die gesamte Richterbank erkennen lassen, dass sie das Urteil des kalifornischen Berufungsgerichts kassieren will.
Das Transkript der Verhandlung findet sich hier.
Wir sind ja alle für die Menschenrechte und dafür, dass Unrecht nicht gedeiht. Trotzdem verstehe ich den Anfang des letzten Absatzes vor dem Update nicht so ganz. Der klingt so, als gäbe es Argumente nur für eine Seite. Ist es – gerade auch aus außeramerikanischer Sicht – wirklich wünschenswert, dass staatliche Gerichte jeden noch so vagen Anhaltspunkt nutzen können, um das Elend der Welt als Frage des nationalen Rechts zu verhandeln? Und warum ausgerechnet bzw. nur in den USA? Mir persönlich wäre ja eine Aufarbeitung nach deutschem oder französischem oder Schweizer oder koreanischem Recht viel lieber. Andere würden vielleicht russisches oder chinesisches Recht bevorzugen. Also auf in den Wettbewerb der Gerichtsstandorte um das attraktivste Deliktsrecht?
Nein, natürlich gibt es gute Argumente auch für die andere Seite, keine Frage. Das wäre ja auch noch schöner, wenn das eine ganz glasklare und einfache Sache wäre. Die Formulierung bezieht sich auf meinen Zweifel, ob man die konservative Seite der Richterbank mit Argumenten, die für die Sichtweise des Ninth Circuit sprechen, überhaupt erreichen kann.
Ich hab hier keinen ausgearbeiteten Plan, was die beste globale Gerichtsstandlösung für Menschenrechtsverfahren wäre. Aber Weltkonzerne, die ihr gesellschaftsrechtliches Setup aufs Ausgefuchsteste entlang der steuer- und kapitalmarktrechtlichen Differenzen der nationalen Rechtsordnungen optimieren, können auf mein Mitleid nur sehr bedingt zählen, wenn sie sich über die Entsetzlichkeit des menschenrechtlichen Forum-Shopping beklagen.