Netzsperren durch die CUII
Private Rechtsdurchsetzung zulasten der Grundrechte Dritter
Statt eines unabhängigen Gerichts entscheidet künftig die „Clearingstelle Urheberrecht im Internet“ (CUII) als Selbstregulierungsgremium marktmächtiger Verbände der Unterhaltungsbranche sowie aller großen deutschen Internetprovider, ob bestimmte Webseiten im Internet erreicht werden können oder nicht. Diese privaten Netzsperren ohne Gerichtsbeschluss höhlen rechtsstaatliche Prinzipien aus und berauben betroffene Dritte eines effektiven Grundrechtsschutzes. Webseitensperrungen sind zu Recht immer wieder Gegenstand komplexer gerichtlicher Auseinandersetzungen, da sie die Rechte ganz verschiedener Akteur:innen betreffen. Entscheidungen, die den freien Informationsfluss im Netz beschränken, gehören deshalb nicht in private Hände.
Grundrechtsschutz im gerichtlichen Verfahren
„Meinungsfreiheit ist ein Dreieck“, konstatiert der amerikanische Jurist Jack Balkin in einem einflussreichen Aufsatz, der die Einbeziehung privater Internetunternehmen in die Rechtsdurchsetzung beschreibt. Demnach ist der Schutz der Kommunikationsgrundrechte im Internetzeitalter nicht mehr durch eine bloße Betrachtung des Verhältnisses zwischen Staat und Individuum sicherzustellen.
Für Auseinandersetzungen um Netzsperren zur Durchsetzung des Urheberrechts ist auch das Bild des Dreiecks noch grob vereinfacht: Betroffen sind neben Staat und individuellen Internetnutzer:innen die Rechteinhaber:innen, die Telekommunikationsunternehmen, die Netzsperren vornehmen können, und die Betreiber:innen der betroffenen Webseiten. Bereits in ordentlichen Gerichtsverfahren ist es nicht immer leicht, alle diese Ansprüche angemessen zu würdigen, da nicht alle Beteiligten auch Partei der jeweiligen Gerichtsverfahren sind und ihre Anliegen deshalb nicht immer vorbringen können. Immerhin sind die Gerichte aber verpflichtet, die Grundrechte aller Betroffenen in ihren Entscheidungen zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen. Internetnutzer:innen und Webseitenbetreiber:innen haben zumindest über das Instrument der Nebenintervention die Möglichkeit, in gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen Rechteinhaber:innen und Internetprovidern rechtliches Gehör zu erhalten. So lange Internetprovider auf einen Gerichtsbeschluss bestanden haben, ehe sie Netzsperren verhängten, haben sie also nicht nur ihre eigenen Grundrechte verteidigt, sondern auch die ihrer Kund:innen.
Private Netzsperren ohne Grundrechtsabwägung
Doch damit ist es jetzt vorbei, zumindest soweit es um urheberrechtliche Ansprüche geht. Mit der „Clearingstelle Urheberrecht im Internet“ (CUII) bestimmt nun eine private Initiative aller namhaften Internetzugangsanbieter gemeinsam mit Verbänden der Unterhaltungsbranche über die Einrichtung von DNS-Sperren gegen „strukturell urheberrechtsverletzende Webseiten“. Weder ein Gerichtsbeschluss über die Verhältnismäßigkeit der Netzsperren, noch eine Einbeziehung der betroffenen Internetnutzer:innen ist in diesem Verfahren vorgesehen. Die Sperren basieren vielmehr auf Entscheidungen eines paritätisch von Unterhaltungsbranche und Internetprovidern besetzen Gremiums, als wären diese beiden Gruppen die einzigen Betroffenen der Sperren. Internetnutzer:innen können nach diesem Verfahren bestenfalls zivilrechtliche Ansprüche auf Grundlage ihrer Vertragsbeziehung mit dem Internetprovider gerichtlich geltend machen, aber diese Möglichkeit im Einzelfall ist für den Schutz der Grundrechte wenig aussichtsreich. Die in der CUII zusammengeschlossenen Verbände der Unterhaltungsbranche verpflichten sich, die Internetprovider bei der Abwehr solcher zivilrechtlichen Ansprüche zu unterstützen. Webseitenbetreiber:innen haben nicht einmal diese Möglichkeit und werden auf ein rein privat organisiertes Beschwerdeverfahren innerhalb der CUII verwiesen.
Eine Abwägung der Grundrechte von Internetnutzer:innen und Webseitenbetreiber:innen kann von diesem privaten Gremium sicher nicht vorgenommen werden. Doch genau dazu schickt sich die CUII an, indem sie in ihrem Verhaltenskodex erklärt, dass auch solche Webseiten gesperrt werden können, auf denen legale Inhalte wiedergegeben werden. Und zwar dann, „wenn es sich in Bezug auf das Gesamtverhältnis von rechtmäßigen zu rechtswidrigen Inhalten um eine nicht ins Gewicht fallende Größenordnung von legalen Inhalten handelt“ und „den Internetnutzern durch die Sperre der Webseite nicht unnötig die Möglichkeit vorenthalten wird, in rechtmäßiger Weise Zugang zu den verfügbaren Informationen zu erlangen“. Diese Formulierungen sind zwar an Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs orientiert, aber sie verschweigen, dass der Europäische Gerichtshof im Fall UPC Telekabel über die europarechtliche Zulässigkeit einer gerichtlichen Sperranordnung befunden hat und der Bundesgerichtshof in dem Urteil Störerhaftung des Access Providers die Notwendigkeit einer Abwägung aller betroffenen Grundrechte im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung vorausgesetzt hat, darunter die Informationsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung der Internetnutzer:innen.
Mit der Entscheidung, auch Webseiten mittels des CUII-Verfahrens zu sperren, auf denen legale Inhalte abrufbar sind, will die CUII diese Grundrechtsabwägung also selbst vornehmen. Es liegt auf der Hand, dass die Unabhängigkeit eines privaten Gremiums, über deren Besetzung Rechteinhaberverbände und Internetzugangsanbieter gemeinsam entscheiden, und dessen Befähigung zur Abwägung der Grundrechte unbeteiligter Dritter, keineswegs mit der eines ordentlichen Gerichts vergleichbar ist. Das ändert sich auch nicht durch die Tatsache, dass pensionierte Richter des Bundesgerichtshofs an dieser fragwürdigen Konstruktion beteiligt sind, wie die CUII nicht müde wird zu betonen, ohne dabei Namen zu nennen. Zwar schreibt der CUII-Verhaltenskodex vor, dass die von Unterhaltungsbranche und Internetprovidern benannten Prüfer:innen die Befähigung zum Richteramt vorweisen müssen. Diese zweifelsohne wichtige Kompetenz ist aber bei Weitem nicht die einzige Komponente eines rechtsstaatlichen Verfahrens. Es kommt deshalb auch nicht von Ungefähr, dass die europarechtlichen Grundlagen für Netzsperren zur Durchsetzung des Urheberrechts stets eine gerichtliche Anordnung verlangen (Art. 11 IPRED sowie Art. 8 Abs. 3 InfoSoc-RL).
Europarechtliche Zweifel an Netzsperren
Die deutsche Grundlage für die Netzsperren, § 7 Abs. 4 TMG, hält einen Richtervorbehalt nicht ausdrücklich fest. Allerdings erfordert eine europarechts- und grundrechtskonforme Auslegung eine richterliche Anordnung als Voraussetzung für die Durchführung einer Netzsperre, weil die vom Bundesgerichtshof vorausgesetzte Grundrechtsabwägung andernfalls nicht gewährleistet werden kann. Auch aus der Gesetzesbegründung der TMG-Novelle, die der Erleichterung des Betriebs freier WLAN-Angebote diente, geht klar hervor, dass der Gesetzgeber eine Konstruktion wie die CUII nicht vorgesehen hat. Vielmehr wollte er die gerichtliche oder zumindest behördliche Anordnung zur Voraussetzung für Netzsperren gegen Urheberrechtsverletzungen machen. Dort heißt es: „Danach sollen Rechtsinhaber eine Anordnung gegen Mittelspersonen beantragen können, deren Dienste von einem Dritten in Anspruch genommen wurden, um geistige Eigentumsrechte zu verletzen. Konkret schafft § 7 Abs. 4 TMG eine Anspruchsgrundlage für gerichtliche Anordnungen gegen einen Diensteanbieter […]. Der Anspruch ist auf ein aktives Tun gerichtet und unterscheidet sich dadurch klar von dem auf Unterlassung gerichteten Anspruch nach der sog. Störerhaftung.“
Aus dieser Begründung geht hervor, dass der Gesetzgeber hier – anders als bei der Störerhaftung – nicht von einer Konstellation ausgegangen ist, bei der der Internetprovider bereits eine Pflicht verletzt hat und ein Gericht nur noch feststellt, dass ein Anspruch auf Unterlassung berechtigt ist. Vielmehr wird dem Internetprovider durch gerichtliche Anordnung eine Pflicht auferlegt, die ohne die gerichtliche Anordnung nicht besteht. Konsequenterweise wird der Internetprovider auch von der Erstattung jeglicher vor- und außergerichtlicher Kosten befreit. Der Gesetzgeber betont darüber hinaus, dass bei Anwendung von § 7 Abs. 4 TMG stets eine Grundrechtsabwägung im Einzelfall zu erfolgen hat. Diese kann die CUII, die lediglich die Interessen von zwei der betroffenen Parteien vertritt, nicht vornehmen.
Fragwürdige Rolle der Bundesnetzagentur
Mit der CUII verzichten Internetprovider in einer privatrechtlichen Absprache mit Verbänden der Unterhaltungsbranche nicht nur auf die gerichtliche Abwägung ihrer eigenen Grundrechte, sondern der der betroffenen Webseitenbetreiber:innen und Internetnutzer:innen – ein Vertrag zulasten der Grundrechte Dritter. Die Bundesnetzagentur wird von der CUII zwar befragt, ob sie die jeweiligen Sperrungen für mit der Netzneutralität vereinbar hält. Die Behörde nimmt laut CUII-Verhaltenskodex allerdings lediglich formlos zu den Sperrentscheidungen Stellung und gibt gegenüber der Presse an, eine eingehende inhaltliche Prüfung der Sperrentscheidungen der CUII nur im Beschwerdefall vornehmen zu wollen. Es handelt sich bei den Sperrungen durch die CUII also auch nicht um Sperrungen auf behördliche Anordnung durch die Bundesnetzagentur.
Das ist insofern brisant, als Art. 3 Abs. 3 der EU-Netzneutralitätsverordnung DNS-Sperren verbietet, sofern sie nicht behördlich oder gerichtlich angeordnet wurden oder zur Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht notwendig sind. Diese Netzneutralitätsvorgabe dient nicht nur dem öffentlichen Interesse an einem freien Kommunikationsfluss, sondern auch den Rechten der betroffenen Webseitenbetreiber:innen, die keine vertragliche Beziehung zu den Internetprovidern haben und nur so vor willkürlichen Behinderungen ihrer Kommunikation mit Webseitennutzer:innen geschützt werden können. Setzt die Haftung nach § 7 Abs. 4 TMG eine gerichtliche oder zumindest behördliche Anordnung voraus, so wie es die Gesetzesbegründung und der Wortlaut des Art. 8 Abs. 3 InfoSoc-RL nahelegen, so fehlt der Sperrung von Webseiten durch die CUII die Rechtsgrundlage und die Sperrungen verstoßen somit gegen die Netzneutralitätsverordnung. Wenn § 7 Abs. 4 TMG keine behördliche oder gerichtliche Anordnung verlangt, bestehen erhebliche Zweifel an seiner europarechtlichen Zulässigkeit, da er die Vorgaben des Art. 8 Abs. 3 InfoSoc-RL zulasten der Grundrechte von Internetnutzer:innen und Webseitenbetreiber:innen unvollständig umsetzt.
Es ist erstaunlich, dass die Bundesnetzagentur keine Einwände gegen diese Konstruktion erhebt. Das ist wohl nur so zu erklären, dass Grundrechtsabwägungen in Urheberrechtsfragen nicht zu ihren Kompetenzen gehören. Das Bundeskartellamt mahnt zumindest die Gefahr eines kartellrechtswidrigen Boykotts an, wenn alle großen Internetprovider koordiniert Webseiten sperren, hat jedoch „im Rahmen seines Ermessens entschieden, im derzeitigen Stadium keine kartellrechtlichen Einwände zu erheben“. Die formlosen Briefwechsel zwischen CUII und Bundesnetzagentur hat die CUII ebenso wenig öffentlich gemacht wie ihre Absprachen mit dem Bundeskartellamt. Informationsfreiheitsanfragen an Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt könnten mehr Transparenz über die Gründlichkeit der behördlichen Prüfung dieses Konstrukts schaffen. Die erste Antwort des Bundekartellamts auf die Informationsfreiheitsanfrage lässt erkennen, dass zumindest ein kartellbehördliches Verwaltungsverfahren eingeleitet wurde. Leider ist aber damit zu rechnen, dass die an der CUII beteiligten Unternehmen und Verbände wie so oft mit Verweis auf fadenscheinige Gründe wie den Schutz von Geschäftsgeheimnissen einer Veröffentlichung dieser Unterlagen widersprechen werden. Ein weiterer Grund, weshalb die Übertragung hoheitlicher Aufgaben wie der Rechtsdurchsetzung an private Unternehmen eine Gefahr für die Grundrechte darstellt.
Ist doch eigentlich super – am Ende gewinnen alle Beteiligten mit Ausnahme der Rechteverwerterinnen. Die NutzerInnen wird das anhalten, ihre technischen Kompetenzen mit den denkbar einfachen Umgehungsstrategien dieser technisch wirkungslosen “Sperren” aufzufrischen, was der zunehmenden Zentralisierung der Netzinfrastruktur entgegenwirkt. Die CUII wird als bürokratische Verwaltungseinheit ein gerüttelt Maß an Trägheit in die Prozesse einführen und schließlich schanzt sich die Juristinnenkaste durch die wohlformulierten Personalanforderungen für die Prüfungsgremien weitere Jobs zu, die vermutlich nicht ganz schlecht bezahlt werden und zieht so weitere Gelder der Verwerter an sich, ohne damit einen messbaren Gegenwert zu fabrizieren.
/s
Es ist schon sehr schade das da alle Parteien quasi mitmachen oder schweigen (Mit Ausnahme der Piratenpartei). So bekommen wir dann immer mehr Einschränkungen unserer Grund und Freiheitsrechte ohne das es im Parlament eine effektive Opposition dagegen gibt !
Dann betreibt man eben mit einem Raspi und unbound/dnssec einen eigenen DNS-Server. Mache ich schon immer so und es gibt nix zum Schnüffeln. Alternativ kann man auch Smart-DNS oder ein VPN einsetzen.
Im Prinzip sägt die Cuii auf einem dünnen Ast ….
Ja, und 99,99% haben keine Ahnung, wovon du redest.
90% wissen schon nicht, was ein Raspi ist, und danach wird es ja erst richtig kompliziert…
Ich gehe mal davon aus, daß der Anteil derer unter den “Schwarz”kopierern, die wissen was sie tun sehr viel höher ist als unter der “Normal”bevölkerung und diese Klientel sehr genau weiß, wie man die DNS Sperren umgehen kann. Und genau deshalb ist die Maßnahme wirkungslos auf das angeblich verfolgte Ziel und dient letzendlich ganz anderen Zielen, nämlich die allgemeine Zensur soweit vorzubereiten und einzuführen, daß später beliebige unerwünschte Inhalte zensiert werden sollen.