NPD-Verbotsantrag: Karlsruhe fordert mehr Beweise
Wer befürchtet hatte, dass das kein gutes Ende nimmt mit dem erneuten Versuch der Landesinnenminister, die NPD in Karlsruhe verbieten zu lassen, hat heute neue Nahrung für seine Sorgen erhalten: Das Bundesverfassungsgericht hat einen Beschluss veröffentlicht, wonach der Zweite Senat genauere Belege dafür anfordert, dass diesmal wirklich keine von Polizei und Nachrichtendiensten gesteuerte Spitzel die Erkenntnislage über die Verfassungsfeindlichkeit der Partei verunreinigen. Es sieht so aus, als ob der Senat jedenfalls keine lockereren Maßstäbe anlegt als die dreiköpfige Richterminderheit, die 2003 das Verfahren zu Fall brachte.
Bis zum 15. Mai haben die Vertreter des Bundesrates jetzt Zeit, das Geforderte zu liefern. Das werden hektische Osterferien für die Antragsteller.
So fordert der Senat etwa eine Auskunft, ob das NPD-Parteiprogramm von 2010 und ihr strategisches Konzept aus dem Jahr 1997 als “quellenfrei” einzustufen ist – also als Beleg für die Verfassungsfeindlichkeit, von dem ausgeschlossen werden kann, dass V-Männer bei deren Zustandekommen ihre Hände im Spiel hatten. Von welchen die Partei aber damals noch wimmelte.
Der Senat will auch mehr Belege sehen, wie es mit der “Nachsorge” für die 2012 abgeschalteten V-Leute aussieht – also den informellen Kontakt, mit dem man sich die Leute noch warm hält, weil man sie ja vielleicht später immer noch mal brauchen kann.
Schließlich scheint sich der Senat um die prozessualen Rechte der NPD und ihres Vertreters Peter Richter zu sorgen: Wenn die ihre Prozessstrategie unter nachrichtendienstlicher Beobachtung entwickeln müsste, wäre es mit der Fairness des Prozesses nicht weit her. Der Senat gibt sich nicht mit der Versicherung zufrieden, dass keine nachrichtendienstlich erlangte Informationen über die Prozessstrategie erlangt und verwertet werden, sondern fordert Belege.
Keine Antwort habe ich einstweilen auf die Frage, warum der Senat dazu einen formellen Beschluss fasst und veröffentlicht, anstatt den Prozessvertretern des Bundesrats einfach einen Brief zu schreiben. Ich will da gar nichts hineingeheimnissen, vielleicht lässt sich das durch die prozessualen Besonderheiten des Vorverfahrens im Parteiverbotsverfahren leicht beantworten. Wer da Bescheid weiß unter den Prozessualist_innen in der Leserschaft: ich wäre um Belehrung dankbar.
Was das Verfahren selbst angeht: auch als jemand, der den Vorstoß der Landesinnenminister, nach dem unfassbaren NSU-Desaster auf verfassungsprozessualem Wege ihre Rechtsextremismus-Bekämpfungsweste sauber zu waschen, ohne viel Enthusiasmus betrachtet, wünsche ich mir doch nichts weniger, als dass dieser Versuch so kläglich scheitert wie 2003. Wir brauchen eine materielle Ansage aus Karlsruhe, was genau das Grundgesetz im Jahr 2015 – sechs Jahrzehnte nach seiner letzten Anwendung, unter Bedingungen einer gefestigten Demokratie und nach einer Reihe von eher restriktiven Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – mit dem Instrument des Parteiverbotsverfahrens im Sinn hat. Nicht unbedingt, um die NPD loszuwerden, die sich gottlob sowieso gerade in die Bedeutungslosigkeit zu verabschieden scheint. Sondern als Beitrag zu einer Selbstvergewisserung in diesen autokratischer werdenden Zeiten in Europa, woran man erkennt, ab wann man als freie, pluralistische Demokratie eine Partei mit Gewalt unterdrücken darf und soll.
Zum letzten Satz: Ich fürchte, das BVerfG wird sich darauf beschränken, etwas dazu zu sagen, ob eine Partei verboten werden darf – und nichts dazu, ob man soll. Das ist dem Opportunitätsprinzip geschuldet, von dem ja Bundestag und Bundesregierung im laufenden Verfahren Gebrauch gemacht haben.
Als NPD Anwalt würde ich jede Aussage des Verfassungsschutz in Frage stellen und darauf verweisen, dass der Verfassungsschutz im NSU Fall sehr schnell mit dem schreddern von Akten war. Und wie kann man ein rechtstaatlich sauberen Prozess führen, wenn die Behörde die ein Informationsmonopol besitzt sich nicht an Art 20 (3) GG hält?
” ab wann man als freie, pluralistische Demokratie eine Partei mit Gewalt unterdrücken darf und soll.”
Darüber kann man nachdenken, wenn eine Partei versucht, mit bewaffneten Gruppen den Reichstag zu stürmen. Alles andere hat eine “freie, pluralistische Demokratie” gefälligst auszuhalten, wenn man sie denn ernst nehmen soll
@ Phil: “Darüber kann man nachdenken, wenn eine Partei versucht, mit bewaffneten Gruppen den Reichstag zu stürmen. Alles andere hat eine “freie, pluralistische Demokratie” gefälligst auszuhalten, wenn man sie denn ernst nehmen soll”
Was würde das für einen “Meinungskampf” wie in der Weimarer Republik bedeuten? Die NSDAP hat ja nicht in wörtlichem Sinn mit bewaffneten Gruppen den Reichstag gestürmt. Wäre ein so verstandenes GG beim “Aushalten” überfordert? Und ist “Ernst nehmen” eine relevante rechtliche oder politische Kategorie?
@ Max: Ich würde ja sagen, dass “einfache Briefe” vom Berichterstatter gefertigt werden, der Beschluss Ergebnis einer (ersten?) Senatsberatung über die Eröffnung war. Herr Müller wollte eben auch mal wieder was in den Senat bringen 😉
zu der Frage, warum per Beschluss: gestern beim Jahrespresseempfang des BVerfG war dazu etwas in Erfahrung zu bringen. Mir scheint, dass die Form des Hinweisbeschlusses – im Gegensatz zu einem bloßen Brief des Berichterstatters an die Partei – schon was aussagt. Diese Form sei “mit einem normativen Kern” versehen, hieß es gestern im Zweiten Senat – eine “Handlungsaufforderung, die, wenn sie nicht erfüllt wird, auch Konsequenzen hat”. Ein Berichterstatterschreiben sei dagegen nur dazu da, den “Beteiligten deutlich zu machen, dass bestimmte Vorträge sachdienlich sein können”.
In der Berichterstattung über die Jahrespressekonferenz wurde auf den möglichen Zeitplan des NPD-Verbotsverfahrens hingewiesen. Auch mit Blick auf die Amtszeit von Richter Landau wolle man das Verfahren auch in der Hauptsache zum Abschluss bringen. Nach den Berichten zu urteilen, scheint die Entscheidungen über den Ausgang des Vorverfahrens (§ 45 BVerfGG) nur noch Formsache zu sein: Die Hauptverhandlung wird durchgeführt werden. Aus Sicht des Antragsgegners sind solche Äußerungen, so sie den von Mitgliedern des Gerichts auf der Pressekonferenz gefallen sind, ein Grund für einen Befangenheitsantrag.
P.S. In der Juristenzeitung ist soeben ein interessanter Beitrag zum Verbot der NSdAP in der Weimarer Republik erschienen (auch dort gab es schon das Parteiverbot); der Beitrag fügt dem herrschenden teleologischen Verständnis des Verbotsverfahrens im GG die historische Perspektive hinzu, dass die Schwelle des “aggressiv kämpferischen” hoch liegt.