Populismus und Plebiszit
Liechtenstein im Bann kontroverser Volksabstimmungen
In Österreich wurde die FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft, in der Schweiz ist die rechtspopulistische SVP seit Jahren Teil der Regierung, und in Deutschland feierte die AfD jüngst etliche Wahlerfolge auf Landesebene. Nur im kleinsten deutschsprachigen Staat, dem Fürstentum Liechtenstein, war der Einfluss rechtspopulistischer Parteien bisher überschaubar. Doch in letzter Zeit scheinen populistische Akteure in dem alpinen Kleinstaat einen Hebel entdeckt zu haben: die direkte Demokratie. Von 2010 bis 2019 fanden in Liechtenstein zehn Volksabstimmungen auf nationaler Ebene statt, also im Durchschnitt eine pro Jahr. Seit 2020 gab es indes bereits zwölf Abstimmungen, davon allein sechs im Jahr 2024. Gerade aus einer parlamentarischen Minderheitsposition heraus instrumentalisieren rechtspopulistische Kräfte direktdemokratische Verfahren, wenn ihnen entsprechende Möglichkeiten zur Verfügung stehen.
Volksabstimmungen in Liechtenstein seit 2020 mit populistischen Untertönen
Während in Deutschland viele Menschen am 22. September 2024 auf die Landtagswahl in Brandenburg schauten, sprach sich in Liechtenstein eine Mehrheit von 55,8% der Abstimmenden in einer Volksabstimmung für den Beitritt des Fürstentums zum Internationalen Währungsfonds (IWF) aus. Das Referendumskomitee IWF-NEIN, das per Unterschriftensammlung die direkte Abstimmung der Bürgerinnen und Bürger erwirkt hatte, äußerte im Vorfeld u.a. die Ansicht, die internationale Organisation sei ein „verlängerter Arm der US-Politik“.
Am 25. Februar 2024 wurde über ein Initiativbegehren der rechtspopulistischen Demokraten pro Liechtenstein (DpL) abgestimmt. Die Initiative zur Verfassungsänderung zielte darauf, die Direktwahl („Volkswahl“) der einzelnen Regierungsmitglieder einzuführen, und begründete dies so:
„Ungeeignete haben [so] auch mit viel Rhetorik und Werbeeinsatz vor dem Volk keine Chance […] Unfähige und solche, die am Volk vorbei regieren, können abgewählt werden“.
Nachdem sich die etablierten politischen Kräfte im Fürstentum sehr deutlich gegen diese gravierende Änderung des bestehenden Regierungssystems positioniert hatten, in dem die fünfköpfige Regierung grundsätzlich auf Vorschlag des liechtensteinischen Landtags vom Landesfürst ernannt wird (Art. 79 Abs. 2 Liechtensteinische Verfassung), votierten immerhin mehr als zwei Drittel der Abstimmenden gegen die Verfassungsinitiative. Das Direktwahlverfahren hätte die Chancen rechtspopulistischer Politiker auf ein Regierungsamt vermutlich deutlich erhöht.
Erfolgreicher waren destruktive Kampagnen gegen die Sachpolitik der anderen im Landtag vertretenen Parteien. Zwei Referenden über klimapolitische Maßnahmen fanden am 21. Januar 2024 statt. Fast zwei Drittel der Abstimmenden lehnten eine Anpassung der energetischen Gebäudevorschriften ab, mit der CO2-Emissionen reduziert werden sollten. Eine ähnliche Abstimmungsmehrheit verwarf die Einführung einer (stark subventionierten) Photovoltaik-Pflicht für Gebäude. Das Referendumskomitee gegen die Neuregelungen postulierte u.a.:
„Der Staat hat in erster Linie für gute Rahmenbedingungen zu sorgen und nicht die Bevölkerung zu drangsalieren“.
Eher knapp scheiterte am gleichen Tag ein Initiativbegehren, mit dem eine opt-in-Regelung beim elektronischen Gesundheitsdossier (d.h. der elektronischen Patientenakte) eingeführt werden sollte. Die Initianten der Gesetzesinitiative hatten vor „KI, Big Data und Quantencomputern“ gewarnt und vorgebracht:
„Persönliche Daten können in den exklusiven Besitz internationaler Konzerne geraten, die daraus Profit generieren“.
Die vom Landtag beschlossene gesetzliche Grundlage für eine 2G-Regelung zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie scheiterte in einem Referendum am 18. September 2022. Die außerparlamentarische, rechtspopulistische Partei Mensch im Mittelpunkt (MiM) hatte als Initiantin des Referendums gegen „Impfdruck, Konformismus und digitale Überwachung“ gewettert. Fast zwei Drittel der Abstimmenden votierten am 26. Juni 2022 für ein Initiativbegehren der Demokraten pro Liechtenstein, im Fürstentum lebende Krankenversicherte im Rentenalter von einer pauschalen Kostenbeteiligung (Franchise) zu befreien. Die Regierung hatte sich u.a. aus Gründen der Generationengerechtigkeit gegen die Initiative ausgesprochen.
Eine Modernisierung des liechtensteinischen Staatsbürgerschaftsrechts wurde am 30. August 2020 in einer Volksabstimmung deutlich abgelehnt. Der Landtag hatte zuvor für die doppelte Staatsbürgerschaft bei der Einbürgerung in Liechtenstein für Staatsangehörige von Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums und der Schweiz votiert. Gegen die Reform wurde u.a. angeführt: „Das volle Einstehen für nur ein Land und eine Nationalität ist besonders für einen Kleinstaat sehr wichtig“. Am selben Tag scheiterte an der Urne auch ein Finanzbeschluss, der den Ausbau der bestehenden Bahnstrecke durch das Fürstentum für eine von der österreichischen Bahn betriebene S-Bahn ermöglichen sollte. Die rechtspopulistische Partei Die Unabhängigen (DU) hatte sich mit drastischen Worten dagegen ausgesprochen:
„Liechtenstein braucht eine Lösung für den motorisierten Individualverkehr, aber nicht für den Gütertransport! […] Es ist geradezu absurd, dass wir mit Staatsgeldern entlang der Schienentrasse Böden auslösen oder enteignen und sie dann dem Staat Österreich schenken. Profitieren tut von der S-Bahn nur die ÖBB!“.
Zum Obstruktionspotential direktdemokratischer Verfahren
In Liechtenstein leben ungefähr 40.000 Menschen, davon ca. 26.000 mit liechtensteinischer Staatsbürgerschaft. Das direktdemokratische Instrumentarium im Fürstentum ist auf nationaler Ebene sogar noch breiter gefächert als in der angrenzenden Schweiz auf Bundesebene (ausführlich hierzu Wilfried Marxer). Im Folgenden soll nur auf die relevantesten einschlägigen Verfahren eingegangen werden. Für ein Initiativbegehren bezüglich Erlass, Abänderung oder Abschaffung eines einfachen Gesetzes bedarf es der Unterschriften von 1.000 Stimmberechtigten (Art. 64 Abs. 2 LV). Eine Verfassungsinitiative muss von mindestens 1.500 Bürgerinnen und Bürgern unterstützt werden (Art. 64 Abs. 4 LV). Ein vom Landtag beschlossenes, von ihm nicht für dringlich erklärtes Gesetz oder ein Finanzbeschluss wird Gegenstand einer Volksabstimmung, wenn 1.000 Stimmberechtigte ein entsprechendes Referendumsbegehren unterschreiben (Art. 66 Abs. 1 LV). Handelt es sich um ein Verfassungsgesetz, sind 1.500 Unterschriften notwendig (Art. 66 Abs. 2 LV). Dieselbe Mindestanzahl an Unterschriften benötigt ein Begehren für eine Volksabstimmung über einen Staatsvertrag (Art. 66bis Abs. 1 LV). Diese moderaten Unterschriftenquoren ermöglichen es, mit vergleichsweise überschaubarem Aufwand in dem 160 km2 kleinen Fürstentum Volksabstimmungen „von unten“ zu initiieren.
Akteure, die im Landtag nicht oder nur mit wenigen Abgeordneten vertreten sind, können durch Initiativ- oder Referendumsbegehren ihren politischen Handlungsspielraum deutlich erweitern – das wurde in Liechtenstein wohl noch nie so deutlich wie in diesem Jahr. Die Demokraten pro Liechtenstein sind aktuell mit lediglich zwei Sitzen im 25 Abgeordnete zählenden liechtensteinischen Landtag vertreten. In der Legislaturperiode 2017 bis 2021 hatten Die Unabhängigen zwar fünf Sitze, allerdings spaltete sich die Fraktion nach internen Auseinandersetzungen; aus der Abspaltung gingen die DpL hervor. Wie die oben skizzierten Volksabstimmungen zeigen, ermöglichen direktdemokratische Instrumente rechtspopulistischen Parteien, trotz ihrer parlamentarischen Minderheitsposition am Landtag vorbei einen nicht unerheblichen Einfluss auf die politische Willensbildung und Entscheidungsfindung im Fürstentum zu nehmen.
Autonomes Blockade- bzw. Obstruktionspotential bietet in diesem Zusammenhang vor allem das Instrument des Referendums. Zwar können durch das Initiativbegehren weitreichende Gesetzes- und Verfassungsänderungen vor den Landtag und nach dessen Ablehnung vor das Stimmvolk gebracht werden, aber in Liechtenstein bedarf jedes (Verfassungs-)Gesetz der Unterschrift („Sanktion“) des politisch vergleichsweise einflussreichen Landesfürsten bzw. seines Stellvertreters, des Erbprinzen (Art. 9 LV, Art. 65 Abs. 1 LV). Ohne die Zustimmung des Monarchen wird auch eine mehrheitlich in einer Volksabstimmung angenommene Vorlage kein Gesetz. Als sich Erbprinz Alois also beispielsweise gegen die DpL-Verfassungsinitiative zur Direktwahl der Regierung aussprach, war das nicht nur eine eher unbedeutende Meinungsäußerung eines lediglich symbolisch agierenden Staatsoberhaupts. Hätte das Volk nicht mehrheitlich gegen die rechtspopulistische Initiative gestimmt, so hätte er sie noch durch Verweigerung seiner Unterschrift verzögern oder zu Fall bringen können – bisher ist das Fürstenhaus mit diesem Machtinstrument eher zurückhaltend umgegangen, hat es aber durchaus schon punktuell eingesetzt oder damit gedroht.
Beim Referendum gibt es im Unterschied zum Initiativbegehren jedoch keine Vetospieler in Gestalt von Fürst oder Staatsgerichthof, der etwa Verfassungsinitiativen letztinstanzlich als nicht vereinbar mit Staatsverträgen oder zwingendem Völkerrecht erklären kann: Vom Parlament getroffene Entscheidungen zu Gesetzen, Verfassungsbestimmungen, völkerrechtlichen Verträgen und Staatsausgaben können per Abstimmungsmehrheit (immer wieder) vereitelt werden. Das kann man als urdemokratisch und partizipationsfreundlich deuten, das Referendum ist von seiner Anlage her jedoch auch reformverhindernd und strukturkonservativ. Es begünstigt per se obstruktionswillige und Status Quo-orientierte Gruppierungen, mit denen die Kompromissfindung scheitert oder die gar nicht erst verhandeln wollen. Für das Zustandekommen neuer Gesetze schreibt die liechtensteinische Verfassung das konstruktive Zusammenwirken mehrerer Verfassungsorgane vor, für das destruktive Verhindern von Reformen reicht eine ablehnende Volksabstimmung ohne Beteiligungs- oder Zustimmungsquorum, die von einer Handvoll Personen initiiert werden kann.
Niederschwellige direkte Demokratie und ihre Folgen
Alle Volksabstimmungen im Fürstentum seit 2020 bis auf die Abstimmung zur doppelten Staatsbürgerschaft wurden „von unten“ initiiert, also nicht etwa vom Landtag anberaumt. In den meisten Fällen sprach sich eine Mehrheit der Abstimmenden für die Beibehaltung des jeweiligen Status Quo aus. Die verschiedenen direktdemokratischen Instrumente haben es – nicht nur, aber insbesondere – rechtspopulistischen Parteien und ihnen nahestehenden Kreisen in den letzten Jahren ermöglicht, eigene Vorhaben am Parlament vorbei zu realisieren (Franchisebefreiung im Rentenalter), aber vor allem in der Tendenz progressive Maßnahmen zu verhindern (Photovoltaik-Pflicht, Anpassung energetischer Gebäudevorschriften, doppelte Staatsbürgerschaft, S-Bahn-Finanzierung). Für rechtspopulistische Parteien in einer parlamentarischen Minderheitsposition (DpL) oder ohne Landtagsabgeordnete (DU, MiM) bietet das direktdemokratische Instrumentarium eine hervorragende Möglichkeit, sich in der Öffentlichkeit als Alternative zu profilieren und politische Entscheidungen zu initiieren oder zu verhindern, die man im Parlament nicht oder kaum beeinflussen kann.
Der starke Anstieg an Volksabstimmungen in den letzten Jahren zeigt auch, dass die seit Jahrzehnten regierende große Mitte-Rechts-Regierungskoalition aus Fortschrittlicher Bürgerpartei (FBP) und Vaterländischer Union (VU) immer weniger in der Lage ist, den für Liechtenstein bisher typischen, überwiegend konsensual geprägten Politikstil fortzuführen. Man kann in der signifikant häufigeren Nutzung von Initiativ- und Referendumsbegehren in dem wohlhabenden Kleinstaat Verschiedenes sehen: eine zunehmende Pluralisierung der Gesellschaft, gewisse Spaltungen als Nachwirkung von Corona-Konflikten oder auch ein politisches Ventil, weil die Regierenden in bestimmten Kreisen als abgehoben gelten und Wahlen an der Zusammensetzung der großen Dauerkoalition im Prinzip kaum etwas verändern. In die Vorbereitung politischer Entscheidungen werden referendumsfähige Akteure und Bevölkerungsteile jedenfalls offenbar nicht mehr so gut integriert wie früher, Landtagsbeschlüsse sind seltener politisch breit abgestützt wie vor der Pandemie.
Sollte der Blockadeeffekt populistischer Referenden jedoch irgendwann steuerungspolitisch problematische Ausmaße annehmen, könnte die Regierungskoalition – da etwa eine Erhöhung des betreffenden Unterschriftenquorums politisch wohl kaum durchsetzbar wäre – unter Umständen mehr Gegenstände untergesetzlich regeln (etwa auf dem Verordnungsweg), Umfang, Zuschnitt und Anzahl der zu beschließenden Gesetze gezielt(er) planen oder mehr Gesetze für dringlich erklären. Das würde die Regierungsparteien in Teilen der Bevölkerung aber vielleicht noch unbeliebter machen – laut einer Umfrage schneidet die DpL bei der Landtagswahl im Februar 2025 möglicherweise ähnlich stark ab wie VU und FBP. In der Zeit bis zur Wahl wird im Fürstentum auf jeden Fall noch mindestens einmal direkt abgestimmt, nämlich am 27.10.2024 über das von den Demokraten pro Liechtenstein eingebrachte Initiativbegehren zur Privatisierung des öffentlich-rechtlichen Senders Radio Liechtenstein – ein klassischer rechtspopulistischer Gegenstand.
“das Referendum ist von seiner Anlage her jedoch auch reformverhindernd und strukturkonservativ. Es begünstigt per se obstruktionswillige und Status Quo-orientierte Gruppierungen, mit denen die Kompromissfindung scheitert oder die gar nicht erst verhandeln wollen.”
Warum ist das so? Hier liegt doch die Kernhese des Beitrags . Sie wird aber nicht verargumentiert. Die These greift doch nur, wenn die Konservativen in der Mehrheit sind. Dann würde aber auch im Parlamentarismus keine Reformen zustandekommen. Wieso soll es ein (Demokratie-)Problem sein, wenn Reformen unter dem Vorbehalt stehen, dass die Mehrheit der Wahlberechtigten sie gutiert. Ich verstehe schon, dass es leichter ist, einen Reformvorschlag abzulehnen, als eigene Vorschläge zu unterbreiten. Aber durch diesen negatorischen Charakte werden Referenden eben zu einer weiteren Hürde, die ein Gesetz zu passieren hat und die bewirkt, dass ein Gesetz sowohl die Mehrheit des Parlaments, als auch des Volks hinter sich versammeln muss.
Ich glaube hier wird Konstruktion und Obstruktion mit der eigenen politischen Meinung verwechselt. Wenn die eigenen Ansichten immer konstruktiv sind und die Ansichten der anderen obstruktiv, ergibt es natürlich Sinn, am Mandat der Mehrheit zu zweifeln. Das ist verständlich, aber nicht besonder demokratisch.
Vielen Dank für den guten Kommentar. In diesem Punkt stimme ich voll und ganz zu: Die Bewertung direktdemokratischer Verfahren sollte nicht davon abhängen, ob einem die Abstimmungsergebnisse gefallen. Aber darum geht es hier nicht (nur). „Strukturkonservativ“ meint im Beitrag nicht konservativ im Sinne einer politischen Einstellung, sondern Status Quo-begünstigend im politikfeldanalytischen Sinn. Weshalb das Referendum so verstanden strukturkonservativ ist, schreiben Sie ja selbst: „durch diesen negatorischen Charakter werden Referenden eben zu einer weiteren Hürde, die ein Gesetz zu passieren hat“. In diesem Sinne ist übrigens auch das im Text erwähnte (überhaupt nicht demokratische) fürstliche Vetorecht strukturkonservativ.
Über die demokratietheoretischen Vor- und steuerungspolitischen Nachteile dieser zusätzlichen Hürde kann man unterschiedlicher Auffassung sein, die optimale Lösung wird es wohl nicht geben. Nicht zutreffend ist jedenfalls die Aussage, dass „auch im Parlamentarismus keine Reformen zustandekommen“, „wenn die Konservativen in der Mehrheit sind“. Im Beitrag werden beispielsweise mehrere Reformen angeführt, die z. T. mit großer Mehrheit vor allem von bürgerlich-konservativen Parteien im Landtag beschlossen wurden und an Referenden scheiterten.
Die direktdemokratischen Verfahren in Liechtenstein sind gerade nicht so ausgestaltet, dass ein Gesetz auch die Mehrheit „des Volks hinter sich versammeln muss“. Es gibt wie im Text erwähnt kein Beteiligungs- oder Zustimmungsquorum. Das kann im Extremfall bedeuten, dass eine Handvoll Personen ein Referendum initiiert, knapp die nötige Anzahl an Unterschriften zusammenkommt, ein sehr geringer Anteil der Wahlberechtigten an der Abstimmung teilnimmt und so ein Gesetz scheitert, dass der Landtag einstimmig verabschiedet hat. Das ist zugegebenermaßen nicht die Realität im Fürstentum, da hier meist die Abstimmungsbeteiligung recht hoch ist. Aber es ist oft nicht eine Mehrheit des Volks, die Gesetze verwirft. Die Abstimmungsmehrheit, die das Photovoltaik-Gesetz ablehnte, entsprach z. B. 45% der Stimmberechtigten, die 2G-Regelung haben 35% des Stimmvolks zum Scheitern gebracht, und die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat ein knappes Drittel der Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner beschlossen. Das ist nicht wenig, aber eben keine (absolute) Mehrheit der Wahlberechtigten.
Mein Punkt ist, dass man gegebenenfalls über Änderungen am institutionellen Design der direktdemokratischen Instrumente nachdenken sollte, wenn diese nicht mehr wie in den letzten Jahrzehnten überwiegend als seltenes Notventil zum Einsatz kommen, sondern vielleicht künftig noch häufiger als 2024 mit den entsprechenden politisch-kulturellen Nebenwirkungen aktiviert werden. Liechtenstein war praktisch das ganze Jahr in einem Abstimmungswahlkampf mit populistischen Untertönen. Das bedeutet natürlich nicht, dass man direktdemokratische Verfahren so partizipationsverhindernd ausgestalten sollte wie überwiegend in Deutschland.
Es ist freilich richtig beobachtet: Mir behagen etliche der angeführten Referendumsergebnisse politisch nicht. Aber das ist im Beitrag nicht mit „Obstruktion“ gemeint. Der Begriff wird hier analytisch verwendet wie etwa im Thüringen-Projekt des Verfassungsblogs: Obstruktion als populistische Strategie, „das Parlament zu behindern und zu blockieren“ (M. Steinbeis). Die Kernthese des Beitrags ist daher aus Sicht des Autors auch nicht die im Kommentar zitierte Passage, sondern entspricht folgendem Satz: „Gerade aus einer parlamentarischen Minderheitsposition heraus instrumentalisieren rechtspopulistische Kräfte direktdemokratische Verfahren, wenn ihnen entsprechende Möglichkeiten zur Verfügung stehen“.