27 November 2025

Ein Verdacht ins Leere

Juristisches Tauziehen um die Rundfunk- und Pressefreiheit in Karlsruhe

Auch wenn die Internetplattform „linksunten.indymedia“ schon vor gut acht Jahren verboten wurde, beschäftigen sich Gerichte weiterhin regelmäßig damit. Jüngst kam eine weitere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hinzu: Im Beschluss vom 3. November 2025 musste sich der Erste Senat mit dem Fall eines Freiburger Rundfunkjournalisten beschäftigen und konnte in diesem Zuge die Reichweite der Rundfunk- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG nachschärfen. Der Journalist hatte mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) Verfassungsbeschwerde gegen eine Wohnungsdurchsuchung und Beschlagnahme von Datenträgern eingelegt. Ihm wurde vorgeworfen, die Plattform – und damit eine verbotene Vereinigung gem. § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB – unterstützt zu haben.

Der Rundfunk- und Pressefreiheit kommt in unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung eine schlechthin konstitutive Bedeutung zu. Aus diesem Grund ist der Beschluss des Ersten Senats zu begrüßen. Die journalistische Tätigkeit, insbesondere kleiner, freier und unabhängiger Medien, wird durch dieses Judikat gestärkt. Es wird darüber hinaus klar festgestellt, wie weit der sachliche Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG auch in räumlicher Hinsicht gilt. Eine Frage, die verfassungsgerichtlich zwar interessant, in dem Beschluss aber keine weitere Erörterung erfuhr, ist: Wie steht es – aus verfassungsrechtlicher Sicht – um das Spannungsverhältnis zwischen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG und der Strafnorm des § 85 Abs. 2 Var. 3 StGB? Die Norm enthält mit „Unterstützung der weiteren Betätigung“ ein äußerst vages und weit gefasstes Tatbestandsmerkmal. Vor dem Hintergrund journalistischer Tätigkeit wäre eine enge Auslegung jedoch angezeigt, setzen sich doch gerade Journalist:innen der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung aus, wenn sie über verbotene Vereinigungen berichten. Zu dieser Frage schwieg der Erste Senat.

Genese des Falles

Der Beschwerdeführer ist freier Journalist und Redakteur des Freiburger Rundfunksenders Radio Dreyeckland. Als Teil der dritten Rundfunksäule steht der Sender als freier und nicht-kommerzieller Radiosender neben dem öffentlich-rechtlichen sowie dem privaten Rundfunk und sendet seit dem Jahr 1977 ein eigenes Programm. Radio Dreyeckland stellt ein im Internet abrufbares Nachrichtenportal mit redaktionell aufbereiteten journalistischen Texten zur Verfügung.

Um einen solchen redaktionellen Text dreht sich die hiesige Verfassungsbeschwerde und das vorausgegangene Strafverfahren gegen den Rundfunkjournalisten. Am 30. Juli 2022 veröffentlichte er auf der Internetseite von Radio Dreyeckland einen Artikel über die Internetplattform „linksunten.indymedia“, die durch das Bundesministerium des Innern auf der Grundlage des Art. 9 Abs. 2 GG und des § 3 Vereinsgesetz im Jahr 2017 verboten wurde.

Der Journalist berichtete in dem Artikel über die Einstellung eines Strafverfahrens gegen die verbotene Internetplattform und hatte deswegen einen Hyperlink gesetzt, der auf die Archivseite der Internetplattform verwies. Aufgrund dieses Artikels – und insbesondere der Verlinkung – leitet die Staatsschutzabteilung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe im März 2023 gegen den Freiburger Journalisten ein Ermittlungsverfahren ein: Sie wirft ihm vor, eine verbotene Vereinigung unterstützt zu haben, was gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB strafbar ist.

Im Rahmen dieses Strafverfahrens durchsuchte die Staatsanwaltschaft die Redaktionsräume von Radio Dreyeckland sowie die privaten Wohnräume des Journalisten. Ferner wurden verschiedene Datenträger, auf denen sich ein Großteil der redaktionellen Kommunikation des Journalisten befand, sichergestellt. Der Eröffnung des Ermittlungsverfahrens folgte ein juristisches Tauziehen mit dem Ergebnis, dass das Landgericht Karlsruhe den Journalisten am 6. Juni 2024 von den Vorwürfen freisprach.

Nicht gerechtfertigter Eingriff in die Rundfunk- und Pressefreiheit

Der Erste Senat hat nun festgestellt, dass die Durchsuchung der Räume des Radiosenders Dreyeckland die Rundfunkfreiheit des Journalisten aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verletze. Wie auch die Pressefreiheit gewährleistet die Rundfunkfreiheit den im Rundfunk tätigen Personen und Unternehmen ein subjektives Recht auf freie – das heißt frei vom staatlichen Zwang – Berichterstattung. Hilfstätigkeiten, ohne die die Rundfunktätigkeit nicht möglich wäre, sind ebenfalls vom sachlichen Schutzbereich erfasst; insbesondere der Quellenschutz und das Redaktionsgeheimnis. Staatlichen Stellen ist es mithin verboten, Einblicke in die redaktionellen Abläufe bzw. in die Entstehung von Beiträgen zu erhalten.

Die Rundfunk- und Pressefreiheit wird nicht schrankenlos gewährleistet, sondern findet ihre Grenzen gemäß Art. 5 Abs. 2 GG in den allgemeinen Gesetzen. Die hier einschlägigen strafprozessualen Vorschriften §§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, 97 Abs. 5 Satz 2, Abs. 2 Satz 2, 102 Strafprozessordnung (StPO) stellen solche allgemeinen Gesetze dar. Diese Vorschriften müssen ihrerseits im Lichte des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ausgelegt werden (sog. Wechselwirkungslehre). Die Beschlüsse des Amtsgerichts Karlsruhe vom 13. Dezember 2023 und des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 7. November 2023 werden diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen jedoch nicht in jeder Hinsicht gerecht. So sah es auch das Bundesverfassungsgericht. Problematisch war im vorliegenden Fall, dass für Durchsuchungen ein Anfangsverdacht erforderlich ist und dieser hier laut dem Gericht nicht vorlag. Unter Berücksichtigung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG reiche „ein auf vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen gestützter Tatverdacht für eine auf § 102 StPO gegründete Durchsuchung […] nicht aus“ (Rn. 37). So billigt der Erste Senat den Fachgerichten zwar zu, dass sie die Grundrechtsdimension erkannt haben, allerdings haben sie einen „auf konkrete Tatsachen gestützten [Anfangsverdacht] einer Strafbarkeit des Beschwerdeführers gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB nicht hinreichend begründet und somit die wertsetzende Bedeutung der Rundfunkfreiheit auf Rechtsanwendungsebene nicht ausreichend beachtet“ (Rn. 38). Es hätten vielmehr konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen müssen, dass die verbotene Internetplattform „linksunten.indymedia“ zum Zeitpunkt der angeordneten Durchsuchung noch existierte. Auch das Landgericht Karlsruhe urteilte, abweichend von den Beschlüssen des Amts- und Oberlandesgerichts, in seinem Beschluss vom 16. Mai 2023, dass es nicht ausreichend wahrscheinlich sei, dass eine (teil-)identische Organisation oder Ersatzorganisation von „linksunten.indymedia“ (fort-)bestehe.

Bedeutung der Entscheidung für den freien Journalismus

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ist in zweifacher Hinsicht zu begrüßen. Erstens stärkt der Erste Senat damit die freie journalistische Tätigkeit auch kleiner und unabhängiger Medien, die für die kollektive Meinungsbildung und damit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung insgesamt konstitutiv sind. Er stellt sich hinter die kritische Berichterstattung und stärkt sie. Die für eine solche Berichterstattung unbedingt notwendige Freiheit stützt sich gerade darauf, dass Journalist:innen frei von der Angst etwaiger strafrechtlicher Sanktionen sind, die sie aufgrund ihrer journalistischen Arbeit befürchten müssen. Gerade der Quellenschutz, der bei Durchsuchungen von Redaktionsräumen und privaten Wohnräumen sowie bei der Sicherstellung von Datenträgern erheblich gefährdet wird, spielt für eine unabhängige journalistische Tätigkeit eine, wenn nicht gar die zentrale Rolle. Dabei sind kleine und unabhängige Medien – wie hier Radio Dreyeckland – noch gefährdeter, da sie nicht über Strukturen und finanzielle Ressourcen wie etwa der öffentlich-rechtliche Rundfunk verfügen, um sich gegen staatliche Eingriffe zur Wehr zu setzen.

Zweitens stellt das Bundesverfassungsgericht mit diesem Beschluss in aller Klarheit fest, wie weit die Rundfunkfreiheit in räumlicher Hinsicht reicht. Auch der private Wohnraum von Journalist:innen ist vom sachlichen Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG umfasst, da er ein funktionales Äquivalent zu Redaktionsräumen darstellt (Rn. 32). So stellte das Gericht fest, dass die Durchsuchung der Privatwohnung des Freiburger Journalisten ebenfalls die Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verletze. Die Durchsuchung führe zu einer Störung der redaktionellen Arbeit und könnte einschüchternde Wirkung haben (Rn. 32). Dieses weite Verständnis des räumlichen Redaktionsbereichs ist zu begrüßen, entspricht es doch der modernen Arbeitswelt, insbesondere von freiberuflichen Journalist:innen, nicht fest in Redaktionsräumlichkeiten zu arbeiten, sondern vermehrt disloziert ihrer redaktionellen und journalistischen Tätigkeit nachzukommen.

Spannungsverhältnis Art. 5 Abs. 1 GG und § 85 Abs. 2 Var. 3 StGB

Zu einer in diesem Verfahren ebenfalls zentralen Frage schweigt der Erste Senat jedoch, und zwar: Wie ist die „Unterstützung der weiteren Betätigung“ i.S.d. § 85 Abs. 2 Var. 3 StGB zu verstehen? Eine Auseinandersetzung des Gerichts hierzu wäre äußerst interessant gewesen, denn die Norm ist im Hinblick auf das Spannungsverhältnis zur Meinungs-, Rundfunk- und Pressefreiheit als durchaus problematisch zu betrachten, da der Tatbestand („Unterstützung der weiteren Betätigung“) äußerst vage und zugleich sehr weitreichend ist. Umfasst sind auch rein kommunikative Handlungen, die somit in den Schutzbereich der Pressefreiheit fallen.

Die große Frage ist, welche Voraussetzungen für eine „Unterstützung der weiteren Betätigung“ vorliegen müssen. Eine höchstrichterliche Begriffsbestimmung steht bislang noch aus. Die Karlsruher Staatsanwaltschaft warf dem Journalisten vor, bereits mit Veröffentlichung des Beitrags und der Verlinkung auf die Archivseite der verbotenen Internetplattform eben jene unterstützt zu haben.

Der bereits erwähnte Beschluss des Landgerichts Karlsruhe lohnt insbesondere deswegen einer Lektüre, da es sich extensiv mit dem Tatbestandsmerkmal der Unterstützungshandlung i.S.d. § 85 Abs. 2 Var. 3 StGB auseinandergesetzt hat und dadurch die Mannigfaltigkeit der zentralen Fragen zu Tage förderte. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, dass eine Unterstützungshandlung vorliegt? Gelten andere Maßstäbe, wenn auf fremde Texte durch Verlinkung verwiesen wird? Macht es einen Unterschied, ob in einem solchen Artikel der Link „förmlich“ gesetzt wird oder bloß beschrieben wird, dass im Internet das Archiv der verbotenen Internetplattform zu finden und abrufbar ist?

Das Landgericht Karlsruhe jedenfalls destilliert folgende Kriterien heraus, die eine Handlung – wie hier der Artikel – erfüllen muss, um als Unterstützungshandlung angesehen zu werden. Es ist demnach zu bestimmen, ob „,ein Artikel objektiv geeignet [ist], von den angesprochenen Adressaten als Werbung oder Unterstützung der Vereinstätigkeit aufgefaßt zu werden; die Zielrichtung auf Unterstützung der verbotenen Vereinstätigkeit eindeutig erkennbar [ist]; sich die Publizierenden die Sache der vom Verbot betroffenen Vereinigung zu eigen machen, indem sie sich mit der Veröffentlichung gleichsam als Sprachrohr in deren Dienst stellen ‘“ (S. 24).

Eine höchstrichterliche Klärung dieser Fragen wäre insbesondere für Journalist:innen wichtig. Von der Strafnorm und dem Gesetzgeber gleichwohl nicht intendiert, kann § 85 Abs. 2 Var. 3 StGB durchaus dazu führen, dass Journalist:innen vor einer kritischen Berichterstattung über verbotene Vereinigungen zurückschrecken, um sich nicht der Gefahr einer Strafverfolgung auszusetzen. Gerade diese sprichwörtliche „Schere im Kopf“ kann aber insbesondere im investigativen Journalismus massiv Schaden anrichten. Stark betroffen wären auch Journalist:innen kleinerer Medien, die es ohnehin schwer haben und gerade nicht über eine eigene Rechtsabteilung verfügen oder sich ohne Weiteres rechtlichen Rat und Beistand einholen können. Die GFF forderte bereits vor geraumer Zeit, die Norm wieder zu streichen, insbesondere da kein kriminalpolitisches Bedürfnis für den § 85 Abs. 2 Var. 3 StGB bestehe.

Vorhang zu und viele Fragen offen

Deutschland steht im weltweiten Ranking der Situation der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ mit Platz 11 von 180 (noch) recht gut da. So heißt es in dem Bericht zur Presselandschaft in Deutschland: „Verfassungsrechtliche Garantien und eine unabhängige Justiz sorgen grundsätzlich für ein gutes Arbeitsumfeld.“ Das klingt gut, sollte aber nicht zufriedenstellen. Die Zustände, die die Presse- und Rundfunkarbeit derzeit einschränken, sollten behoben werden, damit Journalist:innen auch in Zukunft frei berichten können. Im Hinblick auf § 85 Abs. 2 Var. 3 StGB ist der Gesetzgeber in der Verantwortung und sollte über eine Streichung des Paragrafen nachdenken. Denn: Eine freie Presse ist nicht nur wichtig, sondern, um es mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts zu sagen, „schlechthin konstitutiv“.


SUGGESTED CITATION  Leusch, Katharina: Ein Verdacht ins Leere: Juristisches Tauziehen um die Rundfunk- und Pressefreiheit in Karlsruhe, VerfBlog, 2025/11/27, https://verfassungsblog.de/pressefreiheit-bverfg-dreyeckland/.

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