Keine Sache der Exekutive
Gerichtlicher Kontrollauftrag und die Maßgeblichkeit exekutiver Völkerrechtsauffassungen nach dem Ramstein Urteil des BVerfG
Mit Urteil vom 15. Juli 2025 (2 BvR 508/21) hat das BVerfG die Verfassungsbeschwerde der Neffen eines jemenitischen Geistlichen, der im August 2012 durch einen US-amerikanischen Drohneneinsatz getötet wurde, verworfen. In rechtspolitisch „strategischer“ Hinsicht kann das vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) unterstützte Verfahren aber zumindest einen Teilerfolg verzeichnen: Das Gericht erkennt zum ersten Mal die Möglichkeit einer Schutzpflicht auch in einer reinen Auslandskonstellation an – selbst, wenn die Gefahr von einem anderen Staat ausgeht. Darauf und auf die Implikationen des Urteils für die kontrovers diskutierten Verfahren (hier und hier) gegen Waffenlieferungen vor dem VG Frankfurt und vor dem VG Berlin gehen González Hauk/Theilen in ihrem aktuellen Beitrag näher ein.
Hier soll stattdessen ein Blick darauf geworfen werden, welche Bedeutung die Entscheidung für das außenverfassungsrechtliche Kompetenzgefüge besitzt, insbesondere inwieweit Gerichte exekutive Völkerrechtsauffassungen einer umfassenden Kontrolle unterziehen können. Denn die Krux der Entscheidung liegt in den Aktivierungsvoraussetzungen der Schutzpflicht, für die eine ernsthafte Gefahr systematischer Völkerrechtsverletzungen durch den anderen Staat bestehen muss. Das BVerfG räumt der Exekutive in dieser zentralen Frage aber einen gewichtigen Einschätzungsspielraum ein, den es nur auf „Vertretbarkeit“ kontrolliert (Tenor 2.e) und Rn. 109).
Das Gericht vergibt damit die Chance, der ausdrücklich als staatlicher Schutzauftrag operationalisierten Völkerrechtsfreundlichkeit (Rn. 82, 85) auch Zähne in Form gerichtlicher Kontrollierbarkeit zu verleihen.
Extraterritoriale Schutzpflicht gegenüber von einem anderen Staat ausgehenden Gefahren
Das Urteil führt die Linie zweier Entscheidungen des BVerfG fort, in denen das Gericht bereits die Grundrechtebindung in reinen Auslandssituationen anerkannt (Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung) und eine extraterritoriale Schutzverpflichtung angedeutet hatte (Klimaschutz-Beschluss). Bemerkenswert ist dabei, dass das Gericht ausgehend von Völkerrechtsfreundlichkeit und Menschenrechtsbindung (Art. 1 Abs. 2 GG) einen allgemeinen Schutzauftrag „zugunsten des humanitären Völkerrechts und der einschlägigen Menschenrechte“ (Rn. 82, 84-85) annimmt. Dieser „Schutzauftrag“ kann sich unter zwei Voraussetzungen selbst gegenüber dem gefährdenden Verhalten anderer Staaten „zu einer konkreten grundrechtlichen Schutzpflicht“ verdichten (Rn. 86): Zum einen muss ein hinreichender Bezug zur deutschen Staatsgewalt bestehen. Den vom Gericht dafür angelegten Maßstab eines „spezifischen Beitrags von einem gewissen Gewicht“ (Rn. 102) konkretisierte es jedoch leider nicht näher und ließ dessen Subsumtion offen. Zum anderen bedürfe es einer „ernsthafte[n] Gefahr systematischer Völkerrechtsverstöße“ (Rn. 108). Diese Gefahrprognose umfasst also gerade auch die Bewertung der Völkerrechtskonformität des Handelns anderer Staaten (Rn. 103).
Doppelte oder einfache Vertretbarkeit?
In Bezug auf diese Bewertung stellt sich nun die Frage nach welchen Maßstäben diese gerichtlich überprüfbar ist. Dazu hält das Gericht fest:
Rn. 109: „Bei der Prüfung, ob eine solche Gefahr durch das Handeln eines Drittstaats besteht, ist die Rechtsauffassung der für außen- und sicherheitspolitische Fragen zuständigen deutschen Staatsorgane, denen das Grundgesetz für die Regelung der auswärtigen Beziehungen einen grundsätzlich weit bemessenen Spielraum einräumt, maßgeblich zu berücksichtigen, soweit sich diese als vertretbar erweist (anders noch BVerfGE 55, 349 <368>, wo lediglich auf Willkür abgestellt wird; vgl. allgemein zur Vertretbarkeitskontrolle BVerfGE 118, 244 <268 f.>; 121, 135 <158>; 152, 8 <29 Rn. 46>).“
In der Subsumtion scheint es sich auf den ersten Blick sogar um einen doppelten Vertretbarkeitsmaßstab zu handeln: „[D]ie Auffassung der Bundesregierung, dass die US-amerikanische Auslegung“ vertretbar sei, erweise sich „ihrerseits als völkerrechtlich vertretbar“ (Rn. 148). Das Gericht setzt sich dazu mit dem internationalen Diskursstand zur Rechtsauffassung der USA zumindest im Überblick auseinander (Rn. 121-148, vgl. im Einzelnen zurecht kritisch González Hauk/Theilen). Einen abstrakten Maßstab für das Vertretbarkeitskriterium sucht man jedoch vergeblich. Dass die Einschätzung der Bundesregierung laut Gericht vertretbar ist, folgt dann ohne weitere Befassung aus der Vertretbarkeit der US-Auffassung (Rn. 148), sodass offenbleibt, ob es sich tatsächlich um einen zweistufigen Maßstab handelt, oder die Vertretbarkeit der Auffassung der Bundesregierung stets von der Vertretbarkeit der Auffassung des anderen Staates abhängt.
Vertretbarkeit statt Willkür
Das BVerwG hatte demgegenüber in seinem Ramstein-Urteil (Rn. 57-58) noch den Willkürmaßstab verwendet, den das BVerfG 1980 im Hess-Beschluss aufgestellt hatte:
Rn. 57: „[D]en Gerichten [obliegt] größte Zurückhaltung, etwaige völkerrechtlich fehlerhafte Rechtsauffassungen dieser Organe als Ermessensfehler zu bewerten. Dies wäre allenfalls dann in Betracht zu ziehen, wenn sich die Einnahme der fraglichen Rechtsauffassung als Willkür gegenüber dem Bürger darstellte, also unter keinem – auch außenpolitischen – vernünftigen Gesichtspunkt mehr zu verstehen wäre“ (Hervorhebung hinzugefügt)
Das BVerfG hat diesen Willkürmaßstab nun ausdrücklich verworfen (Rn. 109: „anders noch“). Dies kann nur begrüßt werden, da somit das in der spezifischen Formulierung des Willkürmaßstabes angelegte Sprengpotential zumindest teilweise entschärft wurde: Schon das vom BVerwG darauf gestützte „Ermessen“ verkennt bereits den Kontext des Hess-Verfahrens. Bezugspunkt der zitierten Passage (S. 365-368) war gerade eine genuin außenpolitische Zweckmäßigkeitsfrage, keine (völkerrechtliche) Rechtsfrage (ausführlich hierzu Payandeh/Sauer, Marauhn/Mengeler/Strobel). Besonders der Einschub „auch außenpolitisch“ kann den falschen Eindruck erwecken, das BVerfG habe im Hess-Beschluss gebilligt, dass die Bundesregierung aus politischem Opportunitätskalkül eine völkerrechtswidrige Haltung eingenommen hat. Das wäre in mehrerlei Hinsicht brandgefährlich. Insbesondere wäre ein solcher kontrollfreier Raum außenpolitischer Interessenverfolgung, losgelöst von völkerrechtlichem Konformitätsanspruch gerade in Anbetracht derzeit offen vorgetragener Geringschätzung für völkerrechtliche Verpflichtungen (vgl. zudem hier, hier und hier) ein fatales Signal in Richtung einer „political questions doctrine“.
Zwar wurde der Willkürmaßstab der Hess-Entscheidung und somit vermeintlich auch die Parenthese außenpolitischer Vernunft im bundesverfassungsgerichtlichen Ramstein-Urteil ausdrücklich verworfen, allerdings zieht das BVerfG in der aktuellen Entscheidung die Grenzen mit dem stattdessen angelegten Maßstab der „Vertretbarkeitskontrolle“ nur marginal enger. Im Kern hält es an einer stark zurückgenommenen judikativen Kontrolle zugunsten eines exekutiven Einschätzungsspielraumes fest, für den es auch argumentativ auf die Zuständigkeit für „außen- und sicherheitspolitische Fragen“ abstellt, um zu begründen, wieso die Rechtsauffassung der Exekutive „maßgeblich“ zu berücksichtigen sei (Rn. 109).
Exekutive Einschätzungsspielraume für Völkerrechtsfragen?
Die Frage, ob sich der grundgesetzliche Schutzauftrag in Anbetracht einer potenziell völkerrechtswidrigen Praxis zu einer Schutzpflicht verdichtet hat, ist jedoch keine tatsächlich-politische Einschätzungsfrage, sondern eben in der Bewertung der Völkerrechtswidrigkeit eine Rechtsfrage (Marauhn/Mengeler/Strobel).
Um es plakativ zu sagen: Völkerrechtsfragen sind nur dann politische Fragen, wenn man der Völkerrechtsordnung die Geltung als Rechtsordnung absprechen will. Davon ist das Gericht weit entfernt. Im Gegenteil, wie eingangs erwähnt leitet es sogar einen staatlichen Schutzauftrag aus der grundgesetzlichen Völkerrechtsfreundlichkeit ab (Rn. 82, 84, s.o.). Wo das BVerwG (Rn. 58) noch die besondere Bedeutung der Rechtsauffassung der Staaten in Anbetracht „nur rudimentäre[r] Ansätze einer obligatorischen Gerichtsbarkeit oder sonstiger institutioneller Vorkehrungen für eine autoritative Normauslegung“ vorschiebt (vgl. dazu Payandeh/Sauer: „unterkomplexes Bild der internationalen Rechtsordnung“), betont das BVerfG nunmehr selbst, dass „Gutachten und Urteile des Internationalen Gerichtshofs eine faktische Orientierungswirkung über den konkret entschiedenen Einzelfall hinaus“ entfalten, „als völkerrechtliche Rechtserkenntnisquelle nach Art. 38 Abs. 1 Buchstabe d IGH-Statut“ dienen und „unter dem Gesichtspunkt der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes von deutschen Gerichten zu berücksichtigen“ sind (Rn. 107). Im Verlauf der gesamten Vertretbarkeitsprüfung (Rn. 121-148), befasst es sich en detail mit einer Fülle internationaler Rechtserkenntnisquellen, von EGMR, Jugoslawientribunal, Internationalem Strafgerichtshof zu Menschenrechtsausschüssen und dem Internationalem Komitee vom Roten Kreuz.
Mit den angeblichen Defiziten der Völkerrechtsordnung fällt jedoch auch das einzige inhaltliche Argument weg, mit dem noch das BVerwG den weiten Einschätzungsspielraum begründet hatte. Denn die anderen von der Bundesregierung vorgebrachten Einwände gegen eine zu engmaschige gerichtliche Kontrolle auswärtiger Gewalt berücksichtigt das BVerfG bereits umfassend, sowohl auf Ebene der Schutzpflichtvoraussetzungen als auch auf Rechtsfolgenseite:
Aus der programmatischen Ausrichtung der Bundesrepublik auf internationale Integration (Art. 1 Abs. 2, Art. 9 Abs. 2, Art. 16 Abs. 2, Art. 23-26, Art. 59 Abs. 2 GG) leitet das Gericht die grundgesetzimmanenten Ziele der außenpolitischen Handlungs- und Bündnisfähigkeit ab. Diesen trägt es jedoch auch direkt Rechnung, wenn es die Aktivierungsvoraussetzungen der Schutzpflicht auf „systematische Völkerrechtsverstöße“ anhebt, um eine „dauernde und umfassende Überwachungspflicht“ der Bündnispartner zu vermeiden (Rn. 105; kritisch bereits zum Rechtswidrigkeitserfordernis und der zusätzlichen Voraussetzung systematischer Verstöße, Marauhn/Mengeler/Strobel).
Auch die wiederholt betonte grundgesetzliche Zuweisung der Außen- und Sicherheitspolitik an die Bundesregierung berücksichtigt das BVerfG bereits dort, wo es gerade um politische Spielräume geht: Gemeinsam mit den Vorinstanzen erkennt es einen weiten exekutiven Handlungsspielraum auf der Rechtsfolgenseite der Schutzpflicht an. Dass der Exekutive bei der praktischen Umsetzung des Schutzauftrags – gerade angesichts begrenzter Einwirkungsmöglichkeiten auf ausländische Gefahrquellen – besonders große Spielräume zukommen (Rn. 110), leuchtet bis zu einem gewissen Grad ein.
Es verwundert jedoch umso mehr, dass das Gericht über diese Zugeständnisse an die Besonderheiten der auswärtigen Gewalt hinaus die grundsätzliche Maßgeblichkeit der Völkerrechtsauffassung der Bundesregierung anerkennt. Die weitverbreitete Kritik am BVerwG-Urteil (Wentker; Aust; Payandeh/Sauer, Marauhn/Mengeler/Strobel, Runschke) stellte demgegenüber zurecht darauf ab, dass die Kontrolle von Rechtsfragen eine Kernaufgabe der Judikative im grundgesetzlichen Gewaltengefüge darstellt. In Anbetracht der Rechtsbindung des Art. 20 Abs. 3 GG, gerade auch an das Völkerrecht (Art. 25 S. 1, Art. 59 Abs. 2 GG), ist die Rücknahme zugunsten einer Selbsteinschätzung (Runschke) der Exekutivorgane nur schwer nachvollziehbar.
Dem Gericht gelingt es nicht, diese Kritik argumentativ auszuräumen. Denn der wiederholte Verweis auf die exekutive „Zuständigkeit“ für „Außen- und Sicherheitspolitik“ kann dabei nur Ausgangspunkt der Abwägung mit dem ebenfalls grundgesetzlich zugewiesenen Kontrollauftrag der Judikative (Art. 20 Abs. 3 GG), insbesondere im Bereich des Grundrechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) sein. Statt dieses Kompetenzgefüge aufzuarbeiten, stützt das Gericht die Vertretbarkeitskontrolle und damit implizit den Einschätzungsspielraum auf mehrere Organstreitverfahren zu Beteiligungsrechten des Bundestages bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr (Rn. 109). Auf völkerrechtlicher Ebene betrafen diese zudem Fragen der Ausnahmen vom Gewaltverbot. Schon in diesen Konstellationen von Organrechten und staatenschützenden Völkerrechtsnormen ist eine reduzierte gerichtliche Kontrolle von Rechtsfragen mit dem judikativen Kontrollauftrag nur schwer vereinbar.
Ungleich schwerer fällt eine Begründung jedoch im Bereich des Grundrechtsschutzes. Denn hier greift mit Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG ein noch konkreterer gerichtlicher Kontrollauftrag, der mit einer Vertretbarkeitsprüfung nicht zu erfüllen ist. Die abschließende Feststellung, der der Bundesregierung schon vom BVerwG zugestandene Einschätzungsspielraum hätte die Beschwerdeführer auch nicht in ihrem Recht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG verletzt, da die Rechtsauffassung der Bundesregierung vertretbar gewesen sei (Rn. 160), illustriert das gut: Nach herkömmlichem Verständnis setzt das Recht auf effektiven Rechtsschutz gerade deshalb nur die plausible Möglichkeit der Rechtswidrigkeit voraus, da es ja erst Aufgabe der Gerichte ist, die Rechtswidrigkeit festzustellen (statt vieler: Ernst, Art. 19, in: von Münch/Kunig, Rn. 121 m.w.N.). Ziehen sich die Gerichte aber auf eine Vertretbarkeitsprüfung zurück, bleibt die Exekutive ihr eigener Richter (Runschke), die Rechtswidrigkeit der Maßnahmen stets ungewiss, der Rechtsschutz mithin nicht effektiv.
Gerade daher wiegt es umso schwerer, dass in der Rezeption des Gerichts ein wichtiges Judikat fehlt: Keine Erwähnung finden die im Vavarin-Beschluss in Bezug auf eine (wenngleich abwehrrechtliche) Grund- und Menschenrechtschutzkonstellation entwickelten Maßstäbe. Noch das BVerwG sah sich genötigt, diese mit dem – schwachen (Payandeh/Sauer) – Argument der Entscheidungsunerheblichkeit beiseitezuschieben. Im Vavarin-Beschluss hatte die Erste Kammer des Zweiten Senats 2013 klargestellt, dass in der Regel davon auszugehen sei, dass staatliche Maßnahmen gerichtlich vollständig nachgeprüft werden können. Dieser Grundsatz begegne zwar „Funktionsgrenzen […] im Bereich der auswärtigen Gewalt“ aber nicht als generelle Bereichsausnahmen, sondern allenfalls in „begrenzte[n] Bereiche[n] […] hoher Komplexität oder besonderer Dynamik“ (Rn. 54). Völkerrechtliche, selbst komplexe humanitärvölkerrechtliche Rechtsfragen seien dabei juristischer Klärung und somit auch gerichtlicher Kontrolle zumindest grundsätzlich sehr wohl zugänglich (Rn. 55).
Ein der gerichtlichen Kontrolle weitestgehend entzogener völkerrechtlicher Einschätzungsspielraum der für „außen- und sicherheitspolitische Fragen zuständigen deutschen Staatsorgane“ ist zwar noch keine vollständige Bereichsausnahme im Sinne der „political questions doctrin“, erinnert aber stark an die dem Grundgesetz ähnlich fern liegende „deference to the executive“ (hierzu statt vieler Starski, Art. 59, in: von Münch/Kunig, Rn. 117 ff.). Stattdessen scheint es vorzugswürdig, gerichtliche Kontrolle nur insoweit zurückzunehmen, wenn es sich entweder aus der Abwägung mit konkreten grundgesetzlichen Setzungen (z.B. „systematische Verletzungen“ statt Einzelfallkontrolle im Interesse der Integrationsfähigkeit, Art. 24 GG) oder als Konsequenz der Funktionsgrenzen der Rechtsprechung (etwa bezüglich der Frage, welche Maßnahmen genau die Exekutive zur Schutzpflichterfüllung treffen muss) ergibt.
Anderthalb Schritte vor, ein Schritt zurück?
Das Gericht entwickelt letztlich die Schutzpflichtendogmatik in der bislang vermutlich komplexesten Ausland-Ausland-Drittstaaten Konstellation stringent weiter und erkennt zumindest die Möglichkeit einer Schutzpflichtaktivierung an. Der Schutzauftrag für humanitäres Völkerrecht und Menschenrechte ist als weiterer Argumentationstopos zur Operationalisierung der Völkerrechtsfreundlichkeit zu begrüßen.
An entscheidender Stelle bleibt das Gericht jedoch hinter seinem Kontrollauftrag zurück und befasst sich nur unzureichend mit der Kritik an einem grundsätzlichen exekutiven Völkerrechtseinschätzungsspielraum. Indem sich das Gericht bei der Kontrolle von Völkerrechtsfragen gerade im grundrechtssensiblen Bereich zurücknimmt, lässt es die Tore für eine „deference to the executive“ offen, verschließt sie jedenfalls nicht hinreichend nachdrücklich.