20 September 2024

Solingen 93/24

Menschenrechte als bestes Präventionskonzept

Solingen 1993, ein schrecklicher Brandanschlag durch Rechtsterroristen auf das Haus in der Unteren Wernerstr. 81. Es starben: Hatice Genç, 18 Jahre, Gülistan Öztürk, zwölf Jahre, Saime Genç, vier Jahre, Hülya Genç, neun Jahre, Gürsün Ince, 27 Jahre. Gürsün Ince sprang mit dem kleinen Mädchen Güldane aus dem Fenster, und rettete damit Güldane das Leben, starb aber selbst. Ihre Nichte Saime starb ebenfalls bei einem Sprung aus dem Fenster. 17 weitere Menschen erlitten schwerste Verletzungen, darunter weitere Kinder.

Solingen 2024, ein schrecklicher Anschlag mit einem Messer, drei Menschen wurden getötet, acht weitere verletzt. Mutmaßlicher Täter ist ein 27-jähriger Syrer, der laut Dublin-Verordnung nach Bulgarien abgeschoben hätte werden können, da dies sein Einreiseland in die EU war. Der IS bekannte sich zu der Tat, die Authentizität dieses Bekennens ist bislang nicht bestätigt. Zu dem Tatverdächtigen lagen zuvor – nach derzeitigem Informationsstand – keine Kenntnisse vor, die in Richtung religiös motiviertem Terrorismus gewiesen hätten.

Zweimal Solingen, zweimal unterschiedlichste extremistische Motivlagen, und doch: zweimal Solingen als Verstärker für Verschärfungen des Asylrechts, einmal 1993, und ganz aktuell 2024 mitzuerleben beim Migrationsgipfel und neuen Asylpaketen, gefordert nicht nur von rechts, sondern umgesetzt aktuell von der Ampelregierung. Damals wie heute waren die Anschläge, im Vorfeld wie im Nachgang, von einem Wording begleitet, dass Verunsicherung, Wut1), Ärger und scheinbare Hilflosigkeit erzeugt(e) – und nein, das ist nicht verständnisvoll gemeint. 1993 wurde von der „Asylantenschwemme“, der „Überfremdung“ und den „Schmarotzern“ gesprochen, 2024 von der „außer Kontrolle geratenen Migration“. Es werden Menschen bestimmter Nationalität unter Generalverdacht gestellt, auch das Bild des „Sozialschmarotzers“ wird weiter ausgemalt (u.a. vorgehend bereits Merz: keine Zahnarzttermine mehr, weil zu viele Flüchtlinge im September 2023) und in der Bezahlkarte für Flüchtlinge plastiziert. Auf Forderungen nach einem „Ruanda-Deal“, nach Abschiebungen in faktisch nicht sichere Herkunftsländer, folgten neben der Wiedereinführung von Grenzkontrollen nun jüngst die Pläne, schutzsuchende Menschen auch in Deutschland verstärkt grenznah in Haft zu nehmen (musste beim Lesen dieser Pläne noch jemand an das Wort „Lager“ denken?).

Eine rechtssoziologische und kriminologische Perspektive zeigt, wie gefährlich Diskursverschiebung und Gesetzesverschärfungen als alleiniges „Allheilmittel“ in Reaktion auf das Attentat sind. Diese Spirale erhöht die Gefahr, dass sich weitere „Solingen“ – hier oder anderswo – ereignen.

Radikalisierte Migrationsdebatte statt rationaler Prävention

Die zentrale Frage lautet, warum wir nach Solingen – 93 wie 24 – über Migrationsprobleme diskutieren, und nicht über Extremismus und Radikalisierung. Die Risikofaktoren für Radikalisierung sind in den letzten Jahren auch hierzulande breit beforscht worden, teilweise mit Fördermitteln des BMBF, so u.a. die Projekte Pandora (Propaganda, Mobilisierung und ­Radikalisierung zur Gewalt in der virtuellen und realen Welt), X-Sonar (Analyse extremistischer Bestrebungen in sozialen Netzwerken), RadigZ (Radikalisierung im digitalen Zeitalter) und MOTRA (Monitoringsystem und Transferplattform Radikalisierung), um nur einige zu nennen. Das BKA hat ein Prognose-Instrument entwickelt (RADAR-ITE, darauf aufbauend RISKANT), auch international existieren eine Vielzahl solcher Instrumente, die helfen sollen, das Risiko für gewalttätige Anschläge vorherzusagen (so u.a. TRAP-18, VERA 2, IVP, Returnee 45, speziell für den digitalen Raum CYBERA). Die Instrumente unterscheiden sich in Konstruktion und Ausprägungen zwar, weisen aber auch viele Überschneidungen auf. In ihren Listen der zu berücksichtigenden Faktoren finden sich Merkmale aus der Biographie und dem Sozialleben der betroffenen Person, die Überzeugungen und emotionale Ansprechbarkeit wird einbezogen, aber auch situative Kontextfaktoren (Umfeld, zur Verfügung stehenden Möglichkeiten) und das Verhalten (Reisen in Trainingslager etc.). Viele der allgemeinen Merkmale kennen wir in der Kriminologie aus der Prognoseforschung zu Kriminalität, was zwangsläufig so ist, ist doch terroristisches Verhalten letztlich eine spezielle Ausprägung selbiger. Aus der Kriminalprognoseforschung wissen wir auch, dass die Vorhersage menschlichen Verhaltens eine der größten Herausforderungen ist, was zwar für die Prognoseforschung schlecht ist, zugleich aber Ausdruck dessen, was uns als Menschen auszeichnet: die Fähigkeit zur Veränderung, die Chance unserem Leben immer eine neue Richtung zu geben. Dies ist durch die Entwicklungskriminologie und die Forschung zu Lebensläufen straffällig gewordener Menschen mehr als gut belegt2). Diese reale Möglichkeit, für die bei „normaler“ Kriminalität sogar eine überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht (dort sind nur ca. 5 % der Personen sog. Persister3), also Menschen, die über einen größeren Zeitraum straffällig werden), gibt uns – auch rechtlich, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG – die Aufgabe, besonders sorgfältig und vorsichtig mit solchen Risikoprognosen umzugehen, vor allem, wenn kein schwerkriminelles Verhalten vorausging; eine Situation, die sich im Bereich des religiös motiviertem Terrorismus oft stellen dürfte. Die Prognoseforschung birgt hier, wie auch bei „normaler“ Kriminalität, nämlich das Risiko, dass die Instrumente – gerade bei einer starken Betonung von Sicherheitsaspekten angesichts der durch Terrorismus befürchteten sehr großen Gefahren – zu viele sog. False Positives hervorbringen, also Menschen als „gefährlich“ einstufen, die letztlich nicht gewalttätig werden.4)

Das Präventionskonzept kann also schon deshalb nicht allein darin bestehen, sog. Gefährder zu erfassen, da dies zu kurz greift, zu schlecht funktioniert, die Risikobewertung, wie beschrieben, auf der Individualebene fehleranfällig ist. Zudem sind es im Bereich des religiös motivierten Extremismus immer wieder auch Täter*innen, die vorher nicht auffällig waren, die also gar nicht ins Raster fielen. Aber die Identifikation von Risikofaktoren durch die Prognoseforschung ermöglicht uns etwas anderes: Wir können durch die Kenntnis eben dieser Risikofaktoren auf der gesellschaftlichen Ebene daran arbeiten, diese Risikofaktoren allgemein zu minimieren, sprich: Wir sollten daran arbeiten, soziale Bindungen und die Aussicht auf ein gutes, sicheres Leben zu ermöglichen.

Ein Gedankenexperiment: Walk a mile in my shoes5)

Stellen Sie sich vor, Sie wachsen in einem Land auf, das von vielen Krisen gebeutelt ist. Stellen Sie sich vor, es herrscht oder herrschte in diesem Land Krieg, Unterdrückung oder auch „nur“ absolute Perspektivlosigkeit, ein sicheres und planbares, behütetes Leben zu führen. Stellen Sie sich vor, Sie konnten sich nicht aussuchen, in diesem Land geboren worden zu sein. Sie machen sich auf, in einem anderen Land neu zu beginnen. Ein großer Schritt, ein schwerer Schritt. Sie lassen Freunde und Familie zurück. Sie nehmen Erwartungen im Gepäck mit, bald finanzielle Hilfe für eben jene Menschen, die Ihnen so nahestehen, zu schaffen. Sie vielleicht auch nachholen zu können. Sie lassen alles hinter sich und brechen auf in ein Land, dessen Sprache Sie nicht sprechen.

Und jetzt kommen Sie an… und werden in Haft genommen. Wochen-, vielleicht auch Monatelang. Nach einer langen schweren Reise, die geprägt war von Unsicherheit und Sorgen. Sie bekommen mit, dass in diesem Land darüber gesprochen wird, wie man Nichtdeutsche remigrieren könnte.6) Darüber, dass man überfordert sei, alles außer Kontrolle gerate wegen der vielen Schutzsuchenden.7) Wenn Sie die Haft verlassen könnten und wie ein Vogel8) über diesem Land, über Deutschland fliegen könnten, was würden Sie sehen? Überforderung an allen Ecken und Enden? Menschenschlangen vor Zahnarztpraxen? Oder doch viele Ecken dieser Republik, nein nicht Ecken, sondern ganze Landstriche, in denen es den Menschen ziemlich gut geht. Bestens geht. Seien wir ganz ehrlich – Angela Merkels „Wir schaffen das“ war und ist wohl doch eine sehr treffende Beschreibung dessen, was Sie sehen würden, könnten Sie frei wie ein Vogel über Deutschland fliegen.

Was für ein Gefühl9) würde sich wohl in Ihnen einstellen, wenn Sie lesen, dass ein Landsmann von Ihnen einen schrecklichen terroristischen Messerangriff gemacht hat, und nun viele Menschen dieser Nationalität eben wegen dieses Einzeltäters zurückgeschoben werden sollen, in Ihr Land, in dem das Leben von existentiellen Krisen geprägt ist. Was würden Sie fühlen, wenn Sie im Supermarkt nur mit Bezahlkarte bezahlen dürfen, obwohl sie dringend ein bisschen Geld für Ihre Angehörigen sparen möchten? Ach nein – Supermarkt, das war ja mal, Sie sind ja jetzt auf einem „geeigneten Haftplatz“ untergebracht… Nicht mehr nur Sippenhaft, sondern „Herkunftshaft“?

Niemals über Menschenrechte lachen10)

Warum dieses Gedankenexperiment? Die Fähigkeit zum Perspektivwechsel ist im derzeitigen Diskurs nicht repräsentiert. Mächtige Wortführer*innen klassifizieren Menschen anderer Herkunft kollektiv als „Migrationsproblem“11) und „entmenschlichen“ diese dadurch in gewisser Weise; die Menschen, die Individuen in ihren ganz spezifischen Lebenslagen werden nicht mehr gesehen. Dabei geböte es deren Würde, dass wir – dankbar, darüber, dass wir in so einem sicheren Land leben dürfen – uns selbst ernsthaft hinterfragen, ob wir nicht doch noch ziemlich viel „Kontrolle“ haben, ziemlich viel Wohlstand und ziemlich viel Kraft, denen zu helfen, die Schutz suchen. Und dies gilt nicht nur für die Bundesrepublik, sondern für Europa.

Wem das alles nach zu viel Gutmenschentum und naiv klingt, dem kann mit einer rationalen Kosten-Nutzen-Rechnung geholfen werden; wir kommen zurück zu dem Konzept der Prävention von Radikalisierung: Othering und Exklusion bleiben nicht folgenlos. Fühlt man sich ausgeschlossen und unerwünscht, so folgen daraus mangelnde Bindung, mangelnder Halt12) in einer Situation, in der Menschen diesen dringend bräuchten, weil sie ohnehin ohne Arbeit und häufig ohne gefestigte Sozialkontakte sind. Aus der kriminologischen Forschung weiß man, dass aber gerade diese Stabilitätsfaktoren das beste Mittel gegen Kriminalisierung und auch Radikalisierung sind. Dies ist gut erforscht auf der Individualebene, auf der Makro-Ebene möchten wir uns das vielleicht gar nicht zu genau ausmalen.

Othering und Exklusion führen auch zu Wut und Hilflosigkeit13). Wenn Menschen keine Perspektive haben, dann kann sich ein sog. anomischer Zustand14) einstellen: Klaffen zur Verfügung stehende Mittel und angestrebte Ziele (z.B. ein sicheres Leben zu führen) zu weit auseinander, dann können Mechanismen einsetzen, um diesen anomischen Zustand zu beseitigen – man greift zu unlauteren Mitteln um diese Ziele zu erreichen, oder man sucht sich neue Ziele, beginnt, die in der Gesellschaft vorherrschenden Ziele bei sich selbst auszutauschen. Ein Mechanismus, der in der Ablehnung des Rechtsstaates, der Demokratie münden kann.

Dieser Zustand dürfte frühzeitig erzeugt werden, wenn man nun plant, die Menschen grenznah auf „geeigneten Haftplätzen“ unterzubringen. Das Leben intra mures ist nämlich für sich genommen ein kriminogener Faktor, also ein Umstand, der die Wahrscheinlichkeit, straffällig zu werden, erhöht, auch das ist gut erforscht.15) Der Plan, die Menschen erstmal monatelang in ein subkulturelles Klima – und nichts anderes ist eine Inhaftierung – zu inkarnieren, ist daher kontraproduktiv, wenn es darum geht, Sicherheit zu generieren. Hinzukommt, dass die Betroffenen vorher keine Straftaten (unter Umständen mit Ausnahme von den häufig mit Flucht einhergehenden Delikten wie Urkundenfälschung (Pass!) oder Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz) begangen haben, was das Ohnmachtsgefühl ob der Kasernierung noch verstärken dürfte.

Das vielgepriesene Rückführen – im Fall von Solingen 2024 – hilft auch nur bedingt weiter, denn wenn man nicht an die Ursachen geht, dann steht zu befürchten, dass der Anschlag unter Umständen in Bulgarien stattgefunden hätte; zweifelsohne keine zu bevorzugende Lösung. Radikalisierung ist eben mit Blick auf Solingen das Problem, das es zuerst zu bearbeiten gilt, auch und gerade durch Prävention auf der Meta-Ebene, nicht die davon im Ausgangspunkt strikt zu trennende Migrationsfrage. Radikalisierungsursachen sind mit Blick auf die Realität, dass wir in einer globalisierten Welt leben, nur global zu bearbeiten, denn auch Terror und Extremismus in Syrien und Afghanistan sind schrecklich und zu verhindern. Alle Menschen sind gleich.

Es steht zu viel auf dem Spiel: Der „German Angst“ Zuversicht16) entgegensetzen

Wenn wir aus der Identifikation von Risikofaktoren aus der Forschung zur Kriminalprognosen lernen wollen, so stimmt Franz von Liszts viel zitierter Satz „die beste Kriminalpolitik ist eine gute Sozialpolitik“ immer noch: Zentral für friedliches Zusammenleben ist, dass kein anomischer Zustand vorherrscht, nicht Gefühle der Ausweglosigkeit dominieren, sondern die Menschen Perspektiven entwickeln und Bindungen schließen können. Verwirklichen kann dies im Großen ein verantwortungsvolles Handeln im politischen Diskurs, das von einer den Menschenrechten und der Menschlichkeit verpflichteten Motivation getragen ist; und im Kleinen das Aufstehen und Diskutieren gegen rechte Hetze, ein Stärken und Mehren kommunaler Demokratie- und Schulprojekte17) u.a. (ja, es wird etwas kosten, doch auf längere Sicht sicher weniger, als wenn man alleine auf Abschottung und eine Verschärfung von Migrations- und Sicherheitsvorschriften setzt).

Der Philosoph Avishai Margalit betont in seinem Werk „The Decent Society“18), dass Menschen nicht durch Institutionen gedemütigt werden dürfen, dass Wohlfahrt und Beschäftigung zentral sind für Selbstachtung, Selbstwert, Ehre und Integrität – alles protektive Faktoren wenn es um Kriminalität geht, gut belegt auch durch die empirische Sozialforschung in der Kriminologie.19) Dies ist also anzustreben, wenn wir wirksame Prävention mit Blick auf Kriminalität und auch Terrorismus betreiben wollen.

Der häufig geäußerten Furcht, dass es „bei uns dann so schön ist“, also dann „alle zu uns kommen“ (oftmals als Pull-Effekt bezeichnet, der aber in der Migrationswissenschaft an sich schon bezweifelt bzw. verneint wird20)), kann nicht durch Abschiebungen und Kasernierung begegnet werden. Xenophobie21), das lehrt uns die Geschichte, ist ein schrecklicher Motor22) und darf keinen Raum bekommen. Entgegenzusetzen ist dem die zentrale Errungenschaft der Allgemeingültigkeit der Menschenrechte. Ohne Wenn und Aber, ohne „Ausnahmezustand“. Das Gute ist: Das Unterlassen von permanent Furcht erzeugenden Narrativen im öffentlichen Diskurs kann dieser Furcht effektiv Einhalt gebieten. Wir brauchen eine Rückkehr zum Grundvertrauen in das Funktionieren der Demokratie und das, was diese auszeichnet: die Bindung an das Recht. Ansonsten werden rechte Narrative mit deren Folgen nur verstärkt – die vielfach geäußerte Strategie, man wolle den Rechten das Wasser abgraben, kann zum einen nicht überzeugen (vielmehr werden die extremen Rechten gestärkt!) und wäre zum anderen vermeidbar: Wenn man das Vertrauen in die Demokratie glaubwürdig stärkt, anstatt selbst den Kontrollverlust quasi herbeizureden, dann könnte der Zulauf nach rechts auf eine anständige Weise gestoppt werden, ohne selbst menschenrechtliche Grundsätze zugunsten eines „Notstands“ aussetzen zu wollen und dabei das Gesicht zu verlieren.

Der realen Frage, ob dann „alle zu uns kommen“, ist weltpolitisch zu begegnen, und es geht hier nicht „um uns“, sondern auch hier kann ein Perspektivwechsel helfen. Für die betroffenen Menschen wären bessere Lebensbedingungen in den in Frage stehenden Ländern unabdingbar. Diese Aufgabe (Kriege, Klimawandel, unfaire Wirtschaftsbedingungen, um nur einige zu nennen) ist freilich noch eine ganz andere Größenordnung. Einmauern in der Republik in einer globalisierten Welt kann aber keine Lösung sein. Wenn wir uns dem großen Ganzen nicht verpflichtet sehen, dann sollten wir vielleicht, um nur ein Beispiel zu nennen, konsequenterweise auch keine Rohstoffe aus eben diesen Ländern mehr „annehmen“.

Es verwundert also, wenn Diskurs und politisches Handeln einerseits das Problem von der „Radikalisierung“ zur „Migration“ verschieben, und dann andererseits die Lösung für das „Migrationsproblem“ im Nationalen suchen, denn es ist eindeutig eine Herausforderung, die international angegangen werden muss. Daneben ist rechtsextremistisches Handeln23) hierzulande konsequent zu bearbeiten; auch darüber ist in den aktuellen Tagen wenig zu lesen.

 

Die Autorin war Projektpartnerin im Verbundprojekt RadigZ (Radikalisierung im digitalen Zeitalter), gefördert mit Mitteln des BMBF.

References

References
1 „Wenn Menschlichkeit und Verstand Deiner Wut weicht“, so Faber im Lied „Das Boot ist voll“. Alle Lieder, aus denen hier zitiert wird, sind auf Spotify in der Playlist „Solingen 93/24“ hinterlegt.
2 Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, 8. Aufl., Tübingen 2024, S. 1035 ff., bieten einen Überblick über die kriminologische Verlaufsforschung.
3 Moffitt, Adolescent-Limited and Life-Course-Persistent Antisocial Behavior: a Developmental Taxonomy, in: Psychological Review 100 (1993), 674 ff.; siehe auch ihren neuesten Beitrag hierzu dies., Male antisocial behaviour in adolescence and beyond. Nat Hum Behav 2,(2018), 177 ff..
4 Umso seltener Ereignisse sind (und dazu gehört schwere Gewaltkriminalität inkl. Terrorismus), desto schwerer sind sie zu prognostizieren, das ist aufgrund der niedrigen Basisrate eine statistische Gesetzmäßigkeit.
5 Die Aufforderung zum Rollentausch ist oft aus der Notwendigkeit geboren, dass so versucht werden kann, die jeweilige Perspektive – auch fühlbar – zu erweitern, so auch in Songs, u.a. Elvis Presley, Walk a Mile in Shoes (dort eindrücklich „If I could be you, if you could be me. For just one hour, if we could find a way. (…) I believe you’d surprised to see, that you’ve been blind. (…) Just walk a mile in my shoes, before you abuse, critizie and accuse…“); ähnlich in vielen weiteren Liedern, u.a. Depeche Mode, Big Daddy Wilson. Konkret hörbar in Samy Deluxes „Superheld“: „Doch viele Leute können es sich nicht vorstellen. Und wissen nicht wie es is’. Wenn man als brauner Junge in einem weißen Land aufwächst. Und irgendwas vermisst. Was du hier nicht kriegst. Weil du oft hier der Einzige bist“.
6 „Wenn Deutschland mich wieder ansieht. Und sagt, mein Herz hat kein’n Platz hier…“, eindrucksvoll zur Perspektive so Apsilon im Song „Koffer“.
7 „Hass Hass Hass, die neue Dauerausstellung“, so Rainald Grebe in „Meganice Zeit“.
8 Nochmal Elvis Presley, Walk a Mile in My Shoes: „If I only had wings of a little angel, don’t you know, I’d fly to the top of a mountain, and then I’d cry cry cry“.
9 „Dass sie fern von jeglicher Chance die Hoffnung verlässt“, so Marlo Gosshardt im Song „Ein Spiel“ (feat. piya).
10 Abwandlung von Konstantin Weckers Liedzeile „Wenn Sie jetzt ganz unverhohlen, wieder Nazi-Lieder johlen, über Juden Witze machen, über Menschenrechte lachen“ im Song „Sage nein“, aus dem Jahr 1993 (!).
11 So singt Kraftklub zynisch „Oder gib die Schuld ein paar anderen armen Schweinen. Hey, wie wäre es denn mit den Leuten im Asylbewerberheim…“ (Song „Schüsse in die Luft“).
12 Siehe hierzu etwa Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, 8. Aufl., Tübingen 2024, S. 80 ff. m.w.N.
13 Dagegen eindrücklich ansingend Samy Deluxe wieder in „Superheld“: „Aber (…) glaub an dich. Und du kannst alles schaffen was du willst. Doch ich weiß es, dass es manchmal nicht leicht ist. Anders zu sein, wenn die Mehrheit hier gleich ist. Und man schaut sich um und vergleicht sich. Fühlt sich alleine und ist verzweifelt.“ Höre auch Ebow „Asyl“.
14 Merton, Robert, Social Structure and Anomie, American Sociological Review 3 (1938), 672 ff. (678).
15 Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, 8. Aufl., Tübingen 2024, S. 598 ff. m.w.N.
16 Überzeichnet, aber im Grundgefühl gut hörbar bei SOFFIE im Song „Für immer Frühling“.
17 Die Bedeutung von Schularbeit/Lehrplänen andersherum gewendet greift Jennifer Rostock in ihrem ironischen Song „Wähl die AFD“ auf („ein Lehrplan auch an Schulen, der nur noch dieses Weltbild lehrt, dann wähl die AFD“).
18 Margalit, The Decent Society, Cambridge, Mass. (u.a.) 1996.
19 Einen Überblick über personen- und umweltbezogene Einflussfaktoren mit vielfältigen Nachweisen liefern Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, 8. Aufl., Tübingen 2024, S. 1056 ff. Speziell zum Selbstwert eindringlich der Vortrag von Hosser zum Jugendvollzug Hosser, Daniela: Der Ruf nach Gerechtigkeit, Anerkennungsbedürfnisse und Resozialisierung, Hearing W3 „Interdisziplinäre kriminologische Forschung“ – Direktorenstelle KFN, 24. April 2014 Göttingen; vgl. auch Nedopil/Müller, 2012 S. 356
20 Rodriguez Sanchez et al., Search-and-rescue in the Central Mediterranean Route does not induce migration: Predictive modeling to answer causal queries in migration research, Scientific Reports 13 (2023), online unter: https://www.nature.com/articles/s41598-023-38119-4 (letzter Zugriff am 19.09.2024); Ferwerda/Marbach/Hangartner, Do Immigrants Move to Welfare? Subnational Evidence from Switzerland, American Journal of Political Science 68 (2024), 874 ff.; De Haas, The determinants of international migration. Conceptualising policy, origin and destination effects, DEMIG project paper 2, University of Oxford, 2011, online unter: https://webapps.ilo.org/dyn/migpractice/docs/225/Determinants.pdf (letzter Zugriff am 19.09.2024); Wissenschaftlicher Dienst des Bundestags, Push- und Pull-Faktoren in der Migrationsforschung, WD 1 – 3000 – 027/20, 04.11.2020, online unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/799860/b555457732e3ec012177cdf4357110a0/WD-1-027-20-pdf-data.pdf (letzter Zugriff am 19.09.2024); https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-997282; Parnreiter, Theorien und Forschungsansätze zu Migration, in: Ders./ Husa/ Stacher (Hrsg.), Internationale Migration. Die globale Herausforderung des 21. Jahrhunderts? Frankfurt a.M. 2000, 25 ff. (45 f.).
21 Aufgegriffen im Lied „Germanische Angst“ von Swiss&die Anderen (feat. SHOCKY). Höre auch die Zeile „Dies ist das Land, in dem man nicht versteht, dass ‚fremd‘ kein Wort für ‚feindlich‘ ist“ im Lied „Willkommen in Deutschland“ von den Toten Hosen (auch aus dem Jahr 1993!).
22 Zur Bedeutung von Angst mit Blick auf Rechtsextremismus aus kriminologischer Sicht exemplarisch Höffler/Sommerer, Biedermann und die Brandstifter. Kriminologische Überlegungen aus aktuellem Anlass, MSchrKrim 100 (2017), 26 ff.
23 Zum Abschluss höre z.B. Antilopen Gang „Beate Zschäpe hört U2“.

SUGGESTED CITATION  Höffler, Katrin: Solingen 93/24: Menschenrechte als bestes Präventionskonzept, VerfBlog, 2024/9/20, https://verfassungsblog.de/solingen-93-24/, DOI: 10.59704/107edf3098ede414.

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