13 March 2025

Sondierte Systemwechsel

Zur Ankündigung des Übergangs von der Amtsermittlung zum Beibringungsgrundsatz im Asylrecht

Die Sondierungsergebnisse von CDU/CSU und SPD zum Themenbereich Migration sind eine Mischung aus erwartbaren Zielvorgaben, teilweise überraschenden Kompromissen (etwa im Bereich Staatsangehörigkeit) und schließlich einer kurzen und rätselhaften Passage. Unter Zeile 323 f. liest man kontextfrei: „Aus dem ‘Amtsermittlungsgrundsatz’ muss im Asylrecht der ‘Beibringungsgrundsatz’ werden“. Diese Ankündigung wirft viele Fragen auf, denen an dieser Stelle nachgegangen werden soll. Sollte der angekündigte Systemwechsel im Asylrecht tatsächlich umgesetzt werden, hätte dies eine deutliche Schwächung rechtsstaatlicher Verfahrensgrundsätze zur Folge. Die Amtsermittlung ist ein Schlüsselinstrument zur Sicherung der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit des Verwaltungshandelns. Gerade im Asylrecht ist es entscheidend, dass der Zugang zum Recht nicht von persönlichen Fähigkeiten und Mitteln abhängig gemacht wird.

Worauf bezieht sich die Aussage?

Zunächst steht die Frage im Raum, was mit „im Asylrecht“ gemeint ist. Dieses kennt Verfahrensgrundsätze sowohl im Anerkennungsverfahren vor dem Bundesamt als auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Für das Verwaltungsverfahren gilt allgemein nach § 24 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) der Grundsatz der Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestimmt § 86 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), dass das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen erforscht und dabei die Beteiligten heranzuziehen sind. Das Zivilprozessrecht geht dagegen im Normalfall davon aus, dass das Gericht nur die von den Parteien beigebrachten Tatsachen berücksichtigt und eigenständig würdigt.

Da das Asylrecht sowohl das im Asylgesetz normierte Sonderverfahrensrecht (§§ 13 ff. AsylG) als auch das dort geregelte Sonderprozessrecht (§§ 74 ff. AsylG) umfasst, muss man die Aussage wohl so verstehen, dass in beiden Bereichen der Systemwechsel vorgenommen werden soll.

Um zu beurteilen, was dies rechtlich und praktisch bedeutet, ist ein genauer Blick auf die aktuelle Rechtslage notwendig, denn die asylrechtlichen Verfahren unterscheiden sich bereits nach aktuellem Recht erheblich von den allgemeinen Regelungen.

Das Anerkennungsverfahren nach §§ 14 ff. AsylG, in dem die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Flüchtling oder subsidiär Schutzberechtigter geprüft werden, ist so stark wie kaum ein anderes Verwaltungsverfahren durch Mitwirkungspflichten geprägt. Das zeigt u.a. ein Blick in § 15 AsylG, der umfangreich allgemeine Mitwirkungspflichten normiert. Darin kommt der Umstand zum Ausdruck, dass die zu ermittelnde Gefährdung durch den Heimatstaat bzw. im Heimatstaat durch einen Bürgerkrieg nur schwer durch deutsche Behörden ermittelt werden kann und der Antragsteller deshalb die Hauptinformationsquelle ist. Da der Beibringungsgrundsatz auch eine Mitwirkung verlangt, ist deshalb auch schon bei geltender Rechtslage der Unterschied insoweit deutlich geringer als in vielen anderen Sachbereichen, in denen eine Sachverhaltsermittlung von Amtswegen umfassend möglich ist. Gleichwohl bleibt jenseits der sachlichen Reichweite der Mitwirkungspflichten noch viel Raum für die Amtsermittlung, etwa in Bezug auf die Gefahrenlage im Heimatstaat und andere nicht direkt auf die Person bezogene Umstände.

Im Asylprozess ist die Lage insoweit eine andere, weil dieser in erster Linie auf die Kontrolle der behördlichen Entscheidung gerichtet ist, dabei und bei offenen Fragen aber mit der gleichen Grundkonstellation umgehen muss. Deshalb gibt es auch hier sowohl Mitwirkungspflichten als auch Bereiche, die der Amtsermittlung zugänglich sind.

Was ist damit bezweckt?

Bereits heute sind für das Anerkennungsverfahren umfangreiche Mitwirkungspflichten im AsylG normiert. Deshalb würde der Übergang zum Beibringungsgrundsatz in der Praxis vor allem bedeuten, dass überall dort, wo es nicht um die individuelle Lage des Antragstellers geht und nach derzeitiger Rechtslage die Amtsermittlung durch Behörden oder Verwaltungsgerichte eingreift, die Antragsteller selbst aktiv werden müssten. Das betrifft vor allem den Nachweis zur allgemeinen Gefahrenlage in den Heimatländern, die nur sehr aufwändig zu belegen ist. Wenn in diesem Bereich die Antragsteller in die Pflicht genommen werden, führt das ohne eine flächendeckende Unterstützung durch NGOs zu einer erheblichen Schlechterstellung im Verfahren.

Wer ist davon wie betroffen?

In der Praxis würde sich die Änderung der Verfahrensgrundsätze vor allem auf Personen auswirken, die aus Ländern oder Lebenslagen kommen, die bislang wenig oder kontrovers dokumentiert sind. Überall dort, wo es eine klare Lagebeurteilung gibt, dürften die Auswirkungen überschaubar sein. Damit würde aber ein neuer Bias in die Verfahren eingeführt werden, indem Antragsteller aus Regionen, zu denen es weniger gesicherte Erkenntnisse gibt, im Verfahren einen sehr viel höheren Aufwand betreiben müssen und damit ungleich behandelt werden, zumindest aber unfair.

Rechtsstaatliche Strukturen stärken und nicht schwächen

Dieser Gesichtspunkt führt zurück zu der Reflexion über die Ratio der Amtsermittlung. Sie gehört zu den grundlegenden Sicherungsmechanismen und dient dazu, die Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit des Verwaltungshandelns zu gewährleisten. Nach einhelliger Ansicht der Verwaltungsrechtswissenschaft ist die Amtsermittlung vor allem ein Instrument zur Verwirklichung der objektivrechtlichen Gesetzmäßigkeit der Verwaltung im Sinne von Art. 20 Abs. 3 GG, ohne jedoch durch diese zwingend vorgegeben oder im Detail determiniert zu sein. Der Untersuchungsgrundsatz sichert zudem die Gleichheit der Bürger in Verwaltungsverfahren und generell den Grundrechtsschutz im Verwaltungsverfahren sowie sozialstaatliche Standards, indem der Zugang zum Recht nicht von persönlichen Fähigkeiten und Mitteln abhängig gemacht wird. Letzterem Aspekt kommt im humanitär geprägten Asylrecht sogar eine herausgehobene Bedeutung zu.

Zu beachten ist schließlich, dass im Bereich des Asylrechts die Uneinheitlichkeit vor allem der Einschätzung von Gefahrenlagen schon länger als Problem erkannt wurde und der Gesetzgeber durch die Tatsachenrevision darauf reagiert hat. Dieses Bemühen würde durch die Abkehr vom Grundsatz der Amtsermittlung ebenfalls konterkariert. Geboten ist weiterhin eine Stärkung der rechtsstaatlichen Verfahren und Strukturen, nicht deren Schwächung.


SUGGESTED CITATION  Kluth, Winfried: Sondierte Systemwechsel: Zur Ankündigung des Übergangs von der Amtsermittlung zum Beibringungsgrundsatz im Asylrecht, VerfBlog, 2025/3/13, https://verfassungsblog.de/sondierte-systemwechsel/, DOI: 10.59704/0a1390af15a914b0.

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