Warum die staatliche Förderung von Nichtregierungsorganisationen parlamentsgesetzlich zu regeln ist
Kurz vor der Bundestagswahl protestierten bundesweit tausende Menschen gegen die CDU. Wenig später entbrannte eine politische und rechtliche Debatte darüber, in welchem Rahmen Nichtregierungsorganisationen, die teilweise durch den Staat finanziert sind, solche Demonstrationen mitorganisieren dürfen. Vieles ist dabei noch unklar, insbesondere die Frage, ob möglicherweise mittelbar staatliche Gelder für die Organisation der Demonstrationen genutzt wurden. Ohne dies den betreffenden Nichtregierungsorganisationen unterstellen zu wollen, soll die betreffende Diskussion im Folgenden zum Anlass genommen werden, die in der Rechtsprechung entwickelten staatlichen Fördervoraussetzungen zu beleuchten. Dabei zeigt sich, dass ohne parlamentsgesetzliche Grundlage jedenfalls keine staatlichen Mittel (mittelbar oder unmittelbar) für die Organisation von Demonstrationen gegen politische Parteien verwendet werden können. Überdies ist kaum ein Parlamentsgesetz denkbar, in dem sich auf verfassungsrechtlich zulässige Weise regeln ließe, dass staatliche Zuwendungen für Demonstrationen im Wahlkampf gegen politische Parteien, die das Parteienprivileg nach Art. 21 Abs. 1 GG genießen, eingesetzt werden dürfen. Auch staatliche Projektmittel müssen dementsprechend mit der Auflage versehen werden, dass die Projektmittel so eingesetzt werden, dass das verfassungsrechtliche Neutralitätsgebot sowie die Chancengleichheit der Parteien nach Art. 21 Abs. 1 GG nicht verletzt werden.
Zum Erfordernis eines Parlamentsgesetzes
Die Frage nach dem Erfordernis einer parlamentsgesetzlichen Grundlage für staatliche Förderungen ist prinzipiell geklärt: Nach der Wesentlichkeitstheorie muss in der Regel nur das „Ob“ der Leistungsgewährung im Haushaltsgesetz geregelt sein. Es muss ein entsprechender Posten im Haushaltsplan vorgesehen sein. Das „Wie“ der Leistungsgewährung bedarf grundsätzlich hingegen keiner parlamentsgesetzlichen Regelung. Die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung können in einer Verwaltungsvorschrift konkretisiert werden. Die Rechtsprechung ist von diesem Grundsatz indes in einigen Fällen abgewichen, von denen drei Fälle herausgegriffen werden sollen.
So hat das Bundesverwaltungsgericht am 27.03.1992 (Az. 7 C 21.90) entschieden, dass der Staat durch die Finanzierung eines privaten Vereins, der die Öffentlichkeit vor dem Wirken bestimmter Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften warnen soll, in die Grundrechte der betroffenen Gemeinschaften eingreift. Die Förderung sei daher nur aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung zulässig, die diese Eingriffe zu rechtfertigen vermag. Die den Staat treffende Pflicht, bei Förderungsmaßnahmen „strikt auf Neutralität zu achten sowie auch im Verhältnis der Grundrechtsträger untereinander eine willkürliche oder unverhältnismäßige Beschränkung des Grundrechts aus Art. 4 zu vermeiden“, führe ebenfalls zum Erfordernis einer speziellen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, so das BVerwG.
Ähnlich entschied das OVG Berlin bereits am 25.04.1975 (Az. II B 86/74) zu Pressesubventionen. Die Notwendigkeit einer – über das Haushaltsgesetz hinausgehenden – gesetzlichen Grundlage für Pressesubventionen folge aus dem Grundsatz, dass nicht dem Ermessen der Exekutive überlassen bleiben dürfe, die Grenzen grundrechtlich geschützter Bereiche nach ihren Vorstellungen vom öffentlichen Wohl zu bestimmen. Dem OVG Berlin zufolge müssten vielmehr, ausgehend von den Verfassungsprinzipien des Rechtsstaats und der Demokratie (Art. 20 GG), die Grenzen der Grundrechte in ihren wesentlichen Merkmalen vom Gesetzgeber gezogen werden. Nur so ließen sich Machtmissbräuche verhüten, die Freiheit des Einzelnen bewahren und eine hinreichende demokratische Legitimation gewährleisten.
Abschließend sei in diesem Zusammenhang auf die jüngere Entscheidung des BVerfG vom 22.02.2023 (Az. 2 BvE 3/19) zur staatlichen Förderung politischer Stiftungen verwiesen. Angesichts der bereits genannten Rechtsprechung wenig überraschend gelangt das BVerfG in der Entscheidung zu dem Ergebnis, dass Eingriffe in das Recht auf Chancengleichheit der politischen Parteien einer besonderen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedürfen, die über das bloße Haushaltsgesetz hinausgeht:
„Wirken sich staatliche Leistungen – unmittelbar oder mittelbar – auf die Stellung und die Handlungsspielräume der Parteien im politischen Wettbewerb aus, ist es wegen ihrer zentralen Rolle bei der Ausfüllung des grundgesetzlichen Demokratiegebots Sache des Gesetzgebers, selbst unter Beachtung des Grundsatzes der Chancengleichheit die Anspruchsvoraussetzungen und Verteilungskriterien solcher Leistungen zu bestimmen.“
Überträgt man die drei genannten Entscheidungen auf Nichtregierungsorganisationen, die in der Wahlkampfzeit Demonstrationen gegen die CDU Deutschlands organisieren oder unterstützen, so dürfte klar sein, dass dies nicht ohne Weiteres mit staatlichen Geldern geschehen darf. Auch mittelbar staatlich finanzierte Proteste in der Wahlkampfzeit gegen eine bestimmte Partei beeinträchtigen die Chancengleichheit der Partei im Sinne des Art. 21 Abs. 1 GG. Zum einen lässt sich bereits gar kein materiell verfassungsgemäßes Parlamentsgesetz vorstellen, wonach es zulässig wäre, mit staatlichen Geldern während der Wahlkampfzeit eine Demonstration gegen Parteien zu finanzieren, die das Parteienprivileg nach Art. 21 Abs. 1 GG genießen. Zum anderen ist nach den genannten Entscheidungen des BVerwG, des OVG Berlin und des BVerfG jedenfalls eine parlamentsgesetzliche Grundlage für die staatliche Förderung von Nichtregierungsorganisationen erforderlich, wenn diese Gelder für Demonstrationen gegen Parteien, die das Parteienprivileg nach Art. 21 Abs. 1 GG genießen, eingesetzt werden können.
Zur Gesetzgebungskompetenz
Da Nichtregierungsorganisationen derzeit lediglich über Projektmittel staatlich finanziell gefördert werden, gab es in der letzten Legislaturperiode das Bestreben, Nichtregierungsorganisationen über ein „Demokratiefördergesetz“ eine dauerhafte Förderung zu ermöglichen. Auch die Bundesregierung schien somit in der letzten Legislaturperiode zu dem Ergebnis gekommen zu sein, dass staatliche Zuwendungen im Bereich „Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung und Extremismusprävention“ jedenfalls dann einer parlamentsgesetzlichen Grundlage bedürfen, wenn sie dauerhaft sein sollen. Inwieweit auch bei Projektmitteln eine parlamentsgesetzliche Grundlage erforderlich ist, soll an dieser Stelle nicht erörtert werden. Obgleich zum Teil kritisiert, vertraten die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages in einer Stellungnahme die Auffassung, für ein derartiges „Demokratiefördergesetz“ gebe es keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Die erwogenen Ansätze einer ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenz kraft Natur der Sache, einer spezifischen Kompetenz kraft Natur der Sache im Bereich der Staatsleitung sowie der in Art. 74 Abs. 1 Nr. 7, Art. 72 Abs. 2 GG geregelten Kompetenz für die öffentliche Fürsorge werden von den Wissenschaftlichen Diensten als letztlich unplausibel abgelehnt.
Zur Ausführung des Gesetzes
Selbst falls man zu dem Ergebnis gelangen wollte, dass es eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für ein Gesetz zur Förderung politisch engagierter Nichtregierungsorganisationen gibt, wäre jedenfalls aber eine unmittelbare Förderung durch ein Bundesministerium – anders als in § 7 Abs. 1 Satz 1 des Entwurfs zum Demokratiefördergesetz geplant – unzulässig. Nach Art. 83 GG führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt. Es ist nicht zu erkennen, dass das Grundgesetz im Falle eines „Demokratiefördergesetzes“ etwas anderes vorsehen sollte. Es dürfte unstreitig keine Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG vorliegen und es ist auch nicht erkennbar, weshalb sich aus dem Grundgesetz ergeben sollte, dass ein Fall der bundeseigenen Verwaltung nach Art. 86 GG gegeben ist. In Betracht käme einzig eine fakultative unmittelbare Bundesverwaltung nach Art. 87 Abs. 3 GG. In diesem Falle müssten dafür selbständige Bundesoberbehörden oder neue bundesunmittelbare Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts durch Bundesgesetz errichtet werden.
Fazit
Die teils mit gegenseitigen Unterstellungen stattfindende Diskussion zu der staatlichen Förderung von Nichtregierungsorganisationen kann positiv gewendet werden. Sie kann dazu dienen, sich der verfassungsrechtlichen Vorgaben staatlicher Förderung zu vergewissern. Nach der die Reichweite des Parlamentsvorbehalts bestimmenden Wesentlichkeitstheorie spricht vieles dafür, künftig die staatliche Förderung von Nichtregierungsorganisationen parlamentsgesetzlich zu regeln. Die Gesetzgebungskompetenz dürfte diesbezüglich bei den Ländern liegen. Die Aufgabe der Länder wird es dabei sein, das politische Engagement von Nichtregierungsorganisationen mit dem verfassungsrechtlichen Neutralitätsgebot und der Chancengleichheit der Parteien im Sinne des Art. 21 GG in Einklang zu bringen.
Mir erscheint Ihre Argumentation aus einem falsch verstandenen Neutralitätsgedanken heraus entwickelt.
Mir ist als juristischem Laien nicht verständlich, warum man sich nicht auch staatlich finanziert für die freiheitlich-demokratische Grundordnung und damit gegen extremistische Parteien oder Tendenzen/Handlungen wenden können soll. Jede verbeamtete Person macht das ja auch und ist staatlich finanziert.
Wenn tatsächlich eine Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gegeben sein sollte, wären dagegen gerichtete Aktivitäten staatlich finanzierter NGOs verfassungsrechtlich unproblematisch. In diesem Falle greift sogar eine besondere Äußerungskompetenz zur kommunikativen Verfassungsverteidigung.
Das oben skizzierte (Neutralitäts-)Problem stellt sich aber, wenn sich Äußerungen gegen politische Parteien richten, deren Verfassungswidrigkeit i.S.d. Art 21 Abs. 2 GG nicht vom BVerfG festgestellt wurde. Sie genießen den Schutz aus Art. 21 Abs. 1 GG. Wenn von diesen Parteien – anders als beispielsweise von der AfD – darüber hinaus auch keine faktisch-strukturelle Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ausgeht, handelt es sich bei staatlich finanzierten und damit ggf. auch motivierten Äußerungen und Aktionen privater NGOs gegen politische Parteien in der heißen Phase des Wahlkampfes um nicht unerhebliche Eingriffe in das Recht auf Chancengleichheit, die grundsätzlich keiner Rechtfertigung zugänglich sein dürften.
Man mag vom (Abstimmungs-)Verhalten der CDU in der heißen Phase des Wahlkampfes halten, was man mag und dieses (zurecht) politisch zutiefst verurteilen; eine strukturelle Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung, die zur kommunikativen Verfassungsverteidigung berechtigt und Ausnahmen vom Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien rechtfertigt, ist darin jedoch nicht zu sehen.
In Bezug auf die CDU kann ich dem folgen.
Interessant finde ich die “besondere Äußerungskompetenz zur kommunikativen Verfassungsverteidigung” insbesondere ggü. einer nicht vom BVerfG verbotenen AFD. So wie es aussieht, wird es ja vorerst keinen Antrag von Bundestag, BundesReg oder Bundesrat geben.
Vermutlich ist das aber ein eigener Blogeintrag.
Ein aus meiner Sicht schon deswegen begrüßenswerter Artikel, weil er ein wenig Sachlichkeit in die doch sehr aufgeregt geführte Debatte bringt.
Was der Autor hier in der Sache einfordert, ist nicht mehr (aber auch nicht weniger) als die staatliche Förderpraxis auf eine parlamentsgesetzliche Grundlage zu stellen und hierbei das “politische Engagement von Nichtregierungsorganisationen mit dem verfassungsrechtlichen Neutralitätsgebot und der Chancengleichheit der Parteien im Sinne des Art. 21 GG in Einklang zu bringen” – dass es sich hierbei bereits mit Blick auf die vom Verfasser angesprochene Wesentlichkeitstheorie, erst recht jedoch die jüngste Rechtsprechung des BVerfG, um eine nicht völlig abwegige, sondern juristisch im besten Sinne “vertretbare” These, handelt, dürfte auch von denen kaum bezweifelt werden, die diese im Ergebnis nicht teilen. Ebenso dürfte unstreitig eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Eingriffen in die Parteienfreiheit des Art. 21 Abs. 1 GG – deren Vorliegen unterstellt – , noch dazu im Wahlkampf, wie schon Nicolas H zutreffend ausgeführt hat, mindestens schwierig sein; nichts anderes jedoch geht aus dem Beitrag hervor.
Tatsächlich steht der erste Kommentar, dessen Autor dem Beitrag darüber hinausgehend eine generelle Unzulässigkeit der Förderung entsprechender NGOs zu entnehmen scheint, m.E. beispielhaft für ein grundsätzliches Problem in der Debatte: dass nämlich angesichts der politisch aufgeladenen Situation vielfach auf unterschiedlichen Ebenen aneinander vorbei argumentiert wird und die, auch vom Autor angesprochenen, gegenseitigen Unterstellungen eine konstruktive Auseinandersetzung über die in der Sache ja tatsächlich bestehenden Unterschiede in den rechtlichen Auffassungen verhindern.
Eine von der politischen – und hier mag man von dem Verhalten der CDU mit Nicolas H tatsächlich halten, was man will – losgelöste, rechtliche Bewertung und ein Beachten der verfassungsrechtlich vorgezeichneten Grenzen ist jedoch gerade, und in diesem Sinne dürfte auch der Autor zu verstehen sein, dann erforderlich, wenn es, wie hier, um die Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung mit deren Mitteln geht.
ja, es wird oft aneinander vorbei diskuttiert. allerdings beginnt der im Grunde sachliche und sicher fundierte Artikel bereits mit einer verfehlten Prämisse: es gab keine Demonstrationen “gegen die CDU”, es handelte sich um Protest gegen das gemeinsame Abstimmen mit der AFD und die Behauptung (?), dieses Verhalten inkl. einiger Punkte des Entschließungsantrages seien rechtsextrem. Wenn überhaupt kann man sagen, dass es Demos gegen Herrn Merz gab – der als Kanzler nun nicht gerade eine position einimmt, die grundrechtlich geschützt werden muss…
und ja, Neutralität ist ein oft falsch verstandener Begriff. und das will ich dem Autor hier nicht mal unterstellen – aber es ist meines Erachtens nach schon ein Unterschied, ob man parteiisch ist / argumentiert oder ob man nicht neutral zur Verteidigung von Menschenrechten und Grundgesetz demonstriert.
aber insofern wäre eine genauere gesetzliche klärung sicher wünschenswert.
Vielen Dank für Ihre differenzierende Antwort.
Entgegnen möchte ich lediglich, dass ich die „falsche Prämisse“ – unabhängig von der inhaltlichen Interpretation der Proteste – nicht erkennen kann. Den NGOs soll doch (ausdrücklich) nichts unterstellt werden? Jedenfalls dürfte es hierauf nicht ankommen, da es sich m.E. schon um keine Prämisse der nachfolgenden Argumentation handelt. Die Frage nach dem Erfordernis eines Parlamentsgesetzes scheint mir vielmehr losgelöst von dem (ausdrücklich) bloß zum Anlass genommenen CDU/CSU-Fall diskutiert zu werden (das war auch mein Punkt in dem Kommentar).
Wenn ich sowohl Sie als auch den Autor richtig verstehe, dürften ihre Postionen damit – auch Sie sehen hier ja Regelungsbedarf – im Ergebnis gar nicht so weit auseinander liegen.
Eine Differenzierung des Problems hätte gut getan und geht auch aus der Anfrage der CDU-Fraktion (BT-Drs 20/15035) hervor, wenn dort auch beides oft zusammen genannt wird: Die Anfrage betrifft einmal die Förderung von gemeinnützigen Organisationen durch Steuerbefreiung zum anderen die Förderung durch die Subventionierung der Organisation als solche (oder schließlich nur bestimmter ihrer Aktivitäten, zB Einrichtung zur Betreuung von Flüchtlingen). Gelten für alle Fälle dieselben Grundsätze?
Der Lackmustest ist zudem immer die Frage: Sollte eine Bundesregierung über das Mittel Subventionen an NGO eine gesellschaftliche Meinungsbildung zu Problemen beeinflussen, die ihr bisher zu kurz gekommen scheint (zB die “Heimattreue”)? In der Rechtssprechung zu staatlichen Subventionen an die Presse und Parteienstiftungen gibt es viel zur verfassungsrechtlichen Gratwanderung bei der Beurteilung dieses generellen Problems.