17 January 2025

Reichweite reicht nicht

Für die Nutzung X und Facebook kann die Bundesregierung sich nicht auf ihren verfassungsrechtlichen Informationsauftrag berufen

Elon Musk nutzt die Reichweite seiner Plattform „X“ zuletzt vermehrt, um sich in den politischen Diskurs außerhalb der USA einzuschalten. So versucht er etwa in Großbritannien, Premierminister Keir Starmer mit unsubstantiierten Anschuldigungen im Zusammenhang mit einem 2010 aufgedeckten Missbrauchsskandal und deren unzureichender Verfolgung zu diskreditieren. Im gegenwärtigen deutschen Wahlkampf forderte Musk zur Wahl der AfD auf. Vergangenen Donnerstag wurde ein von ihm geführtes Interview mit AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel über die Plattform ausgestrahlt, das zahlreiche Inhaltsverkürzungen und unzutreffende Darstellungen enthielt.

Die öffentliche Kritik an der Plattform wird deshalb lauter. Am Mittwoch vergangener Woche forderte die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung die Bundesregierung auf, die Plattform X zu verlassen, da sie zu einem „politischen Machtbeeinflussungsinstrument des reichsten Mannes der Welt“ geworden sei. Zahlreiche deutsche und österreichische Hochschulen teilten am Freitag mit, ihre Accounts bei X stillzulegen. Die aktuelle Ausrichtung der Plattform sei mit ihren Grundwerten der Weltoffenheit, wissenschaftlichen Integrität, Transparenz und eines demokratischen Diskurses nicht vereinbar, so die Begründung. Zuletzt teilten auch das Verteidigungsministerium und die Bundeswehr mit, ihre Kanäle ruhen zu lassen. Währenddessen kündigte Meta-Chef Mark Zuckerberg an, das Überprüfungs- und Hinweissystem in Bezug auf Falschnachrichten bei Facebook in den USA umstellen und näher am Vorbild von X ausrichten zu wollen.

Trotz aller Kritik will die deutsche Bundesregierung nicht auf den Nutzen der Plattformen verzichten. Die Begründung: Nur so könne sie eine große Zahl bzw. bestimmte Wählergruppen effektiv erreichen. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive kann dieses Argument jedoch nicht überzeugen.

Notwendige Informationspolitik

Die Informationspolitik der Bundesregierung ist eine wichtige Säule der demokratischen Öffentlichkeit. Wie das Bundesverfassungsgericht klarstellte, ist „Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und gesetzgebenden Körperschaften […] in Grenzen nicht nur verfassungsrechtlich zulässig, sondern auch notwendig“ (BVerfGE 44, 125, Rn. 63). Den Einzelnen in die politische Gestaltung und Entscheidung einzubinden, schaffe eine Grundlage dafür, dass die Bürger*innen mit der Staatsordnung übereinstimmen. Gerade diesen Grundkonsens aufrechtzuerhalten sei Aufgabe staatlicher Öffentlichkeitsarbeit. Das Funktionieren unseres demokratischen Systems setzt also die Informiertheit der Wähler*innen über politische Ideen, Vorhaben, Entscheidungen und Maßnahmen voraus. Denn nur auf dieser Grundlage können sie politische Meinungen ausbilden und eine daran orientierte Wahlentscheidung treffen.

Vor diesem Hintergrund bekräftigt die Bundesregierung weiterhin den Nutzen, den eine Plattform wie X habe, um die Bürger*innen effektiv erreichen zu können. Man nehme die Kritik an der Plattform wahr, müsse jedoch präsent sein, wo die Menschen nach Informationen suchten. Bekannt ist diese Argumentationslinie aus dem Streit um die Facebook-Fanpage der Bundesregierung aus 2023. Damals untersagte der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit der Bundesregierung, ihre Facebook-Fanpage weiterzubetreiben. Das Bundespresseamt (BPA) reichte dagegen Klage vor dem Verwaltungsgericht Köln ein; wegen der aufschiebenden Wirkung kann die Bundesregierung ihre Fanpage vorläufig weiter betreiben.1) Demgegenüber weist ein Gutachten der Datenschutzkonferenz des Bundes und der Länder auf Grundlage der Rechtsprechung2) jedoch eindeutig darauf hin, dass die Untersagungsverfügung rechtmäßig ist. Mit dem Betrieb ihrer Fanpage ermöglicht das BPA nämlich die rechtswidrige Setzung von Cookies auf den Endgeräten der Seitenbesucher*innen durch Facebook. Als Seitenbetreiber ist das BPA daher gemeinsam mit Facebook für die rechtswidrige Verarbeitung der Nutzerdaten verantwortlich (Art. 26 Abs. 1 DS-GVO).

Eine breite Öffentlichkeit?

Um den verfassungsrechtlichen Informationsauftrag effektiv wahrnehmen zu können, ist die Reichweite eines zur Informationsvermittlung und -verbreitung eingesetzten Mediums von Bedeutung. Wähler*innen können besonders gut über solche Medien informiert werden, die eine große Zahl der Bürger*innen zur politischen Information heranzieht. Gerade der digitale Raum ist dafür grundsätzlich attraktiv, denn der Zugang ist für Sender und Empfänger in der Regel niedrigschwellig, grundsätzlich lokal unbegrenzt und kostenfrei. Soziale Netzwerke sind mit ihren typischen Teil- und Kommentarfunktionen darüber hinaus besonders interaktiv und dynamisch. Die Interaktivität als solche entspricht auch dem verfassungsrechtlichen Gedanken, die Bürger*innen in das politische Gestalten und Entscheiden einzubinden.

Angesichts dessen überrascht es nicht, dass die Bundesregierung Plattformen mit hohen Nutzerzahlen wie X und Facebook als zentrale Vermittlungs- und Verbreitungskanäle nutzt. So wurde auch nach der Europawahl und den diesjährigen ostdeutschen Landtagswahlen berichtet, dass die AfD insbesondere bei jungen Wähler*innen erfolgreich gewesen sei und dies mitunter an ihrer starken Präsenz in sozialen Netzwerken gelegen habe. Vielfach wurde daraus gefolgert, staatliche und andere politische Akteure müssten ihre Präsenz in sozialen Medien ausbauen, um eine vergleichbare Reichweite – insbesondere in der Gruppe der Jungwähler – zu erzielen.

Tatsächlich dürfte die Reichweite, die mit der Nutzung sozialer Medien im Vergleich zu den – meist auch online zugänglichen – „klassischen“ Medien wie Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehsendern erzielt wird, insgesamt geringer sein als gemeinhin angenommen. Nach den Ergebnissen des Digital News Report für 2024 kommen 34 % der erwachsenen Internetnutzer*innen in Deutschland regelmäßig mit Nachrichteninhalten in sozialen Medien in Berührung, wobei sie für nur 15 % als hauptsächliche und lediglich für 7 % als ausschließliche Nachrichtenquelle dienen. In der Altersgruppe zwischen 18 und 24 kommt den sozialen Medien eine relativ größere Bedeutung zu, wobei auch hier nur 16 % der Befragten sie als alleinige Nachrichtenquelle heranziehen (S. 20 ff.). Bemerkenswert ist daher auch, dass die Berichterstattung der „klassischen Medien“ zur Verbreitung solcher Inhalte, die ursprünglich in sozialen Medien veröffentlicht wurden, erheblich beitragen kann. Denn die Berichterstattung über das Geschehen auf den Plattformen wiederholt die Inhalte und macht sie denjenigen Bürger*innen bekannt, die soziale Medien nicht als Nachrichtenquelle nutzen. Die Reichweite ergibt sich dann aber nicht unmittelbar aus der Plattformnutzung.

Eine demokratische Öffentlichkeit?

Entscheidender ist jedoch: Die Regierung kann sich dann nicht auf ihren verfassungsrechtlichen Informationsauftrag berufen, wenn das Verbreitungsmedium – möge es eine noch so große Reichweite erzielen – sich nicht mit dem Konzept einer sachlichen und neutralen Informationsvermittlung verträgt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Medium nicht darauf ausgelegt ist, demokratische Öffentlichkeiten zu schaffen, sondern ein ökonomisches Geschäftsmodell verfolgt, das die sachlich fundierte Meinungsbildung kaum fördert.

In der Regel ist die Nutzung solcher Plattformen vermeintlich kostenlos, sie wird zumeist über Werbeeinnahmen finanziert. Daraus ergibt sich das Anliegen der Betreiber, die Aufmerksamkeit der Nutzer*innen möglichst lange zu binden und auf die angezeigten Werbeinhalte zu erstrecken. Hierzu werden Algorithmen eingesetzt, die Nutzer*innen diejenigen Beiträge priorisiert anzeigen, für die sie sich mit hoher Wahrscheinlichkeit interessieren. Die genaue Funktionsweise der Kuratierungsalgorithmen ist nicht transparent. Die Nutzer*innen haben zwar einen gewissen Einfluss darauf, welche Inhalte des Netzwerks sie angezeigt bekommen, etwa dadurch, welchen anderen Nutzer*innen oder Fanpages sie folgen. Die genaue Auswahl der Inhalte unterliegt jedoch der algorithmenbasierten Kuratierung, mit deren Hilfe sie an die Plattform gebunden werden sollen (s. Leopoldina 2021, S. 16).

Jenseits der Grenzen unzulässiger, vom Netzwerk herausgefilterter Inhalte, ziehen insbesondere solche Inhalte Aufmerksamkeit auf sich, die als skandalös, schockierend, verstörend oder erstaunlich wahrgenommen werden. Einer solchen Funktionslogik unterliegt auch und gerade staatliche Information, wenn sie über das jeweilige Netzwerk verbreitet wird. Neutrale, sachliche Informationen, die einen tatsächlichen Beitrag zu dem demokratisch vorausgesetzten Informationsangebot an die Bürger*innen leisten, erzielen danach regelmäßig eine geringere Reichweite als zugespitzte, populistische oder extremistische Inhalte. Eine breite digitale Öffentlichkeit lässt sich über die jeweiligen Netzwerke daher am besten erreichen, wenn deren Funktionslogik – die Aufmerksamkeitsökonomie – bedient wird.3) Halten staatlich betriebene Accounts jedoch die Qualitätskriterien ein, die an staatliche Information im Sinne des verfassungsrechtlichen Auftrags zu stellen sind, erweisen sich Plattformen wie X und Facebook gerade nicht als effektive Verbreitungsmedien.

Ein notwendiges Gegengewicht?

Es wird immer wieder eingewandt, die Kommunikationsräume dürften nicht jenen Akteuren überlassen werden, die sie zur strategischen Verbreitung populistischer, extremer oder desinformierender Inhalte einsetzen. Es müsse ein inhaltliches Gegengewicht zu solchen Inhalten gesetzt werden, denen die Nutzer*innen dort ausgesetzt seien. Diese Logik überzeugt nicht. Denn dann müssten staatliche Stellen im Sinne einer „ausgleichenden staatlichen Informationspolitik“ nicht nur eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit der Regierung über X oder Facebook begründen, sondern etwa auch für den Chatnachrichtendienst Telegram, der bekanntermaßen gerade kriminellen und rechtsextremen Gruppierungen eine Kommunikationsplattform bietet. Für eine demokratische Öffentlichkeit braucht es Regelungen für den politischen Wettbewerb, die Fairness gewährleisten und die auch im Digitalen effektiv durchgesetzt werden. Pauschale Verweise darauf, dass diese Räume nicht bestimmten Akteuren überlassen werden dürfen, reichen nicht aus.

Besser als nichts?

Schließlich mag man einwenden, ein Wert der Plattformen liege bereits darin, dass Bürger*innen, die ausschließlich soziale Medien als Nachrichtenquelle heranziehen, nur dort überhaupt erreicht werden können. Der Nutzen, den soziale Netzwerke in Bezug auf diese – ohnehin verhältnismäßig kleine – Gruppe gewähren, wiegt jedoch die mit ihrem Einsatz zur Informationspolitik verbundenen Kosten nicht auf. Denn die Präsenz staatlicher Akteure mag manche erst dazu bewegen, das jeweilige Medium zur politischen Information und Meinungsbildung ergänzend oder ausschließlich heranzuziehen. Die Bürger*innen dürfen jedenfalls darauf vertrauen, dass die Regierung bei ihrem Informationshandeln gewisse demokratische Standards der Sachlichkeit und Neutralität einhält; die Inhalte sich also zur politischen Information und Meinungsbildung eignen. Demgegenüber sehen sich Nutzer*innen auf den Plattformen jedoch verstärkt auch jenen Inhalten ausgesetzt, die in der Aufmerksamkeitsökonomie überlegen sind und sich nicht als sachbezogene Grundlage der politischen Partizipation eignen.

Hinzu kommt, dass sich mit einem Zuwachs an Nutzern eines Netzwerks sog. Lock-in- und Netzwerkeffekte4)) verstärken und in einer erheblichen Marktmacht der Plattformbetreiber auswirken. Aus der besonderen Popularität einer Plattform entsteht wiederum der Eindruck, digitale Öffentlichkeit ließe sich in angemessener Reichweite nur noch mithilfe ihrer Nutzung erreichen. Insoweit ist die staatliche Präsenz auf den Plattformen nicht Teil der Lösung gegen die Verbreitung von Populismus und Desinformation, sondern Teil des Problems. Denn sie bedient sich nicht bloß ihrer Reichweite, sondern befördert sie auch.

Fazit

Nach all dem kann die Bundesregierung ihre Präsenz auf Plattformen wie X oder Facebook nicht mit ihrem staatlichen Informationsauftrag rechtfertigen. Denn die Plattformen präsentieren Inhalte nicht nach Maßstäben, die einer sachlichen und neutralen Information der Büger*innen Rechnung tragen und Fairness im demokratischen Wettbewerb gewährleisten. Das gilt grundsätzlich auch für andere Plattformen, die nach ähnlichen Logiken funktionieren. Daraus folgt nicht unmittelbar, dass das Verfassungsrecht die Nutzung einer solchen Plattform verbietet – möglichweise steht aber einfaches Recht entgegen, wie etwa das Datenschutzrecht im Fall der Facebook-Fanpage. Im analogen Bereich und bei den „klassischen“ Medien gibt es bereits zahlreiche Regelungen, die Fairness im politischen Wettbewerb gewährleisten sollen. Unverständlich bleibt, wieso dies im Bereich sozialer Medien anders sein sollte.5) Gerade bei Plattformen, die eine erhebliche soziopolitische Macht haben, leuchtet das nicht ein.

References

References
1 Vgl. hierzu bereits Winau/Kemmler, NVwZ 2024, 967.
2 EuGH Rs. C-210/16, ECLI:EU:C:2017:796 – Wirtschaftsakademie; BVerwG Urt. v. 11.09.2019, Az. 6 C 15.18; OVG Schleswig Urt. v. 25.11.2021, Az. 4 LB 20/13.
3 Vgl. auch Caspar, ZRP 2024, 90 (90).
4 Pomana/Schneider, BB 2018, 965 (969
5 So bereits Caspar, ZRP 2024, 90 (91).

SUGGESTED CITATION  Winau, Mona: Reichweite reicht nicht: Für die Nutzung X und Facebook kann die Bundesregierung sich nicht auf ihren verfassungsrechtlichen Informationsauftrag berufen, VerfBlog, 2025/1/17, https://verfassungsblog.de/staatlicher-informationsauftrag-x/.

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