US Supreme Court: Staatsstreich der Richter?
Das Citizens-United-Urteil des Supreme Court rockt mit unverminderter Heftigkeit die verfassungspolitische Diskussion in den USA.
Ein Aspekt an der Entscheidung, in der der Gerichtshof die Schranken für Wahlkampfunterstützung durch Unternehmen niederreißt, ist besonders beunruhigend: Die fünf konservativen Richter, die das Urteil stützen, setzen den Gerichtshof dem Verdacht aus, sich für den Machtgewinn und -erhalt der Republikaner instrumentalisieren zu lassen oder diesen sogar aktiv zu betreiben.
Und das ist keine Flüstermeinung, die hinter vorgehaltener Hand verbreitet wird, sondern steht ganz breit und outspoken in der Zeitung. Im Blog der New York Review of Books hat jetzt auch Ronald Dworkin, einer der bedeutendsten Rechtstheoretiker unserer Zeit, diesen Verdacht offen ausgesprochen.
Richter als Wahl-Entscheider
Kennedy, Roberts, Alito, Scalia und Thomas sind alle von republikanischen Präsidenten ins Amt gebracht worden; die letzteren vier sind erklärte Neokonservative. Dass es republikanischen Bewerbern mehr nützt, ungezügelt Geld von Unternehmen für ihre Wahl mobilisieren zu können, als demokratischen, dürfte auf der Hand liegen. Das gilt auch für die Justiz: In den USA werden (auf Staatsebene) auch Richter und Staatsanwälte demokratisch gewählt.
2000 hat der US Supreme Court mit der entsprechenden konservativen Richtermehrheit im Fall Bush vs Gore verhindert, dass die offenkundig fischige Stimmenauszählung in Florida unter Gouverneur Jeb Bush wiederholt wird, und so dessen Bruder George W. Bush zum mächtigsten Amt der Welt verholfen, das ihm nach demokratischen Regeln nicht zustand. Dies versetzt George W. Bush wiederum in die Lage, anstelle des Hardcore-Konservativen Rehnquist den Hardcore-Konservativen Roberts und an Stelle der Moderat-Konservativen Day O’Connor den Hardcore-Konservativen Alito zu setzen – also die konservative Bank zu stärken und auszubauen. Und diese wiederum räumt seiner Partei jetzt den Weg frei, die Deep Pockets der Banken und Konzerne in den Dienst ihrer Macht zu stellen – und umgekehrt.
Vielleicht ist das eine Riesengemeinheit, jemandem wie Kennedy solche niedrigen Beweggründe zu unterstellen. Aber dass das Gericht sich diesem Verdacht aussetzen würde, musste den Richtern bewusst sein. Insbesondere, wenn sie dabei so entschlossen über ihre sonst so leidenschaftlich hochgehaltenen Prinzipien wie stare decisis und judicial selfrestraint hinweglatschen…
Update: Das Thema auf Jon Stewarts Daily Show:
The Daily Show With Jon Stewart | Mon – Thurs 11p / 10c | |||
Supreme Corp | ||||
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Update: Präsident Obama hat in seiner State-of-the-Union-Rede das Urteil mit ziemlich harten Worten kritisiert und den Kongress dazu aufgerufen, für eine gesetzliche Korrektur zu sorgen. Hier kann man die steinernen Mienen auf der Richterbank während dieser Redepassage sehen, und außerdem, dass Richter Alito währenddessen ein bisschen die Contenance verliert, zur großen Aufregung der Medien in den USA.
Leider sagen mir als Laie des amerikanischen Verfassungsrechts “stare decisis und judicial selfrestraint” nichts 🙁
(Das Spam-Captcha ist eine einzige Katastrophe)
stare decisis ist der Grundsatz, nicht ohne Not die in vorangegangnen Urteilen eingeschlagene Linie wieder über den Haufen zu werfen. Und judicial selfrestraint (richterliche Selbstzurückhaltung, auch political questions doctrine) heißt, dass Richter sich zurückhalten, Festlegungen aus der Verfassung abzuleiten, die eigentlich politisch entschieden werden sollten
Vielen Dank!
[…] Dilemma gibt es deshalb nicht nur bei uns, sondern in jeder Demokratie. Siehe das hier bereits mehrfach erwähnte Citizens-United-Urteil des US Supreme Court – in dem die […]
[…] dass die fünf konservativen Herren Roberts, Alito, Thomas, Scalia und Kennedy, die “Citizens-United Five“, dieser Versuchung, Corporate America vor diesen irre teuren und lästigen […]
[…] Dilemma gibt es deshalb nicht nur bei uns, sondern in jeder Demokratie. Siehe das hier bereits mehrfach erwähnte Citizens-United-Urteil des US Supreme Court – in dem die […]