Unter Beobachtung
Gerade schlägt die Entscheidung über eine Maßnahme der wehrhaften Demokratie hohe Wellen: Soll die AfD durch den Verfassungsschutz beobachtet werden? Von politischen Gegnern der AfD wird diese Forderung gegenwärtig mit großer Frequenz und Lautstärke wiederholt, Vertreter der Partei selbst hingegen nehmen die vertraute Position des politischen Opfers ein. Die Nachricht, dass die Junge Alternative (JA), die Jugendorganisation der AfD, in Bremen und Niedersachsen von den Verfassungsschutzbehörden überwacht werde, hat nun zu einer ungewöhnlichen Reaktion geführt: Auf einem außerordentlichen Bundeskongress soll, so der Bundesvorsitzende der JA Damian Lohr, die Auflösung der beobachteten Landesverbände beschlossen werden. Eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz, das zeigt sich, ist mehr als ein gewöhnlicher Gefahrerforschungseingriff. Sie ist auch ein politisches Signal.
Rechtlich stellen sich zwei Fragen: Erstens, unter welchen Bedingungen dürfen politische Organisationen durch den Verfassungsschutz beobachtet werden? Zweitens, wie steht es mit der Auflösung von Landesverbänden der JA?
Zu den zentralen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden gehört es, Erkenntnisse über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung zu gewinnen, vgl. § 3 BVerfSchG. Den Behörden stehen dafür verschiedene Maßnahmen zur Verfügung, vom Sammeln von Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen wie Presseberichten oder Internetauftritten bis zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel. Dazu zählen Methoden, die man aus dem Genre der Agentenfilme kennt, wie heimliches Observieren oder der Gebrauch von Abhöreinrichtungen und V-Leuten, aber auch die Überwachung der Telekommunikation, indem der Telekommunikationsdienstleister zu entsprechenden Auskünften verpflichtet wird.
Bei der Auswahl der Mittel sind die Verfassungsschutzbehörden nicht frei, sondern an das Verhältnismäßigkeitsgebot gebunden, welches im Wesentlichen in drei Richtungen wirkt: Zunächst sind die am wenigsten belastenden Mittel einzusetzen, die den Beobachtungszweck erreichen, vgl. § 9 Abs. 1 S. 2 BVerfSchG; weiterhin dürfen die Belastungen, die die Informationsgewinnung für den Beobachteten hervorruft, nicht außer Verhältnis zum verfolgten Ziel stehen, vgl. §§ 8 Abs. 2 S. 3; 9 Abs. 1 S. 3 BVerfSchG. Daneben tritt die dritte, prozedurale Dimension: Besonders belastende Maßnahmen dürfen teilweise nur vom Bundesinnenministerium angeordnet werden, oder aber sie stehen unter dem Vorbehalt einer richterlichen Genehmigung bzw. der vorherigen Unterrichtung der G 10- Kommission, vgl. §§ 8b Abs. 1 S. 1; 9 Abs. 2 S. 3 BVerfSchG. Teilweise muss auch das parlamentarische Kontrollgremium ex post unterrichtet werden, siehe § 9 Abs. 3 Nr. 2 BVerfSchG.
Vor dem „Wie“ steht aber die Frage nach dem „Ob“ einer Beobachtung: Eine Organisation darf beobachtet werden, falls tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie als Organisation Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung unternimmt, vgl. § 4 Abs. 1 S. 3 BVerfSchG. Gleiches gilt für Untergliederungen von Organisationen. Die Verfassungsschutzbehörden müssen daher anhand des gesamten Erscheinungsbildes einer Organisation beurteilen, ob sie verfassungsfeindliche Bestrebungen unterhält. Sie können dafür etwa programmatische Beschlüsse, die Äußerungen führender Mitglieder oder politische Aktionen der Organisation auswerten. Weil diese Aufgabe vielgestaltig und komplex ist, eröffnen die Verfassungsschutzgesetze von Bund und Ländern den zuständigen Behörden einen weiten Ermessensspielraum. Gegen eine Beobachtung, die einen Realakt darstellt, ist Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten in Form einer Unterlassungsklage möglich. Eine Beobachtung wird jedoch regelmäßig erst im Nachhinein bekannt werden, sei es, dass sie, falls verfassungsfeindliche Bestrebungen festgestellt wurden, im Verfassungsschutzbericht (§ 16 Abs. 2 BVerfSchG) auftaucht, sei es, dass für besonders intensive Beobachtungsformen eigene Berichtspflichten bestehen, etwa nach § 9 Abs. 3 Nr. 1 BVerfSchG.
Offenbar sind die Verfassungsschutzbehörden in Bremen und Niedersachsen zu dem Ergebnis gelangt, die dortigen Landesverbände der JA erfüllten die Voraussetzungen für eine Beobachtung. Die prompte Ankündigung der JA-Spitze, die betroffenen Verbände auflösen zu wollen, wirft ihrerseits Fragen auf, zunächst nach dem Rechtsstatus der JA: Falls diese Partei oder wenigstens unselbständiger Teil einer Partei ist, würde das Parteiengesetz gelten, das eine eigene Regelung über den Ausschluss von Gebietsverbänden für den Fall enthält, dass diese gegen die Satzung, gegen die Grundsätze oder gegen die Ordnung der Partei verstoßen (§ 16). Der Anwendungsbereich dieser Norm, die dem Schutz der innerparteilichen Demokratie dient, ist nicht leicht abzugrenzen von der Auflösung von Gebietsverbänden aus organisatorischen Gründen, etwa weil die Mitgliederzahl stark geschwunden ist. Es spricht aber einiges dafür, eine Anwendbarkeit von § 16 PartG anzunehmen, falls der Landesverband einer Partei deshalb aufgelöst werden soll, weil er vom Verfassungsschutz beobachtet wird, da es sich hierbei um eine parteipolitisch motivierte Auflösung handelt. Zu prüfen bliebe, ob die Voraussetzungen von § 16 PartG vorliegen.
Politische Partei aus eigenem Recht ist die JA nicht. Sie tritt nicht mit eigenen Kandidaten zu staatlichen Wahlen an und verfehlt damit eines der konstitutiven Parteimerkmale, die von § 2 PartG gefordert werden. Wäre sie aber nach den Kriterien des Parteienrechts als ein Teil der AfD zu betrachten, würde sie an deren Parteieigenschaft partizipieren. Der genaue Grenzverlauf zwischen Partei und Umfeld der Partei ist jedoch umstritten: Herkömmlich werden die rechtlich in die Partei eingegliederten sogenannten „Sonderorganisationen“ dem Parteienrecht unterstellt, während die meist als „Nebenorganisationen“ bezeichneten Vereinigungen, welche zwar mit der Partei zusammenwirken, aber rechtliche Selbständigkeit genießen, als Vereinigungen im Sinne von Art. 9 GG zählen und damit nicht den besonderen Bestimmungen für politische Parteien unterliegen. Diese Auffassung hat den Vorzug eines klaren Unterscheidungsmerkmals zwischen Partei und Nicht-Partei. Dagegen wird von namhafter Seite, vor allem von Martin Morlok, angeführt, sie sei wirklichkeitsblind und man müsse berücksichtigen, dass die Parteien sich auch rechtlich selbständiger Organisationen bedienen dürften, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Solche „qualifizierten Hilfsorganisationen“ seien ihrerseits nach Parteienrecht zu beurteilen, ohne selbst Parteien zu sein. Diese Gegenmeinung hat sich bislang nicht durchsetzen können, jedenfalls – soweit ersichtlich – noch keinen Eingang in die Rechtsprechung gefunden.
Entgegen dem Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit ist die JA organisatorisch keine Gliederung der AfD, sondern in rechtlicher Hinsicht selbständig (so ausdrücklich § 6 Abs. 2 S. 1 der Bundessatzung JA sowie § 17a Bundessatzung AfD). Auch die Mitgliedschaft beider Organisationen ist nicht identisch. Eine politische Koordination von JA und AfD wird zwar durch verschiedene Satzungsvorschriften gefördert ( vgl. etwa § 6 Abs. 1 Bundessatzung JA; § 17a Abs. 4 bis 6 Bundessatzung AfD), die JA behält aber ihre Satzungs-, Programm-, Personal- und Finanzhoheit. Damit ist nach der wohl herrschenden Meinung die JA als Nebenorganisation einzustufen, für die die Vorschriften des Parteienrechts nicht gelten, so dass § 16 PartG einer Auflösung der vom Verfassungsschutz beobachteten Landesverbände der JA nicht entgegensteht.
Allerdings könnte es noch zu einer ironischen Wendung kommen: Denn die JA hat sich entschlossen, § 16 PartG in § 3 Abs. 3 ihrer Bundessatzung inhaltlich weitgehend nachzubilden. Es mag also sein, dass sich das Bundesschiedsgericht der JA mit der Klage eines aufgelösten Landesverbandes befassen und dabei feststellen muss, ob nicht eigentlich ein Fall von § 3 Abs. 3 Bundessatzung JA vorliegt. Ein Ausschluss käme dann nur in Betracht, falls dem Verband qualifizierte Verstöße gegen die Satzung oder innere Ordnung vorzuwerfen sind, die einen schweren Schaden für die JA bewirkt haben.
Im Übrigen werden JA und AfD der Beobachtung durch den Verfassungsschutz nicht ohne Weiteres entgehen, indem sie beobachtete Verbände auflösen. Etwa bei entsprechender personeller Verflechtung zwischen JA und AfD kann auch das Verhalten der Mitglieder eines aufgelösten JA-Verbandes dem Verfassungsschutz tatsächliche Anhaltspunkte dafür liefern, Gliederungen der AfD zu beobachten.
Dazu zwei Fragen: 1.) Wenn die AfD jetzt als Gesamtpartei Beobachtungsobjekt des VS wird, welche unmittelbaren Konsequenzen ergeben sich daraus für Polizeibeamte, die Mitglied oder gar Funktionär dieser Partei sind?
2.) Wenn die AfD als Gesamtpartei bundesweit jetzt sofort die Einstufung “rechtsextrem” durch den VS kassiert, welche unmittelbaren Konsequenzen ergeben sich daraus für Polizeibeamte, die Mitglied oder gar Funktionär dieser Partei sind?