Urheberrechtsreform und Upload-Filter: Eine Gefahr für die Meinungspluralität?
Grundrechtliche Überlegungen zur deutschen Umsetzung von Art. 17
Es war eines der Aufregerthemen des letzten Jahres: Im April 2019 verabschiedete die EU nach langen Verhandlungen die Richtlinie über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt (Richtlinie (EU) 2019/790). Art. 17 dieser sog. Digital Single Market-Richtlinie (DSM-RL), der die meiste Kritik auf sich zog, schreibt kommerziellen Hosting Providern („Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten“) unter anderem vor, für die von Nutzern hochgeladenen urheberrechtlich geschützten Inhalte Lizenzen von Rechteinhabern zu erwerben.
Eine Pflicht zum Filtern?
Zum Teil wird angenommen, dass dies den Hosting Provider dazu verpflichte, hochgeladene Inhalte mittels sog. Upload-Filter proaktiv und lückenlos auf ihren Lizenzbedarf zu screenen. Scheitert der Lizenzerwerb, so kann der Hosting Provider die Haftung für einen von seinen Nutzern begangenen Urheberrechtsverstoß jedoch dadurch ausschließen, dass er unter Mithilfe der Rechteinhaber „nach Maßgabe hoher branchenüblicher Standards“ – sprich durch den Einsatz von Filtern – die Nicht-Verfügbarkeit geschützter Inhalte sicherstellt. Zudem muss er nach begründetem Hinweis unverzüglich dafür Sorge tragen, dass urheberrechtlich geschützte Inhalte gesperrt oder gelöscht werden („notice-and-take-down“). Ferner hat er alle Anstrengungen zu unternehmen, das künftige Hochladen solcher Inhalte zu verhindern („notice-and-stay-down“). Es versteht sich von selbst, dass der Hosting Provider auch hierfür Filteralgorithmen zum Einsatz bringt.
Nicht wenige Internetnutzer, Wissenschaftler, zivilgesellschaftliche Organisationen und Journalisten liefen gegen diese Regelung Sturm. Sie befürchten, dass automatisierte Upload-Filter schon wegen ihrer Unzuverlässigkeit zu einem „Overblocking“ rechtmäßiger Inhalte und in der Folge zu „chilling effects“, d.h. zur Entmutigung der User beim Erschaffen und Hochladen solcher Inhalte führen würde. Dies hinwiederum untergrabe die Meinungs-, Wissenschafts-, Kunst- und Informationsfreiheit und laufe auf eine Zensur sowie auf einen Verlust an Meinungspluralität hinaus. Diese Argumentation ähnelte den Befürchtungen, die bereits gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz und die dort verankerten Sperr- und Löschpflichten artikuliert wurden. Die Proteste waren so massiv, dass sich die Bundesregierung bei Verabschiedung der Richtlinie zu einer Protokollerklärung veranlasst sah, nach der der unionsrechtlich eröffnete Umsetzungsspielraum dazu genutzt werden solle, einerseits Upload-Filter soweit wie möglich zu vermeiden und andererseits die Rechte der Kreativen zu stärken.
Die Quadratur des Kreises
Der Konflikt war damit allerdings nur vertagt. Er setzt sich nunmehr im Rahmen der nationalen Richtlinienumsetzung fort, die von Gerald Spindler als eine „Quadratur des Kreises“ apostrophiert wurde (CR 2020, 50). Entsprechend schwer tat sich das federführende Bundesjustizministerium, den Referentenentwurf für ein Umsetzungsgesetz zu erarbeiten. Anderthalb Jahre nach Verabschiedung der Richtlinie liegt dieser nunmehr vor.
Ohne Zweifel: Die Aufgabe, die der europäische und nationale Gesetzgeber mit Blick auf den Schutz von Urheberrechten einerseits sowie den Schutz der Kommunikations- und Informationsfreiheit andererseits zu bewerkstelligen hat, ist alles andere als trivial. Er hat ein komplexes Geflecht aus divergierenden und zudem grundrechtlich geschützten Interessen zum Ausgleich zu bringen. Der Einsatz von Upload-Filtern zum Schutz von Urheberrechten kann dazu führen, dass rechtmäßige Inhalte – eine zugespitzte Meinungsäußerung, eine witzige Satire oder eine interessante wissenschaftliche Präsentation, die Referenzen auf urheberrechtlich geschütztes Material beinhalten – beim Hochladen ins Netz blockiert oder im Nachgang gesperrt werden. Dies führt zu einer Beeinträchtigung der Meinungs-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit und kann – wenn solche Blockaden gehäuft auftreten – einen Verlust an Meinungspluralität zur Folge haben. Meinungsfreiheit und Meinungspluralität hinwiederum sind – wie nicht zuletzt die Corona-Pandemie eindrücklich vor Augen führt – unabdingbare Voraussetzungen für eine funktionierende Demokratie. Der EU wie ihren Mitgliedstaaten obliegt es deshalb, das Recht auf freie Meinungsäußerung und die hierdurch bewirkte Meinungspluralität zu schützen und zu fördern.
Meinungsfreiheit und Meinungspluralität sind allerdings nicht die einzigen grundrechtlich geschützten Interessen, die es im vorliegenden Kontext zu berücksichtigen gilt. Auch andere Netz-Akteure können sich auf Grundrechte berufen. Diese zum Teil widerstreitenden Rechtspositionen sind miteinander in Ausgleich – oder, wie der Verfassungsjurist zu sagen pflegt, in „praktische Konkordanz“ – zu bringen. Neben dem aktiven Nutzer („Uploader“), der sich – je nach Konstellation – auf die Meinungs-, Kunst- oder Wissenschaftsfreiheit berufen kann, sind die Grundrechtspositionen der Hosting Provider zu berücksichtigen. Diese verfolgen das durch die unternehmerische Betätigungsfreiheit geschützte Interesse, Plattformen nach ihren inhaltlichen und kommerziellen Vorstellungen frei von gesetzlicher Restriktion zu gestalten. Zu berücksichtigen sind ferner die grundrechtlich geschützten Interessen der Rechteinhaber, die sich gegen die Upload-bedingten Verletzungen ihre Urheber- und sonstigen Schutzrechte auf die Eigentumsfreiheit, die Kunstfreiheit und – soweit Urheber selbst betroffen sind – auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht berufen können. Hinzu kommt die grundrechtlich geschützte Position des passiven Nutzers („Downloaders“), zu dessen Gunsten die Informationsfreiheit ins Feld zu führen ist.
Das Verbot der Zensur
Für den Prozess der insoweit erforderlichen Grundrechtsabwägung lassen sich Leitlinien identifizieren. Eine „harte“ Leitlinie erwächst zunächst aus dem Zensurverbot. Letzteres verbietet es dem Staat, ein behördliches Verfahren zu etablieren, das Meinungsäußerungen vor ihrer Verbreitung staatlicher Kontrolle unterwirft. Zwar richtet sich dieses Verbot nur an den Staat und nicht an private Plattformen. Allerdings verletzte der Staat das Zensurverbot auch dann, wenn er diesen gesetzlich vorschriebe, Inhalte vor ihrem Upload umfassend auf Rechtmäßigkeit zu kontrollieren und ggf. zu blockieren. Eine solche dem Staat zurechenbare Vorgabe beschwörte zum einen die Gefahr eines grundrechtlich bedenklichen, weil unverhältnismäßigen Overblocking herauf: Wie etwa soll ein Filter zuverlässig beurteilen, ob eine kontextabhängige Meinungsäußerung rechtmäßig oder unrechtmäßig ist? Selbst für Gerichte – man denke nur an die Sampling-Saga rund um Moses Pelham – sind diese Grenzen nicht stets klar erkennbar. Sie würde zum anderen auch mit dem unserer Kommunikationsordnung immanenten und nicht zuletzt im Verbot der Vorzensur zum Ausdruck kommenden Grundsatz brechen, dass prinzipiell jede Meinung zunächst geäußert werden darf, sich der Äußernde im Nachhinein für diese aber möglicherweise zivil- oder strafrechtlich zu verantworten hat. Aus guten Gründen spricht die europäische und nationale Rechtsordnung deshalb an einigen Stellen das Verbot der generellen Überprüfung von Inhalten vor ihrem Upload aus, so etwa in Art. 15 Abs. 1 der E-Commerce-Richtlinie oder in Art. 17 Abs. 8 DSM-RL.
Ein Upload-Filter hingegen, der gezielt nach kommunikationsrechtlich nicht geschützten Verhaltensweisen wie insbesondere das illegale Hochladen urheberrechtlich geschützten Materials fahndet, stellt keinen Verstoß gegen das vorstehend skizzierte Zensurverbot dar. Ein solcher Filter zielt gerade nicht darauf ab, Meinungsäußerungen zu blockieren, sondern verfolgt einen im Regelfall kommunikationsrechtlich indifferenten Zweck. Dem europäischen und nationalen Gesetzgeber ist es deshalb grundsätzlich gestattet, den Einsatz solcher Filter zu erlauben oder gar vorzuschreiben; Art. 17 Abs. 4 DSM-RL stellt hierfür ein Beispiel dar. Freilich hat er in Rechnung zu stellen, dass es dadurch zu einem Overblocking, sprich zu falsch-positiven Entscheidungen des eingesetzten Filteralgorithmus kommen kann. Gegen diese Gefahr muss der Gesetzgeber adäquate Vorkehrungen treffen, um den konfligierenden Grundrechtspositionen der involvierten Netz-Akteure Rechnung zu tragen. Dabei kommt ihm allerdings ein weiter Gestaltungsspielraum zu.
Der deutsche Umsetzungsentwurf
Der eingangs erwähnte Referentenentwurf entspricht diesen grundrechtlichen Leitlinien. Für die Umsetzung des Art. 17 DSM-RL schlägt er ein neues Gesetz – das Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (UrhDaG) – vor. Nach dessen § 4 Abs. 1 S. 1 UrhDaG soll der Hosting Provider verpflichtet sein, bestmögliche Anstrengung zu unternehmen, um vertragliche Nutzungsrechte für die öffentliche Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Inhalte zu erwerben. Satz 2 dieser Regelung stellt im Weiteren klar, dass der Diensteanbieter dieser Pflicht schon dann entspricht, wenn er Nutzungsrechte erwirbt, die ihm entweder zu angemessenen Konditionen angeboten werden oder die über eine inländische Verwertungsgesellschaft verfügbar sind. Demgegenüber – so die Begründung zum Referentenentwurf – sei der Diensteanbieter grundsätzlich nicht verpflichtet, aktiv nach Lizenzangeboten einzelner Rechteinhaber zu forschen. Die Entwurfsverfasser halten trotz der Forderung nach bestmöglichen Anstrengungen eine lückenlose präventive Kontrolle des Lizenzbedarfs folglich nicht für erforderlich und vermeiden so die Notwendigkeit eines umfassenden proaktiven Screenings.
Um der Gefahr des Overblocking gerecht zu werden, räumt der Entwurf die Möglichkeit eines sog. „Pre-Flaggings“ ein. Dieses ermöglicht es dem User, die Nutzung eines von ihm hochgeladenen Inhalts trotz des Sperrverlangens eines Rechteinhabers als – etwa im Rahmen einer Parodie bzw. eines Zitats – vertraglich oder gesetzlich erlaubt zu kennzeichnen. Dieser Inhalt ist vom Hosting Provider zunächst öffentlich wiederzugeben, es sei denn, das Pre-Flagging erweist sich als offensichtlich unzulässig. Mit dieser Möglichkeit entspricht der Entwurf dem bereits skizzierten Wirkmechanismus unserer Kommunikationsordnung, wonach meinungsrelevante Inhalte grundsätzlich zunächst veröffentlicht werden dürfen und erst im Nachgang einer rechtlichen Bewertung zuzuführen sind. Auch räumt der Entwurf die Möglichkeit ein, urheberrechtlich geschützte Werke in geringfügigem Umfang (z.B. 20 Sekunden eines Films) öffentlich wiederzugeben, soweit dies zu nicht kommerzielle Zwecken erfolgt oder lediglich nicht erhebliche Einnahmen erzielt werden. Im Gegenzug hierfür erhält der Urheber vom Hosting Provider eine angemessene Vergütung. Zudem stellt der Entwurf die Maßnahmen der Diensteanbieter unter einen allgemeinen Verhältnismäßigkeitsvorbehalt und entpflichtet, nicht zuletzt aus diesem Grund, Start-Ups sowie kleine Unternehmen (bis zu 1 Mio. Euro Umsatz pro Jahr) von den Sperrverpflichtungen. Schließlich enthält der Vorschlag Regelungen zu internen oder externen Beschwerdeverfahren, um einen kostenfreien und zügigen Rechtsschutz zur Klärung von Streitigkeiten zwischen den Akteuren zu ermöglichen, und räumt dem Diensteanbieter Sanktionsbefugnisse gegen vermeintliche Rechteinhaber oder falsch kennzeichnende Nutzer ein.
Ein guter Kompromiss
Im Detail mag man – je nach Perspektive (Uploader, Downloader, Rechteinhaber, Plattform) – Kritik an der konkreten Ausgestaltung einzelner Regelungen üben. Dessen ungeachtet ist den Entwurfsverfassern ein vertretbarer Ausgleich zwischen den multipolaren Grundrechtsinteressen gelungen, der die Grenzen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums wahrt und insbesondere dem Schutz der Meinungspluralität angemessen Rechnung trägt. Die Notwendigkeit zum Upload-Filtern wird signifikant reduziert und bewegt sich im Wesentlich auf den schon seit mehr als 20 Jahren bekannten Bahnen der „notice-and-take-down“- bzw. „notice-and-stay-down“-Verfahren.
Spannend hingegen bleibt die Frage, ob in dem Regelungsvorschlag auch eine unionsrechtskonforme Richtlinienumsetzung zu sehen ist. Wer davon ausgeht, dass die Richtlinie zu einem proaktiven Filtern aller hochgeladenen Inhalte verpflichtet, um den Bedarf an Urheberrechtslizenzen feststellen zu können, dürfte diese Frage wohl eher verneinen. Auch gegen den Vorschlag, geschützte Werke in geringfügigem Umfang nicht-kommerziell nutzen zu dürfen, werden unionsrechtliche Bedenken artikuliert. Gleiches gilt für den Privilegierungstatbestand zugunsten kleiner Diensteanbieter, da die Richtlinie explizit nur Ausnahmen für Start-Ups gestatte. In welchem Umfang diese Kritik den weiteren Gesetzgebungsprozess beeinflussen wird, bleibt abzuwarten. Zudem ist die gerichtliche Bewertung des Art. 17 DSM-RL und seines Umsetzungsgesetzes noch völlig offen. So ist an den Umstand zu erinnern, dass Polen 2019 gegen Art. 17 DSM-RL den EuGH angerufen hat, der am 10. November mündlich verhandeln wird. Die durch den Lizenzerwerb und den Einsatz von Upload-Filtern im Urheberrecht aufgeworfenen Rechtsfragen und Auseinandersetzungen werden uns deshalb auch in Zukunft weiter begleiten.
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[…] Urheberrechtsreform und Upload-Filter: Eine Gefahr für die Meinungspluralität? Grundrechtliche Überlegungen zur deutschen Umsetzung von Art. 17. Von Ralf Müller-Terpitz | Verfassungsblog, 02.11.2020 […]