VB vom Blatt: Acht Gedanken zum Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Verhältnismäßigkeit bei der Menschenwürde?
1. Die Bundesrepublik ist nach Art. 20 Abs. 1 GG ein Sozialstaat. Bekanntlich ist der konkrete Inhalt des Sozialstaatsprinzips umstritten und lässt dem Gesetzgeber als primärem Adressaten einen weiten Gestaltungsspielraum. Es fungiert so vor allem als Rechtfertigungsgrund für umverteilende und in Grundrechte eingreifende Maßnahmen, wobei die immanenten Grenzen dieser Rechtfertigung wiederum umstritten sind: Steht das Sozialstaatsprinzip (allein) „im Dienst der Freiheit“ (Heinig) oder „im Dienst der Freiheit und der Gleichheit“ (siehe hier)? Im vom Bundesverfassungsgericht heute entschiedenen Fall ging es freilich nicht um ein zu viel, sondern um ein mögliches zu wenig Sozialstaat: Ist es zulässig, Sozialleistungen um 30%, 60% oder gar vollständig zu kürzen, wenn sich der Betroffene konkreten Mitwirkungspflichten für seine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert? Oder gibt es ein absolutes Existenzminimum, das verhaltensunabhängig zu jeder Zeit gewährleistet sein muss?
2. Aus politischer Sicht ist nachvollziehbar, warum das Bundesverfassungsgericht gerade jetzt über diese Frage zu entscheiden hatte. Die Kürzung von Sozialleistungen entspricht dem herrschenden „apertistisch liberalen politischen Paradigma“ (Reckwitz), das seit Anfang der 80er Jahre das gesamte Mitte-links- bis Mitte-rechts-Spektrum prägt und im Hinblick auf den Sozialstaat mit der Parole „fördern und fordern“ charakterisiert werden kann. Ziel der Sozialleistungen ist nach dieser von Clinton über Blair bis Schröder propagierten Form vornehmlich die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt: „workfare statt welfare“ (Reckwitz). Die Kürzung der Sozialleistungen bei einem Verstoß gegen diese staatlichen Eingliederungsbemühungen ist danach nur konsequent: Wie sollte man anders die Mitwirkung des Betroffenen garantieren („fordern“). Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist man gleichwohl überrascht. Schon früh lernen die Studierenden zwar, dass sich aus den Grundrechten praktisch keine konkreten Leistungspflichten ableiten lassen. Ebenso betont wird in den Vorlesungen aber eine dem Grunde nach unumstrittene Ausnahme: Die Wahrung eines in Art. 1 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 1 GG wurzelnden wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Existenzminimums. Wenn dieses aber in jedenfalls zentral in der Menschenwürde wurzelt und daher „dem Grunde nach unverfügbar“ ist, wie es das Bundesverfassungsgericht mehrfach (und im heutigen Urteil erneut) entschieden hat, ist eine Kürzung nur bis zur Erreichung dieses Existenzminimums möglich („unantastbar“). „Hartz IV“ zu kürzen wäre also nur denkbar, soweit dieses über das (in seiner konkreten Höhe vom Gesetzgeber zu bestimmende) Existenzminimum hinausgeht. Eine Kürzung auf null wäre hingegen stets unzulässig. Sollte das nun plötzlich anders sein?
3. Die zentrale Antwort, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil gegeben hat, könnte man mit einem „Grundsätzlich nein, aber“ zusammenfassen. Sie birgt jedoch gerade deshalb beachtlichen politischen wie rechtswissenschaftlichen Sprengstoff, weil Eingriffe in die Menschenwürde danach zumindest partiell einer Rechtfertigung (unter strenger Beachtung der Verhältnismäßigkeit) zugänglich gemacht werden – zumindest lässt sich das Urteil so lesen. Wie sonst sollte es möglich sein, dass unter bestimmten Umständen sogar der (temporäre) vollständige Entzug der Sozialleistungen möglich sein soll?
4. Aber von vorne: Der Erste Senat betont zunächst die bisherige Rechtsprechung und die Verwurzelung des Existenzminimums in Art. 1 Abs.1 iVm Art. 20 Abs. 1 GG: „Die den entsprechenden Anspruch fundierende Menschenwürde steht allen zu, ist dem Grunde nach unverfügbar und geht selbst durch vermeintlich ‚unwürdiges‘ Verhalten nicht verloren“ (Rn. 120). Etwas später heißt es, dass die Menschenwürde „ohne Rücksicht auf Eigenschaften und sozialen Status, wie auch ohne Rücksicht auf Leistungen garantiert“ sei (Rn. 123). Daraus folgt wiederum: „Es widerspräche dem nicht relativierbaren Gebot der Unantastbarkeit, wenn nur ein Minimum unterhalb dessen gesichert würde, was der Gesetzgeber bereits als Minimum definiert hat (…)“ (Rn. 119). So weit, so gut. Allerdings folgt schon im unmittelbaren Anschluss eine überraschende Relativierung: Dem Gesetzgeber sei es nicht verwehrt, die Inanspruchnahme sozialer Leistungen zur Sicherung der menschenwürdigen Existenz an den Nachranggrundsatz zu binden, solche Leistungen also nur dann zu gewähren, wenn Menschen ihre Existenz nicht selbst sichern können. Damit vereinbar seien dann auch konkrete Mitwirkungspflichten, die der Gesetzgeber in verhältnismäßiger Weise auch durchsetzbar gestalten dürfe (Rn. 129). Das heißt für den Senat: Kürzungen existenzsichernder (!) Leistungen sind möglich, sofern sie darauf gerichtet sind, dass Mitwirkungspflichten erfüllt werden, die gerade dazu dienen, die existenzielle Bedürftigkeit zu vermeiden oder zu überwinden. In solchen Fällen fehlten der bedürftigen Person zwar Mittel, die sie benötige, um die Bedarfe zu decken, die ihr eine menschenwürdige Existenz ermöglichen (Rn. 131). Mit dem Grundgesetz sei „das“ (wir sprechen von menschenunwürdigen Existenzen) aber vereinbar, sofern der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sei. Das passt nur schwer zum Verbot, das „Minimum zu unterschreiten“ und geht dogmatisch wohl nur, wenn man davon ausgeht, dass die Sicherung des Existenzminimums nicht oder jedenfalls nicht zentral in Art. 1 Abs. 1 GG fundiert ist. Eine solche Feststellung wäre mehr als bemerkenswert und bedürfte zumindest längerer Ausführungen. In der Entscheidung wird das nicht völlig klar. Rn. 132 ist hier symptomatisch, wo der Senat zunächst die normative Grundlage nennt (Art. 1 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 1 GG), um dann aber davon zu sprechen, dass der Staat im Falle von Kürzungen suspendiere, „was Bedürftigen grundrechtlich gesichert zusteht (…). Hätte man „durch die Menschenwürde gesichert“ schreiben wollen, hätte man es vielleicht auch geschrieben. Was das aber konkret bedeutet, zeigt sich erst bei der Prüfung der im Gesetz konkret vorgesehenen Kürzungen von 30%, 60% oder 100%.
5. Zunächst zu einer Kürzung von 30%, die nach § 31a Abs. 1 S. 1 SGB II im Falle einer Pflichtverletzung nach § 31 SGB II zwingend für drei Monate eintritt. Das Bundesverfassungsgericht geht zwar davon aus, dass der gesetzgeberische Spielraum begrenzt ist, weil das grundrechtlich geschützte Existenzminimum berührt ist. Obwohl die Belastungswirkung außerordentlich sei, sei diese Kürzung dem Grunde nach aber nicht zu beanstanden. Als unzulässig wertet der Senat lediglich den Umstand, dass diese Kürzung zwingend eintritt und zudem immer erst nach drei Monaten endet. Insoweit müssten erstens Härtefallregelungen vorgesehen werden, zweitens müsse der Betroffene die Chance haben, die Sanktion jederzeit durch eigenes Verhalten abzuwenden.
6. Bezüglich der 60%-Kürzung, die im Falle einer wiederholten Pflichtverletzung eintritt, ist das Bundesverfassungsgericht zwangsläufig strenger. Auch hier ist man allerdings überrascht festzustellen, dass der erhebliche Eingriff in das menschenwürdige Dasein nicht generell ausgeschlossen wird – wie soll man von 40% des Existenzminimums drei Monate leben, wenn dadurch die vorgesehenen Mittel für Unterkunft und Heizung sowie für die Kranken- und Pflegeversicherung fehlen? Das Bundesverfassungsgericht stört sich erneut allein an der Verhältnismäßigkeit, diesmal immerhin schon an der Geeignetheit: Die Wirksamkeit der Leistungsminderung sei bisher (!) nicht hinreichend erforscht (Rn. 189). Mit ein wenig Empirie ließe sich da also noch was machen (vorausgesetzt, dass auch hier Härtefallregelungen eingeführt werden und die Regeldauer von drei Monaten abgeschafft wird).
7. Und das gilt selbst bei einer vollständigen Kürzung. Spätestens jetzt hätte man erwartet, dass der Grundsatz der Unantastbarkeit bemüht wird, zumindest hier wird man doch vom Kernbereich der Menschenwürde sprechen müssen. Doch erneut ist das nicht der Fall. Die vollständige Kürzung ist wiederum allein in der gegenwärtigen Ausgestaltung unverhältnismäßig – insbesondere wegen des drohenden Wohnungsverlustes (Rn. 205) –, aber nicht undenkbar: Wo eine existenzsichernde und zumutbare Erwerbstätigkeit ohne wichtigen Grund verweigert wird, obwohl im Verfahren die Möglichkeit bestand, dazu etwaige Besonderheiten der persönlichen Situation vorzubringen, kann ein vollständiger Leistungsentzug zu rechtfertigen sein (Rn. 209).
8. Was bleibt damit eigentlich noch vom bisher in der Menschenwürde wurzelnden Existenzminimum? Vermutlich nicht mehr allzu viel, jedenfalls wird man dieses dogmatisch allenfalls noch partiell in Art. 1 Abs. 1 GG fundiert sehen können. Der Anspruch auf ein bedingungsloses Existenzminimum wandelt sich gewissermaßen in einen Anspruch auf Arbeitsvermittlung. Die Rechtsprechung zeichnet damit das herrschende Paradigma des apertistischen Liberalismus bei der Auslegung des Art. 1 Abs. 1 GG und des Sozialstaatsprinzips nach. Abgesehen von den hier nur skizzierten dogmatischen Fragen, bleibt es zweifelhaft, ob das eigentlich der richtige Weg ist. Wir befinden uns mit Andreas Reckwitz aktuell vermutlich in einem weltweiten Wechsel des politischen Paradigmas, in dem der staatliche Schutzanspruch erneut eine größere Rolle spielen dürfte. Das Urteil hätte einen Beitrag zu diesem Paradigmenwechsel leisten können. So liest es sich eher wie ein letztes Aufbäumen des noch herrschenden apertistischen Liberalismus.
Vielen Dank für diese fundierte Analyse des Urteils und den kritischen Blick auf die Relativierungstendenzen bzgl. Art. 1 I GG.
Mir erschließt sich diese Lesart vor allem dann, wenn man von einer Art kompensierenden Wirkung der Eigenverantwortlichkeit im Rahmen von Art. 1 I GG ausgeht. Bereits in der mündlichen Verhandlung hatte der Senat ja deutlich gemacht, dass er sich vor allem an den Sanktionen gegenüber Personen stört, die zwar rechtlich zur Selbsthilfe verpflichtet sind, diese aber faktisch nicht leisten können (aufgrund psychischer Probleme etc.). Umgekehrt bedeutet das: Je mehr eine Person tatsächlich zur Selbsthilfe in der Lage ist, desto eher können auch schärfste Sanktionen verhältnismäßig sein. Es fehlt dann aus Sicht des BVerfG quasi an einer Schutzbedürftigkeit des Betroffenen durch den Staat. Nehmen wir mal das Extrembeispiel eines Hochqualifiziertern (z.B. eines Programmierers) ohne Vermittlungshindernisse, der 15 Jobangebote auf dem Tisch liegen hat, diese aber aus politischen Motiven verweigert, weil er meint, die Leistungsgesellschaft sei ein Übel an sich. Hier verstehe ich jetzt Rn. 209 des Urteils so, das in einem solchen Fall auch eine 100%-Sanktion gerechtfertigt sein könnte.
In der Tat offenbart dies bei einem Vergleich mit anderen Situationen eine zweifelhafte Würdigung des Art. 1 I GG. So bekommt selbst ein Terrorist, der sich in wesentlich deutlicherer Form gegen die Regeln der Gesellschaft gestellt hat, im Gefängnis noch ein soziokulturelles Existenzminimum gestellt. Dessen Fehlverhalten über einen vollständigen Entzug staatlicher Leistungen zu sanktionieren, wäre wohl mit Art. 1 I GG unvereinbar. Das zeigt einmal mehr: Es ging dem BVerfG nicht um die Vorwerfbarkeit oder Schwere der Mitwirkungspflichtverletzungen als solche, sondern um ihre sachliche Nähe zur Eigenverantwortlichkeit. Anders ausgedrückt: wer sich ohne nachvollziehbaren Grund und tatsächlich (!) freiverantwortlich zu einem Arbeitsboykott entscheidet, der kann das tun, muss die Konsequenzen dann allerdings auch in aller Schärfe selbst tragen. Man könnte nun allenfalls argumentieren, dass eine solche freiverantwortliche Selbstschädigung nicht durch Art. 1 I GG eingeschränkt wird, da sie ja gerade Ausdruck einer freien Entscheig ist. Somit kann ich der Interpretation des Autors, das Urteil als auch als Ausdruck eines neoliberalen Dogmas zu lesen, nur zustimmen.
Liest sich die Entscheidung nicht auf den ersten Blick wie ein typischer Ergebnis-Kompromiss (im Interesse der Einstimmigkeit des Senats), der zulasten der dogmatischen Überzeugungskraft geht?
Was ich nicht verstehe, ist, warum Art. 12 GG in diesem Zusammenhang so gar keine Beachtung findet.
Haben Erwerbslose kein Recht mehr auf die freie Wahl von Beruf, Ausbildungs- und Arbeitsplatz? In Art. 12 GG finde ich keinen Hinweis darauf, daß Menschen (OK: „Deutsche“), die von Sozialleistungen leben müssen, ausgenommen werden. Oder daß es überhaupt Bedingungen dafür geben darf. Im Gegenteil, sowohl Abs. 2 als auch Abs. 3 von Art. 12 verbieten explizit, daß jemand zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden darf.
Vom ARGE (Amt für Repression, Grundrechtsentzug und Existenzvernichtung, offiziell „Jobcenter“ genannt) bekommt man bei Nennung dieses GG-Artikels immer nur ein „aber Sie leben doch von Steuergeldern!“ entgegengeblafft – wie auf Knopfdruck, als hätten sie das gut eingeübt. Und – dann gelten Grundrechte nicht mehr?
Zitat: „Wie sonst sollte es möglich sein, dass unter bestimmten Umständen sogar der (temporäre) vollständige Entzug der Sozialleistungen möglich sein soll?“
Liegt das vielleicht am Schonvermögen?
Fall es am Schonvermögen liegen sollte: warum bringen es diese Kasuistiker dann nicht fertig, das zu benennen? Oder fällt Ihnen noch irgendein anderer in Frage kommender Fall ein?
Eine weitere Betrachtung verdienen nun die sicher folgenden Konsequenzen für andere existenzsichernden Leistungen. Da “Hartz IV” nun zementiert 30% über dem Existenzminimum liegt, kann man das jetzt auf Asyl, BaföG, Wohngeld, Rente, … ausrollen?
Ein hochinteressantes, wenn auch sehr arbeitsintensives Forschungsprojekt wäre, einmal herauszufinden, wie viele Widersprüche, Klagen und so weiter gegen Entscheidung der Jobcenter bzw Arbeitsaemter es im Bereich Hartz IV / ALG II bisher gegeben hat.
Es dürfte sich um die größte Prozesswelle der deutschen Rechtsgeschichte anderen. in diesem epochalen Zusammenhang ist erwähnenswert, dass ungefähr die Hälfte der Rechtsbehelfe auch Erfolg hatte. Das ist extrem viel, verglichen mit anderen Behörden und Einrichtungen.
Und nun: nach den Angaben des Chefs der Bundesagentur beträgt der Anteil der Personalkosten an den Ausgaben für ALG II ungefähr 60%, wovon ein ganz erheblicher Teil für Prozesskosten aufgewendet werden muss.
Das größte Arbeitsbeschaffungsprogramm für Juristen aller Zeiten an allen Orten.
Es ist nur zu verständlich, dass diese Werte und Zahlen in der Berichterstattung nur am Rande erwähnt werden, wenn überhaupt, und dass die Problematik arbeitsunwilliger Schnorrer weit in den Vordergrund gerückt wird, und die Frage, ob diese denn zurecht eine komplette Leistungskürzung erhalten sollten oder nicht…
Auch wäre interessant zu prüfen, und in einer wissenschaftlichen Abhandlung darzustellen, wie viel Geld denn ganz konkret für den Maelstrom an Sozialgerichtsverfahren aufgewendet werden musste, heißt Geld des Steuerzahlers.
Ach ja … dann war da noch diese komische Sache mit dem Existenzminimum…
… was war das nur ?
Wenn ich mir die vorläufigen Entscheidungen der Sozialgerichtsbarkeit zu solchen Fällen anschaue, so spielen dort die Gutscheine eine entscheidende Rolle. Solange es also Sachleistungen gibt, spielt die Menschenwürde-Garantie doch nicht die entscheidende Rolle.
Asperger-Justiz: keine kognitive Empathie, Kontextblindheit + Hang zu eugenischen Positionen a la Thilo Sarrazin (siehe meine Pinnwände bei pinterest.de zur “Asperger-Justiz” bzw. “We need to talk about Thilo. Sarrazin und sein ‘Hochbegabten-Gen’ “) Es wird Zeit, dass wir uns bewusst werden, wie tiefbegabt diese hochbegabten Kasuisitiker sind.
Vor 10 Monaten auf Spiegel online veröffentlichter Artikel
bezüglich Hartz-IV-Sanktionen:
15.01.2019
Kritiker werfen Verfassungsrichter Harbarth Befangenheit vor
Wenn es also auch nur eine einzige Ausnahme von diesem Grundsatz gibt, darf NICHT NUR bis maximal 30 Prozent des Leistumgssatzes gekürzt werden.
Dann wären die Herren und Damen vom BvFG als auch noch kaltschnaeuzige Lügner!
Oder was sonst?
Schöner Artikel, sehe aber eine Schwachstelle in der Argumentation: Dass die Sicherung des menschenwürdefundierten Existenzminimums zunächst dem Individuum obliegt, zeigt sich doch schon daran, dass Sozialleistungen erst auf Antrag gezahlt werden. D. h. wer nichts dafür tut, kann vom Staat nicht zu seinem Glück gezwungen werden (auch beim Antrag gibt er zudem einen verwaltungsrechtlichen Weg vor, der einzuhalten ist). Die Kürzungs-Fälle sind natürlich anders gelagert, gleichwohl zielt die hiesige Kritik ja auf die Prämisse, dass der Einzelne an der Verwirklichung seiner Würde nach staatlich aufgestellten Regeln mitwirken muss. Das bedeutet mE auch keinen Verstoß gg die Menschenwürde, wenn man mit der Objektformel geht, die gerade deren freiheitlichen Aspekt betont. Der Leistungsbezieher wird nicht instrumentalisiert, sondern bestimmt gerade selbst über sein Wohl und Wehe.
Hmh, es soll Menschen geben, deren finanzielles Existenzminimum gesichert scheint, ohne dass sie etwas dafür tun müssen und tun mussten?
Sanktionen bringen rein gar nichts!
Zunächst ist es einmal sehr erfreulich, dass die Mitarbeiter der Arbeitsagentur Gothas eine Klage gegen die unsägliche Praxis der Sanktionierung von ALG-II-/Hartz-IV-Empfänger beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einreichten, um diese inakzeptable und inhumane Verfahrensweise prüfen zu lassen. Und die Richter in Karlsruhe entschieden sich gegen diese Praxis und halten diese Verfahrensweise sogar teilweise als verfassungswidrig. Nun können die ALG-II-Empfänger nur noch bis zu 30 Prozent ihrer Hartz-IV-Bezüge sanktioniert werden. Und die noch amtierende Sozialministerin Brandenburgs, Frau Susanna Karawanskij (DIE LINKE) spricht sich sogar absolut gegen eine Sanktionierung von Hartz-IV-Empfänger aus, genauso wie ihre Nachfolgerin, Frau Ursula Nonnenmacher (Grüne). Hingegen plädiert der CDU-Fraktionschef Jan Redmann für das Beibehalten der Sanktionspraxis im Rahmen des Grundprinzips von Forderns und Förderns der ALG-II-Empfänger. Auf einer analogen Linie liegt der Bundestagsabgeordnete der AfD, Renè Springer. Er argumentiert, dass viele Hartz-IV-Empfänger Ausländer seien (faktisch nur ein geringer Prozentsatz) und so für eine Armutsmigration Tür und Tor geöffnet werde. Analoges konnte man im Bundestag in der Diskussion zum Urteil des Verfassungsgerichtes vernehmen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie sich Politiker zu Themen äußern, wovon sie nicht die geringste Ahnung haben. Chapeau! Sie Sprechen quasi wie die Blinden von der Farbe! Der CDU-Faktionsvorsitzende Jan Redmann und der AfD-Bundestagsabgeordnete, Renè Springer haben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in ihrem Leben noch niemals einen Arbeitslosen oder ALG II/Hartz IV-Empfänger vermittelt und kennen nicht im geringsten die Ängste, die Sorgen und Probleme dieses Personenkreises! Und sie kennen auch nicht das Kreuz mit dem Fordern und Fördern! Der Autor hingegen hat von 1995 bis 2014, also fast zwanzig Jahre über 1000, zumeist benachteiligte Erwachsene (u.a. Schwerbehinderte) und Jugendliche ins Arbeitsleben integriert und wurde dabei auch aufs Schmerzlichste und Dramatischste mit der Hartz-IV-Problematik konfrontiert! Zunächst muss einmal konstatiert werden, dass die Hartz IV/ALG II-Empfänger in der Regel hochmotiviert sind und einen großen beruflichen Ehrgeiz besitzen! Dies ergab eine fundierte psychologische Eingangsdiagnostik. Allerdings sind die soziale Unterstützung und die Lebenszufriedenheit nur gering ausgeprägt, wohingegen die Resignationstendenz hohe Werte annimmt. Mit anderen Worten: Die Betroffenen leiden unter der destruktiven, destabilisierenden und demotivierenden psychosozialen Situation der Arbeitslosigkeit! Zudem weist ein nicht unwesentlicher Prozentsatz der Hartz-IV-Empfänger Erkrankungen und Behinderungen auf. Daher ist beim Fordern und Fördern sehr klug zu verfahren! Und das Fordern und Fördern muss ganz individuell erfolgen und nicht einfach so pauschal. Soll heißen: Einige Betroffene, auch eine große Anzahl von Jugendliche, sind so taff, dass man sie überhaupt nicht, oder kaum „unter die Arme“ greifen muss! Für andere muss man die Bewerbungsunterlagen erstellen, weil sie aufgrund ihrer Bildung und Ausbildung dazu einfach nicht in der Lage sind! Im Extremfalle ist es erforderlich, sie zum Vorstellungs- bzw. Einstellungsgespräch zum Arbeitgeber zu begleiten. Wir sprechen hier in diesem Falle von Einzelfallbegleitung. Anderseits machen sich mitunter Weiterbildungsmaßnahmen oder Anpassungsqualifikationen notwendig. Wesentlich ist, dass zu Beginn der beruflichen (Re-) Integration eine Eingangs- bzw. Berufseignungsdiagnostik durchgeführt werden muss, wo die Persönlichkeitsvariablen, wie beispielsweise der Grad er Motivation zu erfassen sind. Aber auch das kognitive Leistungsprofil in 7 Dimensionen (Allgemeinbildung, logisches Denken, sprachliche Kompetenz, räumliches Denken, Wahrnehmungsfähigkeit, Konzentration, mathematische Kompetenz) sollte diagnostiziert werden, damit fundierte Schlussfolgerungen für die Vermittlung des Kandidaten in eine spezifische Berufsrichtung erfolgen können. Und die berufliche (Re-)Integration währt von einigen, wenigen Tagen, wo lediglich 10 Bewerbungsunterlagen bis zur Einladung zum Vorstellungsgespräch und zur Einstellung erforderlich werden, bis hin zu über einem Jahr, wo über Hundert Bewerbungsunterlagen erstellt werden müssen. Bei Vorliegen von gesundheitlichen Hindernissen müssen Anträge auf Schwerbehinderung gestellt werden und Fördermittel bei den Arbeitsagenturen/Jobcentern auf Lohnkostenzuschüssen (LKZ) und den Integrationsämtern der Ämter für Soziales und Versorgung auf finanzielle Förderungen zur Arbeitsplatzausstattung erfolgen (beispielsweise eine Computerkonfiguration, eine Büroausstattung,……). Und wenn alle Stränge reißen, muss aufgrund der gesundheitlichen und kognitiven Restriktionen eine Integration in die Werkstätten für Behinderte Menschen (WfbM) erfolgen. Man sieht hier, dass auch ein Großteil der Verantwortung bei der (Re-) Integration, der Vermittlung von Erwerbslosen bei den Mitarbeitern der Arbeitsagenturen, der Jobcentern oder bei den von den Arbeitsagenturen/ Jobcentern beauftragten Bildungsträgern liegt. Und Sanktionen mit der Brechstange bringen rein gar nichts, sondern die Arbeitsvermittler/Jobcoachs müssen immer am Ball bleiben und nicht den Mut verlieren! So gelingt die Reintegration /Vermittlung von Erwerbslosen in jedem Falle!
Siegfried Marquardt, Königs Wusterhausen
Man lasse uns doch folgendes nicht vergessen:
Mittlerweile scheint einiges auch in der Öffentlichkeit offen diskutierbar und klar wie Klossbrühe zu sein.
Aber dass es überhaupt dazu kam ist das Verdienst weniger Menschen, die sich mit aller Kraft für die Menschenwürde und die Gerechtigkeit ins Zeug legten, gegen Missachtungen, Anfeindungen, üblen Nachreden, Sabotagen ihrer gegen die Unmenschlichkeit en aufgestellten Antwortversuche durchzusetzen hatten.
Und selbst dann dauerte es fünfzehn!!! Jahre bis ein halbwegs befriedigendes Resultat nach einer wahren Odyssee durch die Rechtsabteilungen am Ende stand, und auch das nur mit vielem vielem Glück.
Und nun erregt die Tatsache, dass teilweise schlimmes Unrecht staatlicherseits verübt wurde, bei manchen noch immer kaum Aufsehen oder doch nur insofern, als dass man, wenn man nicht schnell wieder zur Tagesordnung übergeht, in seinem gekränkten Weltbild noch nachträglich seinen Hass und seine Häme über den Hartzer ausschüttet.
Ist dies das doch angeblich so hochzivilisierte Deutschland?
Ein Grundgesetz reicht nicht (wenn wir dies nicht hätten gnade Gott!) – wir brauchen auch noch einen Ralph Boes. Ein “Rechtsstaat” reicht nicht – wir müssen uns auch noch bis zu einem wahrheitsliebenden Richter mit “Mut und “Courage” durchbeißen.
Und dies in einer so elementaren ans Grundmenschliche greifenden Frage!
Meine Güte!
Ist der Art. 19 in diesem Zusammenhang relevant?
Artikel 19 Einschränkung von Grundrechten
(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muss das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muss das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.
(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.