Verantwortlichkeiten ausbürgern – Entzug der Staatsbürgerschaft zur Terrorismusbekämpfung in Großbritannien
Großbritannien entzieht schon seit dem letzten Jahr verstärkt bestimmten Personen die britische Staatsangehörigkeit und hat nun die Voraussetzungen dafür weiter gelockert. Die Regierung stellt die Ausbürgerung als notwendig dar, um die Sicherheit der – restlichen – Bevölkerung zu gewährleisten. Der Entzug der Staatsbürgerschaft – in Hannah Arendts Worten das „Recht, Rechte zu haben“ – kann aber auch vor dem Hintergrund aktueller Gefährdungslagen nicht die beste Verteidigungsstrategie des Rechtsstaats sein. Sie schafft es nicht, die Sicherheitslage effektiv zu verbessern. Vielmehr bedroht sie sogar selbst den Rechtsstaat.
Je mehr westliche Staatsangehörige im Irak und in Syrien für die Terrormiliz IS kämpfen, desto größer wird der Druck auf Regierungen, neue Wege zur Terrorismusbekämpfung zu beschreiten. Vor allem erwägen diese, es potentiellen Kämpfern zu erschweren, auszureisen, aber auch, die Rückkehr von kampferfahrenen Personen zu verhindern. Großbritannien plant momentan ein Gesetz zur Terrorismusbekämpfung, das unter anderem vorsieht, britischen Staatsangehörigen die Wiedereinreise für bis zu zwei Jahre zu verbieten, wenn sie sich nicht bestimmten Maßnahmen unterwerfen. Bereits im Mai 2014 hat Großbritannien jedoch den British Nationality Act 1981 verändert, um die Ausbürgerung von Terrorverdächtigen weitergehend zu ermöglichen.
Die Möglichkeit, britische Staatsangehörigkeit aus Sicherheitsgründen auszubürgern, besteht zwar bereits seit 2002. Neu ist aber, dass das Home Secretary eine Person jetzt mitunter auch dann ausbürgern kann, wenn diese dadurch staatenlos wird. Die Rechtsänderung ist vor allem als Reaktion auf das Urteil des britischen Supreme Courts vom 9. Oktober 2013 zu verstehen, in dem sich dieser zum ersten Mal mit einem Ausbürgerungsfall zu beschäftigen hatte. Der Betroffene Hilal Abdul-Razzaq Ali Al-Jedda war durch den Entzug der britischen Staatsangehörigkeit staatenlos geworden. Der Supreme Court stufte dies als rechtswidrig ein, obwohl Al-Jedda durch eigene Initiative seine frühere irakische Staatsangehörigkeit hätte wiedererlangen können, so zumindest argumentierte das Home Department (auch der EGMR urteilte zu einem anderen Aspekt des Falles, der Gefangenschaft von Al-Jedda im Irak unter britischen Truppen, in menschenrechtlich relevanter Hinsicht). Die geänderte Rechtslage ist nun genau auf solche Fälle zugeschnitten. Ab nun reicht es aus, wenn das britische Innenministerium darlegt, dass es dem/r Ausgebürgerten offensteht, eine andere Staatsangehörigkeit zu erwerben.
Ein Vergleich mit der deutschen Rechtslage: Unter dem Grundgesetz sind die verfassungsrechtlichen Grenzen für eine Ausbürgerung eng. Artikel 16 des Grundgesetzes verbietet ausnahmslos den Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit. Dies stellt eine Abkehr von der Praxis des Dritten Reiches dar, bestimmte Personengruppen dadurch rechtlos zu stellen, dass sie ausgebürgert wurden. Die Staatsbürgerschaft kann gegen den Willen des/r Betroffenen nur dann aberkannt werden, wenn diese/r nicht staatenlos wird. Einer Rechtslage, die der britischen Neuregelung vergleichbar wäre, scheint demnach das Grundgesetz Einhalt zu bieten (dies hindert so manchen natürlich nicht daran, dies noch einmal prüfen zu lassen).
Wären die weitergehenden britischen Möglichkeiten, IS-Kämpfer und weitere Terrorverdächtige auszubürgern, aber tatsächlich erstrebenswert?
Der Gedanke, dass europäische Staatsangehörige, die in Syrien oder im Irak auf Seiten des IS gekämpft haben, ungehindert nach Europa zurückkehren, wirkt bedrohlich. Umso verlockender erscheint die Möglichkeit, dies schlichtweg durch den Entzug der Staatsbürgerschaft zu verhindern. Eine Person, die die Grundprinzipien der Rechtsgemeinschaft bedroht, aus ihr auszuschließen, erscheint als adäquate Reaktion.
Ein Zitat David Camerons, das aus seiner Rede vom 1.9.2014 vor dem House of Commons stammt, führt diesen Gedankengang fort:
We are proud to be an open, free and tolerant nation, but that tolerance must never be confused with a passive acceptance of cultures living separate lives or of people behaving in ways that run completely counter to our values. Adhering to British values is not an option or a choice; it is a duty for all those who live in these islands. So we will stand up for our values; we will, in the end, defeat this extremism; and we will secure our way of life for generations to come.
Die Idee, dass sich der Terrorismus mit den ihm verdächtigen Personen zusammen ausbürgern lässt, ist zwar oberflächlich einleuchtend – schließlich sorgt sie tatsächlich dafür, dass eine Rückkehr erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht wird. Sie greift jedoch zu kurz und ist auch deshalb alles andere als effektiv.
Dies zeigt nicht zuletzt, dass der aktuelle britische Gesetzesentwurf, der die Terrorismusbekämpfung verbessern soll, sich auf die Möglichkeit konzentriert, britischen Staatsangehörigen die Einreise für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren zu verweigern. Dies ergänzt, wie auch David Cameron in seiner Rede herausstellt, nur die Ausbürgerung. Jedoch zeigt dies auch die Grenzen der Ausbürgerung auf: diese kann sich – auch nach der aktuellen Gesetzeslage – nur gegen Personen richten, die über eine doppelte Staatsangehörigkeit verfügen oder eingebürgert wurden. Bei allen anderen Personengruppen hat sich anscheinend – zumindest noch – keine Möglichkeit aufgetan, die Verantwortlichkeit aufzukündigen.
Bereits im Jahr 2013 hatte das Home Secretary ausgiebiger als zuvor von den Ausbürgerungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht. Vielleicht beantwortet die Ausbürgerung ja tatsächlich zumindest kurzfristig nationale Sicherheitsbedürfnisse. Jedoch auf wessen Kosten? Bei einem Großteil der bekannt gewordenen Fälle wurden die betroffenen Personen zu einem Zeitpunkt ausgebürgert, in dem sie sich außerhalb des britischen Staatsgebietes aufhielten. Wenn diese Personen tatsächlich so gefährlich sind, so werden diese Risiken nun den Staaten aufgebürdet, in denen sie sich gerade – mehr oder minder zufällig – aufhalten. Das Problem verschwindet jedoch nicht, indem Großbritannien es externalisiert. Drastisch lässt sich die Kritik hieran auch mit den Worten von Shami Chakrabarti, Leiterin der britischen Bürgerrechtsorganisation Liberty ausdrücken: „Don’t dump your citizens like toxic waste on the international community.“
Doch führt sich der Rechtsstaat tatsächlich ad absurdum, wenn er es ungehindert zulässt, dass die von ihm eingeräumten Freiheiten und staatsbürgerlichen Rechte, dazu genutzt werden, ihn und die von ihm zu schützende Bevölkerung anzugreifen?
Das Gegenteil ist der Fall. Das Ausbürgerungsverfahren selbst bringt den Rechtsstaat in Gefahr: Der – vor allem auch physische – Ausschluss aus der Rechtsgemeinschaft bringt den angeblichen Rechtsbrecher in eine ausweglose Situation. Ähnlich verhält es sich auch bei dem neuen Vorschlag, britischen Staatsangehörigen temporäre Einreiseverbote zu erteilen. Verfahrensrechte können kaum effektiv genutzt werden, wenn sich ein Betroffener nicht in Großbritannien befindet und auch nicht einreisen kann, um gut verteidigt vor Gericht zu ziehen. In zumindest zwei Fällen folgten der Ausbürgerung tödliche Drohnenangriffe. Ein faires Verfahren, das eines der rechtsstaatlichen Grundprinzipien darstellt, sieht anders aus.
Dies bedeutet aber nicht, dass der Rechtsstaat nun tatenlos den Gefahren ausgesetzt ist, die er nicht präventiv zu verhindern wusste. Mit der Staatsbürgerschaft sind Rechte und Pflichten verbunden. Während sich die Regierung Großbritanniens gerade darauf konzentriert, die damit verbundenen Rechte für Terrorverdächtige nach Möglichkeit einzuschränken, sollte es vielmehr die mit der Staatsbürgerschaft verbundenen Pflichten in den Blick nehmen. Die Erkenntnisse, die momentan und zukünftig Ausbürgerungsentscheidungen und Einreiseverboten zugrunde gelegt werden, können – im Rahmen des rechtlich Möglichen – in einem fairen strafrechtlichen Verfahren verwendet werden. Dieses zu erdulden, ist eine staatsbürgerliche Pflicht. Zwar wird an diesem Vorschlag häufig kritisiert, dass die Beweislage für eine strafrechtliche Verfolgung oftmals schwierig sei. Dann stellt sich jedoch die Frage, ob die Anforderungen an die Tatsachengrundlage, auf der eine Ausbürgerungsentscheidung getroffen wird, tatsächlich niedriger sein dürfen.
Unliebsame Bürger auszubürgern erscheint zwar verheißungsvoll, um neuen Sicherheitsbedürfnissen gerecht zu werden. Es wäre aber nicht das erste Mal, dass die Versuche, auf neue Bedrohungslagen zu reagieren, über ihr ursprüngliches Ziel hinausschießen. Eine adäquate Verteidigungsstrategie des Rechtsstaats kann und muss jedoch selbst seine Grundsätze wahren. Ansonsten bedroht sie zusätzlich, was sie zu schützen vorgibt.
Dieser Text ist im Rahmen des Verfassungsblog-Seminars entstanden.
Nur ergänzend: Analog Rn. 42 des EuGH-Urteil vom 2.3.2010 in der Rs. 135/09 – Rottmann dürften Ausbürgerungen, die zum Verlust des Unionsbürgerstatus führen, wohl in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen und vom EuGH überprüft werden. Die Rs. Rottmann betrifft zwar nur die Rücknahme einer Einbürgerung. Dasselbe dürfte aber auch für eine Ausbürgerung von Staatsangehörigen eines EU-Mitgliedstaates gelten, soweit sie nicht noch zusätzlich Staatsangehörige eines anderen EU-Mitgliedstaats sind und daher nicht der Gefahr ausgesetzt sind, den Unionsbürgerstatus zu verlieren.
“Verantwortlichkeiten ausbürgern”: Ist Verantwortlichkeit in diesem Kontext tatsächlich ein adäquate Kategorie zur Beschreibung des Problems oder politische Lyrik?
„Don’t dump your citizens like toxic waste on the international community.“ : Erfolgt das Abladen bei der internationalen Gemeinschaft oder bei einzelnen Staaten? Und wie steht es mit der “Verantwortlichkeit” dieser und anderer Staaten aus? Laden diese Staaten andernorts auch ihre “Verantwortlichkeiten” ab? Und ist ein Mindestmaß an Reziprozität beim Abladen von Verantwortlichkeiten nicht Voraussetzung für ein gedeihliches VerhÃ