20 June 2022

Versteckte Mahnung

Zum Beschluss des BVerfG über die Nichtanerkennungsbeschwerde der Zentrumspartei

Mit Beschluss vom 22. Juli 2021 hat das Bundesverfassungsgericht über eine sog. Nichtanerkennungsbeschwerde der Zentrumspartei entschieden. In der Beschwerde hatte sich die Zentrumspartei dagegen gewandt, dass sie nicht zur Bundestagswahl 2021 zugelassen wurde. Denn die Partei, so der Bundeswahlausschuss, habe in den vergangenen sechs Jahren keine oder nur unvollständige Rechenschaftsberichte eingereicht und damit ihre Rechtsstellung als Partei verloren. Der Beschluss des Zweiten Senats, dessen Begründung nun knapp ein Jahr später veröffentlicht wurde, gilt einer Schnittstelle von Wahl- und Parteienrecht. Er betrifft damit eine zentrale Stelle des Rechtes des politischen Prozesses. Drei Fragenkreise sind hier miteinander verschränkt: die Frage der Korrektheit der Nichtzulassungsentscheidung des Bundeswahlausschusses gegenüber der Zentrumspartei (1.), die Beschränkung der Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts im Verfahren der Wahlzulassungsbeschwerde auf die Prüfung der einfachrechtlichen Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Wahlprüfungsausschusses, wobei die Frage der Verfassungsmäßigkeit der entscheidungswesentlichen Normen ausgeklammert bleibt (2.), und schließlich die Frage, ob die Normen, welche zum Verlust der Rechtsstellung als Partei wegen Nichterfüllung der ihr obliegenden Rechenschaftspflicht führen (§ 2 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 23 Abs. 2 S. 4 PartG), verfassungswidrig sind (3).

Die Entscheidung des Wahlprüfungsausschusses

Geht man von der Anwendbarkeit von § 2 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 23 Abs. 2 S. 4 PartG aus, so ist angesichts des unbestrittenen Sachverhalts, dass die Zentrumspartei in den letzten sechs Jahren keinen Rechenschaftsbericht beim Präsidenten des Deutschen Bundestags eingereicht hat, der den gesetzlichen Anforderungen genügt, die Nichtzulassung der Partei richtig gewesen. Nicht einmal das Zentrum selbst stellt dies insoweit in Frage. Sein Angriff gilt allein der Ausnahmebestimmung des § 23 Abs. 4 S. 4 PartG. Das Kriterium, um in den Genuss der Ausnahme von der Testierpflicht für den Rechenschaftsbericht der Partei zu kommen, sei viel zu niedrig angesetzt. Diesem Vorbringen wendet sich das Gericht im Wesentlichen nicht inhaltlich zu.

Die Beschränkung des Kontrollmaßstabes im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde

Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde sei, so das Gericht, die Verfassungsmäßigkeit der maßgeblichen Normen nicht zu prüfen. Jedenfalls sei dies im Grundsatz so; für offensichtliche Verfassungsverletzungen hält es sich eine Ausnahme offen, und zwar unter Verweis auf eine einleuchtende Entscheidung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes (Urteil v. 16.08.2019 – Vf. 26-IV-19 (HS)). Diese Beschränkung der Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht und insbesondere der Ausklammerung der Frage der Verfassungsmäßigkeit ist eine bemerkenswerte Besonderheit in den Verfahren der Verfassungsgerichtsbarkeit. Das Gericht begründet diese Zurückhaltung ausführlich und schulmäßig.

Das zentrale Argument stellt die strikte zeitliche Taktung der einzelnen Schritte in der Wahlvorbereitung dar. Die Nichtzulassungsbeschwerde muss sich in dieses enge zeitliche Korsett einfügen. In der Folge hat eine vom Bundeswahlausschuss nicht zugelassene Partei lediglich vier Tage Zeit für die Begründung ihrer Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht; diesem selbst bleiben gerade 16 Tage für die Prüfung der Beschwerde.

Es überzeugt, dass in dieser knappen Zeit keine so weittragende Entscheidung wie die der Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes getroffen werden soll. Gut Ding will Weile haben, will sorgfältig überlegt werden, will unter Verarbeitung weiterer Stimmen hierzu durchdacht sein. Die Ausklammerung der Verfassungsmäßigkeit aus dem Prüfprogramm im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde stellt insofern eine zeitliche Ausprägung der Gewaltenteilung dar. Dies ist eine bemerkenswerte neue Seite in der Diskussion um das Verhältnis von Verfassungsgericht zu Gesetzgeber.

Die weiteren vom Gericht herangezogenen Gründe bestätigen dieses Ergebnis, so etwa, dass das Bundesverfassungsgerichtsgesetz für dieses spezielle Verfahren keine weiteren Äußerungsberechtigten vorsieht.

Diese Beschränkung der Kontrolle auf die korrekte Anwendung der einfachen Gesetze lässt die betroffene Partei in Hinblick auf eine mögliche Verfassungswidrigkeit der einschlägigen Gesetze nicht ohne Rechtsschutz. Trotz der Durchführung eines Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde lässt das Bundesverfassungsgericht die normale Wahlprüfungsbeschwerde gemäß Art. 41 GG zu. In dessen zweiter Phase beim Bundesverfassungsgericht wird inzident auch die Verfassungsmäßigkeit der entscheidungserheblichen Normen geprüft. Der grundsätzlich nur nachgeordnete Rechtsschutz in Wahlangelegenheiten wird vom Gericht erneut verteidigt. Die Einfügung der Nichtzulassungsbeschwerde in das Grundgesetz im Jahr 2012 war eine gebotene und, wie man sieht, auch praktikable Ausnahme hiervon. Ob es auch für bestimmte Fragen weitere Ausnahmen geben kann oder soll, ist im Hinblick auf konkrete Konstellationen zu erörtern.

Zur Verfassungsmäßigkeit der §§ 2 Abs. 2 S. 2 i.V.m. 23 Abs. 2 S. 4, 30 Abs. 2 PartG

Im Hinblick auf die erwähnte gegebenenfalls gebotene weitere Ausnahme vom Grundsatz, in Wahlsachen Rechtsschutz nur post festum zu geben, untersucht das Gericht, ob die angegriffenen Bestimmungen des Parteiengesetzes an einer schweren und evidenten Verfassungswidrigkeit leiden – und verneint dies für dieses Verfahren und unter diesen qualifizierten Kriterien.

Tatsächlich spricht aber viel für die Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmungen, die es kleinen Parteien sehr schwer bis unmöglich machen, der Pflicht zur Rechenschaftslegung ordnungsgemäß nachzukommen und damit auf Dauer den Parteistatus trotz § 2 Abs. 2 S. 2 PartG zu behalten.

Zwar wiegt das Transparenzgebot für die Parteien in Art. 21 Abs. 1 S. 4 GG schwer, aber es stellt eine Pflicht dar, die politische Parteien, die diesen Status innehaben, erfüllen müssen. Anders als die Teilnahme an Wahlen, die gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 PartG konstitutiv für den Rechtsbegriff der Partei ist – die Wahlteilnahme hebt die Parteien aus den sonstigen Organisationen, die politisch wirksam sein wollen, heraus und ordnet ihnen spezifische Rechte und Pflichten zu – ist die Pflicht zur Rechenschaftslegung eine Pflicht, die am Parteistatus anknüpft. Die Erfüllung der Rechenschaftspflicht hat jedenfalls nicht das gleiche Gewicht wie die Wahlteilnahme. § 2 PartG stellt in Abs. 2 S. 1 und 2 jedenfalls Gebote deutlich unterschiedlichen Gewichts hintereinander und sanktioniert diese einheitlich mit dem Verlust des Parteistatus. Hier ist ernstlich nach der Verhältnismäßigkeit dieser Rechtsfolge zu fragen, zumal nach § 38 Abs. 2 PartG die Erfüllung der Rechenschaftspflicht auch durch die Verhängung eines Zwangsgeldes erzwungen werden kann.

Außerdem ist zu konstatieren, dass es für kleine Parteien tatsächlich sehr schwer ist, einen Wirtschaftsprüfer für die Testierung ihres Rechenschaftsberichts zu gewinnen: Die Materie ist eine recht spezielle und verlangt Einarbeitung, zugleich ist bei kleinen Parteien aber nicht viel Geld zu verdienen.

Offenbar ist auch die Untergrenze, unter der Parteien keinen testierten Rechenschaftsbericht abgeben müssen, in § 23 Abs. 2 S. 4 PartG deutlich zu niedrig angesetzt. Eine Partei, die in einem Land oder gar bundesweit an Wahlen teilnehmen will, muss mit ihrem Budget zwangsläufig deutlich über dieser Grenze liegen. Auch ist zu sehen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Zielrichtung des Art. 21 Abs. 1 S. 4 GG darauf geht, relevante finanzielle Einflüsse auf die Politik öffentlich zu machen, nicht jedwede kleine Zuwendung zu erfassen (siehe BVerfGE 85, 264 (321; 24; 300; 356)). Bei kleinen und kleinsten Parteien ist daran zu zweifeln, ob diese Wesentlichkeitsgrenze überhaupt erreicht wird.

Weiter ist zu sehen, dass relativ junge Parteien, die noch keine sechs Jahre bestehen, unter der bestehenden Rechtslage eine Besserstellung gegenüber länger aktiven Parteien wie der Zentrumspartei erfahren. Dies gilt zwar auch gegenüber der Wahlteilnahme nach § 2 Abs. 2 S. 1 PartG, diese kann indes durch eine Entscheidung der Partei mehrmals im Jahr erfolgen. Demgegenüber ist völlig unklar, wie eine Partei, die nach § 2 Abs. 2 S. 2 PartG ihre Parteiqualität verloren hat, diese wiedergewinnen kann. Da sie nurmehr als einfacher Verein nach Zivilrecht weiterexistiert, kann sie keinen Rechenschaftsbericht nach dem Parteiengesetz beim Präsidenten des Deutschen Bundestages einreichen. Für dieses Problem braucht es dringend eine Lösung.

Angesichts dieser Gesichtspunkte spricht in der Tat vieles dafür, die bestehende Regelung für verfassungswidrig zu halten. Man mag durchaus spekulieren, ob die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu diesem Punkt nicht eine bewusste Mahnung an den Gesetzgeber darstellen sollen, die fraglichen Bestimmungen zu ändern. Aus den genannten Gründen sah sich das Gericht gehindert, diese Verfassungswidrigkeit jetzt bereits auszusprechen, aber die Schrift an der Wand ist einigermaßen deutlich lesbar: Der Gesetzgeber sollte tätig werden.


SUGGESTED CITATION  Morlok, Martin: Versteckte Mahnung: Zum Beschluss des BVerfG über die Nichtanerkennungsbeschwerde der Zentrumspartei, VerfBlog, 2022/6/20, https://verfassungsblog.de/versteckte-mahnung-2/, DOI: 10.17176/20220621-033147-0.

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