Vom Gründen einer rechtswissenschaftlichen Zeitschrift im Coronajahr
Bericht über ein studentisches Projekt in der Pandemie
Im April 2021 erschien die erste Ausgabe der „Bayreuther Zeitschrift für Rechtswissenschaft“: eine Zeitschrift mit dem Ziel, studentische Rechtswissenschaft sichtbar zu machen. Die BayZR ist eine Zeitschrift von Student:innen für alle! Im folgenden Beitrag möchte ich die Entstehung unter Pandemiebedingungen aus meiner Sicht skizzieren.
I. Die Idee
„Was haltet ihr von der Idee, eine studentische Fachzeitschrift für Rechtswissenschaft zu gründen?“ Es sind die ersten Wochen im Lockdown 2020. Meine Freund:innen, ausgelaugt vom anstrengenden „Skype & Chess“-Abend, schauen mich an. Ich kann ihre Blicke nicht deuten, da die Internetverbindung schlecht und die Videobilder etwas verpixelt sind. Zudem fällt es mir nicht leicht, Emotionen bei virtuellen Meetings richtig zu erfassen. Nach einer kurzen Diskussion beschließen wir, das Thema nochmal etwas ausgeruhter zu besprechen. Wir prosten uns über die Kamera zu und verabschieden uns. Danach gehe ich mit einem etwas mulmigen Gefühl ins Bett. Seit Tagen beschäftigt mich die Idee. Meine Freund:innen scheinen jedoch nicht sehr begeistert von der Vorstellung, so ein großes Projekt aus der Taufe zu heben.
In den folgenden Tagen führen wir viele Telefonate; die anfängliche Skepsis weicht skeptischer Neugier. Als wir erkennen, dass wir den meisten Schwierigkeiten wohl selbst begegnen oder vorbeugen können, schwingt sie in Begeisterung um.
Wir arbeiten zu diesem Zeitpunkt alle als studentische Hilfskräfte an einem zivilrechtlichen Lehrstuhl der Universität Bayreuth, dessen Inhaber selbst Herausgeber einer juristischen Zeitschrift ist. Nach einiger Zeit der Planung wagen wir den ersten großen Schritt und fragen unseren Chef nach seiner Meinung zu unserer Idee. Dieser setzt kurzerhand ein Zoom-Meeting an, in dem er uns in knappen zwei Stunden klar macht, was es bedeutet, „eine Zeitschrift zu schmeißen“. Wir verlassen das Meeting ernüchtert und halten noch kurz Rücksprache in einem zweiten Meeting. Dass es viel Arbeit werden würde und das Projekt am Ende dennoch scheitern könnte, damit hatten wir gerechnet. Die schon bedachten und weitere Fallstricke in aller Klarheit präsentiert zu bekommen, erweist sich trotzdem als harter Schlag.
Dennoch: Unsere Idee begeistert uns nach wie vor. Also entscheiden wir uns – allen Herausforderungen zum Trotz – weiter daran zu arbeiten.
II. Fragen über Fragen
In der nächsten Zeit versuchen wir, Antworten auf verschiedenste Fragen zu finden:
Wie können wir Mitglieder werben?
Ein Kennlernstammtisch in meiner Lieblingswirtschaft ist offensichtlich keine Option: „Vielleicht im Sommer.“ Wir wollen unser Kick-Off-Team eher klein halten; damit sich weniger Mistreiter:innen umso mehr verantwortlich fühlen und Diskussionen strukturiert geführt werden können. Wir beschließen, uns zunächst an ausgewählte Leute in unserem Freundes- und Bekanntenkreis zu wenden, die wir für interessiert, kompetent und teamfähig halten.
Welche Publikationsplattform können wir nutzen?
Eine Printausgabe ist von vornherein keine Option, da die Universität Bayreuth in unseren Augen als Marktsegment zu klein ist. Wir sehen die Gefahr, nicht ausreichend Abnehmer:innen zu finden. Zudem möchten wir so unabhängig wie möglich sein. Müssten wir für eine Publikationsplattform eine Summe aufwenden, die unser Eigenbudget übersteigt, wären wir auf Sponsoren oder andere Arten der Finanzierung angewiesen. Unser Chef verweist uns deshalb an den Bibliotheksbeauftragten der Universität. Dieser empfängt uns mit offenen Armen und stellt unserer Zeitschrift eine Publikation über das Open Journal Systems Bayreuth (OJS Bayreuth) in Aussicht.
Über das OJS Bayreuth können wir unsere Zeitschrift open access publizieren. Für uns hat das verschiedene Vorteile: Die Leser:innen müssen weder Geld ausgeben, noch müssen sie eine Bibliothek betreten oder eine Bestellung abwarten. Sie fühlen sich nicht gezwungen, Beiträge zu (Ende zu) lesen, die sie nicht interessieren, weil sie bereits Zeit oder Geld investiert haben.
Wir, das Redaktionsteam, müssen ebenfalls einen geringeren Aufwand betreiben: Wir müssen keine Bestellungen überprüfen, uns keine Gedanken um mögliche Steuern machen und brauchen uns nicht vor finanziellen Engpässen zu fürchten. Außerdem hoffen wir, unsere Reichweite zu erhöhen und die Beiträge bekannter zu machen. Wir möchten mit der BayZR nicht nur Liebhaber:innen abholen, die sich dafür begeistern können, studentische Bestrebungen zu fördern, sondern wollen vielmehr diejenigen erreichen, die einzelne Fragen spannend finden und sogar im Rahmen ihrer Recherche auf uns stoßen. Die künftigen Autor:innen – so hoffen wir – werden ihre Namen und Beiträge im Rahmen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung später in anderen Beiträgen zitiert sehen. Aus diesem Grund entscheiden wir uns auch dafür, die Inhalte unserer Website mit einer Creative-Commons-Namensnennungslizenz zu versehen; das Material darf also grundsätzlich geteilt und bearbeitet werden. Dabei müssen lediglich Urheber- und Rechteangaben gemacht und Bearbeitungen angegeben werden.
Wie finden wir Verbündete?
Wir wünschen uns die Unterstützung der Professor:innen unserer Fakultät. Sie können ihre ganz verschiedenen Erfahrungen mit uns teilen: Von der Werbung um Autor:innen über die Leitung größerer Projekte im akademischen Rahmen bis hin zum Blick für potentielle Fettnäpfchen in der Welt der Wissenschaftspublikationen. Gleichzeitig möchten wir uns nicht von vornherein den Weg verbauen, indem über die Zeitschriftenidee getratscht wird. Aus der Idee soll erst einmal ein Projekt werden. Aus „Wie finden wir Verbündete“ wird daher recht schnell: „Wie finden wir Verbündete, ohne dass sich jemand übergangen fühlt?“.
Die Lösung ist ein Kuratorium, das sich aus je einer Professor:in jeder Fachsäule sowie der Studiendekanin und dem (Pro-)Dekan zusammensetzt. So bilden wir alle Disziplinen ab und haben einen kurzen Weg zur Fakultät. Das Kuratorium übernimmt verschiedene Aufgaben: Die Mitglieder stärken uns den Rücken, stehen uns mit ihren Erfahrungen beiseite und bringen Kritik vor, die klug und anspruchsvoll ist. Freilich bleibt die Redaktion in studentischer Hand.
Wie können wir die wissenschaftliche Qualität der Beiträge sicherstellen?
Einfach Beiträge zu veröffentlichen, die als Seminararbeit eine gewisse Punktzahl erreicht haben, reicht uns nicht aus. Gerade in den Schwerpunktbereichen können die Noten sehr unterschiedlich vergeben werden. Wenn eine Arbeit 15 Punkte erreicht hat, der Seminardurchschnitt aber 13 Punkte beträgt, können wir nicht zwingend davon ausgehen, dass diese Arbeit veröffentlichungsfähig ist. Wir entscheiden uns daher, die Arbeiten zusätzlich selbst zu überprüfen. Die anonymisierte Begutachtung übernimmt ein Wissenschaftlicher Beirat aus Vertreter:innen des akademischen Mittelbaus. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen entwerfen Kriterien, an denen sie sich für die Begutachtung orientieren. Sie treffen sich regelmäßig, um sich über ihr Vorgehen auszutauschen und Fragen zu klären.
Später bekommen wir immer mal wieder die Kritik zu hören, dass ein double blind peer review nicht funktioniere, da die Begutachtenden die Autor:innen doch erkennen würden. Dem können wir entgegenhalten, dass sich unsere Autor:innen nicht an ihrem Fachbereich, an ihrem Schreibstil oder daran identifizieren lassen, dass sie sich häufig selbst zitieren. Schließlich handelt es sich bei ihnen nicht um etablierte Wissenschaftler:innen, sondern um Studierende, die in aller Regel ihre erste wissenschaftliche Arbeit publizieren möchten.
Wie kann sich unser Projekt dauerhaft etablieren?
Auch wenn der Start glückt, gibt es keine Garantie für den dauerhaften Bestand und Erfolg unseres Projekts. Wir können aber die bestmöglichen Voraussetzungen dafür schaffen. Die Anbindung an einen Lehrstuhl oder eine Forschungsstelle könnte einen gewissen Grad an Institutionalisierung garantieren, wir wollen dafür aber nicht unsere Unabhängigkeit und Eigenständigkeit aus der Hand geben. Wir finden eine bessere Lösung: die Gründung eines Vereins. Wir setzen Zuständigkeiten in der Satzung fest; schreiben nieder, ob und inwieweit Kuratorium und Wissenschaftlicher Beirat Mitbestimmungsrechte erhalten sollen und wählen einen Vorstand. Wir stellen sicher, dass die Leitung der Zeitschrift auch zukünftig in studentischer Hand liegen wird, und setzen Anreize, sich zu beteiligen. Mitglieder können wegen Inaktivität ausgeschlossen werden. Was sehr streng anmutet, hat einen wichtigen Hintergrund: Viele von uns waren schon vorher in Initiativen tätig und haben gelernt, dass ein unmotiviertes Mitglied eine ganze Gruppe demotivieren kann. Dem beugen wir vor. Der Verein wird außerdem als Herausgeber der Zeitschrift eingesetzt, um den Teamgeist auch nach außen zu tragen.
Diese und viele weitere Fragen beschäftigen uns in den folgenden Tagen, Wochen, Monaten. Unser erstes Gespräch mit einer Professorin, die wir für unser Kuratorium gewinnen wollen, findet im Freien statt: Wir – eine weitere Studentin, die Professorin und ich – spazieren über den Campus und durch den Botanischen Garten, während wir über die Zeitschrift diskutieren, erfreuen uns an dem guten Wetter und dem zarten Duft des nahenden Sommers. Die Professorin spricht unverblümt Probleme an, für die wir dann gemeinsam Lösungswege entwickeln. Sie begegnet uns auf Augenhöhe und schafft eine angenehme Atmosphäre. Das Gespräch motiviert uns auch noch Wochen später.
III. Plötzlich Projekt
Als wir im Herbst unseren Call for Papers veröffentlichen und unser Projekt offiziell launchen, erhalten wir motivierende Rückmeldungen und Lob für unsere Idee. Es werden so viele Beiträge eingereicht, dass wir einigen Studierenden mitteilen müssen, dass wir ihre Arbeiten aktuell noch nicht lesen und erst für die nächste Ausgabe berücksichtigen können. Dafür lässt sich unsere ursprünglich ins Auge gefasste Idee umsetzen, in jeder Ausgabe einen Teil der Beiträge zu einem Schwerpunktthema zu bündeln. Vielleicht profitieren wir zu diesem Zeitpunkt von der Pandemie: An der Fakultät herrscht ein Klima der Resignation; die Lehrstühle und Mitarbeiter:innen werden durch die virtuelle Klausurenphase an ihre Grenzen getrieben und Studierende müssen Wege finden, wie sie eine ruhige Klausuratmosphäre, gute Internetverbindung und ihre eigene Bildung sicherstellen. Das Campusleben verliert im virtuellen Raum seine Lebhaftigkeit – alles Neue, das in unserer Campusgemeinschaft aufkeimt, wird daher wohlwollend angenommen. Insofern streicht unsere Zeitschriftenidee wie ein frischer Wind durch die Fakultät und bleibt bei vielen als willkommene Abwechslung hängen.
Nach vielen Redaktionssitzungen, in denen wir über einen Teil der eingereichten Beiträge diskutieren und daraus eine Vorauswahl treffen, übergeben wir die Beiträge zur Begutachtung an die wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen. Für das Redaktionsteam eine Gelegenheit kurz durchzuatmen. Als die Beiträge aus der Begutachtung zurückkommen, kehren wir wie gewohnt in unser Redaktionsteam und in die Breakout-Sessions zurück. Zwei Wochen vor der Veröffentlichung sind die Beiträge den Begutachtungshinweisen entsprechend durch die Autor:innen überarbeitet worden und haben das Lektorat durchlaufen. Von unserer Seite aus stehen noch kleine Nachjustierungen an, die unsere Website und das Layout der Zeitschrift betreffen. Unser Social-Media-Konzept für den Tag der Veröffentlichung steht und auch die Fakultät und die Universitätsbibliothek werben für uns.
Es ist das Wochenende vor der Veröffentlichung. Mir geht es körperlich nicht besonders gut, da ich den ganzen Tag sitze und alle fünf Minuten unsere Website aktualisiere, die erst am Montag „sichtbar“ für andere werden würde. Ich lade probeweise größere Dateien hoch und teste alle Funktionen. Überarbeite das style sheet, also die Formatvorlage, die das Aussehen der Website bestimmt. Spiele mit dem Gedanken, den technischen Betreuer unserer Publikationsplattform anzurufen, der mit uns mitfiebert und auch ein bisschen aufgeregt ist. Er hat mir für das Wochenende seine private Telefonnummer gegeben, „falls noch etwas Dringendes ansteht“. Ich verwerfe die Idee wieder, da ich gar keinen wichtigen Grund habe, ihn anzurufen. Außerdem plagt mich noch mein schlechtes Gewissen von unserem letzten Zoom-Meeting, als ihn sein Kind vom Computer regelrecht zum Mittagessen zerren musste.
Die Nacht vor Montag ist von Anspannung geprägt. Ich schlafe wenig und nach einem Sonntag, den ich nur vor dem Laptop verbracht habe, bewege ich mich auch in meinen Träumen in den Weiten des Internets, googele nach Anweisungen für das style sheet und suche nach plugins, die uns vielleicht helfen könnten. Morgens mache ich mich sofort an die Arbeit: Ich überprüfe die hochgeladenen Dateien noch einige Male, ohne einen Fehler zu finden und klicke dann auf den Button: „Ausgabe veröffentlichen“. Ich kann noch nicht durchatmen. Den ganzen Tag verbringe ich damit, Abrufstatistiken anzuschauen, die noch gar nicht angezeigt werden können und kontrolliere unsere Social-Media-Accounts auf ihre Reichweiten und Likes. Wir erhalten viel positives Feedback per Mail, via LinkedIn, Facebook und Instagram. Persönliche Gratulationen sollten jedoch erst auf die Woche verteilt bei zufälligen Begegnungen folgen.
Als am Abend unsere zweite Chefredakteurin zu mir nachhause kommt, fallen wir uns in die Arme. In diesem Moment löst sich der gesamte Stress, den ich über die vergangenen Tage angesammelt hatte. Ich kann wieder freier atmen und fühle mich leicht. Ihr geht es ganz genauso. Wir öffnen uns einen Sekt und stoßen an. Nachdem wir einige Zeit – und das erste Mal seit einiger Zeit – unbeschwert plaudern, öffnen wir das Zoom-Meeting. Einige Redakteur:innen, die schon etwas früher da sind, prosten uns mit Wein zu. Wir halten auch unsere Gläser ganz nah an die Kamera und lassen sie aneinander klirren. Nach und nach kommen alle Redaktionsmitglieder ins Meeting. Die Atmosphäre ist eine feierliche und von kurzen, aber dafür umso überschwänglicheren Reden geprägt. Trotzdem gibt es etwas, das wir alle vermissen: Gemeinsam unseren Erfolg in einer gemütlichen Runde und an einem langen Abend, mit vielen Zwischengesprächen und schlechten Witzen feiern zu können.
Ich finde es super, dass Lena zu dem ohnehin schon fantastischen Symposium die erste studentische Perspektive beifügt.
So wie ich das sehe, hat die BayZR ja aber noch einen weiteren großen Dienst im Lockdown und darüber hinaus geleistet: Viele Studierende profitieren doch gerade beim wissenschaftlichen Arbeiten von einer guten Vernetzung. Das gilt umso mehr für Seminarleistungen, was ja den Großteil der Artikel ausmacht. Man kennt jemand, die jemand kennt, die bei entsprechenden Seminarleiter:innen bereits geschrieben oder auch nur in einem anderen Seminar generelle Erfahrung gesammelt hat etc.
Dieses informelle Austausch-Element ist mit Kontaktreduzierung und digitaler Lehre ja nunmehr auch weggefallen (Prof. Lepsius hat das mit dem Kontakt von Studierenden zu Studierenden ja hier schon ganz treffend dargestellt). Etwas wie die BayZR ist zwar kein deckungsgleicher Ersatz, bietet aber – neben ihren ganzen anderen lobenswerten Zielen – zumindest eine neue Alternative, die hier nachrückt.
Auch wenn Themen variieren mögen, sind die Beiträge ja ihrem Ursprung nach auch Beispiele einer methodisch gut gelungenen Lösung für eine vergleichbare Aufgabenstellung, aus der man dann als zukünftige Seminarteilnehmer:in viel ziehen kann.
Auch das ist Zugang.
Deswegen hoffe ich wirklich, dass euch die dauerhafte Etablierung gelungen ist und das Projekt weiter erfolgreich bleibt.
LG
Paul